Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 31 R 8226/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 964/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der Versicherung ihres von ihr geschiedenen Ehemanns.
Die im April 1939 geborene Klägerin heiratete den im November 1931 geborenen Versicherten am 21. November 1968. Im April 1970 kam eine gemeinsame Tochter zur Welt.
Durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. November 1971 (Az. 55 R 160/71) wurde die Ehe aus Verschulden des Versicherten geschieden. Für den Fall der Rechtskraft des Urteils schlossen die Klägerin und der Versicherte vor dem Landgericht Berlin am 23. November 1971 nach Verkündung des Scheidungsurteils einen Vergleich über Scheidungsfolgen. Unter Ziffer 1 war vereinbart worden: "Die Klägerin verzichtet gegenüber dem Beklagten auf alle Unterhaltsansprüche, auch für Fälle der Not und der unvorhergesehenen Erwerbsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit. Der Beklagte verpflichtet sich jedoch, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis einschließlich 30. Juni 1975 einen monatlich um voraus zu leistenden Unterhaltsbeitrag in Höhe von 400,- DM zu zahlen. In diesem Unterhaltsbeitrag sind enthalten eine Zahlung in Höhe von 150,- DM für die Tochter M und 250,- DM für die Klägerin."
Unter Ziffer 2 waren Regelungen über die elterliche Gewalt für das Kind und den Kindesunterhalt getroffen worden. Hierbei war bestimmt worden, dass der Versicherte berechtigt war, den Unterhaltsbetrag für die Klägerin zu kürzen, sofern das Kind bis zum 30. Juni 1975 einen höheren Unterhaltsanspruch als 150,- DM gegen den Versicherten stellen sollte.
Die elterliche Gewalt über das Kind wurde, den Vergleich ausführend, der Klägerin durch Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg vom 10. März 1972 übertragen.
Der Versicherte stand seit April 1947 durchgehend bis zu seiner Berentung in versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Ab 1. Juli 1992 gewährte ihm die Beklagte eine Altersrente für Schwerbehinderte in Höhe der Hälfte der Vollrente, daneben war er weiter für seinen bisherigen Arbeitgeber tätig und erzielte monatliche Bruttoeinkünfte von mehr als 3.000,- DM. Ab 1. Dezember 1996 erhielt der Versicherte von der Beklagten Regelaltersrente als Vollrente. Er verstarb am 21. Dezember 2006.
Weder die Klägerin noch ihr ehemaliger Ehemann heirateten nach ihrer Scheidung erneut.
Dem Antrag auf Geschiedenenwitwenrente vom 5. April 2007 fügte die Klägerin unter anderem Kopien der Heiratsurkunde, des Beschlusses des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg vom 10. März 1972, eines an sie gerichteten Begleitschreibens des Rechtsanwalts K-H S vom 14. Dezember 1971 sowie des diesem Schreiben anliegenden Urteils des Landgerichts Berlin vom 23. November 1971 und das Terminsprotokoll des Landgerichts Berlin vom 23. November 1971 bei.
Durch Bescheid vom 23. Mai 2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die Voraussetzungen für die Rente seien nicht erfüllt. Der Versicherte sei der Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand - den letzten zwölf Monaten - vor seinem Tod nicht zum Unterhalt verpflichtet gewesen und habe auch keinen Unterhalt tatsächlich geleistet. Der Unterhaltsverzicht sei auch nicht gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als "leere Hülse" unbeachtlich. Die Klägerin habe im Zeitpunkt der Scheidung einen Unterhaltsanspruch gehabt. Außerdem ergebe sich aus den vorgelegten Unterlagen, dass der Unterhaltsverzicht für den Fall der rechtskräftigen Ehescheidung aus Alleinschuld des Versicherten habe gelten sollen. Der Versicherte habe zuvor keine weiteren Anträge gestellt, nachdem die Klägerin ihrerseits ihren Klagevortrag eingeschränkt habe. Er habe damit offensichtlich die Feststellung seines Verschuldens auf sich genommen, wenn im Gegenzug der nacheheliche Unterhalt im gesetzlich möglichen Umfang ausgeschlossen und auf den im Vergleich vereinbarten Zeitraum beschränkt werde. Bei einer solchen Konventionalscheidung habe der Verzicht materiell-rechtliche Wirkung entfalten sollen, sei also nicht bedeutungsleer gewesen.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie sich von ihrem Mann deshalb habe trennen wollen, weil er getrunken habe, zumindest verbal aggressiv gewesen sei und sie mit einer Kollegin betrogen habe. Sie habe sich keine Gedanken über Unterhaltsforderungen gemacht, sondern nur eine Umschulung in einem Beruf absolvieren wollen, der ihr zeitlich die Betreuung ihrer Tochter erlaube (Buchhalter). Nachdem der Anwalt des Versicherten ihr Unterhalt für drei Jahre angeboten habe, habe sie ihn auf ein zusätzliches halbes Jahr gehandelt und im Übrigen verzichtet. Sie sei sich sicher gewesen, dass der Versicherte wegen seines Alkoholproblems über kurz oder lang seine Existenz verlieren werde, sie ihrerseits aber ausreichendes Einkommen erzielen könne, wenn sie sich entsprechend qualifiziere.
