Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 21 SF 48/09 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 SF 140/10 E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ausnahmsweise kann der Rechtsanwalt nach Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten weitere Kosten geltend machen, wenn er einen gesetzlichen Gebührentatbestand (erkennbar) übersehen hat.
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Juni 2010 geändert.
Die Vergütung der Beschwerdeführerin für ihre Tätigkeit als beigeordnete Rechtsanwältin in dem Rechtsstreit S 21 AS 918/07 wird auf insgesamt 399,84 EUR festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
I.
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gießen X. (Kläger) gegen die JobKOMM GmbH (Beklagte) - S 21 AS 918/07 - stritten die Beteiligten um die Zahlung von 40,00 EUR monatlich mehr an Kosten für Unterkunft. Die Klageerhebung war am 1. Oktober 2007 erfolgt, zugleich war ein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt worden. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2007 bewilligte das Sozialgericht Gießen den Klägern Prozesskostenhilfe für das Verfahren S 21 AS 918/07 und ordnete die Beschwerdeführerin als Rechtsanwältin ab 18. Oktober 2007 bei. Die Beklagte erkannte einen Anspruch der Kläger auf 5,00 EUR monatlich mehr an. Die Kläger nahmen daraufhin das Teilanerkenntnis an und erklärten den Rechtsstreit am 2. September 2008 für erledigt. Gleichzeitig beantragte die Beschwerdeführerin die Festsetzung der Kosten. Mit Kostenbeschluss vom 26. März 2010 entschied das Sozialgericht Gießen, dass die Beklagte den Klägern 1/8 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten habe.
Mit Rechnung vom 4. Dezember 2008 machte die Beschwerdeführerin eine Vergütung in Höhe von insgesamt 464,10 EUR geltend (Verfahrensgebühr in Höhe von 170,00 EUR und Terminsgebühr in Höhe von 200,00 EUR). Der Urkundsbeamte setzte mit Beschluss vom 6. März 2009 eine Vergütung in Höhe von 226,10 EUR fest (170,00 EUR Verfahrensgebühr, keine Terminsgebühr).
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. März 2009 legte die Beschwerdeführerin am 13. März 2009 Erinnerung ein, mit der sie nunmehr die Vergütung in Höhe von insgesamt 524,79 EUR berechnete. Die höhere Rechnung ergab sich dadurch, dass die Beschwerdeführerin nunmehr auch die Nr. 1008 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 RVG) - VV-RVG - in Höhe von 51,00 EUR in Ansatz brachte.
Mit Beschluss vom 9. Juni 2010 wies das Sozialgericht die Erinnerung der Beschwerdeführerin zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, eine Terminsgebühr nach der Nr. 3106 VV-RVG sei nicht festzusetzen. Der Rechtsstreit sei nach Annahme eines Teilanerkenntnisses für erledigt erklärt worden. Unter Anerkenntnis im Sinne der Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG sei ein Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verstehen. Damit sei gemeint, dass bezüglich des geltend gemachten Anspruchs ein vollständiges Zugeständnis der Beklagten ergehe. Ein Teilanerkenntnis sei kein vollständiges Zugeständnis der Beklagten. Aus diesem Grunde reiche ein Teilanerkenntnis zur Entstehung der Terminsgebühr nicht aus. Die Festsetzung der Gebühr nach der Nr. 1008 VV-RVG sei mit der Kostenrechnung vom 4. Dezember 2008 nicht beantragt worden. Die Festsetzung der Verfahrensgebühr sei insoweit antragsgemäß erfolgt. Eine Erhöhung der Verfahrensgebühr könne nach der Festsetzung durch den Urkundsbeamten nicht mehr geltend gemacht werden.
