L 9 SO 48/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 28 SO 84/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 48/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.
Bei der Anwendung von § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG ist dem strengen Ausnahmecharakter der Norm Rechnung zu tragen.
2.
Die Annahme einer Klagerücknahmefiktion ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Gericht gravierende, sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers hat.
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.11.2009 aufgehoben und der Rechtsstreit an das Sozialgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob das vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf unter dem Aktenzeichen S 28 (23) SO 70/07 geführte Verfahren durch Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beendet worden ist.

Die Klägerin hatte vom 07.08.1986 bis zum 30.11.2004 Sozialhilfe nach dem damaligen Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von der Beklagten bezogen. Mit Bescheid vom 10.08.2006 nahm die Beklagte die Sozialhilfebewilligung nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für diesen Zeitraum zurück und forderte die Klägerin zur Erstattung von 74.216,52 EUR auf. Bei der Klägerin sei von Anfang an verwertbares Vermögen vorhanden gewesen, zuletzt in Höhe von 42.648,16 EUR. Sie ordnete die sofortige Vollziehung an, weil die Gefahr bestünde, dass eine Entziehung von der Zahlungsverpflichtung durch Verlassen des Bundesgebietes erfolge.

Nachdem dieser Bescheid bestandskräftig geworden war, forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung des Betrages auf. Nach einer ersten Mahnung erging eine Pfändungsverfügung vom 01.02.2007 an das Bankhaus I in E in Höhe von 75.728,52 EUR (einschl. Säumniszuschlag, Porto und Gebühren). Daraufhin erfolgte eine Drittschuldner-Zahlung in Höhe von 34.228,66 EUR, weiteres ausschüttungsfähiges Guthaben bestand bei der Bank nicht. Mit Schreiben vom 12.04.2007 erhob der Ehemann der Klägerin Widerspruch gegen die Pfändungsverfügung vom 01.02.2007. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2007 wies die Beklagte diesen Widerspruch zurück. Der Rückforderungsbescheid sei rechtskräftig geworden und vollstreckbar.

Am 03.08.2007 hat der Ehemann der Klägerin für diese Klage vor dem VG Düsseldorf erhoben und beantragt, die Pfändungsverfügung aufzuheben.

Mit Vollmacht vom 08.08.2007 hat die Klägerin ihren Ehemann ermächtigt, "meine Rechtsangelegenheiten in der Klage [ ] wahrzunehmen". Mit Schriftsatz vom 18.08.2007 hat der Ehemann der Klägerin vorgetragen, der über viele Jahre angesparte Betrag sei als Absicherung im Krankheitsfall und für ein anständiges Begräbnis gedacht gewesen, weil die Klägerin und er nicht krankenversichert seien und eine Sterbeversicherung nicht bestehe; die Rückforderung sei rechtswidrig. Der angesparte Betrag stamme aus der Rente des Ehemannes der Klägerin und dürfte daher nicht gepfändet werden. Es sei zudem ein Mietrückstand von 1.926,40 EUR für die Zeit von April bis August 2007 entstanden.

Mit Beschluss vom 04.09.2007 hat das VG Düsseldorf das Verfahren an das SG Düsseldorf verwiesen. In ihrer Klageerwiderung vom 04.10.2007 hat die Stadtkasse der Beklagten ausgeführt, sie sei für die Pfändungsverfügung zuständig. Entscheidungen über die Übernahme von Mietrückständen seien allerdings dort nicht zu treffen; hierfür sei das zuständige Fachamt der Beklagten zuständig. Die Klageerwiderung wurde der Klägerin mit Verfügung vom 09.10.2007 zur Kenntnisnahme übersandt.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) hatte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit Beschluss vom 27.06.2008 auf die Beschwerde der Klägerin festgestellt, dass ihre Klage gegen die Pfändungsverfügung vom 01.02.2007 aufschiebende Wirkung hat (SG Düsseldorf S 23 SO 69/07 ER / LSG NRW L 20 B 19/08 SO ER).

Mit gerichtlichem Schreiben vom 04.07.2008 wurde die Klägerin aufgefordert, die Klage "weitergehend" zu begründen und zu erläutern, "warum der Bescheid vom 01.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2007 Ihrer Ansicht nach rechtswidrig ist". Mit gerichtlichen Verfügungen vom 01.08, 29.08 und 10.10.2008 wurde die Klägerin erinnert. Am 12.11.2008 wurde dem Ehemann der Klägerin durch Postzustellungsurkunde ein gerichtliches Schreiben vom 07.11.2008 zugestellt, mit der das SG die Klägerin aufforderte, das Verfahren weiter zu betreiben. Das SG wies darauf hin, dass die Klage gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz dieser Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben werde.