Durch Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Unterhaltsverzicht habe keinen deklaratorischen Charakter gehabt. Die Klägerin und der Versicherte hätten bei Abschluss des Erlassvertrags nicht vernünftigerweise davon ausgehen können, dass im gesamten Zeitraum bis zum Tod des Versicherten eine Unterhaltsverpflichtung auch ohne Verzicht nicht bestanden haben würde.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Rentenanspruch weiterverfolgt. Im Zeitpunkt der Scheidung sei sie unterhaltsbedürftig gewesen. Sie habe kein eigenes Einkommen gehabt und ihre Tochter sei 1 ½ Jahre alt gewesen. Im erlernten Beruf als Verkäuferin habe sie nicht arbeiten können, da keine Betreuungseinrichtung bis zum Arbeitsschluss um 18.30 Uhr geöffnet gewesen sei. Verwandte, die ihr hätten helfen können, habe sie nicht gehabt. Der Versicherte habe die festen Kosten des täglichen Lebens nur mit Mühe bezahlen können, weil er seine Einkünfte für Alkohol und Zigaretten gebraucht habe. Die Gebühren für ihren Anwalt im Scheidungsverfahren habe er in Raten bezahlt. Außerdem habe er das Einrichtungsdarlehen und das Ehegründungsdarlehen abbezahlt. Er sei nie auf einen grünen Zweig gekommen, obwohl er nach ihrer Kenntnis immer gearbeitet habe. Den Unterhalt für die Tochter habe er immer, jedoch auf niedrigster Stufe nach der Düsseldorfer Tabelle gezahlt. Sie sei deshalb davon ausgegangen, dass er ein geringeres Einkommen als sie habe und auch eine geringere Rente als sie erhalten werde. Von der Lebensgefährtin des Versicherten habe sie erfahren, dass er nur eine Schallplattensammlung hinterlassen habe. Angesichts seiner Krankheit habe sie ihn so wenig wie möglich finanziell in Anspruch nehmen wollen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 29. Juli 2009 hat die Klägerin über ihren bisherigen Vortrag hinaus erklärt, dass der Versicherte gegen die Feststellung seines Verschuldens am Scheitern der Ehe sowie den Übergang des Sorgerechts für die gemeinsame Tochter keine Einwendungen gehabt habe. Er habe den im Scheidungsvergleich vereinbarten Unterhalt geleistet. Sie sei davon ausgegangen, sich nach den 3 ½ Jahren selbst unterhalten zu können. Der Versicherte habe im kaufmännischen Bereich gearbeitet.
Durch Urteil vom 29. Juli 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf große Witwenrente. Ein wirksamer und umfassender Unterhaltsverzicht schließe den Anspruch aus. Er sei auch nicht nach der Rechtsprechung des BSG als "leere Hülse" unschädlich. Ob ein Unterhaltsverzicht den dazu erforderlichen deklaratorischen Charakter gehabt habe, beurteile sich nach den bei seinem Abschluss objektiv erkennbaren Gegebenheiten. Nach Auffassung der Kammer habe damals kein wirtschaftlicher Dauerzustand vorgelegen, der vernünftigerweise darauf habe schließen lassen, dass ein Unterhaltsanspruch auch in Zukunft ausgeschlossen sein werde. Die Leistungsfähigkeit des Versicherten im Zeitpunkt der Scheidung ergebe sich bereits daraus, dass er den Unterhaltsverpflichtungen aus dem Vergleich nach den eigenen Angaben der Klägerin nachgekommen sei. Er habe seit 1947 durchgehend in Beschäftigungsverhältnissen gestanden und im Zeitpunkt der Scheidung monatlich ein Entgelt von annähernd 1.300,- DM erzielt. Damit sei er ohne weiteres in der Lage gewesen, der Klägerin Unterhalt zu leisten. Auch nach der Scheidung sei er ohne Unterbrechung beschäftigt gewesen. Die Klägerin habe dagegen nur vom 6. Dezember 1971 (vorher Kindererziehung) bis zum 30. September 1972 (danach Fachschulausbildung) versicherungsrelevante Entgelte erzielt, im Dezember 1971 in Höhe von ca. 450,- DM. Dass auch die Klägerin von der Leistungsfähigkeit des Versicherten ausgegangen sei, zeige sich daran, dass sie sich Unterhalt für 3 ½ Jahre habe gewähren lassen und dass sie als Grund für den Unterhaltsverzicht angegeben habe, den Versicherten nicht mehr als unbedingt nötig finanziell in Anspruch nehmen zu wollen. Die jetzt von der Klägerin geäußerte Erwartung, der Versicherte werde wegen seines Alkoholkonsums und der mangelnden Fähigkeit, wirtschaften zu können, auf Dauer nicht unterhaltsfähig sein, rechtfertige objektiv nicht anzunehmen, dass der Unterhaltsverzicht deklaratorisch gewesen sei. Der Sonderfall der Konventionalscheidung liege ebenfalls nicht vor. Ein unbeachtlicher Unterhaltsverzicht sei hier nur anzunehmen, wenn aus den vorhandenen Unterlagen des Scheidungsverfahrens hervorginge, dass der Unterhaltsverzicht offensichtlich zu einer dem aktenkundigen Sachstand widersprechenden Entscheidung in der Schuldfrage geführt habe. Hierfür gebe es jedoch keine Anhaltspunkte.