Gegen den ihr am 18. Juni 2010 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 29. Juni 2010 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, es sei bisher nicht berücksichtigt worden, dass hilfsweise die Festsetzung einer Einigungsgebühr nach der Nr. 1005 VV RVG beantragt worden sei. Die Rechtssache habe sich nach Teilabhilfe durch anwaltliche Mitwirkung erledigt. Daher sei zumindest eine Erledigungsgebühr entstanden. Es sei auch eine Erledigungsgebühr in Höhe von 200,00 EUR angemessen. Die Mittelgebühr betrage 280,00 EUR. Da vorliegend von einer durchschnittlichen anwaltlichen Tätigkeit auszugehen sei und letztendlich eine Gebühr unter der Mittelgebühr gefordert werde, bewege sich diese im Rahmen des Ermessensspielraums des Rechtsanwaltes.
Die Beschwerdeführerin beantragt (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Juni 2010 aufzuheben und die Vergütung für ihre Tätigkeit in dem Rechtsstreit S 21 AS 918/07 auf insgesamt 524,79 EUR festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt (sinngemäß),
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach Auffassung des Beschwerdegegners ist die Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr nach der Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG aufgrund des Teilanerkenntnisses zu Recht abgelehnt worden. Die Abgabe eines Teilanerkenntnisses reiche zur Erfüllung der Entstehungsvoraussetzungen einer fiktiven Terminsgebühr nicht aus. Auch eine analoge Anwendung der Regelungen in Nr. 3104 VV-RVG komme nicht in Betracht. Ebenso komme ein Mehrvertretungszuschlag nach der Nr. 1008 VV-RVG nicht in Betracht, da der Antrag erstmals nach der Festsetzung der Vergütung durch den Urkundsbeamten gestellt worden sei. Die Nr. 1008 VV-RVG stelle keine eigenständige Betragsrahmengebühr dar, sondern führe zur Anwendung eines pro Auftraggeber um 30 % erhöhten Gebührenrahmens für die Verfahrensgebühr. Das aus § 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) hervorgehende anwaltliche Ermessen für die Bestimmung der Rahmengebühr sei mit der einmaligen Gebührenbestimmung verbraucht und könne daher nicht im Wege der Nachliquidation erneut ausgeübt werden. Zweifelhaft erscheine auch, ob die im Erinnerungsverfahren hilfsweise geltend gemachte Festsetzung einer Einigungsgebühr noch durchgreifen könne. Auch in soweit handle es sich um eine Nachliquidation. Das Entstehen einer Erledigungsgebühr erfordere in sachlicher Hinsicht eine über die allgemeine Geschäfts- und Verfahrensführung hinausgehende besondere anwaltliche Mitwirkungshandlung, die nicht bereits durch eine andere Gebühr, wie etwa die Verfahrensgebühr, abgegolten worden sei. Die bloße Abgabe einer Erledigungserklärung werde jedenfalls nicht als besondere Mitwirkungshandlung im Sinne des Entstehens der Gebühr nach der Nr. 1006 VV-RVG betrachtet, wenn ein volles Anerkenntnis des Klageanspruchs vorgelegen habe. Insofern habe lediglich eine fiktive Terminsgebühr entstehen können, und zwar in Höhe der halben Mittelgebühr. In Anbetracht des Klagebegehrens und des Zugewinns von 5,00 EUR pro Monat stünde vorliegend eine Erledigungsgebühr von 200,00 EUR in einem erheblichen Missverhältnis zur Bedeutung des Teilanerkenntnisses für die Auftraggeber. Die Begrenzung einer Gebühr nach der Nr. 1006 VV-RVG auf 85,00 EUR erscheine ausreichend.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Beschwerdeakte L 2 SF 140/10 E sowie die Gerichtsakten S 21 SF 48/09, S 21 AS 918/07, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Der Senat hat die Beschwerde durch seine Berufsrichter entschieden, nachdem die Berichterstatterin das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG auf den Senat übertragen hatte.
Die Beschwerde ist zulässig und teilweise sachlich begründet.
Der Beschwerdeführerin steht für ihre Tätigkeit in dem Rechtstreit S 21 AS 918/07 eine Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von insgesamt 399,84 EUR zu.
