Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
71
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 302/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Neufestsetzung ihres Individualbudgets.
Die Klägerin nimmt seit dem 1. Juli 1998 als Fachärztin für Psychiatrie im Verwaltungsbezirk M an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die Beklagte gewährte ihr die folgenden Individualbudget-Punkte je Quartal (jeweils unter Berücksichtigung des Gewichtungsfaktors):
Quartal Primärkassen Ersatzkassen III/2003 88.307 116.614 IV/2003 100.055 134.404 I/2004 96.319 126.879 II/2004 87.999 127.144
Die Fachgruppengrenzwerte lagen für den Bereich der Primärkassen bei 272.770 Punkten und für den Bereich der Ersatzkassen bei 281.821 Punkten.
Mit am 24. Juli 2003 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben stellte die Klägerin einen Antrag auf Neufestsetzung ihres Individualbudgets. Diesen begründete sie damit, dass ihr festgesetztes Individualbudget der Hälfte ihres bisherigen durchschnittlichen Quartalseinkommens entspräche. Aufgrund ihrer Kenntnisse der serbokroatischen bzw. bosnischen Sprache sei sie in den letzten Jahren von vielen Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgesucht worden. Diese hätten in der Regel keine Arbeitserlaubnis gehabt und seien daher auf die Unterstützung des Sozialamtes angewiesen gewesen. Es würde sich dabei um ca. 200 Personen handeln. Einige hätten mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und würden daher in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln. Sie - die Klägerin - beabsichtige, auf Dauer nicht mehr durchschnittlich 200 Flüchtlinge pro Quartal zu behandeln, sondern vermehrt Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es könne nicht sein, dass sie durch diese Umstrukturierung benachteiligt werde.
Mit Bescheid vom 23. April 2004 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung trug sie vor, die Klägerin betreibe noch eine Jungpraxis und könne ohne Begrenzung der Steigerungsrate bis zum Fachgruppendurchschnitt wachsen. Für das Umsteigen von Sozialhilfe-Versicherten in das System der gesetzlichen Krankenversicherung würden die Kopfpauschalen der neuen Kassen zur Verfügung stehen. Dieser Patientenkreis sei an der Ergänzungsziffer "4" zu erkennen, für die es eine Erhöhung des Individualbudgets geben würde, da sich seit dem 1. Januar 2004 Sozialhilfeempfänger selbst gesetzlich krankenversichern müssen. Da die Leistungen für Sozialhilfeempfänger bislang nicht im Individualbudget berücksichtigt worden seien, würde sie - die Beklagte - das Individualbudget der Klägerin in Abhängigkeit von der Anzahl dieser Patienten in ihrer Praxis im Quartal I/2004 anpassen.
Mit am 14. Mai 2004 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben legte die Klägerin Widerspruch gegen die Ablehnung der Neufestsetzung ihres Individualbudgets ein. Eine angekündigte Begründung wurde nicht nachgereicht.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte aufgrund der Sitzung vom 30. Juni 2005 mit am 5. August 2005 ausgefertigten Widerspruchsbescheid zurück. Der Vorstand der Beklagten habe in seiner Sitzung am 23. Juni 2004 das Verfahren festgelegt, mit dem für die vormals außerhalb des Individualbudgets vergüteten Behandlung ehemaliger U-/J-Patienten, die ab dem 1. Januar 2004 einer gesetzlichen Krankenversicherung zugeordnet sind, ein antragsunabhängiger Aufschlag auf das Individualbudget geleistet wird. Die Regelungen über diese Anpassung des Individualbudgets für Fälle ehemaliger U-/J-Patienten könne nicht Gegenstand des Widerspruchs sein. Dies folge aus der Tatsache, dass das auf der Basis des Bemessungszeitraumes 2002 ermittelte Individualbudget von dieser Regelung unberührt bleibe und in diesem Verfahren auch nicht angegriffen worden sei. Der entsprechende Aufschlag werde unabhängig davon quartalsweise neu berechnet, und zwar in der Form, dass die sogenannten "S4-Fälle" mit einer ermittelten Fallpunktzahl der entsprechenden Fachgruppe multipliziert werden und das Ergebnis als Aufschlag zum Individualbudget im jeweiligen Quartal getrennt nach Primär- und Ersatzkassen addiert werde. Die Fallpunktzahl der einzelnen Arztgruppen ergebe sich aus der durchschnittlichen Fallpunktzahl der jeweiligen Honorargruppe im Quartal IV/2003. Insofern erhalte die Klägerin seit dem I. Quartal 2004 für jeden Sozialhilfeempfänger entsprechend seiner Kassenzugehörigkeit einen Aufschlag auf ihr Individualbudget. So habe beispielsweise im I. Quartal 2004 das Individualbudget im Bereich der Primärkassen ohne Berücksichtigung der U-/J-Patienten (Sozialhilfeempfänger) 281.990,0 Punkte und mit Berücksichtigung der U-/J-Patienten 363.253,4 Punkte betragen. Für den Bereich der Ersatzkassen lägen die entsprechenden Werte bei 283.202,0 Punkten bzw. 328.901,5 Punkten. Damit sei die von der Klägerin angesprochene Umstrukturierung bereits berücksichtigt worden. Ein Anstieg der Fallzahlen der gesetzlich Krankenversicherten sei darüber hinaus nur im Rahmen der Wachstumsregelungen des § 9 Absatz 4 Honorarverteilungsmaßstab (HVM) berücksichtigungsfähig. Besondere Sprachkenntnisse könnten keine Begründung für eine Erhöhung des Individualbudgets darstellen, da diese Fähigkeit keine zusätzliche ärztliche Qualifikation im Sinne der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Berlin darstelle.