Am 25.02.2009 hat die Kammervorsitzende die Austragung des Verfahrens als Rücknahme verfügt; die Geschäftsstelle hat diese Austragung am 26.02.2009 vollzogen. Noch am 25.02.2009 ging bei dem SG ein Schreiben des Bevollmächtigten der Klägerin vom 17.02.2009 ein, in der dieser mitteilte, er habe Anfang Januar einen Unfall mit Kopf- und Handverletzungen erlitten und daher der Aufforderung des Gerichts nicht nachkommen können. Am 21.09.2009 beantragte der Bevollmächtigte sinngemäß die Wiederaufnahme des Verfahrens. Daraufhin setzte das SG das Verfahren fort.

Das SG hat den Beteiligten in einem Erörterungstermin am 09.09.2009 den Erlass eines Gerichtsbescheides angekündigt und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Gerichtsbescheid vom 02.11.2009 hat das SG Düsseldorf sodann festgestellt, dass die Klage zurückgenommen und der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.

Die Klage gelte gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen. Die Klägerin habe das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben. Bei dem Schreiben des Gerichts vom 07.11.2008, zugestellt am 12.11.2008, handele es sich um eine solche Betreibensaufforderung. In diesem Schreiben sei dem Bevollmächtigten der Klägerin deutlich gemacht worden, dass er eine Stellungnahme zu der gerichtlichen Anfrage vom 04.07.2008 übersenden sollte. Ihm sei außerdem deutlich gemacht worden, dass die Klage als zurückgenommen gelte, wenn er das Verfahren länger als drei Monate nicht betreibe. Hierauf habe der Bevollmächtigte des Klägers innerhalb der Frist nicht reagiert. Bis zum 12.02.2009 habe er das Verfahren damit nicht betrieben.

Wieso er innerhalb von drei Monaten dem Gericht nicht habe mitteilen können, mit welcher Begründung er das Verfahren betreiben wollte, warum der Widerspruchsbescheid rechtswidrig sei, erhelle sich dem Gericht nicht. Der Bevollmächtigte der Klägerin sei erstmals im Juli 2008 aufgefordert worden, die Klage zu begründen, insbesondere mitzuteilen, warum der Widerspruchsbescheid rechtswidrig sei. Auf die drei Erinnerungen im August und Oktober 2008 habe er nicht reagiert. Auf die Betreibensaufforderung habe er mehr als drei Monate nicht geantwortet. Damit habe das Gericht vom Wegfall des Rechtsschutzinteresses au08.05.2011sgehen dürfen. Am 13.02.2009 habe die Klage als zurückgenommen gegolten. Die im Nachhinein vorgetragene Schädelprellung im Januar 2009 ändere daran nichts. Sie erkläre insbesondere nicht den Zeitraum, in dem sich der Klägerbevollmächtigte nicht um den Fortgang des Verfahrens gekümmert habe. Damit seien die Folgen des § 102 Abs. 2 SGG eingetreten. Bei der Frist des § 102 Abs. 2 SGG handele es sich um eine Ausschlussfrist, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht in Betracht komme.

Gegen diesen ihrem Prozessbevollmächtigten am 05.11.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 02.12.2009 Berufung erhoben. Der Prozessbevollmächtigte hat vorgetragen, er habe Anfang Januar 2009 einen Unfall mit schwerer Schädelprellung gehabt. Die Rücknahme einer Klage habe er nicht erklärt. Seine Klage sei von ihm begründet worden.

Auf Anfrage des Senats, ob die Verfügung vom 07.11.2008 mit Paraphe oder Unterschrift versehen war, hat der damalige Vertreter der Kammervorsitzenden mitgeteilt: "Beabsichtigt habe ich mit der Unterzeichnung der Verfügung eine Unterschrift mit meinem Nachnamen, auch wenn sich dies nicht eindeutig erkennen lässt. Grundsätzlich verwende ich für Unterzeichnungen nicht meine Initialien."

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat sind die Beteiligten nicht erschienen.

Die Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
08.05.2011
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 02.11.2009 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der ebenfalls beigezogenen Verfahrensakte SG Düsseldorf S 23 SO 69/07 ER (LSG NRW L 20 B 19/08 SO ER) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte die Streitsache im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz des Ausbleibens der Beteiligten entscheiden. Die Beteiligten sind mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 126 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Das SG Düsseldorf hat mit Gerichtsbescheid vom 02.01.2009 zu Unrecht festgestellt, dass die Klage zurückgenommen und der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Wegen dieses Verfahrensfehlers und wesentlichen Mangels war der Rechtsstreit gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das SG Düsseldorf zurückzuverweisen.