Nach § 45 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt grundsätzlich die Vergütung in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Landeskasse. Dabei hat der beigeordnete Anwalt die gleiche Rechtsstellung und auch die gleichen Ansprüche wie der einer vermögenden Partei (§ 12 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem VV-RVG. Wie die vorgegebenen Gebührenrahmen auszufüllen sind, richtet sich danach § 14 RVG. Danach bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Leistung, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens und Vermögensverhältnisse des Auftragsgebers nach billigem Ermessen. Regelmäßig ist von der Mittelgebühr auszugehen; mit ihr ist die Tätigkeit des Rechtsanwalts in der Regel immer dann angemessen bewertet, wenn sie sich unter den in § 14 RVG genannten Gesichtspunkten nicht nach oben oder nach unten vom Durchschnitt abhebt. Hier kann jedes Kriterium ein Abweichen rechtfertigen; ein im Einzelfall besonders ins Gewicht fallendes Kriterium kann die Relevanz der übrigen Umstände auch zurückdrängen. Die Bestimmung der Rechtsanwaltsvergütung muss nach pflichtgemäßem Ermessen ausgeübt werden. Die Einhaltung des pflichtgemäßen Ermessens ist gerichtlich überprüfbar (Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, § 14 RVG Rdnr. 12 ff.; E. Strassfeld, Vergütung von Rechtsanwälten in sozialgerichtlichen Verfahren in: Sozialgerichtsbarkeit 12/2008, Seite 705 ff. m.w.H.).
Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Verfahrensgebühr nach der Nr. 3103 VV RVG - wie beantragt - in Höhe der Mittelgebühr von 170,00 EUR. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Der Beschwerdeführerin ist es nicht verwehrt, im Erinnerungsverfahren die Erhöhung der Verfahrensgebühr nach der Nr. 1008 VV-RVG nachträglich geltend zu machen. Dem steht die grundsätzlich bestehende Bindungswirkung bei der Gebührenbestimmung nach § 14 Abs. 1 RVG nicht entgegen. Zwar ist der Rechtsanwalt an sein einmal ausgeübtes Ermessen bei der Bestimmung der angefallenen Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens gebunden. Die Bestimmung ist rechtsgestaltender Natur, ihre Abgabe Ausübung des Gestaltungsrechtes. Sobald die Erklärung gegenüber dem anderen Teil wirksam geworden ist, kann sie nicht mehr geändert oder widerrufen werden. Sie wird bindend, es sei denn, der Rechtsanwalt hat sich eine Erhöhung vorbehalten, ist über Bemessungsfaktoren getäuscht worden oder hat einen gesetzlichen Gebührentatbestand übersehen (Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage § 14 Rdnr. 4; Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. Dezember 2010 - S 108 SF 2119/09 E - m.w.H.). Dementsprechend hält der erkennende Senat die Änderung der Gebührenabrechnung durch die Beschwerdeführerin sowie die nachträgliche Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG für zulässig, auch wenn es sich bei der Nr. 1008 VV-RVG nicht um einen eigenständigen Gebührentatbestand handelt. Denn die vorgesehene Erhöhung der Verfahrensgebühr ist mit einem Gebührentatbestand vergleichbar. Die Voraussetzungen für den Gebührenerhöhungstatbestand der Nr. 1008 VV-RVG sind ersichtlich und unstreitig gegeben. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Geltendmachung versehentlich unterblieben ist. Die sich in soweit errechnenden 51,00 EUR sind der Beschwerdeführerin zu vergüten.
Dagegen steht der Beschwerdeführerin eine fiktive Terminsgebühr nicht zu. Denn der Rechtsstreit S 21 AS 918/07 erledigte sich nicht durch ein volles Anerkenntnis, sondern durch Teilanerkenntnis und Klagerücknahme im schriftlichen Verfahren (Beschluss des erkennenden Senats vom 10. September 2009 - L 2 SF 222/09 E, Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 28. August 2007 - S 15 SF 129/06).
