L 21 R 1122/09 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 13 R 500/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 R 1122/09 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 29. September 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die ablehnende Prozesskostenhilfeentscheidung des Sozialgerichts Cottbus für ein Klageverfahren, in dem er die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Mai 2008 hinaus begehrt.

Der 1966 geborene Kläger erkrankte im April 2003 an einem Mundboden-Karzinom, wurde anschließend operiert mit beiderseitiger Neck-dissection und Tracheotomie und erhielt danach Bestrahlung und Chemotherapie. Nach Entfernung der Trachealkanüle gewährte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der Zeit vom 25. Mai bis 8. Juni 2004 im Reha-Zentrum L. Dem Entlassungsbericht vom 17. Juni 2004 zufolge bestehe unter der Voraussetzung der Rezidiv- und Metastasenfreiheit voraussichtlich ab sechs bis neun Monaten nach Beendigung der Primärtherapie ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden.

Im Rentenverfahren holte die Beklagte mehrere medizinische Sachverständigengutachten der HNO-Fachärztin Dr. med. S Z ein. In ihrem ersten Gutachten vom 26. August 2004 führte die Sachverständige aus, nach den vorliegenden Befunden sei nicht einmal sicher, ob der Kläger rezidivfrei bleibe, was bei der bekannten Rezidivfreudigkeit dieser Tumore ohnehin fraglich sei. Über eine Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess sollte frühestens in einem Jahr nachgedacht werden.

In einem weiteren Gutachten vom 6. Mai 2005 führte die HNO-Fachärztin aus, ein lokales Rezidiv sei zwar weder sicht- noch tastbar, sei aber auch nicht auszuschließen. Bei Rezidivfreiheit solle der Kläger eventuell stufenweise in einen Arbeitsprozess eingegliedert werden. Er könne Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nur drei bis unter sechs Stunden innerhalb der nächsten zwei Jahre ausüben.

In einem weiteren Gutachten vom 10. Mai 2007 führte die gleiche Sachverständige aus, der Allgemeinzustand des Klägers habe sich deutlich verbessert. Zuletzt sei im Februar 2007 Rezidivfreiheit festgestellt worden. Sein Gewicht sei stabil, er könne jedoch nur mit Anstrengung sprechen und müsse beim Essen ständig trinken, schlucken sei noch schwierig. Essen und sprechen habe sich nach der Zahnsanierung und der anhaltenden logopädischen Behandlung weiter verbessert. Eine volle Eingliederung ins Berufsleben sei im Augenblick sicher noch nicht möglich.

Die Beklagte gewährte dem Kläger aufgrund der eingeholten Gutachten befristete Renten wegen voller Erwerbsminderung in der Zeit vom 1. April 2004 bis 31. Mai 2008.

Aufgrund des streitgegenständlichen Weitergewährungsantrages auf Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Mai 2008 hinaus holte die Beklagte das Sachverständigengutachten der Frau Dr. med. Z vom 3. April 2008 ein. Danach sei der Kläger fünf Jahre nach seiner Krebserkrankung rezidivfrei. Sein Gewicht sei stabil, beim Sprechen habe er nur wenige Probleme, beim Essen müsse er weiterhin wegen der Mundtrockenheit trinken. Er sei in der Lage, körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich auszuüben und sollte schnellstmöglich wieder ins Berufsleben eingegliedert werden. Ein Einsatz in seinem alten Beruf sei jedoch nur ohne Baustellentätigkeit möglich.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Weitergewährungsantrag mit Bescheid vom 17. April 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2008 ab, da der Kläger wieder in der Lage sei, Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Cottbus hat der Kläger vorgetragen, er habe beim Essen und Schlucken große Schwierigkeiten, die Aussprache sei undeutlich, die teilamputierte Zunge sei nicht voll beweglich, er leide unter starker Mundtrockenheit. Durch die Strahlungstherapie seien die gesamten Zähne nach und nach verloren gegangen. Der Zahnersatz gestalte sich äußerst schwierig und die Prothese finde auf Grund der Teilamputation des Unterkiefers keinen Halt. Er könne keine normale Nahrung aufnehmen und sei darauf angewiesen, die Nahrung in flüssiger Form oder in Breiform zu sich zu nehmen. Hierfür benötige er viel Zeit. Die bestehenden Sprachschwierigkeiten seien auf Grund der nur noch zum Teil vorhandenen Zunge und der Narben im Mundbereich nicht mehr verbesserungsfähig, was allein schon zur dauerhaften vollen Erwerbsunfähigkeit führe. Er könne keine leichten körperlichen Tätigkeiten mehr ausüben. Auf Grund der ärztlich attestierten erheblichen Anstrengungen beim Sprechen sei es ihm zudem nicht möglich die Tätigkeit eines Pförtners quantitativ in dem entsprechenden Zeitrahmen auszuüben. Warum seine eigenen behandelnden Ärzte ihn für leistungsfähig hielten, erschließe sich ihm nicht. Er beantrage die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens.