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Das Sozialgericht habe die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung unzutreffend gewürdigt. Da die Ehe bei Einreichung der Scheidungsklage im August 1971 keine drei Jahre bestanden habe, habe sie nach dem damals geltenden Recht von vornherein keinen unbeschränkten Unterhalt erwarten können. Der Versicherte sei aber auch nicht leistungsfähig gewesen. Er habe im Scheidungsverfahren das Armenrecht beansprucht und erst seit 1. August 1971 eine unqualifizierte Beschäftigung bei einem Verlag mit einem monatlichen Bruttogehalt von 1.250,- DM aufgenommen. Dies sei bereits die dritte Beschäftigung während der Ehezeit gewesen, da er wegen seiner Trunksucht mehrmals die Arbeitsstelle verloren habe. Der Versicherte habe im Scheidungsverfahren selbst vorgetragen, dass er nach Abzug von Steuern und regelmäßigen Ausgaben nur noch 546,50 DM monatlich zur Verfügung gehabt habe. Er habe sich nur vorübergehend zu Zahlungen von 200,- DM an sie in der Lage gesehen. Dem habe sie entgegengehalten, dass damit der Sozialrichtsatz unterschritten werde. Es sei objektiv klar gewesen, dass der Versicherte den im Vergleich vereinbarten Unterhalt nicht dauerhaft werde zahlen können und dass dieser Vergleich nur vor dem Hintergrund der tatsächlichen Gegebenheiten gesehen werden könne. Der Versicherte habe sich wegen seiner Trunksucht und einer daneben bestehenden Epilepsie ferner oft nicht unter Kontrolle gehabt und sein Geld ohne Rücksicht verschleudert. Deshalb habe er ihr 1969 eine schriftliche Vollmacht erteilt, für ihn Schritte einzuleiten, die zur Heilung vom Alkohol führen. Es liege auch eine Konventionalscheidung vor. Der Versicherte habe die Schuld an der Zerrüttung der Ehe vor Einleitung des Scheidungsverfahrens abgelehnt und sie in der Hauptsache bei der Klägerin gesehen. Zunächst habe er sich nur mit einer Scheidung aus beidseitigem Verschulden mit neutralen Gründen einverstanden erklärt, wenn beide Teile auf Unterhalt und Notbedarf verzichteten. Im Scheidungsprozess habe sich die Klägerin den für sie seinerzeit günstigen Schuldausspruch durch den weitgehenden Verzicht auf Unterhalt erkauft. Zum Beleg ihrer Angaben hat sie Kopien des Anstellungsvertrags des Versicherten mit dem E S Verlag vom 13. Juli 1971, von Schriftsätzen des Rechtsanwalts und Notars Dr. T vom 28. Juli und 7. September 1971, eines Briefes des Versicherten ohne Datum an "Frl. Z" (sie selbst) und einer Erklärung des Versicherten vom 26. Januar 1969 eingereicht. Nach einem Hinweisschreiben des Senats betreffend die Voraussetzungen für einen unschädlichen Unterhaltsverzicht bei sogenannter Konventionalscheidung hat die Klägerin nochmals eine Kopie des Beschlusses des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg vom 10. März 1972 und ein Schreiben des Bezirksamts Kreuzberg von Berlin - Amtsvormundschaft - vom 7. Januar 1985 eingereicht. Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Ausschluss von der Witwenrente sich als mittelbare Diskriminierung darstelle.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juli 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. April 2007 große Witwenrente aus der Versicherung des H T zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
II.
Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Senat hält sie einstimmig für unbegründet. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist geklärt, zur Auslegung der anzuwendenden Rechtsvorschriften liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des BSG vor.
Die Beklagte hat den von der Klägerin geltend gemachten Rentenanspruch zu Recht abgelehnt, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat.
Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine große Witwenrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten. Der Rentenanspruch setzt gemäß § 243 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ([SGB VI]; ebenso § 243 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI für die kleine Witwenrente) unter anderem voraus, dass die geschiedene Ehegattin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatte; insoweit ist die Vorschrift dem Rechtszustand bis 31. Dezember 1991 identisch (§§ 42 Abs. 1 Satz 1 Angestelltenversicherungsgesetz ([AVG] für die Rentenversicherung der Angestellten, 1265 Abs. 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung [RVO] für die Rentenversicherung der Arbeiter und 65 Abs. 1 Satz 1 Reichsknappschaftsgesetz [RKG] für die knappschaftliche Rentenversicherung). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich keinen Unterhalt vom Versicherten erhalten. Sie hatte darauf aber auch keinen Anspruch, unabhängig davon, ob er ihr nach dem im Zeitpunkt maßgeblichen Scheidungsfolgenrecht des Ehegesetzes (EheG) zugestanden hätte (s. dazu und zum folgenden zusammenfassend BSG, Urteil vom 30. September 1996 - 8 RKn 17/95 m. w. Nachw.). Durch den Vergleich vom 23. November 1971 hatte sie umfassend und wirksam auf Unterhalt nach dem vereinbarten Zeitraum verzichtet. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Verzicht nach § 72 Satz 3 EheG wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig gewesen sein könnte. Im Besonderen hat er sich nicht zulasten eines Trägers bedürftigkeitsabhängiger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgewirkt.
Große Witwenrente nach § 243 Abs. 3 SGB VI kann die Klägerin schließlich ebenfalls nicht beanspruchen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes setzte dies unter anderem voraus, dass die geschiedene Ehegattin einen Unterhaltsanspruch nach § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatte (§ 243 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VI; bis 31. Dezember 1991 gleichartig §§ 42 Abs. 1 Satz.2 Nr. 1 AVG, 1265 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVO, 65 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RKG). Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, weil der Unterhaltsverzicht und nicht die im Gesetz genannten Umstände dafür ursächlich waren, dass sie keinen Unterhaltsanspruch hatte (s. hierzu und zum folgenden erneut BSG a.a.O.).
Ausnahmsweise ist der Unterhaltsverzicht aus Billigkeitsgründen dann unschädlich für den Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI, wenn er wegen der in § 243 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VI genannten wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten nur deklaratorischen Charakter hatte, sich also als "leere Hülse" darstellte. Das Sozialgericht hat umfassend und zutreffend ausgeführt, aus welchen Gründen sich der Unterhaltsverzicht objektiv nicht als "leere Hülse" darstellte. Um Wiederholungen zu vermeiden, nimmt der Senat auf die Ausführungen des Sozialgerichts auf den Seiten 7 (ab dem zweiten vollständigen Satz) bis 8 (bis zum Ende des zweiten vollständigen Satzes) Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden (§ 153 Abs. 2 SGG).
Mit der Berufung hat sie nichts vorgetragen, was zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnte. Hervorzuheben bleibt, dass der Versicherte trotz der von der Klägerin geschilderten Krankheiten und Verhaltensweisen seit 1947 durchgehend in der Lage war, Einkünfte aus Beschäftigungen zu erzielen. Außerdem hatte sich der Versicherte durch den Vergleich neben wesentlichen finanziellen Leistungen ihr gegenüber zur alleinigen Rückzahlung des Einrichtungs- und des Ehegründungsdarlehens verpflichtet. Vor diesem Hintergrund war jedenfalls im Zeitpunkt der Scheidung noch nicht objektiv die Folgerung gerechtfertigt, dass sich künftig keine Unterhaltsansprüche mehr würden realisieren lassen. Die subjektiven Überlegungen der früheren Ehepartner haben keine Bedeutung. Das von der Klägerin zum Beleg des Gegenteils herangezogene Urteil des BSG vom 15. November 1979 - 11 RA 99/78, SozR 2200 § 1291 Nr. 19 ist nicht einschlägig, da es zur sogenannten "Wiederauflebensrente" nach dem ersten Ehegatten ergangen ist und nicht die Entstehung des Rentenanspruchs betrifft. Die - ständige - Rechtsprechung zur "leeren Hülse" ist unabhängig von und zeitlich nach dieser Entscheidung entwickelt und von allen Rentensenaten des BSG getragen worden. Es bestehen - wie im Verfahren bereits mitgeteilt worden ist - auch keine Bedenken, sie unter der Geltung des SGB VI weiter anzuwenden. Die hier streitige Voraussetzung für den Rentenanspruch hat sich im Vergleich zum Rechtszustand bis 31. Dezember 1991 nicht geändert.
Die Scheidung der Klägerin und des Versicherten stellt sich auch nicht als "Konventionalscheidung" dar, sodass der Unterhaltsverzicht auch von daher nicht unbeachtlich ist (s. BSG, Urteil vom 8. September 1993 - 5 RJ 8/93). Den Beteiligten war - im Anschluss an die auch insoweit zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts - bereits mitgeteilt worden, dass eine Manipulation des Scheidungsurteils durch abgestimmtes Parteiverhalten im sozialgerichtlichen Verfahren nur anhand von Unterlagen geprüft werden kann, die ohne weitere Ermittlungen aus den Unterlagen des Scheidungsverfahrens eindeutig ablesbar sind (s. BSG, Urteil vom 16. Juni 1994 - 13 RJ 23/93). Die Klägerin hat keine Unterlagen aus dem Scheidungsverfahren selbst vorlegen können, aus denen sich eine derartige Manipulation ergäbe. Im Besonderen ist weder aus dem Terminsprotokoll vom 23. November 1971 noch aus dem Scheidungsurteil gleichen Datums ersichtlich, welcher Vortrag vonseiten der Klägerin nicht aufrecht erhalten worden ist und warum nicht. Angesichts dessen erschließt sich auch nicht, welche Anträge der Versicherte in der Folge nicht mehr aufrechterhalten hat.
Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass die Klägerin keine Rente aus der Versicherung ihres früheren Ehegatten herleiten kann, bestehen nicht. Der Zweck der Renten gemäß § 243 Abs. 1 und 2 SGB VI ist der Unterhaltsersatz. Deshalb ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, den Anspruch davon abhängig zu machen, dass durch den Tod des Versicherten ein Unterhaltsanspruch oder tatsächlich geleisteter Unterhalt entgangen ist (s. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 21. Mai 2007 – 1 BvR 1649/01, SozR 4-2600 § 243 Nr. 3, vom 20. April 1993 – 1 BvR 435/93, SozR 3-2200 § 1265 Nr. 10 und vom 10. März 1989 – 1 BvR 1539/88, SozR 2200 § 1265 Nr. 95). Der Rentenanspruch gemäß § 243 Abs. 3 SGB VI hat dagegen keine Unterhaltsersatzfunktion, sondern beruht allein auf sozialen Erwägungen (BVerfG, Beschluss vom 20. April 1993 a.a.O.). "Unbillig" kann die Versagung einer solchen Rente nur vor dem Hintergrund sein, dass Ehegatten, die nach den im Zeitpunkt der Scheidung bestehenden Umständen im Ergebnis auf "nichts" verzichtet haben (weil zum damaligen Zeitpunkt ein Unterhaltsanspruch bis zum Tod des oder der Versicherten mangels Leistungsfähigkeit des potenziellen Unterhaltsschuldners nicht zu erwarten war), nach dem Gesetzeswortlaut schlechter stünden als diejenigen, die einen so motivierten Verzicht nicht erklärt haben, aber (trotzdem) aus rechnerischen Gründen keinen Anspruch auf Unterhalt hatten. Dem hat das BSG mit seiner Rechtsprechung zur "leeren Hülse" bereits Rechnung getragen. War der Unterhaltsverzicht aber nicht nur deklaratorisch, erklärt sich der Verlust des Rentenanspruchs durch die einmal abgegebene rechtliche Erklärung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der Versicherung ihres von ihr geschiedenen Ehemanns.
Die im April 1939 geborene Klägerin heiratete den im November 1931 geborenen Versicherten am 21. November 1968. Im April 1970 kam eine gemeinsame Tochter zur Welt.
Durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. November 1971 (Az. 55 R 160/71) wurde die Ehe aus Verschulden des Versicherten geschieden. Für den Fall der Rechtskraft des Urteils schlossen die Klägerin und der Versicherte vor dem Landgericht Berlin am 23. November 1971 nach Verkündung des Scheidungsurteils einen Vergleich über Scheidungsfolgen. Unter Ziffer 1 war vereinbart worden: "Die Klägerin verzichtet gegenüber dem Beklagten auf alle Unterhaltsansprüche, auch für Fälle der Not und der unvorhergesehenen Erwerbsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit. Der Beklagte verpflichtet sich jedoch, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis einschließlich 30. Juni 1975 einen monatlich um voraus zu leistenden Unterhaltsbeitrag in Höhe von 400,- DM zu zahlen. In diesem Unterhaltsbeitrag sind enthalten eine Zahlung in Höhe von 150,- DM für die Tochter M und 250,- DM für die Klägerin."
Unter Ziffer 2 waren Regelungen über die elterliche Gewalt für das Kind und den Kindesunterhalt getroffen worden. Hierbei war bestimmt worden, dass der Versicherte berechtigt war, den Unterhaltsbetrag für die Klägerin zu kürzen, sofern das Kind bis zum 30. Juni 1975 einen höheren Unterhaltsanspruch als 150,- DM gegen den Versicherten stellen sollte.
Die elterliche Gewalt über das Kind wurde, den Vergleich ausführend, der Klägerin durch Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg vom 10. März 1972 übertragen.
Der Versicherte stand seit April 1947 durchgehend bis zu seiner Berentung in versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Ab 1. Juli 1992 gewährte ihm die Beklagte eine Altersrente für Schwerbehinderte in Höhe der Hälfte der Vollrente, daneben war er weiter für seinen bisherigen Arbeitgeber tätig und erzielte monatliche Bruttoeinkünfte von mehr als 3.000,- DM. Ab 1. Dezember 1996 erhielt der Versicherte von der Beklagten Regelaltersrente als Vollrente. Er verstarb am 21. Dezember 2006.
Weder die Klägerin noch ihr ehemaliger Ehemann heirateten nach ihrer Scheidung erneut.
Dem Antrag auf Geschiedenenwitwenrente vom 5. April 2007 fügte die Klägerin unter anderem Kopien der Heiratsurkunde, des Beschlusses des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg vom 10. März 1972, eines an sie gerichteten Begleitschreibens des Rechtsanwalts K-H S vom 14. Dezember 1971 sowie des diesem Schreiben anliegenden Urteils des Landgerichts Berlin vom 23. November 1971 und das Terminsprotokoll des Landgerichts Berlin vom 23. November 1971 bei.
Durch Bescheid vom 23. Mai 2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die Voraussetzungen für die Rente seien nicht erfüllt. Der Versicherte sei der Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand - den letzten zwölf Monaten - vor seinem Tod nicht zum Unterhalt verpflichtet gewesen und habe auch keinen Unterhalt tatsächlich geleistet. Der Unterhaltsverzicht sei auch nicht gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als "leere Hülse" unbeachtlich. Die Klägerin habe im Zeitpunkt der Scheidung einen Unterhaltsanspruch gehabt. Außerdem ergebe sich aus den vorgelegten Unterlagen, dass der Unterhaltsverzicht für den Fall der rechtskräftigen Ehescheidung aus Alleinschuld des Versicherten habe gelten sollen. Der Versicherte habe zuvor keine weiteren Anträge gestellt, nachdem die Klägerin ihrerseits ihren Klagevortrag eingeschränkt habe. Er habe damit offensichtlich die Feststellung seines Verschuldens auf sich genommen, wenn im Gegenzug der nacheheliche Unterhalt im gesetzlich möglichen Umfang ausgeschlossen und auf den im Vergleich vereinbarten Zeitraum beschränkt werde. Bei einer solchen Konventionalscheidung habe der Verzicht materiell-rechtliche Wirkung entfalten sollen, sei also nicht bedeutungsleer gewesen.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie sich von ihrem Mann deshalb habe trennen wollen, weil er getrunken habe, zumindest verbal aggressiv gewesen sei und sie mit einer Kollegin betrogen habe. Sie habe sich keine Gedanken über Unterhaltsforderungen gemacht, sondern nur eine Umschulung in einem Beruf absolvieren wollen, der ihr zeitlich die Betreuung ihrer Tochter erlaube (Buchhalter). Nachdem der Anwalt des Versicherten ihr Unterhalt für drei Jahre angeboten habe, habe sie ihn auf ein zusätzliches halbes Jahr gehandelt und im Übrigen verzichtet. Sie sei sich sicher gewesen, dass der Versicherte wegen seines Alkoholproblems über kurz oder lang seine Existenz verlieren werde, sie ihrerseits aber ausreichendes Einkommen erzielen könne, wenn sie sich entsprechend qualifiziere.