Allerdings hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Vergütung nach der Nr. 1006 VV-RVG. Danach betragen die Gebühren bei Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), 30,00 bis 350,00 EUR, wenn über den Gegenstand - wie vorliegend - ein gerichtliches Verfahren anhängig ist. Auch insoweit ist die Nachliquidation hier zulässig. Der Beschwerdeführerin ist zugute zu halten, dass sie eine Erledigungsgebühr zunächst nur deshalb nicht in Ansatz gebracht hat, weil sie irrtümlich davon ausging, der Gebührentatbestand für eine Terminsgebühr sei gegeben.
Die Erledigungsgebühr nach den Nrn. 1005, 1006 VV-RVG setzt eine wenigstens teilweise Erledigung des Rechtsstreits infolge anwaltlicher Mitwirkung voraus. Eine qualifizierte, auf eine gütliche Streitbeilegung zielende Tätigkeit des Rechtsanwalts wird dabei angenommen unter anderem, wenn der Rechtsanwalt auf einen Vorschlag des Leistungsträgers auf seinen Mandanten einwirkt, um einen bei diesem bestehenden Widerstand gegen eine gütliche Streitbeilegung in dessen eigenem wohlverstanden Interesse zu überwinden (E. Strassfeld, Übersicht über die Rechtsprechung der Bundessozialgerichts zur anwaltlichen Vergütung nachdem RVG, in NZS, 5/10 S. 259). Die Beschwerdeführerin hat nach dem Teilanerkenntnis der Beklagten auf die Kläger eingewirkt und schließlich hierdurch die Erledigung des Rechtstreits herbeigeführt. Eine Erledigungsgebühr kann jedoch nur in Höhe der halben Mittelgebühr gewährt werden, die 95,00 EUR beträgt. Dies ist angemessen im Hinblick auf den gesamten Streitgegenstand sowie den nur geringen Umfang des Teilerfolges der Kläger.
Nach alledem steht der Beschwerdeführerin eine Verfahrensgebühr in Höhe von insgesamt 221,00 EUR, eine Erledigungsgebühr in Höhe von 95,00 EUR sowie die geltend gemachte Pauschale von 20,00 EUR zuzüglich 19 % Umsatzsteuer (63,84 EUR) zu, so dass die Vergütung insgesamt auf 399,84 EUR festzusetzen ist.
Die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Die Beschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Die Vergütung der Beschwerdeführerin für ihre Tätigkeit als beigeordnete Rechtsanwältin in dem Rechtsstreit S 21 AS 918/07 wird auf insgesamt 399,84 EUR festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe:
I.
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gießen X. (Kläger) gegen die JobKOMM GmbH (Beklagte) - S 21 AS 918/07 - stritten die Beteiligten um die Zahlung von 40,00 EUR monatlich mehr an Kosten für Unterkunft. Die Klageerhebung war am 1. Oktober 2007 erfolgt, zugleich war ein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt worden. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2007 bewilligte das Sozialgericht Gießen den Klägern Prozesskostenhilfe für das Verfahren S 21 AS 918/07 und ordnete die Beschwerdeführerin als Rechtsanwältin ab 18. Oktober 2007 bei. Die Beklagte erkannte einen Anspruch der Kläger auf 5,00 EUR monatlich mehr an. Die Kläger nahmen daraufhin das Teilanerkenntnis an und erklärten den Rechtsstreit am 2. September 2008 für erledigt. Gleichzeitig beantragte die Beschwerdeführerin die Festsetzung der Kosten. Mit Kostenbeschluss vom 26. März 2010 entschied das Sozialgericht Gießen, dass die Beklagte den Klägern 1/8 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten habe.
Mit Rechnung vom 4. Dezember 2008 machte die Beschwerdeführerin eine Vergütung in Höhe von insgesamt 464,10 EUR geltend (Verfahrensgebühr in Höhe von 170,00 EUR und Terminsgebühr in Höhe von 200,00 EUR). Der Urkundsbeamte setzte mit Beschluss vom 6. März 2009 eine Vergütung in Höhe von 226,10 EUR fest (170,00 EUR Verfahrensgebühr, keine Terminsgebühr).
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. März 2009 legte die Beschwerdeführerin am 13. März 2009 Erinnerung ein, mit der sie nunmehr die Vergütung in Höhe von insgesamt 524,79 EUR berechnete. Die höhere Rechnung ergab sich dadurch, dass die Beschwerdeführerin nunmehr auch die Nr. 1008 des Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 RVG) - VV-RVG - in Höhe von 51,00 EUR in Ansatz brachte.
Mit Beschluss vom 9. Juni 2010 wies das Sozialgericht die Erinnerung der Beschwerdeführerin zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, eine Terminsgebühr nach der Nr. 3106 VV-RVG sei nicht festzusetzen. Der Rechtsstreit sei nach Annahme eines Teilanerkenntnisses für erledigt erklärt worden. Unter Anerkenntnis im Sinne der Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG sei ein Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verstehen. Damit sei gemeint, dass bezüglich des geltend gemachten Anspruchs ein vollständiges Zugeständnis der Beklagten ergehe. Ein Teilanerkenntnis sei kein vollständiges Zugeständnis der Beklagten. Aus diesem Grunde reiche ein Teilanerkenntnis zur Entstehung der Terminsgebühr nicht aus. Die Festsetzung der Gebühr nach der Nr. 1008 VV-RVG sei mit der Kostenrechnung vom 4. Dezember 2008 nicht beantragt worden. Die Festsetzung der Verfahrensgebühr sei insoweit antragsgemäß erfolgt. Eine Erhöhung der Verfahrensgebühr könne nach der Festsetzung durch den Urkundsbeamten nicht mehr geltend gemacht werden.
Gegen den ihr am 18. Juni 2010 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 29. Juni 2010 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, es sei bisher nicht berücksichtigt worden, dass hilfsweise die Festsetzung einer Einigungsgebühr nach der Nr. 1005 VV RVG beantragt worden sei. Die Rechtssache habe sich nach Teilabhilfe durch anwaltliche Mitwirkung erledigt. Daher sei zumindest eine Erledigungsgebühr entstanden. Es sei auch eine Erledigungsgebühr in Höhe von 200,00 EUR angemessen. Die Mittelgebühr betrage 280,00 EUR. Da vorliegend von einer durchschnittlichen anwaltlichen Tätigkeit auszugehen sei und letztendlich eine Gebühr unter der Mittelgebühr gefordert werde, bewege sich diese im Rahmen des Ermessensspielraums des Rechtsanwaltes.
Die Beschwerdeführerin beantragt (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Juni 2010 aufzuheben und die Vergütung für ihre Tätigkeit in dem Rechtsstreit S 21 AS 918/07 auf insgesamt 524,79 EUR festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt (sinngemäß),
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach Auffassung des Beschwerdegegners ist die Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr nach der Nr. 3106 Nr. 3 VV-RVG aufgrund des Teilanerkenntnisses zu Recht abgelehnt worden. Die Abgabe eines Teilanerkenntnisses reiche zur Erfüllung der Entstehungsvoraussetzungen einer fiktiven Terminsgebühr nicht aus. Auch eine analoge Anwendung der Regelungen in Nr. 3104 VV-RVG komme nicht in Betracht. Ebenso komme ein Mehrvertretungszuschlag nach der Nr. 1008 VV-RVG nicht in Betracht, da der Antrag erstmals nach der Festsetzung der Vergütung durch den Urkundsbeamten gestellt worden sei. Die Nr. 1008 VV-RVG stelle keine eigenständige Betragsrahmengebühr dar, sondern führe zur Anwendung eines pro Auftraggeber um 30 % erhöhten Gebührenrahmens für die Verfahrensgebühr. Das aus § 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) hervorgehende