1. Entgegen der Annahme des SG Düsseldorf liegen die Voraussetzungen einer so genannten fiktiven Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG aus mehreren Gründen nicht vor. Nach dieser Regelung gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.

Der Senat musste nicht entscheiden, ob diese Regelung, die durch Gesetz vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) mit Wirkung vom 01.04.2008 in das SGG eingefügt worden ist, auch auf zu diesem Zeitpunkt - wie hier der Fall - bereits anhängige Klageverfahren Anwendung findet. Denn die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG sind in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt.

a) Zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung bestanden keine bestimmten, sachlich begründeten Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses der Klägerin.

Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu § 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aus verfassungsrechtlichen Gründen wegen des Gebotes des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) entwickelt worden; die Gesetzgebung hat sich bei Erlass des § 102 Abs. 2 SGG an der Regelung des § 92 Abs. 2 VwGO orientiert (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 102 Rn. 8a; Bienert NZS 2009, S. 554, 555 m.w.N.). In der Gesetzesbegründung wird hierzu ausgeführt (Bundesrat-Drucksache 820/07, S. 24 = Bundestag-Drucksache 16/7716, S. 24): "Die Betreibensaufforderung darf nur ergehen, wenn das Gericht sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers hat. Diese Anhaltspunkte müssen so gravierend sein, dass der spätere Eintritt der Klagerücknahmefiktion als gerechtfertigt erscheint (BVerfG, NVwZ 1994, 62, 63; BVerwG, NVwZ 2000, 1297; BVerwG, NVwZ 2001, 918)." Da eine fiktive Klagerücknahme "weit reichende Konsequenzen hat, darf die Auslegung und Anwendung der Norm nur vor dem Hintergrund ihres strengen Ausnahmecharakters erfolgen" (Bundesrat-Drucksache 820/07, S. 23).

Solche sachlich begründeten Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses der Klägerin lagen zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung nicht vor. Hierzu ist der Zeitraum vor Erlass der Betreibensaufforderung, der in dem Tatbestand der sozialgerichtlichen Entscheidung nur verkürzt wiedergegeben wird, in den Blick zu nehmen.

Mit Schriftsatz vom 18.08.2007 hatte der Ehemann der Klägerin eine ausführliche Klagebe-gründung vorgelegt und vorgetragen, der über viele Jahre angesparte Betrag sei als Absicherung im Krankheitsfall und für ein anständiges Begräbnis gedacht gewesen, weil die Klägerin und er nicht krankenversichert seien und eine Sterbeversicherung nicht bestehe; die Rückforderung sei rechtswidrig. Der angesparte Betrag stamme aus der Rente des Ehemannes der Klägerin und dürfte daher nicht gepfändet werden. Nach Verweisung des Rechtsstreits an das SG Düsseldorf hatte die Stadtkasse der Beklagten in ihrer Klageerwiderung vom 04.10.2007 ausgeführt, sie sei für die Pfändungsverfügung zuständig; für die Übernahme von Mietrückständen sei dagegen das zuständige Fachamt der Beklagten zuständig. Diese Klageerwiderung wurde der Klägerin mit Verfügung vom 09.10.2007 zur Kenntnisnahme - nicht zur Stellungnahme - übersandt.

Neun Monate später - eine Bearbeitung oder ein Fortgang des sozialgerichtlichen Verfahrens erfolgte in dieser Zeit nicht - forderte das SG mit gerichtlichem Schreiben vom 04.07.2008 die Klägerin auf, die Klage "weitergehend" zu begründen und zu erläutern, "warum der Bescheid vom 01.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2007 Ihrer Ansicht nach rechtswidrig ist".

Diese Begründung hatte die Klägerin jedoch, wie ausgeführt, bereits mit dem Schriftsatz ihres prozessbevollmächtigten Ehemannes vom 18.08.2007 vorgelegt. Hiermit hatte sich die Beklagte in ihrer Klageerwiderung vom 04.10.2007 nicht auseinandergesetzt, sondern zu der - für den Rechtsstreit unerheblichen - internen Zuständigkeitsverteilung der Beklagten Ausführungen unternommen. Die Aufforderung des SG mit gerichtlichem Schreiben vom 04.07.2008, die Klage "weitergehend" zu begründen und zu erläutern, "warum der Bescheid vom 01.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2007 Ihrer Ansicht nach rechtswidrig ist", war vor diesem Hintergrund aus Sicht der Klägerin nicht nachvollziehbar, weil sie dieses Klagebegründung wie dargelegt bereits vorgelegt hatte.