Am 8. September 2005 erhob die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigte Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Der zugrunde gelegte Bemessungszeitraum des Jahres 2002 sei vorliegend nicht repräsentativ. Der hohe Anteil an Sozialhilfeempfängern - im Zeitraum der Jahre 2002 und 2003 habe dieser pro Quartal zwischen 150 und 165 gelegen - hätte von vorneherein berücksichtigt werden müssen, da anderenfalls die Patientenstruktur nicht angemessen wiedergegeben werde. Zudem sei nicht ersichtlich, auf welcher Basis der Zuschlag für U-/J-Patienten berechnet worden sei. Darüber hinaus bestehe ein Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets wegen veränderter Praxisstruktur. Das Verhältnis zwischen Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung und Sozialhilfeempfängern habe sich wegen deren teilweiser Eingliederung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung grundlegend verändert. Die Vorgehensweise der Beklagten habe zu einer existenzbedrohenden Kürzung der Einnahmen der Klägerin bei gleichbleibender vertragsärztlicher Tätigkeit - gleichbleibenden Fallzahlen - geführt. Dass sich der Abrechnungsmodus bei der Gruppe der Sozialhilfeempfänger geändert habe, könne nicht zu ihren Lasten gehen. Die Beklagte bleibe die Nachweise schuldig, wie der Aufschlag zum Individualbudget berechnet worden sei und ob sie die gezahlte Kopfpauschale für ehemalige Sozialhilfeempfänger an die jeweiligen Vertragsärzte weitergegeben habe. Die Fallwerte für ehemalige Sozialhilfeempfänger seien deutlich geringer als diejenigen für (bereits zuvor) Versicherte der Primär- und Ersatzkassen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 zu verpflichten, über die Erhöhung ihres Individualbudgets unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtenen Bescheide. Wegen der weiteren Ausführungen wird insbesondere auf die Schriftsätze vom 8. Mai 2006, 26. Januar 2007, 14. August 2007, 21. Dezember 2007, 13. Oktober 2008, 24. November 2008, 17. Dezember 2008, 27. April 2009 und 28. September 2009 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig.
Nicht Streitgegenstand können nach Auffassung der Kammer die Regelungen über die Anpassung des Individualbudgets für Fälle ehemaliger U-/J-Patienten sein. Die Beklagte hatte bereits in ihrem Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, diese könne nicht Gegenstand des Widerspruchs sein und dies - zutreffend - damit begründet, dass das auf der Basis des Bemessungszeitraumes 2002 ermittelte Individualbudget von dieser Regelung unberührt bleibe. Zudem wurde der entsprechende Aufschlag quartalsweise neu berechnet. Es liegen damit Neuberechnungen auch für Quartale vor, die zeitlich nach Erlass des Widerspruchsbescheides liegen, ohne dass ein Fall des § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegeben wäre. Gegenstand des Rechtsstreits kann lediglich die Frage sein, ob der Umstand, dass für ehemalige Sozialhilfeempfänger ab dem Quartal I/2004 Aufschläge auf das Individualbudget gewährt wurden, einem Antrag auf Neufestsetzung des Individualbudgets - etwa unter dem Gesichtspunkt des Fallwachstums oder demjenigen der veränderten Praxisstruktur - entgegensteht, nicht hingegen die Frage, ob die entsprechenden Aufschläge selbst in den einzelnen Quartalen ab dem Quartal I/2004 ihrem Betrag nach zutreffend gewährt wurden. Ebensowenig kann in diesem Verfahren eine inzidente Nachprüfung der für die einzelnen Quartale erteilten Honorarbescheide erfolgen. Es kann demnach auch nicht Streitgegenstand sein, ob die Beklagte die pauschalierte Gesamtvergütung nach Integration der Sozialhilfeempfänger in das System der gesetzlichen Krankenversicherung vollständig an die Vertragsärzte weitergegeben hat. Dies ist nicht eine Frage der Neufestsetzung des Individualbudgets, sondern des Honorars und damit ggf. im Rahmen einer Anfechtung der quartalsweise ergehenden Honorarbescheide zu überprüfen.
Die Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid vom 23. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat weder einen Anspruch auf Erhöhung ihres Individualbudgets, noch auf Neubescheidung durch die Beklagte.
Anspruchsgrundlage für die Neufestsetzung des Individualbudgets sind die in Teil I. § 9 Absatz 9 bis 11 der Regelung für die Honorarabrechnung und –verteilung in der Fassung vom 01. Oktober 2004 geregelten Bestimmungen, die sowohl für den Primär– als auch den Ersatzkassenbereich gelten und nach der Vereinbarung über die Honorarverteilung gemäß § 85 Absatz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für Berlin vom 09. Dezember 2004, dem Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab für die Verteilung der an die KV Berlin gezahlten Gesamtvergütungen vom 20. Juni 2005 (vgl. dort § 9 Abs. 12 bis 14) sowie dem Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab für die Verteilung der an die KV Berlin gezahlten Gesamtvergütungen vom 18. November 2005 letztlich bis zum 31. März 2006 weiterhin Anwendung finden.
Nach § 9 Absatz 1 des HVV der Beklagten in der Fassung vom 19. Juni 2003 (gültig ab dem 1. Juli 2003) erhielten alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten für punktzahlbewertete Leistungen ein individuelles Punktzahlvolumen (Individualbudget), wobei als Bemessungszeitraum für alle Fachgruppen die Quartale I/2002 bis IV/2002 galten. Nach § 9 Absatz 12 HVV (bzw. § 9 Absatz 9 des ab dem 1. Juli 2005 gültigen HVV) kann in begründeten Fällen ein Leistungserbringer beim Vorstand der Beklagten eine Neufestsetzung seines Individualbudgets beantragen, insbesondere - unter anderem - wegen längerer Erkrankung im Bemessungszeitraum oder wegen veränderter Praxisstruktur.
Die in den genannten Bestimmungen des HVV aufgezählten Tatbestände, bei denen ein Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets bestehen kann, sind ausweislich ihres Wortlautes ("insbesondere") nicht abschließend. Eine Neufestsetzung des Individualbudgets kann deshalb beispielsweise auch dann in Betracht kommen, wenn der Bemessungszeitraum des Jahres 2002 aus anderen Gründen als einer längeren Erkrankung nicht als repräsentativ anzusehen ist.