Durch Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Unterhaltsverzicht habe keinen deklaratorischen Charakter gehabt. Die Klägerin und der Versicherte hätten bei Abschluss des Erlassvertrags nicht vernünftigerweise davon ausgehen können, dass im gesamten Zeitraum bis zum Tod des Versicherten eine Unterhaltsverpflichtung auch ohne Verzicht nicht bestanden haben würde.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Rentenanspruch weiterverfolgt. Im Zeitpunkt der Scheidung sei sie unterhaltsbedürftig gewesen. Sie habe kein eigenes Einkommen gehabt und ihre Tochter sei 1 ½ Jahre alt gewesen. Im erlernten Beruf als Verkäuferin habe sie nicht arbeiten können, da keine Betreuungseinrichtung bis zum Arbeitsschluss um 18.30 Uhr geöffnet gewesen sei. Verwandte, die ihr hätten helfen können, habe sie nicht gehabt. Der Versicherte habe die festen Kosten des täglichen Lebens nur mit Mühe bezahlen können, weil er seine Einkünfte für Alkohol und Zigaretten gebraucht habe. Die Gebühren für ihren Anwalt im Scheidungsverfahren habe er in Raten bezahlt. Außerdem habe er das Einrichtungsdarlehen und das Ehegründungsdarlehen abbezahlt. Er sei nie auf einen grünen Zweig gekommen, obwohl er nach ihrer Kenntnis immer gearbeitet habe. Den Unterhalt für die Tochter habe er immer, jedoch auf niedrigster Stufe nach der Düsseldorfer Tabelle gezahlt. Sie sei deshalb davon ausgegangen, dass er ein geringeres Einkommen als sie habe und auch eine geringere Rente als sie erhalten werde. Von der Lebensgefährtin des Versicherten habe sie erfahren, dass er nur eine Schallplattensammlung hinterlassen habe. Angesichts seiner Krankheit habe sie ihn so wenig wie möglich finanziell in Anspruch nehmen wollen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 29. Juli 2009 hat die Klägerin über ihren bisherigen Vortrag hinaus erklärt, dass der Versicherte gegen die Feststellung seines Verschuldens am Scheitern der Ehe sowie den Übergang des Sorgerechts für die gemeinsame Tochter keine Einwendungen gehabt habe. Er habe den im Scheidungsvergleich vereinbarten Unterhalt geleistet. Sie sei davon ausgegangen, sich nach den 3 ½ Jahren selbst unterhalten zu können. Der Versicherte habe im kaufmännischen Bereich gearbeitet.
Durch Urteil vom 29. Juli 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf große Witwenrente. Ein wirksamer und umfassender Unterhaltsverzicht schließe den Anspruch aus. Er sei auch nicht nach der Rechtsprechung des BSG als "leere Hülse" unschädlich. Ob ein Unterhaltsverzicht den dazu erforderlichen deklaratorischen Charakter gehabt habe, beurteile sich nach den bei seinem Abschluss objektiv erkennbaren Gegebenheiten. Nach Auffassung der Kammer habe damals kein wirtschaftlicher Dauerzustand vorgelegen, der vernünftigerweise darauf habe schließen lassen, dass ein Unterhaltsanspruch auch in Zukunft ausgeschlossen sein werde. Die Leistungsfähigkeit des Versicherten im Zeitpunkt der Scheidung ergebe sich bereits daraus, dass er den Unterhaltsverpflichtungen aus dem Vergleich nach den eigenen Angaben der Klägerin nachgekommen sei. Er habe seit 1947 durchgehend in Beschäftigungsverhältnissen gestanden und im Zeitpunkt der Scheidung monatlich ein Entgelt von annähernd 1.300,- DM erzielt. Damit sei er ohne weiteres in der Lage gewesen, der Klägerin Unterhalt zu leisten. Auch nach der Scheidung sei er ohne Unterbrechung beschäftigt gewesen. Die Klägerin habe dagegen nur vom 6. Dezember 1971 (vorher Kindererziehung) bis zum 30. September 1972 (danach Fachschulausbildung) versicherungsrelevante Entgelte erzielt, im Dezember 1971 in Höhe von ca. 450,- DM. Dass auch die Klägerin von der Leistungsfähigkeit des Versicherten ausgegangen sei, zeige sich daran, dass sie sich Unterhalt für 3 ½ Jahre habe gewähren lassen und dass sie als Grund für den Unterhaltsverzicht angegeben habe, den Versicherten nicht mehr als unbedingt nötig finanziell in Anspruch nehmen zu wollen. Die jetzt von der Klägerin geäußerte Erwartung, der Versicherte werde wegen seines Alkoholkonsums und der mangelnden Fähigkeit, wirtschaften zu können, auf Dauer nicht unterhaltsfähig sein, rechtfertige objektiv nicht anzunehmen, dass der Unterhaltsverzicht deklaratorisch gewesen sei. Der Sonderfall der Konventionalscheidung liege ebenfalls nicht vor. Ein unbeachtlicher Unterhaltsverzicht sei hier nur anzunehmen, wenn aus den vorhandenen Unterlagen des Scheidungsverfahrens hervorginge, dass der Unterhaltsverzicht offensichtlich zu einer dem aktenkundigen Sachstand widersprechenden Entscheidung in der Schuldfrage geführt habe. Hierfür gebe es jedoch keine Anhaltspunkte.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Das Sozialgericht habe die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung unzutreffend gewürdigt. Da die Ehe bei Einreichung der Scheidungsklage im August 1971 keine drei Jahre bestanden habe, habe sie nach dem damals geltenden Recht von vornherein keinen unbeschränkten Unterhalt erwarten können. Der Versicherte sei aber auch nicht leistungsfähig gewesen. Er habe im Scheidungsverfahren das Armenrecht beansprucht und erst seit 1. August 1971 eine unqualifizierte Beschäftigung bei einem Verlag mit einem monatlichen Bruttogehalt von 1.250,- DM aufgenommen. Dies sei bereits die dritte Beschäftigung während der Ehezeit gewesen, da er wegen seiner Trunksucht mehrmals die Arbeitsstelle verloren habe. Der Versicherte habe im Scheidungsverfahren selbst vorgetragen, dass er nach Abzug von Steuern und regelmäßigen Ausgaben nur noch 546,50 DM monatlich zur Verfügung gehabt habe. Er habe sich nur vorübergehend zu Zahlungen von 200,- DM an sie in der Lage gesehen. Dem habe sie entgegengehalten, dass damit der Sozialrichtsatz unterschritten werde. Es sei objektiv klar gewesen, dass der Versicherte den im Vergleich vereinbarten Unterhalt nicht dauerhaft werde zahlen können und dass dieser Vergleich nur vor dem Hintergrund der tatsächlichen Gegebenheiten gesehen werden könne. Der Versicherte habe sich wegen seiner Trunksucht und einer daneben bestehenden Epilepsie ferner oft nicht unter Kontrolle gehabt und sein Geld ohne Rücksicht verschleudert. Deshalb habe er ihr 1969 eine schriftliche Vollmacht erteilt, für ihn Schritte einzuleiten, die zur Heilung vom Alkohol führen. Es liege auch eine Konventionalscheidung vor. Der Versicherte habe die Schuld an der Zerrüttung der Ehe vor Einleitung des Scheidungsverfahrens abgelehnt und sie in der Hauptsache bei der Klägerin gesehen. Zunächst habe er sich nur mit einer Scheidung aus beidseitigem Verschulden mit neutralen Gründen einverstanden erklärt, wenn beide Teile auf Unterhalt und Notbedarf verzichteten. Im Scheidungsprozess habe sich die Klägerin den für sie seinerzeit günstigen Schuldausspruch durch den weitgehenden Verzicht auf Unterhalt erkauft. Zum Beleg ihrer Angaben hat sie Kopien des Anstellungsvertrags des Versicherten mit dem E S Verlag vom 13. Juli 1971, von Schriftsätzen des Rechtsanwalts und Notars Dr. T vom 28. Juli und 7. September 1971, eines Briefes des Versicherten ohne Datum an "Frl. Z" (sie selbst) und einer Erklärung des Versicherten vom 26. Januar 1969 eingereicht. Nach einem Hinweisschreiben des Senats betreffend die Voraussetzungen für einen unschädlichen Unterhaltsverzicht bei sogenannter Konventionalscheidung hat die Klägerin nochmals eine Kopie des Beschlusses des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg vom 10. März 1972 und ein Schreiben des Bezirksamts Kreuzberg von Berlin - Amtsvormundschaft - vom 7. Januar 1985 eingereicht. Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Ausschluss von der Witwenrente sich als mittelbare Diskriminierung darstelle.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juli 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. April 2007 große Witwenrente aus der Versicherung des H T zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
II.
Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Senat hält sie einstimmig für unbegründet. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist geklärt, zur Auslegung der anzuwendenden Rechtsvorschriften liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des BSG vor.
Die Beklagte hat den von der Klägerin geltend gemachten Rentenanspruch zu Recht abgelehnt, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat.
Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine große Witwenrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten. Der Rentenanspruch setzt gemäß § 243 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ([SGB VI]; ebenso § 243 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI für die kleine Witwenrente) unter anderem voraus, dass die geschiedene Ehegattin im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatte; insoweit ist die Vorschrift dem Rechtszustand bis 31. Dezember 1991 identisch (§§ 42 Abs. 1 Satz 1 Angestelltenversicherungsgesetz ([AVG] für die Rentenversicherung der Angestellten, 1265 Abs. 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung [RVO] für die Rentenversicherung der Arbeiter und 65 Abs. 1 Satz 1 Reichsknappschaftsgesetz [RKG] für die knappschaftliche Rentenversicherung). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich keinen Unterhalt vom Versicherten erhalten. Sie hatte darauf aber auch keinen Anspruch, unabhängig davon, ob er ihr nach dem im Zeitpunkt maßgeblichen Scheidungsfolgenrecht des Ehegesetzes (EheG) zugestanden hätte (s. dazu und zum folgenden zusammenfassend BSG, Urteil vom 30. September 1996 - 8 RKn 17/95 m. w. Nachw.). Durch den Vergleich vom 23. November 1971 hatte sie umfassend und wirksam auf Unterhalt nach dem vereinbarten Zeitraum verzichtet. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Verzicht nach § 72 Satz 3 EheG wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig gewesen sein könnte. Im Besonderen hat er sich nicht zulasten eines Trägers bedürftigkeitsabhängiger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgewirkt.
Große Witwenrente nach § 243 Abs. 3 SGB VI kann die Klägerin schließlich ebenfalls nicht beanspruchen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes setzte dies unter anderem voraus, dass die geschiedene Ehegattin einen Unterhaltsanspruch nach § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatte (§ 243 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VI; bis 31. Dezember 1991 gleichartig §§ 42 Abs. 1 Satz.2 Nr. 1 AVG, 1265 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVO, 65 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RKG). Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, weil der Unterhaltsverzicht und nicht die im Gesetz genannten Umstände dafür ursächlich waren, dass sie keinen Unterhaltsanspruch hatte (s. hierzu und zum folgenden erneut BSG a.a.O.).