Das Sozialgericht hat - unter Übersendung des Verwaltungsgutachtens der Frau Dr. med. Z vom 3. April 2008 - Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt und zwar von dem • Zahnarzt M K vom 14. November 2008, • Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Y S Y vom 17. November 2008 und • Hals-Nasen-Ohren-Arzt A R vom 15. Juli 2009.

Alle drei behandelnden Ärzte bestätigten die Befunde und die Beurteilung der Leistungsfähigkeit durch die Verwaltungsgutachterin Frau Dr. med. Z im Gutachten vom 3. April 2008. Alle drei Ärzte hielten den Kläger auch für in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen oder überwiegend im Sitzen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

Mit Beschluss vom 29. September 2009 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 25. September 2009 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, aus dem Gutachten der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten Dr. Z vom 03. April 2008 sowie den Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte ergebe sich unzweifelhaft, dass der Kläger z. B. als Versandfertigmacher im Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich tätig sein könne. Soweit der Kläger auf weiterhin bestehende Kauprobleme sowie Schwierigkeiten beim Essen und Sprechen hinweise - selbst jedoch auch vorgetragen habe, dass die Sprache verständlich, lediglich anstrengend sei -, führe dies nicht zu einem auch nur teilweise aufgehobenen Leistungsvermögen.

Mit entsprechender Begründung hat das Sozialgericht mit Urteil vom 1. Oktober 2009 die Klage abgewiesen.

Gegen den die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts hat der Kläger am 28. Oktober 2009 Beschwerde, gegen das Urteil des Sozialgerichts am 17. November 2009 Berufung erhoben. Zur Begründung führt er jeweils aus, eine Besserung des Gesundheitszustandes sei nicht eingetreten. Das Sozialgericht hätte den Sachverhalt entweder durch Anhörung der Verwaltungsgutachterin oder durch Einholung eines Sachverständigengutachtens weiter aufklären müssen. Er sei auch nicht in der Lage, die Tätigkeit eines Versandfertigmachers auszuüben.

Er beantragt, ihm für die 1. Instanz ab Antragstellung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Rechtsanwältin zu gewähren.

Im mittlerweile anhängigen Berufungsverfahren hat der Senat einen Befundbericht des behandelnden Hausarztes Dr. Y S Y vom 1. November 2010 eingeholt, wonach keine Änderung bei den erhobenen Befunden eingetreten und keine neuen Leiden hinzugekommen seien.

Der Senat hat noch das Sachverständigengutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin und Diplom-Psychologen T B vom 4. April 2011 veranlasst, wonach bei dem Kläger von der Altersgruppe abweichende Gesundheitsstörungen als Folge der Mundbodenerkrankung bestünden. Die Folgen seien jedoch in Bezug auf die berufliche Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit vergleichsweise geringgradig. Der Gesundheitszustand des Klägers unterscheide sich insofern nicht wesentlich von dem Gesundheitszustand der Altersgruppe. Auch die Prognose der Krebserkrankung sei gut, sofern der Kläger in der Lage sei, sich von den Risikofaktoren Alkohol und Nikotin freizumachen. Er sei in der Lage, mittelschwere Arbeiten vollschichtig auszuüben. Auch die Tätigkeit als Versandfertigmacher sei zumutbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen ist.

II.

Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 29. September 2009 ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.

Der Anspruch auf PKH setzt nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) u. a. voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das Klageverfahren hatte jedoch weder zum Zeitpunkt des Antrages auf PKH (25. September 2009) noch zum Zeitpunkt der Entscheidung hierüber (29. September 2009) durch das Sozialgericht und auch nicht im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass der Senat auch offen lassen kann, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO ist dann zu bejahen, wenn eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit besteht. Die bloße Möglichkeit eines Erfolges reicht nicht aus, es muss vielmehr eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit bestehen, die Anforderungen daran dürfen jedoch nicht überspannt werden. Eine hinreichende Erfolgsaussicht wird in der Regel dann angenommen, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt. Diese Auffassung ist jedoch nicht so zu verstehen, dass mit jedem formell ordnungsgemäßen und prozessual nicht zu übergehenden Beweisantrag die Gewährung von PKH erzwungen werden kann. Selbst wenn in eine Beweisaufnahme eingetreten wird, muss dies nicht bedeuten, das Gericht sei davon überzeugt, dass sich die zu beweisende Tatsache mit hinreichender Erfolgsaussicht werde feststellen lassen. Beweisbedürftigkeit und Erfolgsaussicht haben wenig miteinander zu tun. Bereits der Umstand, dass das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch zu machen hat, macht deutlich, dass nicht in jedem Falle aus einer beabsichtigten Beweiserhebung eine hinreichende Erfolgsaussicht abgeleitet werden kann. Eine beabsichtigte Beweisaufnahme kann die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht rechtfertigen, muss dies jedoch nicht in jedem Falle (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. Mai 1996 L 3 U 60/86 , Breithaupt 1987, S. 607, 608 f.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann zu keinem Zeitpunkt ab PKH-Antragstellung (25. September 2009) eine hinreichende Aussicht auf Erfolg des Klageverfahrens festgestellt werden.

Übereinstimmend haben Verwaltungsgutachterin und die den Kläger behandelnden Ärzte ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen beim Kläger festgestellt. Alle befragten behandelnden Ärzte haben sich ausdrücklich der Einschätzung der Verwaltungsgutachterin hinsichtlich der Befunde und des Leistungsvermögens angeschlossen. Sie hat in ihren Gutachten vor 2007 nachvollziehbar das eingeschränkte Leistungsvermögen im Wesentlichen auf die Gefahr eines Rezidiv gestützt, aber schon 2007 eine Besserung des Gesundheitszustandes feststellen können. Überzeugend ist sie dann im Jahre 2008 bei einer 5jährigen Rezidivfreiheit zu einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen gekommen. Mit dem von der Verwaltungsgutachterin festgestellten qualitativen und quantitativen Leistungsvermögen ist es dem Kläger wieder möglich, Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, so z.B. die Tätigkeit als Versandfertigmacher, mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.

Anhaltspunkte für ein tatsächlich hiervon abweichendes Leistungsvermögen sind nach den im Verwaltungsverfahren und im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten ärztlichen Befunden und Gutachten nicht erkennbar. Medizinische Befunde, die eine abweichende Leistungsbeurteilung rechtfertigen könnten, werden vom Kläger weder im Klageverfahren noch im mittlerweile anhängigen Berufungsverfahren mitgeteilt.

Auch soweit der Senat im Berufungsverfahren ein medizinisches Sachverständigengutachten einholte, folgt daraus nicht, dass dem Klage- bzw. Berufungsverfahren eine gewisse Erfolgsaussicht zugesprochen werden konnte. Vielmehr erfolgte die Einholung lediglich zur Ausräumung bzw. Abklärung eines eventuell vorhanden letzten Zweifels an einer ausreichenden Leistungsfähigkeit. So bestätigte der Sachverständige B dann auch, was bereits vorher aktenkundig war: Die Grunderkrankung ist ausgeheilt. Beim Kläger ist als Folge der Erkrankung und Behandlung eine eingeschränkte Beweglichkeit des Kopfes sowie der Zunge verblieben und er leidet noch an Sprachstörung, Schluckbeschwerden, trockenem Mund und morgendlichem Würgereiz. Die Funktionseinschränkung ist in Bezug auf die berufliche Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit jedoch nur gering- bis mittelgradig ist. Ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes liegt vor.Vor diesem Hintergrund durfte das Sozialgericht zu Recht auch im Zeitpunkt der PKH-Antragstellung von Entscheidungsreife ausgehen und den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und aus § 127 Abs. 4 Zivilprozessordnung - ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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