Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
71
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 162/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung für Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlicher Arzt durch Frau K B unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung von Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung.
Die Klägerin nimmt seit dem 1. April 2005 im Verwaltungsbezirk P an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Es handelt sich um eine Einrichtung nach § 311 Absatz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Frau K B ist seit dem 1. November 2007 als Fachärztin für Urologie mit einem Umfang von regelmäßig 20 Stunden wöchentlich bei der Klägerin angestellt.
Unter dem 5. Mai 2009 beantragte die Klägerin für Frau B die Abrechnungsgenehmigung von Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlicher Ärztin gemäß der zum 1. Oktober 2009 in Kraft getretenen Vereinbarung über die qualifizierte ambulante Versorgung krebskranker Patienten (im Folgenden: Onkologie-Vereinbarung).
Mit Bescheid vom 16. Juli 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Eine 24-stündige Erreichbarkeit von Frau B könne nicht gewährleistet werden, da sie nicht ganztägig angestellt sei, sondern lediglich in einem Umfang von wöchentlich 10 bis 20 Stunden. Es sei ihr daher nicht möglich, für die ambulante onkologische Behandlung verantwortlich zu sein und diese zu leiten und zu koordinieren.
Hiergegen legte die Klägerin mit am 14. August 2009 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben Widerspruch ein. Frau B habe im Antrag versichert, 24 Stunden erreichbar zu sein und ggf. die Behandlung der Patienten zu übernehmen. Zudem ergebe sich aus den aktuellen Vereinbarungen keine Mindest-Arbeitszeit. Am Standort des Klinikums gebe es zusammen mit den verschiedenen ambulanten Betreuungseinrichtungen ein dichtes Versorgungsnetz für onkologisch erkrankte Patienten. Frau B sei fachlich qualifiziert und solle in das vorhandene Versorgungsnetz eingebunden werden. Die Auffassung, dass selbst bei bester fachlicher Qualifikation eine verantwortliche onkologische Betreuung durch halbtags tätige Ärztinnen nicht erfolgen könne, sei diskriminierend und widerspreche der gesetzgeberisch gewünschten Flexibilität im Arztberuf.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2010, ausgefertigt am 10. März 2010, zurück. Der Umstand, dass Frau B nur eine halbe Stelle innehabe, mache es unmöglich, die in der Onkologie-Vereinbarung geforderte Verantwortung, Koordinierung und Leitung der ambulanten Behandlung auszuüben. Der weitere Umstand, dass es am Standort des Klinikums ein dichtes Versorgungsnetz für onkologisch erkrankte Patienten gebe, in das Frau B eingebunden sei, gebiete keine abweichende Sichtweise, denn die Abrechnungsgenehmigung werde immer personengebunden erteilt. Die Möglichkeit einer wechselseitigen Vertretung von zwei in Teilzeit angestellten Ärzten kompensiere nicht die Leitung und Koordinierung der Behandlung nach einem einheitlichen Therapieplan.
Hiergegen erhob die Klägerin am 12. April 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Eine Tätigkeit in Vollzeit werde in der Onkologie-Vereinbarung an keiner Stelle gefordert. Frau B erfülle die fachlichen Voraussetzungen der Onkologie-Vereinbarung und könne insbesondere auch bei einer nur 20-stündigen Tätigkeit pro Woche – wie arbeitsvertraglich vorgesehen - die dort geforderten Leitungsfunktionen übernehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010 aufzuheben und
die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung für Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlicher Arzt durch Frau K ... B unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, wie Frau B ... bei einem Beschäftigungsumfang von nur 20 Stunden wöchentlich den in § 4 der Onkologie-Vereinbarung festgelegten besonderen Versorgungsauftrag erfüllen wolle. Es sei nicht zulässig, den Versorgungsauftrag teilweise von anderen Ärzten bzw. Einrichtungen wahrnehmen zu lassen.
Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des übrigen Inhalts wird auf sie Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über ihren Antrag auf Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung für Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlicher Arzt durch Frau K B.
Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht auf der Grundlage der Onkologie-Vereinbarung die Möglichkeit, einem MVZ für eine bei ihr angestellte und teilzeitbeschäftigte Ärztin eine Abrechnungsgenehmigung für Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlichem Arzt zu erteilen.
Gemäß § 1 Absatz 4 der Onkologie-Vereinbarung ist onkologisch qualifizierter Arzt im Sinne dieser Vereinbarung der Vertragsarzt, der die ambulante Behandlung nicht nur ganz oder teilweise selbst durchführt, sondern zusätzlich die Gesamtbehandlung entsprechend einem einheitlichen Therapieplan – unabhängig von notwendigen Überweisungen – leitet und mit den durch Überweisung hinzugezogenen Ärzten koordiniert. § 1 Absatz 5 Satz 1 der Onkologie-Vereinbarung stellt heraus, dass sich durch die besonderen Anforderungen an die ambulante Behandlung krebskranker Patienten für den onkologisch qualifizierten Arzt erhöhte zeitliche, finanzielle und insbesondere personelle Belastungen ergeben. Wegen der sich daraus ergebenden Besonderheiten werden in dieser Rahmenvereinbarung Regelungen für den teilnehmenden Arzt getroffen (§ 1 Absatz 5 Satz 2 Onkologie-Vereinbarung). Als Voraussetzungen für die Teilnahme an dieser Vereinbarung werden der Nachweis der geforderten Qualifikation sowie die Erfüllung der in dieser Vereinbarung festgelegten weiteren Erfordernisse gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung bezeichnet (§ 1 Absatz 5 Satz 3 Onkologie-Vereinbarung). Der onkologisch verantwortliche Arzt hat einerseits die Aufgabe, die ärztliche Behandlung so durchzuführen, wie es in § 4 der Onkologie-Vereinbarung näher ausgeführt wird. Danach umfasst die ärztliche Behandlung die Indikationsstellung, Durchführung und/oder Koordination der Tumorbehandlung als Operation, Strahlentherapie und/oder medikamentöse Tumortherapie nach Maßgabe der in dieser Vereinbarung genannten Grundsätze, die Durchführung und/oder Koordination der weiteren Behandlung, insbesondere Ausarbeitung eines Gesamttherapieplanes sowie Verlaufsbeobachtung zur Kontrolle der Therapie und deren Folgen, Kontrolle und Dosisanpassung bzw. Therapieumstellung bei medikamentösen Therapien, Diagnostik und Therapie von Begleit- und Folgekrankheiten, Komplikationen sowie therapiebedingter Nebenwirkungen, supportive Therapie (z. B. Schmerztherapie, Transfusionen), Punktionen und Zytostatikagabe sowie die Durchführung und/oder Koordination von Maßnahmen der medizinischen und sozialen Betreuung sowie Rehabilitationsmaßnahmen. Andererseits hat der onkologisch verantwortliche Arzt die organisatorischen Maßnahmen sicherzustellen, wie sie in § 5 der Onkologie-Vereinbarung erwähnt werden. Diese umfassen unter anderem die ständige Zusammenarbeit mit dem Hausarzt, ambulantem Pflegedienst, anderen Fachabteilungen benachbarter zugelassener Krankenhäuser, Vertragsarztpraxen und Hospizen, die Sicherstellung einer 24-stündigen Rufbereitschaft, die Einrichtung einer ausreichenden Anzahl spezieller Behandlungsplätze mit angemessener technischer Ausstattung für intravenöse Chemotherapie und Bluttransfusionen, die Beschäftigung qualifizierten Pflegepersonals, die Ausarbeitung von Notfallplänen, die Mitgliedschaft in einem interdisziplinären onkologischen Arbeitskreis oder Tumorzentrum und die Zusammenarbeit mit onkologischen Nachsorgeleitstellen. Weiterhin ist durch den onkologisch qualifizierten Arzt gemäß § 6 der Onkologie-Vereinbarung eine onkologische interdisziplinäre Kooperationsgemeinschaft zu bilden, wobei er sicherzustellen hat, dass durch diese unter anderem die folgenden Aufgaben erfüllt werden: Einführung und Anpassung wissenschaftlich gesicherter Diagnose- und Therapiepläne, gemeinsame patientenorientierte Fallbesprechungen, onkologische Konsile und gegenseitige Information bei gemeinsamer Betreuung von Patienten. Daneben treffen den onkologisch qualifizierten Arzt die in § 7 der Onkologie-Vereinbarung statuierten Fortbildungspflichten sowie die in § 8 der Onkologie-Vereinbarung festgelegten Dokumentationspflichten.
Bei Verträgen mit rechtlicher Wirkung gegenüber Dritten – wie der Onkologie-Vereinbarung - ist nicht etwa auf den subjektiven Willen der Beteiligten abzustellen, sondern vielmehr auf die objektive Erklärungsbedeutung. Die Erklärungsbedeutung ist umfassend zu ermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 1999, Az. B 6 KA 18/98 R, mit weiteren Nachweisen).
Danach enthält die Onkologie-Vereinbarung keinen ausdrücklichen Ausschluss in Teilzeit tätiger Ärzte mit einem Beschäftigungsumfang von 20 Wochenstunden. Ein solcher Ausschluss lässt sich aus dem Inhalt und/oder Gesamtzusammenhang ihrer Regelungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Zwar benennt die Onkologie-Vereinbarung die oben aufgeführten, umfangreichen Pflichten des onkologisch qualifizierten Arztes. § 1 Absatz 5 der Onkologie-Vereinbarung stellt zudem klar, dass sich aus den besonderen Anforderungen an die ambulante Behandlung krebskranker Patienten für den onkologisch qualifizierten Arzt erhöhte zeitliche Belastungen ergeben. Voraussetzung für eine Teilnahme an der Onkologie-Vereinbarung ist damit auch, dass der onkologisch qualifizierte Arzt zeitlich ausreichend für die nach der Vereinbarung nötigen Aufgaben zur Verfügung stehen kann. Von einem onkologisch verantwortlichen Arzt werden nicht nur organisatorische und koordinierende Tätigkeiten verlangt, sondern auch, dass er zumindest teilweise die ambulante Behandlung selbst durchführt. Eine generelle Inkompatibilität zwischen einer Teilzeitbeschäftigung in einem Umfang von 20 Wochenstunden und einer Tätigkeit als onkologisch verantwortlichem Arzt geht mit diesen Anforderungen nicht einher. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Leitungs- und Koordinierungsfunktion im Sinne der obigen Ausführungen nicht auch bei einer Teilzeitbeschäftigung sichergestellt werden kann, zumal sich eine Durchführung von Behandlungen zu einem großen Teil – wie oben ausgeführt – auch delegieren lässt. Hätten die Vertragspartner der Onkologie-Vereinbarung Teilzeitbeschäftigte unterhalb einer bestimmten Wochenarbeitszeit als onkologisch verantwortliche Ärzte ausnehmen wollen, so hätte dies einer ausdrücklichen Regelung in der Onkologie-Vereinbarung bedurft. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich aus § 1 Absatz 5 Satz 2 der Onkologie-Vereinbarung herleiten lässt, dass auch wegen der sich aus den erhöhten zeitlichen Belastungen ergebenden Besonderheiten in dieser Rahmenvereinbarung Regelungen für den teilnehmenden Arzt getroffen werden. Regelungen, die an die Wochenarbeitszeit anknüpfen würden, finden sich jedoch im Folgenden nicht. Auch aus Sinn und Zweck der Onkologie-Vereinbarung folgt kein Ausschluss in Teilzeit tätiger Ärzte. Nach deren § 1 Absatz 1 Satz 2 soll eine qualifizierte onkologische Behandlung in der vertragsärztlichen Versorgung insgesamt als Alternative zur erheblich teureren stationären Versorgung gefördert werden. Dieses Ziel steht einer Einbeziehung in Teilzeit tätiger Ärzte nicht entgegen; denn auch deren Tätigkeit wird im Rahmen der - ambulanten - vertragsärztlichen Versorgung erbracht.
Der Umstand, dass die Klägerin die Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung für Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlicher Arzt durch eine bei ihr angestellte Ärztin begehrt, steht dem Anspruch nach Auffassung der Kammer nicht entgegen. Die in der Onkologie-Vereinbarung statuierten Leitungs- und Koordinierungsfunktionen können nach Auffassung der Kammer grundsätzlich auch in einem Angestelltenverhältnis ausgeübt werden. Dies setzt freilich voraus, dass der konkrete Arbeitsvertrag dem angestellten Arzt Freiräume zugesteht, die es ihm ermöglichen, die in der Onkologie-Vereinbarung statuierten Leitungs- und Koordinierungsfunktionen wahrzunehmen. Die Onkologie-Vereinbarung gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Medizinische Versorgungszentren von einer entsprechenden Leistungserbringung mit Hilfe der bei ihnen angestellten Ärzte ausgeschlossen wären. Leitbegriff der Onkologie-Vereinbarung ist der "onkologisch qualifizierte Arzt", nicht der Vertragsarzt; die an ihn gestellten Anforderungen werden ausführlich beschrieben. Dass diese nur bei einer eigenen Zulassung als Vertragsarzt erfüllt werden könnten, ist nicht ersichtlich und auch nicht ausdrücklich bestimmt. Die vertragsärztliche onkologische Versorgung nach den Vorgaben der Onkologie-Vereinbarung kann daher auch von Medizinischen Versorgungszentren durch bei ihnen angestellte Ärzte sichergestellt werden.
Das Ergebnis, dass die Onkologie-Vereinbarung auch auf in Teilzeit tätige und in einem MVZ angestellte Ärzte anzuwenden ist, kann im vorliegenden Verfahren allerdings nicht automatisch dazu führen, der Klägerin die Genehmigung der Teilnahme von Frau B an der Vereinbarung als onkologisch verantwortliche Ärztin zuzusprechen. Es bedarf vielmehr in tatsächlicher Hinsicht noch verschiedener Feststellungen zu der Frage, ob sie alle Voraussetzungen für die Teilnahme erfüllt. Insoweit wird die Beklagte insbesondere prüfen müssen, ob Frau B die in § 10 Absatz 1, zweiter Spiegelstrich, in Verbindung mit §§ 5 und 6 der Onkologie-Vereinbarung aufgeführten Voraussetzungen erfüllt. Von einem Vorliegen der fachlichen Voraussetzungen gemäß § 3 der Onkologie-Vereinbarung ist die Beklagte bereits in ihrem Ursprungsbescheid vom 16. Juli 2009 ausgegangen.
Insbesondere wird die Beklagte es prüfen müssen, ob die konkreten Regelungen des Arbeitsvertrages zwischen der Klägerin und Frau B es zulassen, dass diese die in der Onkologie-Vereinbarung statuierten Leitungs- und Koordinierungsaufgaben hinreichend wahrnehmen kann. Die Kammer weist darauf hin, dass gemäß § 5 Absatz 1 Onkologie-Vereinbarung zu diesen Pflichten auch eine Rufbereitschaft gehört, die der angestellten Ärztin auch entsprechend vergütet werden müsste. Der der Kammer vorliegende Arbeitsvertrag vom 21. Juni 2007 – der zeitlich freilich vor der hier streitgegenständlichen Entscheidung der Beklagten liegt – enthält jedenfalls keinen Hinweis auf eine von Frau K B entgeltlich auszuübende Rufsbereitschaft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung von Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung.
Die Klägerin nimmt seit dem 1. April 2005 im Verwaltungsbezirk P an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Es handelt sich um eine Einrichtung nach § 311 Absatz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Frau K B ist seit dem 1. November 2007 als Fachärztin für Urologie mit einem Umfang von regelmäßig 20 Stunden wöchentlich bei der Klägerin angestellt.
Unter dem 5. Mai 2009 beantragte die Klägerin für Frau B die Abrechnungsgenehmigung von Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlicher Ärztin gemäß der zum 1. Oktober 2009 in Kraft getretenen Vereinbarung über die qualifizierte ambulante Versorgung krebskranker Patienten (im Folgenden: Onkologie-Vereinbarung).
Mit Bescheid vom 16. Juli 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Eine 24-stündige Erreichbarkeit von Frau B könne nicht gewährleistet werden, da sie nicht ganztägig angestellt sei, sondern lediglich in einem Umfang von wöchentlich 10 bis 20 Stunden. Es sei ihr daher nicht möglich, für die ambulante onkologische Behandlung verantwortlich zu sein und diese zu leiten und zu koordinieren.
Hiergegen legte die Klägerin mit am 14. August 2009 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben Widerspruch ein. Frau B habe im Antrag versichert, 24 Stunden erreichbar zu sein und ggf. die Behandlung der Patienten zu übernehmen. Zudem ergebe sich aus den aktuellen Vereinbarungen keine Mindest-Arbeitszeit. Am Standort des Klinikums gebe es zusammen mit den verschiedenen ambulanten Betreuungseinrichtungen ein dichtes Versorgungsnetz für onkologisch erkrankte Patienten. Frau B sei fachlich qualifiziert und solle in das vorhandene Versorgungsnetz eingebunden werden. Die Auffassung, dass selbst bei bester fachlicher Qualifikation eine verantwortliche onkologische Betreuung durch halbtags tätige Ärztinnen nicht erfolgen könne, sei diskriminierend und widerspreche der gesetzgeberisch gewünschten Flexibilität im Arztberuf.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2010, ausgefertigt am 10. März 2010, zurück. Der Umstand, dass Frau B nur eine halbe Stelle innehabe, mache es unmöglich, die in der Onkologie-Vereinbarung geforderte Verantwortung, Koordinierung und Leitung der ambulanten Behandlung auszuüben. Der weitere Umstand, dass es am Standort des Klinikums ein dichtes Versorgungsnetz für onkologisch erkrankte Patienten gebe, in das Frau B eingebunden sei, gebiete keine abweichende Sichtweise, denn die Abrechnungsgenehmigung werde immer personengebunden erteilt. Die Möglichkeit einer wechselseitigen Vertretung von zwei in Teilzeit angestellten Ärzten kompensiere nicht die Leitung und Koordinierung der Behandlung nach einem einheitlichen Therapieplan.
Hiergegen erhob die Klägerin am 12. April 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Eine Tätigkeit in Vollzeit werde in der Onkologie-Vereinbarung an keiner Stelle gefordert. Frau B erfülle die fachlichen Voraussetzungen der Onkologie-Vereinbarung und könne insbesondere auch bei einer nur 20-stündigen Tätigkeit pro Woche – wie arbeitsvertraglich vorgesehen - die dort geforderten Leitungsfunktionen übernehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010 aufzuheben und
die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung für Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlicher Arzt durch Frau K ... B unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, wie Frau B ... bei einem Beschäftigungsumfang von nur 20 Stunden wöchentlich den in § 4 der Onkologie-Vereinbarung festgelegten besonderen Versorgungsauftrag erfüllen wolle. Es sei nicht zulässig, den Versorgungsauftrag teilweise von anderen Ärzten bzw. Einrichtungen wahrnehmen zu lassen.
Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten sowie des übrigen Inhalts wird auf sie Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über ihren Antrag auf Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung für Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlicher Arzt durch Frau K B.
Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht auf der Grundlage der Onkologie-Vereinbarung die Möglichkeit, einem MVZ für eine bei ihr angestellte und teilzeitbeschäftigte Ärztin eine Abrechnungsgenehmigung für Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlichem Arzt zu erteilen.
Gemäß § 1 Absatz 4 der Onkologie-Vereinbarung ist onkologisch qualifizierter Arzt im Sinne dieser Vereinbarung der Vertragsarzt, der die ambulante Behandlung nicht nur ganz oder teilweise selbst durchführt, sondern zusätzlich die Gesamtbehandlung entsprechend einem einheitlichen Therapieplan – unabhängig von notwendigen Überweisungen – leitet und mit den durch Überweisung hinzugezogenen Ärzten koordiniert. § 1 Absatz 5 Satz 1 der Onkologie-Vereinbarung stellt heraus, dass sich durch die besonderen Anforderungen an die ambulante Behandlung krebskranker Patienten für den onkologisch qualifizierten Arzt erhöhte zeitliche, finanzielle und insbesondere personelle Belastungen ergeben. Wegen der sich daraus ergebenden Besonderheiten werden in dieser Rahmenvereinbarung Regelungen für den teilnehmenden Arzt getroffen (§ 1 Absatz 5 Satz 2 Onkologie-Vereinbarung). Als Voraussetzungen für die Teilnahme an dieser Vereinbarung werden der Nachweis der geforderten Qualifikation sowie die Erfüllung der in dieser Vereinbarung festgelegten weiteren Erfordernisse gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung bezeichnet (§ 1 Absatz 5 Satz 3 Onkologie-Vereinbarung). Der onkologisch verantwortliche Arzt hat einerseits die Aufgabe, die ärztliche Behandlung so durchzuführen, wie es in § 4 der Onkologie-Vereinbarung näher ausgeführt wird. Danach umfasst die ärztliche Behandlung die Indikationsstellung, Durchführung und/oder Koordination der Tumorbehandlung als Operation, Strahlentherapie und/oder medikamentöse Tumortherapie nach Maßgabe der in dieser Vereinbarung genannten Grundsätze, die Durchführung und/oder Koordination der weiteren Behandlung, insbesondere Ausarbeitung eines Gesamttherapieplanes sowie Verlaufsbeobachtung zur Kontrolle der Therapie und deren Folgen, Kontrolle und Dosisanpassung bzw. Therapieumstellung bei medikamentösen Therapien, Diagnostik und Therapie von Begleit- und Folgekrankheiten, Komplikationen sowie therapiebedingter Nebenwirkungen, supportive Therapie (z. B. Schmerztherapie, Transfusionen), Punktionen und Zytostatikagabe sowie die Durchführung und/oder Koordination von Maßnahmen der medizinischen und sozialen Betreuung sowie Rehabilitationsmaßnahmen. Andererseits hat der onkologisch verantwortliche Arzt die organisatorischen Maßnahmen sicherzustellen, wie sie in § 5 der Onkologie-Vereinbarung erwähnt werden. Diese umfassen unter anderem die ständige Zusammenarbeit mit dem Hausarzt, ambulantem Pflegedienst, anderen Fachabteilungen benachbarter zugelassener Krankenhäuser, Vertragsarztpraxen und Hospizen, die Sicherstellung einer 24-stündigen Rufbereitschaft, die Einrichtung einer ausreichenden Anzahl spezieller Behandlungsplätze mit angemessener technischer Ausstattung für intravenöse Chemotherapie und Bluttransfusionen, die Beschäftigung qualifizierten Pflegepersonals, die Ausarbeitung von Notfallplänen, die Mitgliedschaft in einem interdisziplinären onkologischen Arbeitskreis oder Tumorzentrum und die Zusammenarbeit mit onkologischen Nachsorgeleitstellen. Weiterhin ist durch den onkologisch qualifizierten Arzt gemäß § 6 der Onkologie-Vereinbarung eine onkologische interdisziplinäre Kooperationsgemeinschaft zu bilden, wobei er sicherzustellen hat, dass durch diese unter anderem die folgenden Aufgaben erfüllt werden: Einführung und Anpassung wissenschaftlich gesicherter Diagnose- und Therapiepläne, gemeinsame patientenorientierte Fallbesprechungen, onkologische Konsile und gegenseitige Information bei gemeinsamer Betreuung von Patienten. Daneben treffen den onkologisch qualifizierten Arzt die in § 7 der Onkologie-Vereinbarung statuierten Fortbildungspflichten sowie die in § 8 der Onkologie-Vereinbarung festgelegten Dokumentationspflichten.
Bei Verträgen mit rechtlicher Wirkung gegenüber Dritten – wie der Onkologie-Vereinbarung - ist nicht etwa auf den subjektiven Willen der Beteiligten abzustellen, sondern vielmehr auf die objektive Erklärungsbedeutung. Die Erklärungsbedeutung ist umfassend zu ermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 1999, Az. B 6 KA 18/98 R, mit weiteren Nachweisen).
Danach enthält die Onkologie-Vereinbarung keinen ausdrücklichen Ausschluss in Teilzeit tätiger Ärzte mit einem Beschäftigungsumfang von 20 Wochenstunden. Ein solcher Ausschluss lässt sich aus dem Inhalt und/oder Gesamtzusammenhang ihrer Regelungen nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen. Zwar benennt die Onkologie-Vereinbarung die oben aufgeführten, umfangreichen Pflichten des onkologisch qualifizierten Arztes. § 1 Absatz 5 der Onkologie-Vereinbarung stellt zudem klar, dass sich aus den besonderen Anforderungen an die ambulante Behandlung krebskranker Patienten für den onkologisch qualifizierten Arzt erhöhte zeitliche Belastungen ergeben. Voraussetzung für eine Teilnahme an der Onkologie-Vereinbarung ist damit auch, dass der onkologisch qualifizierte Arzt zeitlich ausreichend für die nach der Vereinbarung nötigen Aufgaben zur Verfügung stehen kann. Von einem onkologisch verantwortlichen Arzt werden nicht nur organisatorische und koordinierende Tätigkeiten verlangt, sondern auch, dass er zumindest teilweise die ambulante Behandlung selbst durchführt. Eine generelle Inkompatibilität zwischen einer Teilzeitbeschäftigung in einem Umfang von 20 Wochenstunden und einer Tätigkeit als onkologisch verantwortlichem Arzt geht mit diesen Anforderungen nicht einher. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Leitungs- und Koordinierungsfunktion im Sinne der obigen Ausführungen nicht auch bei einer Teilzeitbeschäftigung sichergestellt werden kann, zumal sich eine Durchführung von Behandlungen zu einem großen Teil – wie oben ausgeführt – auch delegieren lässt. Hätten die Vertragspartner der Onkologie-Vereinbarung Teilzeitbeschäftigte unterhalb einer bestimmten Wochenarbeitszeit als onkologisch verantwortliche Ärzte ausnehmen wollen, so hätte dies einer ausdrücklichen Regelung in der Onkologie-Vereinbarung bedurft. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich aus § 1 Absatz 5 Satz 2 der Onkologie-Vereinbarung herleiten lässt, dass auch wegen der sich aus den erhöhten zeitlichen Belastungen ergebenden Besonderheiten in dieser Rahmenvereinbarung Regelungen für den teilnehmenden Arzt getroffen werden. Regelungen, die an die Wochenarbeitszeit anknüpfen würden, finden sich jedoch im Folgenden nicht. Auch aus Sinn und Zweck der Onkologie-Vereinbarung folgt kein Ausschluss in Teilzeit tätiger Ärzte. Nach deren § 1 Absatz 1 Satz 2 soll eine qualifizierte onkologische Behandlung in der vertragsärztlichen Versorgung insgesamt als Alternative zur erheblich teureren stationären Versorgung gefördert werden. Dieses Ziel steht einer Einbeziehung in Teilzeit tätiger Ärzte nicht entgegen; denn auch deren Tätigkeit wird im Rahmen der - ambulanten - vertragsärztlichen Versorgung erbracht.
Der Umstand, dass die Klägerin die Erteilung einer Abrechnungsgenehmigung für Leistungen im Rahmen der onkologischen Versorgung als onkologisch verantwortlicher Arzt durch eine bei ihr angestellte Ärztin begehrt, steht dem Anspruch nach Auffassung der Kammer nicht entgegen. Die in der Onkologie-Vereinbarung statuierten Leitungs- und Koordinierungsfunktionen können nach Auffassung der Kammer grundsätzlich auch in einem Angestelltenverhältnis ausgeübt werden. Dies setzt freilich voraus, dass der konkrete Arbeitsvertrag dem angestellten Arzt Freiräume zugesteht, die es ihm ermöglichen, die in der Onkologie-Vereinbarung statuierten Leitungs- und Koordinierungsfunktionen wahrzunehmen. Die Onkologie-Vereinbarung gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Medizinische Versorgungszentren von einer entsprechenden Leistungserbringung mit Hilfe der bei ihnen angestellten Ärzte ausgeschlossen wären. Leitbegriff der Onkologie-Vereinbarung ist der "onkologisch qualifizierte Arzt", nicht der Vertragsarzt; die an ihn gestellten Anforderungen werden ausführlich beschrieben. Dass diese nur bei einer eigenen Zulassung als Vertragsarzt erfüllt werden könnten, ist nicht ersichtlich und auch nicht ausdrücklich bestimmt. Die vertragsärztliche onkologische Versorgung nach den Vorgaben der Onkologie-Vereinbarung kann daher auch von Medizinischen Versorgungszentren durch bei ihnen angestellte Ärzte sichergestellt werden.
Das Ergebnis, dass die Onkologie-Vereinbarung auch auf in Teilzeit tätige und in einem MVZ angestellte Ärzte anzuwenden ist, kann im vorliegenden Verfahren allerdings nicht automatisch dazu führen, der Klägerin die Genehmigung der Teilnahme von Frau B an der Vereinbarung als onkologisch verantwortliche Ärztin zuzusprechen. Es bedarf vielmehr in tatsächlicher Hinsicht noch verschiedener Feststellungen zu der Frage, ob sie alle Voraussetzungen für die Teilnahme erfüllt. Insoweit wird die Beklagte insbesondere prüfen müssen, ob Frau B die in § 10 Absatz 1, zweiter Spiegelstrich, in Verbindung mit §§ 5 und 6 der Onkologie-Vereinbarung aufgeführten Voraussetzungen erfüllt. Von einem Vorliegen der fachlichen Voraussetzungen gemäß § 3 der Onkologie-Vereinbarung ist die Beklagte bereits in ihrem Ursprungsbescheid vom 16. Juli 2009 ausgegangen.
Insbesondere wird die Beklagte es prüfen müssen, ob die konkreten Regelungen des Arbeitsvertrages zwischen der Klägerin und Frau B es zulassen, dass diese die in der Onkologie-Vereinbarung statuierten Leitungs- und Koordinierungsaufgaben hinreichend wahrnehmen kann. Die Kammer weist darauf hin, dass gemäß § 5 Absatz 1 Onkologie-Vereinbarung zu diesen Pflichten auch eine Rufbereitschaft gehört, die der angestellten Ärztin auch entsprechend vergütet werden müsste. Der der Kammer vorliegende Arbeitsvertrag vom 21. Juni 2007 – der zeitlich freilich vor der hier streitgegenständlichen Entscheidung der Beklagten liegt – enthält jedenfalls keinen Hinweis auf eine von Frau K B entgeltlich auszuübende Rufsbereitschaft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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