Ausnahmsweise ist der Unterhaltsverzicht aus Billigkeitsgründen dann unschädlich für den Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI, wenn er wegen der in § 243 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VI genannten wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten nur deklaratorischen Charakter hatte, sich also als "leere Hülse" darstellte. Das Sozialgericht hat umfassend und zutreffend ausgeführt, aus welchen Gründen sich der Unterhaltsverzicht objektiv nicht als "leere Hülse" darstellte. Um Wiederholungen zu vermeiden, nimmt der Senat auf die Ausführungen des Sozialgerichts auf den Seiten 7 (ab dem zweiten vollständigen Satz) bis 8 (bis zum Ende des zweiten vollständigen Satzes) Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden (§ 153 Abs. 2 SGG).
Mit der Berufung hat sie nichts vorgetragen, was zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnte. Hervorzuheben bleibt, dass der Versicherte trotz der von der Klägerin geschilderten Krankheiten und Verhaltensweisen seit 1947 durchgehend in der Lage war, Einkünfte aus Beschäftigungen zu erzielen. Außerdem hatte sich der Versicherte durch den Vergleich neben wesentlichen finanziellen Leistungen ihr gegenüber zur alleinigen Rückzahlung des Einrichtungs- und des Ehegründungsdarlehens verpflichtet. Vor diesem Hintergrund war jedenfalls im Zeitpunkt der Scheidung noch nicht objektiv die Folgerung gerechtfertigt, dass sich künftig keine Unterhaltsansprüche mehr würden realisieren lassen. Die subjektiven Überlegungen der früheren Ehepartner haben keine Bedeutung. Das von der Klägerin zum Beleg des Gegenteils herangezogene Urteil des BSG vom 15. November 1979 - 11 RA 99/78, SozR 2200 § 1291 Nr. 19 ist nicht einschlägig, da es zur sogenannten "Wiederauflebensrente" nach dem ersten Ehegatten ergangen ist und nicht die Entstehung des Rentenanspruchs betrifft. Die - ständige - Rechtsprechung zur "leeren Hülse" ist unabhängig von und zeitlich nach dieser Entscheidung entwickelt und von allen Rentensenaten des BSG getragen worden. Es bestehen - wie im Verfahren bereits mitgeteilt worden ist - auch keine Bedenken, sie unter der Geltung des SGB VI weiter anzuwenden. Die hier streitige Voraussetzung für den Rentenanspruch hat sich im Vergleich zum Rechtszustand bis 31. Dezember 1991 nicht geändert.
Die Scheidung der Klägerin und des Versicherten stellt sich auch nicht als "Konventionalscheidung" dar, sodass der Unterhaltsverzicht auch von daher nicht unbeachtlich ist (s. BSG, Urteil vom 8. September 1993 - 5 RJ 8/93). Den Beteiligten war - im Anschluss an die auch insoweit zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts - bereits mitgeteilt worden, dass eine Manipulation des Scheidungsurteils durch abgestimmtes Parteiverhalten im sozialgerichtlichen Verfahren nur anhand von Unterlagen geprüft werden kann, die ohne weitere Ermittlungen aus den Unterlagen des Scheidungsverfahrens eindeutig ablesbar sind (s. BSG, Urteil vom 16. Juni 1994 - 13 RJ 23/93). Die Klägerin hat keine Unterlagen aus dem Scheidungsverfahren selbst vorlegen können, aus denen sich eine derartige Manipulation ergäbe. Im Besonderen ist weder aus dem Terminsprotokoll vom 23. November 1971 noch aus dem Scheidungsurteil gleichen Datums ersichtlich, welcher Vortrag vonseiten der Klägerin nicht aufrecht erhalten worden ist und warum nicht. Angesichts dessen erschließt sich auch nicht, welche Anträge der Versicherte in der Folge nicht mehr aufrechterhalten hat.
Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass die Klägerin keine Rente aus der Versicherung ihres früheren Ehegatten herleiten kann, bestehen nicht. Der Zweck der Renten gemäß § 243 Abs. 1 und 2 SGB VI ist der Unterhaltsersatz. Deshalb ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, den Anspruch davon abhängig zu machen, dass durch den Tod des Versicherten ein Unterhaltsanspruch oder tatsächlich geleisteter Unterhalt entgangen ist (s. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 21. Mai 2007 – 1 BvR 1649/01, SozR 4-2600 § 243 Nr. 3, vom 20. April 1993 – 1 BvR 435/93, SozR 3-2200 § 1265 Nr. 10 und vom 10. März 1989 – 1 BvR 1539/88, SozR 2200 § 1265 Nr. 95). Der Rentenanspruch gemäß § 243 Abs. 3 SGB VI hat dagegen keine Unterhaltsersatzfunktion, sondern beruht allein auf sozialen Erwägungen (BVerfG, Beschluss vom 20. April 1993 a.a.O.). "Unbillig" kann die Versagung einer solchen Rente nur vor dem Hintergrund sein, dass Ehegatten, die nach den im Zeitpunkt der Scheidung bestehenden Umständen im Ergebnis auf "nichts" verzichtet haben (weil zum damaligen Zeitpunkt ein Unterhaltsanspruch bis zum Tod des oder der Versicherten mangels Leistungsfähigkeit des potenziellen Unterhaltsschuldners nicht zu erwarten war), nach dem Gesetzeswortlaut schlechter stünden als diejenigen, die einen so motivierten Verzicht nicht erklärt haben, aber (trotzdem) aus rechnerischen Gründen keinen Anspruch auf Unterhalt hatten. Dem hat das BSG mit seiner Rechtsprechung zur "leeren Hülse" bereits Rechnung getragen. War der Unterhaltsverzicht aber nicht nur deklaratorisch, erklärt sich der Verlust des Rentenanspruchs durch die einmal abgegebene rechtliche Erklärung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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