Das SG hat seine Nachfrage auch nicht konkretisiert und die Klägerin nicht zu einem weiteren Vorbringen zu bestimmten, konkreten Umständen aufgefordert. In der Gesetzes-begründung wird dazu ausgeführt (Bundesrat-Drucksache 820/07, S. 24 - Hervorhebung nur hier): "Eine Verletzung der sich aus § 103 ergebenden prozessualen Mitwirkungspflichten des Klägers kann solche Anhaltspunkte liefern und tut dies in der Regel dann, wenn das Gericht konkrete Auflagen verfügt hat." Eine ansonsten unterbliebene prozessuale Mitwirkungshandlung, wie etwa eine unterbliebene Stellungnahme zu einem Schriftsatz der Gegenseite, reicht also für sich genommen regelmäßig für die Annahme des Nichtbetreibens nicht aus (Bienert NZS 2009, S. 554, 555).

Hier ist zudem maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung das Verfahren in der Vergangenheit bereits aktiv betrieben hatte, nämlich mit Vorlage ihrer Klagebegründung vom 18.08.2007. Zwar hatte sie auf die gerichtliche Verfügung vom 04.07.2008 nicht reagiert. Angesichts ihres bisherigen Betreibens lagen aber keine bestimmten, sachlich begründeten Anhaltspunkte für den Wegfall ihres Rechtsschutzinteresses vor. Hieran fehlt es ersichtlich auch deshalb, weil die Klägerin sich mit ihrer Klage im Ergebnis gegen eine Rückforderung der Beklagten in Höhe von 74.216,52 EUR zur Wehr setzte. Der Rechtsstreit hatte damit für die Klägerin, die Sozialhilfeleistungen in dieser Höhe bezogen hatte, erkennbar eine erhebliche wirtschaft-liche Bedeutung. Anhaltspunkte dafür, warum dieses Interesse weggefallen sein könnte, lagen nicht vor und sind auch vom SG nicht benannt worden.

Die Klägerin hatte zudem zwischenzeitlich auch das einstweilige Rechtsschutzverfahren weiter betrieben. Das LSG NRW hatte mit Beschluss vom 27.06.2008 auf ihre Beschwerde festgestellt, dass ihre Klage gegen die Pfändungsverfügung vom 01.02.2007 aufschiebende Wirkung hat (SG Düsseldorf S 23 SO 69/07 ER / LSG NRW L 20 B 19/08 SO ER).

b) Die Betreibensaufforderung genügt auch deshalb nicht den rechtlichen Vorgaben, weil nicht ersichtlich ist, ob der (damals zuständige) Kammervorsitzende sie mit vollem Namen unterzeichnet hat.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 01.07.2010 (B 13 R 58/09 R, SozR 4-1500 § 102 Nr. 1) zu der Betreibensaufforderung entschieden: "Wenn sie Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, muss sie vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden. Ein den Namen abkürzendes Handzeichen (Paraphe) genügt als Unterschrift nicht ( ). Dies folgt schon aus den einschneidenden Rechtsfolgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung. Erst die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters macht deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich um einen Entwurf handelt und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht; hierüber muss aber bei einer Betreibensaufforderung auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen."

Es kann nicht mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt werden, dass der damals zuständige Richter die Betreibensaufforderung vom 07.11.2008 mit vollem Namen unterzeichnet hat. Zwar hat er Anfrage des Senats, ob die Verfügung vom 07.11.2008 mit Paraphe oder Unterschrift versehen war, mitgeteilt: "Beabsichtigt habe ich mit der Unterzeichnung der Verfügung eine Unterschrift mit meinem Nachnamen, auch wenn sich dies nicht eindeutig erkennen lässt. Grundsätzlich verwende ich für Unterzeichnungen nicht meine Initialien." Zweifel hieran bestehen aber im konkreten Fall deshalb, weil seine Signierung der Verfügung zu der Betreibensaufforderung vom 07.11.2008, soweit diese zu entziffern ist, nur einen einzigen Buchstaben (und zwar den ersten Buchstaben des Nachnamens) enthalten dürfte und identisch ist mit seiner Signierung der zeitlich unmittelbar vorangegangenen Verfügung vom 10.10.2008, die eine bloße Erinnerung enthielt und als solche unstreitig keiner vollständigen Unterschrift bedurfte. Zweifel daran, ob eine Betreibensaufforderung mit vollem Namen unterzeichnet oder dagegen nur mit einer Paraphe versehen worden ist, können angesichts der dargelegten Bedeutung des grundgesetzlichen Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden gehen.

2. Das SG wird bei der Fortführung des Rechtsstreits in der Sache zu beachten haben, dass sich die Pfändungsverfügung erledigt haben dürfte, soweit sie bereits befriedigt worden ist (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 20.05.2010, L 10 LW 5533/07 m.w.N.).

3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem SG vorbehalten (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 159 Rn. 5 f).

4. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved