L 10 P 112/10 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 39 P 86/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 P 112/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 05.07.2010 wird als unzulässig verworfen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die festzusetzende Anwaltsvergütung im Rahmen einer Prozesskostenhilfe (PKH)-Bewilligung.

In der Hauptsache war streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Pflegegeld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung hat. Im Laufe des seit dem 14.04.2008 vor dem Sozialgericht Dortmund (SG) geführten Klageverfahrens bewilligte das SG der Klägerin mit Beschluss vom 15.07.2008 PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. L.

Auf die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 28.10.2009 eingelegte Erinnerung hat das SG mit Beschluss vom 05.07.2010 die der Klägerin im Wege der Prozesskostenhilfe zu erstattenden Kosten auf 785,00 Euro festgesetzt.

Gegen den Beschluss hat der Beschwerdeführer, der an dem erstinstanzlichen Erinnerungsverfahren nicht beteiligt war, am 02.09.2010 Beschwerde eingelegt, mit dem Antrag, den Beschluss vom 05.07.2010 abzuändern und die PKH-Vergütung auf 547,40 Euro festzusetzen.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

1. Die Beschwerde ist unzulässig.

Nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte das Rechtsmittel der Beschwerde zum Landessozialgericht gegeben, soweit im SGG nichts anderes bestimmt ist. Eine solche andere Bestimmung trifft § 178 SGG.

Gemäß § 178 SGG entscheidet das gegen Entscheidungen des ersuchten oder beauftragten Richters oder des Urkundsbeamten binnen einen Monats nach Bekanntgabe angerufene (sog. Erinnerung) Sozialgericht endgültig. Nach seinem eindeutigen Wortlaut erfasst § 178 SGG auch Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts und damit auch Festsetzungen von PKH-Vergütungen gegen die Landeskasse.

Weder aus dem SGG - hierzu unter a) - noch aufgrund einer anderweitigen gesetzlichen Regelung, insbesondere des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) - hierzu unter b) -, ergibt sich die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen auf eine Erinnerung ergangene Beschlüsse.

Die bisher von der überwiegenden Zahl der Senate des LSG NRW (Beschluss vom 17.11.2010, L 19 B 334/09 AS; Beschluss vom 11.12.2009 - L 19 B 281/09 AS - m.w.N.; Beschluss vom 13.07.2009, L 7 B 2/09 SB; Beschluss vom 13.11.2008, L 20 B 59/08 SO; Beschluss vom 29.01.2008, L 1 B 35/07 AS) auf § 73a SGG i.V.m. §§ 56 Abs 2, 33 Abs 3 RVG gestützte Rechtsauffassung, nach der Beschlüsse, die auf Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungen der Urkundsbeamten im PKH-Verfahren ergangen sind, unter bestimmten Voraussetzungen innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung mit der Beschwerde angefochten werden können (ebenso u.a. LSG Bayern, Beschluss vom 18.01.2010, L 13 SF 288/09 E ; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17.07. 2008, L 6 B 93/07 -, LSG Thüringen, Beschluss vom 18.02.2008, L 6 B 3/08 SF; LSG Sachsen, Beschluss vom 21.06.2005 - L 6 B 73/04 RJ/KO; LSG Saarland, Beschluss vom 29.01.2009, L 1 B 16/08 R ), ist mit der gesetzgeberischen Konzeption des Rechtsmittelsystems des SGG nicht in Einklang zu bringen, führt zu schwerwiegenden Wertungswidersprüchen (dazu unter c)) und verhindert eine einheitliche Ausgestaltung des Kostenfestsetzungsverfahrens (dazu unter d)).

a) Das SGG bildet als Grundlage des sozialgerichtlichen Verfahrens eine eigenständige, in sich geschlossene Verfahrensordnung, die eine entsprechende Anwendung anderer Verfahrensregelungen nur erlaubt, wenn diese ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt werden (vgl. §§ 73a, 202 SGG), soweit das SGG selbst keine Bestimmung über das Verfahren trifft und die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen (vgl.: LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26.01.2011, L 1 B 266/09 SF E; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl, § 202 Rn 1, 2).

Das SGG enthält weder unmittelbar, noch über die in Bezug genommenen Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) oder des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) einen ausdrücklichen Verweis auf die Bestimmungen des RVG (ebenso: LSG Sachsen/Anhalt, Beschluss vom 22.12.2010, L 8 B 21/08 SO).

Soweit dieser aus der Verweisung des § 73a Abs 1 S 1 auf die Vorschriften der ZPO (§§ 114 bis 127 ZPO) abgeleitet wird, überzeugt dies nicht. Zum einen verweisen die §§ 114 bis 127 ZPO ihrerseits nicht auf das RVG. Zum anderen werden die Bestimmungen der ZPO nach allgemeiner Auffassung aufgrund der den Besonderheiten des sozialrechtlichen Verfahrens Rechnung tragenden Bestimmungen des SGG modifiziert. So ist nach § 172 Abs 3 SGG die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe wegen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 172 Abs 3 Nr 2 SGG) ebenso wie die Beschwerde gegen erstinstanzliche Kostengrundentscheidungen (§ 172 Abs 3 Nr 3 SGG) ausgeschlossen.

Nach der Systematik des SGG kommt auch ein Vorrang des § 73a SGG als vermeintlich speziellere Vorschrift (so aber LSG NRW, Beschluss vom 09.08.2007, L 20 B 91/07) gegenüber § 178 SGG nicht in Betracht.

Der zweite Teil des SGG regelt das sozialgerichtliche Verfahren.

Der erste Abschnitt des Zweiten Teils regelt die "Gemeinsamen Verfahrensvorschriften".

Der Erste Unterabschnitt beinhaltet mit den §§ 60 - 75 "Allgemeine Vorschriften". Bereits aufgrund dieser Systematik ergibt sich ein Anwendungsvorrang der im Zweiten Abschnitt des SGG beinhalteten speziellen Regelungen über die Rechtsmittel.

Ist also bereits aus gesetzessystematischen Gründen grundsätzlich zweifelhaft, ob Bestimmungen der im Ersten Abschnitt geregelten Allgemeinen Verfahrensvorschriften das im Zweiten Abschnitt des SGG geregelte Rechtsmittelsystem modifizieren können, so dürfte dies jedenfalls dann ausgeschlossen sein, wenn hierdurch Verwerfungen gegenüber den sonstigen im SGG durchgängig verankerten Strukturprinzipien entstehen. Zu diesen gehört, dass auf eine Erinnerung hin ergangene Beschlüsse des SG grundsätzlich unanfechtbar sind (vgl. §§ 178 S 1, 189 Abs 2, 197 Abs 2 SGG). Dies gilt ausdrücklich für das Kostenfestsetzungsverfahren außerhalb der PKH (§ 197 Abs 2 SGG).

Vor dem Hintergrund des in dieser Regelungsstruktur zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Ziels der nachhaltigen Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit, welches u.a. auch dadurch erreicht wird, dass die Entscheidungen der Sozialgerichte über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nur eingeschränkt und erstinstanzliche Kostengrundentscheidungen überhaupt nicht anfechtbar sind, würde es einen Verstoß gegen diese Strukturprinzipien darstellen, wenn das Prozesskostenhilfenebenverfahren über die Festsetzung der Höhe der jeweiligen Vergütung mit einem zusätzlichen Rechtsweg an das Landessozialgericht ausgestattet würde (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30.10.2009, L 4 P 8/09 B). Ein derartiger Strukturbruch bedürfte einer besonderen Rechtfertigung, die aber gerade nicht ersichtlich ist.

Dass nach der gesetzgeberischen Konzeption die SGG-Verfahrensregelungen über Kostenfestsetzung und Rechtsmittel/Rechtsbehelfe gegen sie vorrangig anzuwenden sind, ergibt sich auch aus der Gesetzesgeschichte. Auf die insofern überzeugende Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.02.2009 (L 15 SF 9/09 B) wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

b) Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch § 11 Abs 3 S 2 RVG.

Hiernach gelten nicht die Bestimmungen des RVG, sondern die für die jeweilige Gerichtsbarkeit bestehenden Vorschriften, hier § 178 SGG, über die Erinnerung in Kostenfestsetzungsverfahren entsprechend.

Der Wortlaut des § 11 Abs 3 S 2 RVG spricht dafür, dass das RVG das gegenüber den Verfahrensordnungen der einzelnen Gerichtsbarkeiten allgemeinere Gesetz ist, das verdrängt wird, wenn - wie hier - spezialgesetzliche Regelungen greifen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.03.2011, L 6 SF 236/09 B; LSG Schleswig-Holstein, aaO; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.10.2008, L 9 B 19/08 AS SF; LSG Sachsen-Anhalt aaO).

Wenn ein Vorrang der §§ 33 Abs 3, 56 Abs 2 S 1 gegenüber den Vorschriften des SGG über die Beschwerdemöglichkeit gegen Erinnerungsentscheidungen vom Gesetzgeber gewollt wäre, ergäbe die Regelung des § 11 Abs 3 S 2 RVG keinen Sinn.

Soweit die Gegenmeinung zur Stützung ihrer Auffassung verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 09.08.2007, L 20 B 91/07 - unter Hinweis auf Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 09.03.2006, 21 C 06.332) heranzieht, überzeugt dies nicht. Der zitierte Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs enthält keine Begründung für die Statthaftigkeit der Beschwerde. Zudem enthält § 151 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einen dem § 178 S 1, letzter Halbsatz SGG vergleichbaren Ausschluss von Rechtsmitteln gegen die Erinnerungsentscheidung gerade nicht.

Das gleiche gilt für die ebenfalls zur Begründung herangezogene Vorschrift des § 573 ZPO.

Die Beschwerdemöglichkeit nach § 56 Abs 2 S 1 in Verbindung mit § 33 Abs 3 RVG ist vor diesem Hintergrund deshalb nur in Verfahrensordnungen denkbar, die - anders als das SGG - diese Beschwerdemöglichkeit nicht ihrerseits ausgeschlossen haben (LSG Schleswig-Holstein, aaO; LSG Sachsen-Anhalt aaO; Leitherer aaO).

c) Das von der Gegenauffassung vertretene gleichberechtigte Nebeneinander von RVG und SGG in der Frage von Rechtsbehelfen bei Vergütungsstreitigkeiten ist mit dem SGG nicht vereinbar und führt zu kaum lösbaren Wertungswidersprüchen.

Da sich das RVG an der Verfahrensordnung der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die anderen Prozessgrundsätzen folgt, orientiert, würden sich zum Teil bedenkliche Unklarheiten ergeben.

So sind SGG und RVG hinsichtlich der Beschwerdefrist nicht konform.

Während § 173 SGG ausdrücklich eine Monatsfrist für die Beschwerde bestimmt, verringert § 33 Abs 3 S 3 RVG diese Frist auf lediglich zwei Wochen. Die Wertungswidersprüche zwischen SGG und RVG und die damit verbundenen Rechtsunsicherheiten können nur durch einen klaren Anwendungsvorrang des SGG beseitigt werden (ebenso: LSG Schleswig-Holstein, aaO; LSG Sachsen-Anhalt aaO).

d) Abzulehnen ist die teilweise vertretene Auffassung, nur eine weitgehende Zulassung der Beschwerde in Kostenfestsetzungsverfahren ermögliche eine landesweit einheitliche Rechtsprechung zur Prozessvergütung (vgl. auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17.07.2008, L 6 B 93/07).

Vielmehr dient gerade der Beschwerdeausschluss der Einheitlichkeit des Verfahrens. Denn nur so können unterschiedliche Entscheidungen der Gerichte in Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 SGG und in Vergütungsfestsetzungsverfahren nach §§ 55, 56 RVG vermieden werden. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass in Kostenfestsetzungsverfahren gegen den unterlegenen Gegner das Sozialgericht endgültig über die Kosten entscheidet (§ 197 Abs 2 SGG), in Verfahren über die Festsetzung der Vergütung des Rechtsanwaltes gegenüber der Staatskasse aber seine Entscheidung mit der Beschwerde überprüfbar sein soll (so auch LSG Schleswig-Holstein, aaO; LSG Niedersachsen–Bremen aaO; LSG Sachsen-Anhalt aaO).

Dass eine unterschiedliche Behandlung der jeweiligen Verfahren weder beabsichtigt noch wünschenswert ist, zeigen auch die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. August 2005 und 19. Dezember 2006 (1 BvR 46/05 und 1 BvR 2091/06). Das BVerfG hat darin festgestellt, dass die Tätigkeit eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwaltes in qualitativer wie in quantitativer Hinsicht keine andere als die des in gewöhnlicher Weise beauftragten Rechtsanwaltes ist und das PKH-Verfahren gegenüber anderen Verfahrensregeln keine Vorrangstellung einnimmt.

Eine Vereinheitlichung von Vergütungsfestsetzungen könnte darüber hinaus organisatorisch durch entsprechende Kostenkammern der jeweiligen Sozialgerichte erreicht werden.

2. Die vom Sozialgericht aus den genannten Gründen fehlerhaft erteilte Rechtsmittelbelehrung ist rechtlich unbeachtlich. Eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung kann ein Rechtsmittel, das gesetzlich - wie hier - ausgeschlossen ist, nicht eröffnen (BSG, Urteil vom 20.05.2003 - B 1 KR 25/01 R; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, vor § 143 Rn. 14 b).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da nach § 56 Abs 2 S 3 RVG selbst im Falle einer statthaften und in der Sache erfolgreichen Beschwerde eine Kostenerstattung nicht in Betracht kommt, kann es sich nicht zu Gunsten des Antragstellers auswirken, dass er möglicherweise infolge der nicht zutreffenden Belehrung durch das Sozialgericht Beschwerde eingelegt hat (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26.01.2011, L 1 B 266/09 SF E).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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