Eine Fallkonstellation, die einen Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets geben kann, ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
Zum einen ist der Bemessungszeitraum für die Bildung der Individualbudgets, das Jahr 2002, vorliegend nicht als nicht-repräsentativ anzusehen: In den Quartalen I/2002 bis IV/2002 wurden die ärztlichen Leistungen für die Gruppe der Sozialhilfeempfänger unbudgetiert vergütet. Eine Einbeziehung dieser Fälle und der entsprechenden Umsätze in die erstmalige Berechnung des Individualbudgets war mithin gar nicht möglich. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Heranziehung des Jahres 2002 als Bemessungszeitraum sachwidrig gewesen wäre. Denn der Vorstand der Beklagten hatte beschlossen, bei denjenigen Vertragsärzten, die - wie die Klägerin - in größerem Umfang Sozialhilfeempfänger versorgt hatten, die Individualbudgets von Amts wegen anzupassen. Hierzu hatten die zuständigen Krankenkassen eine um die Kopfpauschale pro Mitglied erhöhte Gesamtvergütung an die Beklagte zu zahlen, so dass der fehlenden Berücksichtigung der Sozialhilfeempfänger in den Fallzahlen des Jahres 2002 Rechnung getragen wurde. Dass dies unzureichend gewesen wäre, ist für die Kammer nicht ersichtlich: Die Klägerin hat in den Quartalen I/2004 bis IV/2004 für jeden ehemaligen Sozialhilfeempfänger mit Status "S 4" im Primärkassenbereich einen Individualbudget-Aufschlag von 873,6 Punkten und im Ersatzkassenbereich einen solchen von 1.305,7 Punkten erhalten. Dieser Aufschlag ist auf Grundlage der durchschnittlichen Fallzahl je Versichertem in der gesetzlichen Krankenversicherung pro Honorargruppe ermittelt worden. Maßgeblich für die Bemessung der sogenannten "S 4-Aufschläge" war der Vorstandsbeschluss der Beklagten vom 23. Juni 2004. Die Beklagte hatte die Höhe des Aufschlages daran festgemacht, wie viele Individualbudget-Punkte den Leistungserbringern der jeweiligen Fachgruppe pro Versichertem in der gesetzlichen Krankenversicherung im Quartal IV/2003 zur Verfügung standen. Anders als die Klägerin meint, sind die ehemaligen Sozialhilfeempfänger also im Budget nicht schlechter bewertet worden, als die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dass nur das IV. Quartal 2003 für diese Bemessung herangezogen worden ist, ist jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin erfolgt. Bei ihr stellte dieses Quartal mit einem Honorar von 31.992,10 Euro soweit ersichtlich das umsatzstärkste des Jahres 2003 dar.
Es liegt auch keine Änderung der Praxisstruktur gegenüber dem Jahr 2002 vor: Eine Änderung der Praxisstruktur ist vor allem dann anzunehmen, wenn einem Vertragsarzt die Genehmigung einer bisher nicht erbrachten, genehmigungspflichtigen Leistungen erteilt wird und er somit Leistungen erbringen darf, die er im Bemessungszeitraum nicht abrechnen durfte (vgl. Sozialgericht Berlin, Urteil vom 22. August 2007, Az. S 83 KA 278/05). Dies ist hier nicht der Fall. Aus dem gesetzlich bedingten Statuswechsel der ehemaligen U-/J-Patienten ergibt sich kein Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets unter dem Gesichtspunkt der veränderten Praxisstruktur. Statt des Leistungsspektrums hat sich hier vielmehr das Vergütungssystem für einen Teil der Patienten der Klägerin geändert. Ändert sich bei den Patienten eines Vertragsarztes nur die Zuordnung zu einem Kostenträger, sei es nun der Wechsel von Versicherten der Primärkassen zu den Ersatzkassen oder der Statuswechsel der Sozialhilfepatienten, liegt keine Änderung der Praxisstruktur im Sinne des § 9 Absatz 9 HVM vor. Die Spezifik der Patientenstruktur mit einem hohen Anteil an ehemaligen U-/J-Patienten wird durch den fortwährenden Aufschlag zum Individualbudget angemessen (siehe hierzu oben) berücksichtigt.
Weiterhin kommt eine Erhöhung des Individualbudgets der Klägerin auch unter dem Gesichtspunkt des Wachstums von Altpraxen zum Fachgruppendurchschnitt – bezogen auf die Fachgruppe 38 des HVV der Beklagten - vorliegend nicht in Betracht: Nach § 9 Absatz 8 b Satz 1 HVV wird einem Vertragsarzt und Psychotherapeuten, der am 01.07.2003 länger als 20 Quartale im Bereich der KV Berlin zugelassen war (sogenannte Altpraxis) und mit seinem Individualbudget-Punktzahlvolumen unterhalb des jeweiligen durchschnittlichen Punktzahlengrenzwertes seiner Fach-/Unteruntergruppe (Fachgruppendurchschnitt) liegt, vorbehaltlich der Regelung in § 10 ein erlaubter Zuwachs von jährlich 10 % bezogen auf den Fachgruppendurchschnitt zugestanden, jedoch höchstens bis zum Erreichen des Fachgruppendurchschnitts. Gemäß § 10 HVV wird ein erlaubter Zuwachs gemäß § 9 Absatz 8 b unter der Voraussetzung gestattet, dass die Praxis ihren anerkannten Leistungsbedarf für Leistungen, die dem Individualbudget unterliegen, gegenüber dem Leistungsbedarf des Bemessungszeitraumes steigern konnte und diese Steigerung des Leistungsbedarfs verbunden ist mit einem Fallzahlzuwachs. Ist eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, wird ein Zuwachs nicht zugestanden. Der in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verankerte Grundatz, dass umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben müssen, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen, begründet sich dadurch, dass dem Vertragsarzt die Chance bleiben muss, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern. Auch wenn es sich bei Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatzniveau typischerweise insbesondere um solche handeln wird, die neu gegründet worden sind, ist deren Erwähnung in der Rechtsprechung des BSG lediglich als beispielhaft zu verstehen (vgl. u.a. BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 32 