anwaltliche Ermessen für die Bestimmung der Rahmengebühr sei mit der einmaligen Gebührenbestimmung verbraucht und könne daher nicht im Wege der Nachliquidation erneut ausgeübt werden. Zweifelhaft erscheine auch, ob die im Erinnerungsverfahren hilfsweise geltend gemachte Festsetzung einer Einigungsgebühr noch durchgreifen könne. Auch in soweit handle es sich um eine Nachliquidation. Das Entstehen einer Erledigungsgebühr erfordere in sachlicher Hinsicht eine über die allgemeine Geschäfts- und Verfahrensführung hinausgehende besondere anwaltliche Mitwirkungshandlung, die nicht bereits durch eine andere Gebühr, wie etwa die Verfahrensgebühr, abgegolten worden sei. Die bloße Abgabe einer Erledigungserklärung werde jedenfalls nicht als besondere Mitwirkungshandlung im Sinne des Entstehens der Gebühr nach der Nr. 1006 VV-RVG betrachtet, wenn ein volles Anerkenntnis des Klageanspruchs vorgelegen habe. Insofern habe lediglich eine fiktive Terminsgebühr entstehen können, und zwar in Höhe der halben Mittelgebühr. In Anbetracht des Klagebegehrens und des Zugewinns von 5,00 EUR pro Monat stünde vorliegend eine Erledigungsgebühr von 200,00 EUR in einem erheblichen Missverhältnis zur Bedeutung des Teilanerkenntnisses für die Auftraggeber. Die Begrenzung einer Gebühr nach der Nr. 1006 VV-RVG auf 85,00 EUR erscheine ausreichend.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Beschwerdeakte L 2 SF 140/10 E sowie die Gerichtsakten S 21 SF 48/09, S 21 AS 918/07, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Der Senat hat die Beschwerde durch seine Berufsrichter entschieden, nachdem die Berichterstatterin das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG auf den Senat übertragen hatte.
Die Beschwerde ist zulässig und teilweise sachlich begründet.
Der Beschwerdeführerin steht für ihre Tätigkeit in dem Rechtstreit S 21 AS 918/07 eine Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von insgesamt 399,84 EUR zu.
Nach § 45 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt grundsätzlich die Vergütung in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Landeskasse. Dabei hat der beigeordnete Anwalt die gleiche Rechtsstellung und auch die gleichen Ansprüche wie der einer vermögenden Partei (§ 12 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem VV-RVG. Wie die vorgegebenen Gebührenrahmen auszufüllen sind, richtet sich danach § 14 RVG. Danach bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Leistung, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens und Vermögensverhältnisse des Auftragsgebers nach billigem Ermessen. Regelmäßig ist von der Mittelgebühr auszugehen; mit ihr ist die Tätigkeit des Rechtsanwalts in der Regel immer dann angemessen bewertet, wenn sie sich unter den in § 14 RVG genannten Gesichtspunkten nicht nach oben oder nach unten vom Durchschnitt abhebt. Hier kann jedes Kriterium ein Abweichen rechtfertigen; ein im Einzelfall besonders ins Gewicht fallendes Kriterium kann die Relevanz der übrigen Umstände auch zurückdrängen. Die Bestimmung der Rechtsanwaltsvergütung muss nach pflichtgemäßem Ermessen ausgeübt werden. Die Einhaltung des pflichtgemäßen Ermessens ist gerichtlich überprüfbar (Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, § 14 RVG Rdnr. 12 ff.; E. Strassfeld, Vergütung von Rechtsanwälten in sozialgerichtlichen Verfahren in: Sozialgerichtsbarkeit 12/2008, Seite 705 ff. m.w.H.).
Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Verfahrensgebühr nach der Nr. 3103 VV RVG - wie beantragt - in Höhe der Mittelgebühr von 170,00 EUR. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Der Beschwerdeführerin ist es nicht verwehrt, im Erinnerungsverfahren die Erhöhung der Verfahrensgebühr nach der Nr. 1008 VV-RVG nachträglich geltend zu machen. Dem steht die grundsätzlich bestehende Bindungswirkung bei der Gebührenbestimmung nach § 14 Abs. 1 RVG nicht entgegen. Zwar ist der Rechtsanwalt an sein einmal ausgeübtes Ermessen bei der Bestimmung der angefallenen Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens gebunden. Die Bestimmung ist rechtsgestaltender Natur, ihre Abgabe Ausübung des Gestaltungsrechtes. Sobald die Erklärung gegenüber dem anderen Teil wirksam geworden ist, kann sie nicht mehr geändert oder widerrufen werden. Sie wird bindend, es sei denn, der Rechtsanwalt hat sich eine Erhöhung vorbehalten, ist über Bemessungsfaktoren getäuscht worden oder hat einen gesetzlichen Gebührentatbestand übersehen (Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage § 14 Rdnr. 4; Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. Dezember 2010 - S 108 SF 2119/09 E - m.w.H.). Dementsprechend hält der erkennende Senat die Änderung der Gebührenabrechnung durch die Beschwerdeführerin sowie die nachträgliche Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG für zulässig, auch wenn es sich bei der Nr. 1008 VV-RVG nicht um einen eigenständigen Gebührentatbestand handelt. Denn die vorgesehene Erhöhung der Verfahrensgebühr ist mit einem Gebührentatbestand vergleichbar. Die Voraussetzungen für den Gebührenerhöhungstatbestand der Nr. 1008 VV-RVG sind ersichtlich und unstreitig gegeben. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Geltendmachung versehentlich unterblieben ist. Die sich in soweit errechnenden 51,00 EUR sind der Beschwerdeführerin zu vergüten.
Dagegen steht der Beschwerdeführerin eine fiktive Terminsgebühr nicht zu. Denn der Rechtsstreit S 21 AS 918/07 erledigte sich nicht durch ein volles Anerkenntnis, sondern durch Teilanerkenntnis und Klagerücknahme im schriftlichen Verfahren (Beschluss des erkennenden Senats vom 10. September 2009 - L 2 SF 222/09 E, Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 28. August 2007 - S 15 SF 129/06).
Allerdings hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Vergütung nach der Nr. 1006 VV-RVG. Danach betragen die Gebühren bei Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), 30,00 bis 350,00 EUR, wenn über den Gegenstand - wie vorliegend - ein gerichtliches Verfahren anhängig ist. Auch insoweit ist die Nachliquidation hier zulässig. Der Beschwerdeführerin ist zugute zu halten, dass sie eine Erledigungsgebühr zunächst nur deshalb nicht in Ansatz gebracht hat, weil sie irrtümlich davon ausging, der Gebührentatbestand für eine Terminsgebühr sei gegeben.
Die Erledigungsgebühr nach den Nrn. 1005, 1006 VV-RVG setzt eine wenigstens teilweise Erledigung des Rechtsstreits infolge anwaltlicher Mitwirkung voraus. Eine qualifizierte, auf eine gütliche Streitbeilegung zielende Tätigkeit des Rechtsanwalts wird dabei angenommen unter anderem, wenn der Rechtsanwalt auf einen Vorschlag des Leistungsträgers auf seinen Mandanten einwirkt, um einen bei diesem bestehenden Widerstand gegen eine gütliche Streitbeilegung in dessen eigenem wohlverstanden Interesse zu überwinden (E. Strassfeld, Übersicht über die Rechtsprechung der Bundessozialgerichts zur anwaltlichen Vergütung nachdem RVG, in NZS, 5/10 S. 259). Die Beschwerdeführerin hat nach dem Teilanerkenntnis der Beklagten auf die Kläger eingewirkt und schließlich hierdurch die Erledigung des Rechtstreits herbeigeführt. Eine Erledigungsgebühr kann jedoch nur in Höhe der halben Mittelgebühr gewährt werden, die 95,00 EUR beträgt. Dies ist angemessen im Hinblick auf den gesamten Streitgegenstand sowie den nur geringen Umfang des Teilerfolges der Kläger.
Nach alledem steht der Beschwerdeführerin eine Verfahrensgebühr in Höhe von insgesamt 221,00 EUR, eine Erledigungsgebühr in Höhe von 95,00 EUR sowie die geltend gemachte Pauschale von 20,00 EUR zuzüglich 19 % Umsatzsteuer (63,84 EUR) zu, so dass die Vergütung insgesamt auf 399,84 EUR festzusetzen ist.
Die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Die Beschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
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