Rn.16). Die grundsätzliche Verpflichtung zur Gewährleistung einer gewissen Wachstumsmöglichkeit beschränkt sich nicht allein auf Jung- und Aufbaupraxen, sondern erfasst alle Praxen, deren Umsatz den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe unterschreitet. Bereits in seinem grundlegenden Urteil vom 21. Oktober 1998 (B 6 KA 71/97 R, BSGE 83, 52, 60 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 28 S 209) hat das BSG klargestellt, dass der Umstand einer dauerhaften Festschreibung einer ungünstigen Erlössituation als Folge unterdurchschnittlicher Umsätze für alle kleinen Praxen - nicht nur für neu gegründete - berücksichtigt werden und ein HVM so ausgestaltet werden müsse, dass auch solche Vertragsärzte mit unterdurchschnittlicher Patientenzahl, die nicht mehr als Praxisneugründer angesehen werden können, nicht gehindert werden, durch Erhöhung der Patientenzahl zumindest einen durchschnittlichen Umsatz zu erreichen. Fallzahlsteigerungen gegenüber dem Bemessungszeitraum des Jahres 2002 sind bei der Klägerin indes darauf zurückzuführen, dass die Sozialhilfeempfänger zum Quartal I/2004 in das System der gesetzlichen Krankenversicherung integriert worden sind. Für diese sogenannten "Status 4-Versicherten" hat die Klägerin aber ab dem Quartal I/2004 einen gesonderten "S 4-Aufschlag" auf ihr Individualbudget erhalten. Die Gesamtheit der Behandlungsfälle - einschließlich der (ehemaligen) Sozialhilfeempfänger - ist bei der Klägerin seit dem Bemessungszeitraum des Jahres 2002 im Durchschnitt der Jahre nicht signifikant angestiegen. Ausweislich der durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 24. November 2008 vorgelegten Auflistung betrug die durchschnittliche Behandlungsfallzahl der Klägerin im Jahr 2002 pro Quartal 310,75, ohne dass in den Folgequartalen ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen gewesen wäre. Über den S 4-Aufschlag hinaus ist ein Wachstum zum Fachgruppendurchschnitt jedoch nicht möglich; anderenfalls läge eine - sachlich nicht zu rechtfertigende - doppelte Berücksichtigung zugunsten der Klägerin vor.
Ein Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets kann sich für die Klägerin auch nicht aus dem Umstand ergeben, dass sich seit Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in das System der gesetzlichen Krankenversicherung zum I. Quartal 2004 bei ihr deutliche Honorareinbußen eingestellt haben: Grund für diese Einbußen ist, dass die ambulante ärztliche Versorgung der Sozialhilfeempfänger bis zum 1. Januar 2004 keinerlei Leistungsmengenbegrenzung unterlag, sondern sämtliche abgerechneten Leistungen vom Sozialhilfeträger über die AOK zum AOK-Punktwert vergütet wurden. Mit der Einbeziehung der Leistungsberechtigten nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in das System der gesetzlichen Krankenversicherung sollten Kosten auf Seiten der Sozialhilfeträger eingespart werden. Die geringeren Einkünfte für diese Patienten ergeben sich somit zwangsläufig aus der durch das Gesetz vorgenommenen Umstrukturierung in der Vergütungssystematik und nicht aus einer zu geringen Bemessung des Individualbudgets durch die Beklagte. Die vormalige Systematik bezüglich der Sozialhilfeempfänger mag sich zwar positiv auf diejenigen Vertragsärzte ausgewirkt haben, die eine hohe Patientenzahl aus diesem Personenkreis versorgten. Es besteht jedoch kein Anspruch, diesen ehemals besseren Vergütungsstatus durch eine Anhebung des Individualbudgets der Klägerin zu Lasten der übrigen Vertragsärzte beizubehalten. Der Vortrag der Klägerin, sie verdiene im Vergleich zum früheren Vergütungsmodus der Sozialhilfeempfänger weniger, ist rechtlich letztlich nicht relevant. Die Grundsätze der leistungsproportionalen Vergütung und der Honorarverteilungsgerechtigkeit verpflichten die Beklagte nicht, ein konstant hohes Honorar zu garantieren. Ebensowenig ist die Beklagte verpflichtet, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn die Veränderung von Vergütungsmodalitäten für eine bestimmte Patientengruppe zu Honorareinbußen führen. Wenn der wirtschaftliche Vorteil, dass U-/J-Patienten nicht leistungsbudgetiert sind, nach einer Neuregelung wegfällt, so kann dies die Klägerin nicht als Benachteiligung geltend machen.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass die Klägerin nicht die Höhe der zwischen der Beklagten und den Krankenkassen vereinbarten Gesamtvergütung angreifen kann, unabhängig davon, dass dies schon nicht eine Frage der Festsetzung des Individualbudgets ist, sondern vielmehr der Höhe des jeweils pro Quartal zu gewährenden Honorars, und dies damit bereits nicht Streitgegenstand ist. In der vertragsärztlichen Versorgung ist zu unterscheiden zwischen der Vergütung, welche die Krankenkassen an die Kassenärztliche Vereinigung für die durch diese sicherzustellende vertragsärztliche Versorgung leisten, und der Verteilung dieser Vergütung an die an dieser Versorgung teilnehmenden Ärzte. Bei der Berechnung und Zahlung der Gesamtvergütungen auf der einen und der Verteilung der Gesamtvergütungen auf der anderen Seite handelt es sich um zwei eigenständige, formal getrennte Rechtskreise (siehe hierzu BSGE 31, 23, 28 = SozR Nr 13 zu § 368f RVO, Bl A a 19; BSGE 61, 19, 25 = SozR 2200 § 368f Nr. 11 S 34; Hess in Kasseler Kommentar, § 85 SGB V Rn. 3). Der Anspruch auf Zahlung der Gesamtvergütungen gegen die Krankenkassen steht - wie die Formulierung "mit befreiender Wirkung" in § 85 Absatz 1 (Satz 1) SGB V klarstellt - ausschließlich der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung, nicht aber den einzelnen Vertragsärzten zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Neufestsetzung ihres Individualbudgets.
Die Klägerin nimmt seit dem 1. Juli 1998 als Fachärztin für Psychiatrie im Verwaltungsbezirk M an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die Beklagte gewährte ihr die folgenden Individualbudget-Punkte je Quartal (jeweils unter Berücksichtigung des Gewichtungsfaktors):
Quartal Primärkassen Ersatzkassen III/2003 88.307 116.614 IV/2003 100.055 134.404 I/2004 96.319 126.879 II/2004 87.999 127.144
Die Fachgruppengrenzwerte lagen für den Bereich der Primärkassen bei 272.770 Punkten und für den Bereich der Ersatzkassen bei 281.821 Punkten.
Mit am 24. Juli 2003 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben stellte die Klägerin einen Antrag auf Neufestsetzung ihres Individualbudgets. Diesen begründete sie damit, dass ihr festgesetztes Individualbudget der Hälfte ihres bisherigen durchschnittlichen Quartalseinkommens entspräche. Aufgrund ihrer Kenntnisse der serbokroatischen bzw. bosnischen Sprache sei sie in den letzten Jahren von vielen Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgesucht worden. Diese hätten in der Regel keine Arbeitserlaubnis gehabt und seien daher auf die Unterstützung des Sozialamtes angewiesen gewesen. Es würde sich dabei um ca. 200 Personen handeln. Einige hätten mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und würden daher in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln. Sie - die Klägerin - beabsichtige, auf Dauer nicht mehr durchschnittlich 200 Flüchtlinge pro Quartal zu behandeln, sondern vermehrt Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Es könne nicht sein, dass sie durch diese Umstrukturierung benachteiligt werde.
Mit Bescheid vom 23. April 2004 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung trug sie vor, die Klägerin betreibe noch eine Jungpraxis und könne ohne Begrenzung der Steigerungsrate bis zum Fachgruppendurchschnitt wachsen. Für das Umsteigen von Sozialhilfe-Versicherten in das System der gesetzlichen Krankenversicherung würden die Kopfpauschalen der neuen Kassen zur Verfügung stehen. Dieser Patientenkreis sei an der Ergänzungsziffer "4" zu erkennen, für die es eine Erhöhung des Individualbudgets geben würde, da sich seit dem 1. Januar 2004 Sozialhilfeempfänger selbst gesetzlich krankenversichern müssen. Da die Leistungen für Sozialhilfeempfänger bislang nicht im Individualbudget berücksichtigt worden seien, würde sie - die Beklagte - das Individualbudget der Klägerin in Abhängigkeit von der Anzahl dieser Patienten in ihrer Praxis im Quartal I/2004 anpassen.
Mit am 14. Mai 2004 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben legte die Klägerin Widerspruch gegen die Ablehnung der Neufestsetzung ihres Individualbudgets ein. Eine angekündigte Begründung wurde nicht nachgereicht.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte aufgrund der Sitzung vom 30. Juni 2005 mit am 5. August 2005 ausgefertigten Widerspruchsbescheid zurück. Der Vorstand der Beklagten habe in seiner Sitzung am 23. Juni 2004 das Verfahren festgelegt, mit dem für die vormals außerhalb des Individualbudgets vergüteten Behandlung ehemaliger U-/J-Patienten, die ab dem 1. Januar 2004 einer gesetzlichen Krankenversicherung zugeordnet sind, ein antragsunabhängiger Aufschlag auf das Individualbudget geleistet wird. Die Regelungen über diese Anpassung des Individualbudgets für Fälle ehemaliger U-/J-Patienten könne nicht Gegenstand des Widerspruchs sein. Dies folge aus der Tatsache, dass das auf der Basis des Bemessungszeitraumes 2002 ermittelte Individualbudget von dieser Regelung unberührt bleibe und in diesem Verfahren auch nicht angegriffen worden sei. Der entsprechende Aufschlag werde unabhängig davon quartalsweise neu berechnet, und zwar in der Form, dass die sogenannten "S4-Fälle" mit einer ermittelten Fallpunktzahl der entsprechenden Fachgruppe multipliziert werden und das Ergebnis als Aufschlag zum Individualbudget im jeweiligen Quartal getrennt nach Primär- und Ersatzkassen addiert werde. Die Fallpunktzahl der einzelnen Arztgruppen ergebe sich aus der durchschnittlichen Fallpunktzahl der jeweiligen Honorargruppe im Quartal IV/2003. Insofern erhalte die Klägerin seit dem I. Quartal 2004 für jeden Sozialhilfeempfänger entsprechend seiner Kassenzugehörigkeit einen Aufschlag auf ihr Individualbudget. So habe beispielsweise im I. Quartal 2004 das Individualbudget im Bereich der Primärkassen ohne Berücksichtigung der U-/J-Patienten (Sozialhilfeempfänger) 281.990,0 Punkte und mit Berücksichtigung der U-/J-Patienten 363.253,4 Punkte betragen. Für den Bereich der Ersatzkassen lägen die entsprechenden Werte bei 283.202,0 Punkten bzw. 328.901,5 Punkten. Damit sei die von der Klägerin angesprochene Umstrukturierung bereits berücksichtigt worden. Ein Anstieg der Fallzahlen der gesetzlich Krankenversicherten sei darüber hinaus nur im Rahmen der Wachstumsregelungen des § 9 Absatz 4 Honorarverteilungsmaßstab (HVM) berücksichtigungsfähig. Besondere Sprachkenntnisse könnten keine Begründung für eine Erhöhung des Individualbudgets darstellen, da diese Fähigkeit keine zusätzliche ärztliche Qualifikation im Sinne der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Berlin darstelle.
Am 8. September 2005 erhob die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigte Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Der zugrunde gelegte Bemessungszeitraum des Jahres 2002 sei vorliegend nicht repräsentativ. Der hohe Anteil an Sozialhilfeempfängern - im Zeitraum der Jahre 2002 und 2003 habe dieser pro Quartal zwischen 150 und 165 gelegen - hätte von vorneherein berücksichtigt werden müssen, da anderenfalls die Patientenstruktur nicht angemessen wiedergegeben werde. Zudem sei nicht ersichtlich, auf welcher Basis der Zuschlag für U-/J-Patienten berechnet worden sei. Darüber hinaus bestehe ein Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets wegen veränderter Praxisstruktur. Das Verhältnis zwischen Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung und Sozialhilfeempfängern habe sich wegen deren teilweiser Eingliederung in das System der gesetzlichen Krankenversicherung grundlegend verändert. Die Vorgehensweise der Beklagten habe zu einer existenzbedrohenden Kürzung der Einnahmen der Klägerin bei gleichbleibender vertragsärztlicher Tätigkeit - gleichbleibenden Fallzahlen - geführt. Dass sich der Abrechnungsmodus bei der Gruppe der Sozialhilfeempfänger geändert habe, könne nicht zu ihren Lasten gehen. Die Beklagte bleibe die Nachweise schuldig, wie der Aufschlag zum Individualbudget berechnet worden sei und ob sie die gezahlte Kopfpauschale für ehemalige Sozialhilfeempfänger an die jeweiligen Vertragsärzte weitergegeben habe. Die Fallwerte für ehemalige Sozialhilfeempfänger seien deutlich geringer als diejenigen für (bereits zuvor) Versicherte der Primär- und Ersatzkassen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 zu verpflichten, über die Erhöhung ihres Individualbudgets unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtenen Bescheide. Wegen der weiteren Ausführungen wird insbesondere auf die Schriftsätze vom 8. Mai 2006, 26. Januar 2007, 14. August 2007, 21. Dezember 2007, 13. Oktober 2008, 24. November 2008, 17. Dezember 2008, 27. April 2009 und 28. September 2009 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig.
Nicht Streitgegenstand können nach Auffassung der Kammer die Regelungen über die Anpassung des Individualbudgets für Fälle ehemaliger U-/J-Patienten sein. Die Beklagte hatte bereits in ihrem Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, diese könne nicht Gegenstand des Widerspruchs sein und dies - zutreffend - damit begründet, dass das auf der Basis des Bemessungszeitraumes 2002 ermittelte Individualbudget von dieser Regelung unberührt bleibe. Zudem wurde der entsprechende Aufschlag quartalsweise neu berechnet. Es liegen damit Neuberechnungen auch für Quartale vor, die zeitlich nach Erlass des Widerspruchsbescheides liegen, ohne dass ein Fall des § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegeben wäre. Gegenstand des Rechtsstreits kann lediglich die Frage sein, ob der Umstand, dass für ehemalige Sozialhilfeempfänger ab dem Quartal I/2004 Aufschläge auf das Individualbudget gewährt wurden, einem Antrag auf Neufestsetzung des Individualbudgets - etwa unter dem Gesichtspunkt des Fallwachstums oder demjenigen der veränderten Praxisstruktur - entgegensteht, nicht hingegen die Frage, ob die entsprechenden Aufschläge selbst in den einzelnen Quartalen ab dem Quartal I/2004 ihrem Betrag nach zutreffend gewährt wurden. Ebensowenig kann in diesem Verfahren eine inzidente Nachprüfung der für die einzelnen Quartale erteilten Honorarbescheide erfolgen. Es kann demnach auch nicht Streitgegenstand sein, ob die Beklagte die pauschalierte Gesamtvergütung nach Integration der Sozialhilfeempfänger in das System der gesetzlichen Krankenversicherung vollständig an die Vertragsärzte weitergegeben hat. Dies ist nicht eine Frage der Neufestsetzung des Individualbudgets, sondern des Honorars und damit ggf. im Rahmen einer Anfechtung der quartalsweise ergehenden Honorarbescheide zu überprüfen.
Die Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid vom 23. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat weder einen Anspruch auf Erhöhung ihres Individualbudgets, noch auf Neubescheidung durch die Beklagte.
Anspruchsgrundlage für die Neufestsetzung des Individualbudgets sind die in Teil I. § 9 Absatz 9 bis 11 der Regelung für die Honorarabrechnung und –verteilung in der Fassung vom 01. Oktober 2004 geregelten Bestimmungen, die sowohl für den Primär– als auch den Ersatzkassenbereich gelten und nach der Vereinbarung über die Honorarverteilung gemäß § 85 Absatz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für Berlin vom 09. Dezember 2004, dem Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab für die Verteilung der an die KV Berlin gezahlten Gesamtvergütungen vom 20. Juni 2005 (vgl. dort § 9 Abs. 12 bis 14) sowie dem Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab für die Verteilung der an die KV Berlin gezahlten Gesamtvergütungen vom 18. November 2005 letztlich bis zum 31. März 2006 weiterhin Anwendung finden.
Nach § 9 Absatz 1 des HVV der Beklagten in der Fassung vom 19. Juni 2003 (gültig ab dem 1. Juli 2003) erhielten alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten für punktzahlbewertete Leistungen ein individuelles Punktzahlvolumen (Individualbudget), wobei als Bemessungszeitraum für alle Fachgruppen die Quartale I/2002 bis IV/2002 galten. Nach § 9 Absatz 12 HVV (bzw. § 9 Absatz 9 des ab dem 1. Juli 2005 gültigen HVV) kann in begründeten Fällen ein Leistungserbringer beim Vorstand der Beklagten eine Neufestsetzung seines Individualbudgets beantragen, insbesondere - unter anderem - wegen längerer Erkrankung im Bemessungszeitraum oder wegen veränderter Praxisstruktur.
Die in den genannten Bestimmungen des HVV aufgezählten Tatbestände, bei denen ein Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets bestehen kann, sind ausweislich ihres Wortlautes ("insbesondere") nicht abschließend. Eine Neufestsetzung des Individualbudgets kann deshalb beispielsweise auch dann in Betracht kommen, wenn der Bemessungszeitraum des Jahres 2002 aus anderen Gründen als einer längeren Erkrankung nicht als repräsentativ anzusehen ist.
Eine Fallkonstellation, die einen Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets geben kann, ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
Zum einen ist der Bemessungszeitraum für die Bildung der Individualbudgets, das Jahr 2002, vorliegend nicht als nicht-repräsentativ anzusehen: In den Quartalen I/2002 bis IV/2002 wurden die ärztlichen Leistungen für die Gruppe der Sozialhilfeempfänger unbudgetiert vergütet. Eine Einbeziehung dieser Fälle und der entsprechenden Umsätze in die erstmalige Berechnung des Individualbudgets war mithin gar nicht möglich. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Heranziehung des Jahres 2002 als Bemessungszeitraum sachwidrig gewesen wäre. Denn der Vorstand der Beklagten hatte beschlossen, bei denjenigen Vertragsärzten, die - wie die Klägerin - in größerem Umfang Sozialhilfeempfänger versorgt hatten, die Individualbudgets von Amts wegen anzupassen. Hierzu hatten die zuständigen Krankenkassen eine um die Kopfpauschale pro Mitglied erhöhte Gesamtvergütung an die Beklagte zu zahlen, so dass der fehlenden Berücksichtigung der Sozialhilfeempfänger in den Fallzahlen des Jahres 2002 Rechnung getragen wurde. Dass dies unzureichend gewesen wäre, ist für die Kammer nicht ersichtlich: Die Klägerin hat in den Quartalen I/2004 bis IV/2004 für jeden ehemaligen Sozialhilfeempfänger mit Status "S 4" im Primärkassenbereich einen Individualbudget-Aufschlag von 873,6 Punkten und im Ersatzkassenbereich einen solchen von 1.305,7 Punkten erhalten. Dieser Aufschlag ist auf Grundlage der durchschnittlichen Fallzahl je Versichertem in der gesetzlichen Krankenversicherung pro Honorargruppe ermittelt worden. Maßgeblich für die Bemessung der sogenannten "S 4-Aufschläge" war der Vorstandsbeschluss der Beklagten vom 23. Juni 2004. Die Beklagte hatte die Höhe des Aufschlages daran festgemacht, wie viele Individualbudget-Punkte den Leistungserbringern der jeweiligen Fachgruppe pro Versichertem in der gesetzlichen Krankenversicherung im Quartal IV/2003 zur Verfügung standen. Anders als die Klägerin meint, sind die ehemaligen Sozialhilfeempfänger also im Budget nicht schlechter bewertet worden, als die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dass nur das IV. Quartal 2003 für diese Bemessung herangezogen worden ist, ist jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin erfolgt. Bei ihr stellte dieses Quartal mit einem Honorar von 31.992,10 Euro soweit ersichtlich das umsatzstärkste des Jahres 2003 dar.
Es liegt auch keine Änderung der Praxisstruktur gegenüber dem Jahr 2002 vor: Eine Änderung der Praxisstruktur ist vor allem dann anzunehmen, wenn einem Vertragsarzt die Genehmigung einer bisher nicht erbrachten, genehmigungspflichtigen Leistungen erteilt wird und er somit Leistungen erbringen darf, die er im Bemessungszeitraum nicht abrechnen durfte (vgl. Sozialgericht Berlin, Urteil vom 22. August 2007, Az. S 83 KA 278/05). Dies ist hier nicht der Fall. Aus dem gesetzlich bedingten Statuswechsel der ehemaligen U-/J-Patienten ergibt sich kein Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets unter dem Gesichtspunkt der veränderten Praxisstruktur. Statt des Leistungsspektrums hat sich hier vielmehr das Vergütungssystem für einen Teil der Patienten der Klägerin geändert. Ändert sich bei den Patienten eines Vertragsarztes nur die Zuordnung zu einem Kostenträger, sei es nun der Wechsel von Versicherten der Primärkassen zu den Ersatzkassen oder der Statuswechsel der Sozialhilfepatienten, liegt keine Änderung der Praxisstruktur im Sinne des § 9 Absatz 9 HVM vor. Die Spezifik der Patientenstruktur mit einem hohen Anteil an ehemaligen U-/J-Patienten wird durch den fortwährenden Aufschlag zum Individualbudget angemessen (siehe hierzu oben) berücksichtigt.
Weiterhin kommt eine Erhöhung des Individualbudgets der Klägerin auch unter dem Gesichtspunkt des Wachstums von Altpraxen zum Fachgruppendurchschnitt – bezogen auf die Fachgruppe 38 des HVV der Beklagten - vorliegend nicht in Betracht: Nach § 9 Absatz 8 b Satz 1 HVV wird einem Vertragsarzt und Psychotherapeuten, der am 01.07.2003 länger als 20 Quartale im Bereich der KV Berlin zugelassen war (sogenannte Altpraxis) und mit seinem Individualbudget-Punktzahlvolumen unterhalb des jeweiligen durchschnittlichen Punktzahlengrenzwertes seiner Fach-/Unteruntergruppe (Fachgruppendurchschnitt) liegt, vorbehaltlich der Regelung in § 10 ein erlaubter Zuwachs von jährlich 10 % bezogen auf den Fachgruppendurchschnitt zugestanden, jedoch höchstens bis zum Erreichen des Fachgruppendurchschnitts. Gemäß § 10 HVV wird ein erlaubter Zuwachs gemäß § 9 Absatz 8 b unter der Voraussetzung gestattet, dass die Praxis ihren anerkannten Leistungsbedarf für Leistungen, die dem Individualbudget unterliegen, gegenüber dem Leistungsbedarf des Bemessungszeitraumes steigern konnte und diese Steigerung des Leistungsbedarfs verbunden ist mit einem Fallzahlzuwachs. Ist eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, wird ein Zuwachs nicht zugestanden. Der in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verankerte Grundatz, dass umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben müssen, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen, begründet sich dadurch, dass dem Vertragsarzt die Chance bleiben muss, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern. Auch wenn es sich bei Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatzniveau typischerweise insbesondere um solche handeln wird, die neu gegründet worden sind, ist deren Erwähnung in der Rechtsprechung des BSG lediglich als beispielhaft zu verstehen (vgl. u.a. BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 32 Rn.16). Die grundsätzliche Verpflichtung zur Gewährleistung einer gewissen Wachstumsmöglichkeit beschränkt sich nicht allein auf Jung- und Aufbaupraxen, sondern erfasst alle Praxen, deren Umsatz den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe unterschreitet. Bereits in seinem grundlegenden Urteil vom 21. Oktober 1998 (B 6 KA 71/97 R, BSGE 83, 52, 60 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 28 S 209) hat das BSG klargestellt, dass der Umstand einer dauerhaften Festschreibung einer ungünstigen Erlössituation als Folge unterdurchschnittlicher Umsätze für alle kleinen Praxen - nicht nur für neu gegründete - berücksichtigt werden und ein HVM so ausgestaltet werden müsse, dass auch solche Vertragsärzte mit unterdurchschnittlicher Patientenzahl, die nicht mehr als Praxisneugründer angesehen werden können, nicht gehindert werden, durch Erhöhung der Patientenzahl zumindest einen durchschnittlichen Umsatz zu erreichen. Fallzahlsteigerungen gegenüber dem Bemessungszeitraum des Jahres 2002 sind bei der Klägerin indes darauf zurückzuführen, dass die Sozialhilfeempfänger zum Quartal I/2004 in das System der gesetzlichen Krankenversicherung integriert worden sind. Für diese sogenannten "Status 4-Versicherten" hat die Klägerin aber ab dem Quartal I/2004 einen gesonderten "S 4-Aufschlag" auf ihr Individualbudget erhalten. Die Gesamtheit der Behandlungsfälle - einschließlich der (ehemaligen) Sozialhilfeempfänger - ist bei der Klägerin seit dem Bemessungszeitraum des Jahres 2002 im Durchschnitt der Jahre nicht signifikant angestiegen. Ausweislich der durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 24. November 2008 vorgelegten Auflistung betrug die durchschnittliche Behandlungsfallzahl der Klägerin im Jahr 2002 pro Quartal 310,75, ohne dass in den Folgequartalen ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen gewesen wäre. Über den S 4-Aufschlag hinaus ist ein Wachstum zum Fachgruppendurchschnitt jedoch nicht möglich; anderenfalls läge eine - sachlich nicht zu rechtfertigende - doppelte Berücksichtigung zugunsten der Klägerin vor.
Ein Anspruch auf Neufestsetzung des Individualbudgets kann sich für die Klägerin auch nicht aus dem Umstand ergeben, dass sich seit Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in das System der gesetzlichen Krankenversicherung zum I. Quartal 2004 bei ihr deutliche Honorareinbußen eingestellt haben: Grund für diese Einbußen ist, dass die ambulante ärztliche Versorgung der Sozialhilfeempfänger bis zum 1. Januar 2004 keinerlei Leistungsmengenbegrenzung unterlag, sondern sämtliche abgerechneten Leistungen vom Sozialhilfeträger über die AOK zum AOK-Punktwert vergütet wurden. Mit der Einbeziehung der Leistungsberechtigten nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in das System der gesetzlichen Krankenversicherung sollten Kosten auf Seiten der Sozialhilfeträger eingespart werden. Die geringeren Einkünfte für diese Patienten ergeben sich somit zwangsläufig aus der durch das Gesetz vorgenommenen Umstrukturierung in der Vergütungssystematik und nicht aus einer zu geringen Bemessung des Individualbudgets durch die Beklagte. Die vormalige Systematik bezüglich der Sozialhilfeempfänger mag sich zwar positiv auf diejenigen Vertragsärzte ausgewirkt haben, die eine hohe Patientenzahl aus diesem Personenkreis versorgten. Es besteht jedoch kein Anspruch, diesen ehemals besseren Vergütungsstatus durch eine Anhebung des Individualbudgets der Klägerin zu Lasten der übrigen Vertragsärzte beizubehalten. Der Vortrag der Klägerin, sie verdiene im Vergleich zum früheren Vergütungsmodus der Sozialhilfeempfänger weniger, ist rechtlich letztlich nicht relevant. Die Grundsätze der leistungsproportionalen Vergütung und der Honorarverteilungsgerechtigkeit verpflichten die Beklagte nicht, ein konstant hohes Honorar zu garantieren. Ebensowenig ist die Beklagte verpflichtet, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn die Veränderung von Vergütungsmodalitäten für eine bestimmte Patientengruppe zu Honorareinbußen führen. Wenn der wirtschaftliche Vorteil, dass U-/J-Patienten nicht leistungsbudgetiert sind, nach einer Neuregelung wegfällt, so kann dies die Klägerin nicht als Benachteiligung geltend machen.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass die Klägerin nicht die Höhe der zwischen der Beklagten und den Krankenkassen vereinbarten Gesamtvergütung angreifen kann, unabhängig davon, dass dies schon nicht eine Frage der Festsetzung des Individualbudgets ist, sondern vielmehr der Höhe des jeweils pro Quartal zu gewährenden Honorars, und dies damit bereits nicht Streitgegenstand ist. In der vertragsärztlichen Versorgung ist zu unterscheiden zwischen der Vergütung, welche die Krankenkassen an die Kassenärztliche Vereinigung für die durch diese sicherzustellende vertragsärztliche Versorgung leisten, und der Verteilung dieser Vergütung an die an dieser Versorgung teilnehmenden Ärzte. Bei der Berechnung und Zahlung der Gesamtvergütungen auf der einen und der Verteilung der Gesamtvergütungen auf der anderen Seite handelt es sich um zwei eigenständige, formal getrennte Rechtskreise (siehe hierzu BSGE 31, 23, 28 = SozR Nr 13 zu § 368f RVO, Bl A a 19; BSGE 61, 19, 25 = SozR 2200 § 368f Nr. 11 S 34; Hess in Kasseler Kommentar, § 85 SGB V Rn. 3). Der Anspruch auf Zahlung der Gesamtvergütungen gegen die Krankenkassen steht - wie die Formulierung "mit befreiender Wirkung" in § 85 Absatz 1 (Satz 1) SGB V klarstellt - ausschließlich der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung, nicht aber den einzelnen Vertragsärzten zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved