L 7 R 2290/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 115/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 2290/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. April 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 9. März 2007 über die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2007 aufgehoben.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung seiner Versicherungspflicht als selbständig Tätiger in der gesetzlichen Rentenversicherung und die hiermit verbundene Beitragsfestsetzung für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis 30. Juni 2005.

Der 1969 geborene Kläger hat den Beruf eines Lackierers erlernt und verfügt seit Februar 1996 über den Meistertitel dieses Handwerks. Der Bruder des Klägers, GS, ist Inhaber des als Einzelunternehmung geführten Karosseriebaubetriebes S ... Dessen Eintragung in die Handwerksrolle erfolgte am 16. Januar 1996. Die Betriebsstätte ist von einem Dritten angemietet. In der Zeit vom 1. Mai 2000 bis 14. September 2006 führte der Kläger im Karosseriebaubetrieb anfallende Lackierarbeiten aus, insbesondere die Vorbereitungsarbeiten wie Spachteln, Füllen, Grundieren. Das eigentliche Lackieren wurde extern durchgeführt, da im Betrieb keine "Lackierbox" vorhanden war. Der Kläger war nicht in die Handwerksrolle eingetragen. Vor dem 1. Mai 2000 und nach dem 14. September 2006 wurden die Lackierarbeiten vollständig durch eine Fremdfirma durchgeführt. Die Kalkulation des Materialbedarfs für die vom Kläger durchgeführten Arbeiten lag bei ihm; die Anschaffung und Finanzierung erfolgte durch den Karosseriebaubetrieb. Nach einer nicht schriftlich festgehaltenen Abrede zwischen dem Kläger und GS erhielt der Kläger für diese Arbeiten ein festes monatliches Entgelt i.H.v. EUR 2.300.- brutto. Daneben sollte je nach Ertragslage eine Tantieme gezahlt werden. Die Tätigkeit wurde zunächst als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angemeldet und als solche durchgeführt; Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer wurden abgeführt, das Entgelt als Betriebsausgabe des Karosseriebaubetriebes gebucht und auf ein privates Konto des Klägers überwiesen. Ab Mitte 2005 wurde das Entgelt wegen Liquiditätsengpässen des GS nicht regelmäßig vollständig gezahlt.

Mit einem am 24. Mai 2005 vom Kläger und GS gemeinsam unterschriebenen Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Verwandten beantragten sie bei der CB als zuständiger Einzugsstelle die Feststellung der Versicherungsfreiheit des Klägers. Darin wurde angegeben, diesem obliege die Leitung der Lackiererei ("selbständig"). Er sei nicht wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert und nicht Weisungen des Betriebsinhabers unterworfen. Vielmehr wirke er aufgrund besonderer Fachkenntnis an der Führung des Betriebes mit. Die Mitarbeit sei aufgrund familienhafter Rücksichtnahmen durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander geprägt. Der Kläger arbeite gegen ein monatliches Bruttoentgelt i.H.v. EUR 2.300.- in einer Sechstagewoche 55 Stunden. Daher entspreche das Entgelt nicht dem tariflichen oder ortsüblichen Lohn. Je nach Ertragslage erhalte er eine Tantieme.

Mit Bescheid vom 15. Juli 2005 stellte die CB fest, der Kläger stehe "in der Beschäftigung bei dem Unternehmen Karosseriebau S. seit dem 01.05.2000 nicht in einem abhängigen und somit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis". Eine Vielzahl von Merkmalen spräche gegen eine abhängige Beschäftigung i.S.d. Sozialversicherung. Ausschlaggebend sei unter anderem, dass der Kläger nicht wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb seines Bruders eingegliedert und nicht an Weisungen des Arbeitgebers gebunden sei.

Nachdem dieser Bescheid wegen der geltend gemachten Beitragserstattung auch der Beklagten bekannt gegeben worden war, widersprach diese der Beurteilung der Einzugsstelle und erhob am 23. August 2006 Anfechtungsklage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Im diesem Verfahren (S 9 KR 4086/06) gaben der Kläger und GS in einem gemeinsamen Schreiben an, ohne die Tätigkeit des Klägers hätte GS neben den Karosserie- keine Lackierarbeiten anbieten können, da nur dieser über die nötigen Fachkenntnisse verfügt habe. Er sei daher weisungsfrei gewesen, insbesondere habe er seine Arbeit zeitlich ohne Bindung an Öffnungszeiten frei einteilen und die Auswahl von Lack- und Zubehörlieferanten, Warenbestellungen und die Kalkulation im Betrieb oder zu Hause vornehmen können. In der dortigen mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2006 bestätigten der Kläger und GS diese Angaben. Ergänzend gab GS an, der Kläger habe in Urlaubszeiten den Betrieb selbständig geführt, Aufträge angenommen und abgewickelt. Wegen der Einzelheiten der Aussagen wird auf die Niederschrift vom 19. Dezember 2006 (Bl. 38/42 der Akte S 9 KR 4086/06) Bezug genommen. Die Beklagte nahm in der mündlichen Verhandlung die Klage zurück.

Mit einem Bescheid vom 22. Februar 2007 stellte die Beklagte fest, dass die Versicherungspflicht des Klägers als Selbständiger nach § 2 Satz 1 Nr. 9 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit Ablauf des 30. Juni 2005 wegen der Aufgabe der Tätigkeit ende.

Mit einem am 22. Februar 2007 erstellten, auf den 9. März 2007 datierten Bescheid stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI für die Zeit "ab" dem 1. Januar 2004 fest. Gleichzeitig setzte sie Beiträge für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 30. Juni 2005 auf monatlich EUR 462,49 fest (insgesamt EUR 8.324,82). "Abzüglich zu verrechnender Pflichtbeiträge" i.H.v. EUR 4.162,47 verbleibe eine Beitragsforderung i.H.v. EUR 4.162,35. Durch weiteren Bescheid vom 9. März 2007 lehnte die Beklagte die Erstattung der für den Zeitraum vom 1. Mai 2000 bis 31. Dezember 2003 zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge (Arbeitnehmeranteile) ab und beanstandete die im Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2005 abgeführten. Den Widerspruch hiergegen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2007 zurück. Das dagegen gerichtete Klageverfahren (S 12 R 116/08) ruht derzeit.

Zur Begründung des gegen den Feststellungsbescheid vom 9. März 2007 eingelegten Widerspruches führte der Kläger aus, bei seiner Tätigkeit habe es sich lediglich um eine Mithilfe im Betrieb des Bruders gehandelt, die wegen ihrer familienhaften Prägung nicht als abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit anzusehen sei. Mit am 3. Dezember 2007 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid vom 28. November 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei einem Beschäftigungsverhältnis zwischen Familienangehörigen sei zu prüfen, ob der Familienangehörige Arbeitnehmer oder Mitunternehmer sei oder ob eine Tätigkeit lediglich eine familienhafte Mithilfe darstelle. Letzteres scheide aus, weil der Kläger ein Entgelt erhalten habe, das einen angemessenen Gegenwert für die geleistete Arbeit darstelle, also über einen freien Unterhalt, Taschengeld oder eine Anerkennung für Gefälligkeiten hinausgehe. Mit Bescheid der CB sei bestandskräftig festgestellt, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht bestanden habe. Der Kläger habe keinen Arbeitnehmer beschäftigt und seine Aufträge im wesentlichen nur über die Fa. Karosseriebau S. abgewickelt. Der Tatbestand des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sei daher erfüllt. Die Berechnung der Beiträge beruhe mangels eigener Angaben des Klägers zu seinem Einkommen auf den als Arbeitsentgelt gemeldeten Beträgen, die als Gewinn angesehen worden seien.

Am 4. Januar 2008 hat der Kläger hiergegen Klage beim SG erhoben, zu deren Begründung er ausgeführt hat, durch den mittlerweile bestandskräftigen Bescheid der Einzugsstelle vom 15. Juli 2005 habe diese festgestellt, dass der Kläger ab dem 1. Mai 2000 als mithelfender Familienangehöriger im Unternehmen seines Bruders, also nicht selbständig tätig geworden sei. Jedenfalls lasse sich nur so der Inhalt des Bescheides verstehen. Die Beklagte habe auch nicht vorgetragen, wie seine angeblich selbständige Tätigkeit ausgestaltet gewesen sei. Die Weisungsfreiheit des Klägers stelle nur ein Indiz für eine selbständige Tätigkeit dar; dieser habe jedoch keinerlei unternehmerisches Risiko getragen. Wenn auch das vereinbarte Entgelt ein Taschengeld oder eine Anerkennung für Gefälligkeiten übersteigen sollte, hätte der Kläger jedoch bei einem anderen Unternehmen deutlich mehr verdient. Zu diesem Entgelt wäre kein fremder Arbeitnehmer für GS tätig geworden, zumal nicht in dem zeitlichen Umfang wie der Kläger. Die Beklagte war dem unter Verweis auf die Gründe des Widerspruchsbescheides entgegengetreten und hat ergänzend ausgeführt, der Kläger habe nach dem bestandskräftigen Bescheid der Einzugsstelle eine selbständige Tätigkeit ausgeübt. Die Bezüge des Klägers hätten eindeutig Entgeltfunktion gehabt, so dass eine familienhafte Mithilfe ausscheide. Der Kläger habe auch keine fremde Arbeitskraft ersetzt, sondern einen externen Lackierer. Neben der selbst vorgetragenen Weisungsfreiheit habe der Kläger auch ein Unternehmerrisiko getragen, da er sein Entgelt aufgrund der Liquiditätsengpässe des Karosseriebauunternehmens nicht regelmäßig ausgezahlt bekommen habe und damit direkt am Unternehmensverlust beteiligt worden sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 6. April 2010 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Da aufgrund des bestandskräftigen Bescheides der Einzugsstelle ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht vorgelegen habe, komme nur eine selbständige Tätigkeit oder eine familienhafte Mithilfe in Betracht. Wegen der Möglichkeit, die Tätigkeit im Wesentlichen frei zu gestalten und die Arbeitszeit frei zu bestimmen, sowie des ein Taschengeld weit übersteigenden Entgelts überwögen die Merkmale einer selbständigen Tätigkeit. Die Tätigkeit des Klägers in Form der Lackierarbeiten sei für das Karosseriebauunternehmen des GS auch von wesentlicher Bedeutung, da sie später wieder extern vergeben werden mussten.

Gegen den seiner Bevollmächtigten am 13. April 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. Mai 2010 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Zu deren Begründung hat er über sein bisheriges Vorbringen hinaus vorgetragen, wesentliche Motivation für die Mitarbeit sei gewesen, an der Verbesserung der Situation im Betrieb seines Bruders mitzuhelfen. Durch seine Vorarbeiten hätten sich die Ergebnisse der Lackierarbeiten verbessert, bei denen es zuvor viele Reklamationen gegeben hätte. Er habe zwar seinen Fachbereich - vorbereitende Lackierarbeiten - aufgrund seiner alleinigen Fachkunde selbst bestimmen können, sei aber insoweit den Weisungen seines Bruders unterworfen gewesen, als dieser bestimmt habe, welche Aufträge angenommen und ausgeführt werden. An die Terminvorgaben in diesem Rahmen habe sich auch er halten müssen. Schließlich sei die Entscheidung durch Gerichtsbescheid ermessensfehlerhaft. Die im Verfahren aus dem Verfahren S 9 KR 4086/06 erfolgten Sachverhaltsermittlungen reichten für die Beurteilung, ob eine selbständige Tätigkeit oder eine familienhafte Mithilfe vorliege, nicht aus. Das SG habe in seiner Anhörungsmitteilung zum Gerichtsbescheid auch nicht erkennen lassen, in welcher Richtung es entscheiden werde. Er als potentiell Unterliegender habe daher keine Möglichkeit mehr gehabt, sich schriftlich zu Punkten zu äußern, wie dies in einer mündlichen Verhandlung möglich gewesen wäre. Er rüge daher auch die Verletzung rechtlichen Gehörs.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. April 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 9. März 2007 über die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist auf die Begründung des Widerspruchsbescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, der Verfahrensakten des Senats und des SG in den Verfahren S 12 R 115/08 und S 9 KR 4086/06 sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers wurde gem. § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und auch fristgerecht eingelegt. Die am 14. Mai 2010 beim LSG per Fax eingegangene Berufung gegen das am 13. April 2010 zugestellte Urteil des SG hat die einmonatige Berufungsfrist gewahrt, da der 13. Mai 2010 auf einen gesetzlichen Feiertag (Christi Himmelfahrt) fiel. Sie ist auch im Übrigen zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben (§ 87 Abs. 1 und 2 SGG). Der Widerspruchsbescheid vom 28. November 2007 wurde am 3. Dezember 2007 mit einfachem Brief zur Post gegeben und gilt daher nach § 37 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch als am 6. Dezember 2007 bekanntgegeben. Die am 4. Januar 2008 eingegangene Klage hat mithin die einmonatige Klagefrist gewahrt. Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 9. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2007 zu Unrecht zurückgewiesen. Diese sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist nur der Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2005. Die Beklagte hatte bereits mit Bescheid vom 22. Februar 2007 festgestellt, dass eine Versicherungspflicht ab dem 1. Juli 2005 nicht bestehe. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Feststellung im Bescheid vom 9. März 2007 "ab dem 01.01.2004" ohne Enddatum. Denn dieser Bescheid lässt an keiner Stelle erkennen, dass in den Verfügungssatz vom 22. Februar 2007 eingegriffen werden sollte. Vielmehr werden darin - entsprechend der früheren Regelung - Beiträge nur bis zum 30. Juni 2005 festgesetzt. Der Kläger war in diesem Zeitraum nicht als selbständig Tätiger in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Eine Versicherungspflicht als Handwerker i.S.d. § 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI scheidet bereits mangels Eintragung des Klägers in die Handwerksrolle aus.

Nach dem danach allein in Betracht kommenden § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4621) sind versicherungspflichtig selbständig tätige Personen, die (a) im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400 Euro im Monat übersteigt, und (b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind.

Das Tatbestandsmerkmal der selbständigen Tätigkeit des Klägers steht nicht bereits aufgrund des Bescheides der CB vom 15. Juli 2005 für die Beteiligten und den Senat bindend fest. Zwar handelt es sich bei dieser Entscheidung um einen feststellenden Verwaltungsakt, der auch gegenüber dem beklagten Rentenversicherungsträger verbindlich ist, zumal eine Bekanntgabe an diesen erfolgt ist (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2400 § 28h Nr. 9). Nach Rücknahme der gegen den Bescheid gerichteten Anfechtungsklage durch die Beklagte im sozialgerichtlichen Verfahren S 9 KR 4086/06 ist der Verwaltungsakt bestandskräftig und damit gem. § 77 SGG in der Sache bindend geworden. Diese Bindungswirkung erstreckt sich jedoch nur auf die getroffene Regelung, also den Verfügungssatz des Verwaltungsaktes, nicht auf die tragenden Gründe (BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 - B 11 AL 53/99 R- (juris) m.w.N.). Entscheidend ist, welche Regelung inhaltlich getroffen werden soll. Für die Regelung als erfüllt angesehene Tatbestandsmerkmale sind nicht losgelöst von dieser Regelung auch für andere Ansprüche oder Rechtsverhältnisse bindend festgestellt (Hk-SGG, 3. Aufl., § 77 Rdnr. 6).

Der Verfügungssatz des genannten Bescheides trifft die Feststellung, dass der Kläger "in der Beschäftigung bei dem Unternehmen Karosseriebau S. seit dem 01.05.2000 nicht in einem abhängigen und somit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht." Wie bereits die Verknüpfung "und somit" zeigt, beschränkt sich die eigentliche Regelung auf die Feststellung der nicht bestehenden Versicherungspflicht als Beschäftigter ("sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis"), während das Nichtbestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nur den Grund für diese Regelung angibt. Zur bloßen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines "abhängigen Beschäftigungsverhältnisses" wäre die CB auch nicht befugt gewesen. Rechtsgrundlage für den Feststellungsbescheid war § 28h Abs. 2 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Danach entscheidet die Einzugsstelle - die Krankenkasse - über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (i.S.d. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sowie der §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften, 20 des Elften und 25 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch). Diese Befugnis steht ihr zwar nur im Rahmen der Beschäftigtenversicherung zu, so dass zwangsläufig immer zunächst das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses zu prüfen ist. Dies stellt jedoch nur eines von mehreren Tatbestandsmerkmalen dar, wenn auch bei Verneinung eine weitere Prüfung entbehrlich wird. Die Einzugsstelle ist aber gleichwohl durch diese gesetzliche Regelung nur zur Feststellung der Sozialversicherungspflicht Beschäftigter ermächtigt, nicht aber des Vorliegens einer Beschäftigung (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2009 - B 12 R 6/08 R - (juris) m.w.N.). Eine Feststellung des Elementes "Beschäftigungsverhältnis" ist daher nicht zulässig. Der Wortlaut des Bescheides vom 15. Juli 2005 zwingt nicht zur Annahme, dass die Einzugsstelle eine solche rechtswidrige (dann allerdings dennoch bindende) Regelung getroffen hat. Wie bereits dargestellt, lässt der vorangestellte "Verfügungssatz" erkennen, dass die Annahme, ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis liege nicht vor, nur der Begründung des im nachfolgenden Teil des Verfügungssatzes getroffenen Regelung dient. Dafür spricht auch der ansonsten in sich widersprüchliche Wortlaut, wonach die "Beschäftigung" im Unternehmen kein "abhängiges Beschäftigungsverhältnis" sei. Aufgrund der bindenden Feststellung der Einzugsstelle steht mithin zwischen den Beteiligten lediglich fest, dass der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit als Lackierer im Zusammenhang mit dem Karosseriebaubetrieb nicht der Beschäftigtenversicherung unterliegt. Eine Feststellung der Selbständigkeit der Tätigkeit ist weder positiv noch negativ erfolgt.

Selbst wenn man davon ausginge, eine bindende Feststellung läge auch insoweit vor, dass diese Tätigkeit kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstelle, wäre damit noch nicht zwingend eine Selbständigkeit bzw. deren Inhalt festgeschrieben. Dem abhängigen Beschäftigungsverhältnis i.S.d. der Beschäftigtenversicherung steht nicht als einziger Gegenpol die Selbständigkeit einer Tätigkeit entgegen. Vielmehr ist, wie der Kläger zu Recht einwendet, auch eine - versicherungsfreie - familienhafte Mithilfe denkbar. Des Weiteren ist selbst bei Feststellung einer Selbständigkeit nicht geklärt, welcher Art diese sein soll. In Betracht kommt hier nicht nur die von der Beklagten angenommene allein ausgeübte selbständige Tätigkeit als Lackierer, sondern auch eine Mitunternehmerstellung des Klägers im Karosseriebaubetrieb. Eine verbindliche Feststellung zu diesen Tatbeständen ist im Bescheid der Einzugsstelle in keiner Weise getroffen worden. Der Senat hat daher das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit eigenständig zu prüfen. Dabei genügt es nicht, wie in einem Ausschlussverfahren das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses und einer familienhaften Mithilfe zu verneinen und ohne weiteres eine Selbständigkeit zugrundezulegen. Vielmehr muss eine selbständige Tätigkeit positiv aufgrund der Prüfung der für eine solche charakteristischen Merkmale festgestellt werden können.

Für diese Beurteilung ist im vorliegenden Fall die genaue Umschreibung der zu bewertenden Tätigkeit maßgeblich. Die Beklagte geht davon aus, dass der Kläger eine selbständige Tätigkeit als Lackierer ausgeübt habe, die wirtschaftlich nicht innerhalb des Karosseriebaubetriebes erfolgte, sondern zu diesem im Verhältnis Auftraggeber und Auftragnehmer gestanden habe. Allein in diesem Falle käme eine Versicherungspflicht als Selbständiger nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI in Betracht. Wäre der Kläger in seiner Tätigkeit hingegen als Mitunternehmer im Karosseriebaubetrieb anzusehen, fehlte es an der weiteren Voraussetzung des gesetzlichen Tatbestandes, dass dieser Betrieb auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig geworden sei. Dafür fehlt jeglicher Anhaltspunkt und wird auch von der Beklagten nicht vorgebracht. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides setzt mithin voraus, dass der Kläger eine Tätigkeit als selbständiger Lackierer ausgeübt hat.

Der Begriff der Selbständigkeit ist gesetzlich nicht definiert und wird insbesondere in Abgrenzung zum Begriff der ebenfalls nicht gesetzlich definierten nichtselbständigen Arbeit bestimmt (Gürtner in KassKomm., SGB VI, § 2 Rdnr. 4), was allerdings nicht bedeutet, dass die selbständige Tätigkeit keine eigenen charakteristischen Merkmale aufwiese. Vielmehr ist die selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (BSG, Urteil vom 25. Januar 2001 – B 12 KR 17/00 RSozVers 2001, 329). Das in wertender Betrachtung gewonnene Gesamtbild der Tätigkeit ist hierbei ausschlaggebend. Es kommt darauf an, welche der Merkmale das Gepräge geben und überwiegen (BSGE 54, 164, 167).

Der Kläger verfügte nicht über eine eigene Betriebsstätte. Vielmehr wurden die Lackierarbeiten in den Räumlichkeiten des Karosseriebauunternehmens durchgeführt. Wenn auch der Kläger die Kalkulation der für die Lackierarbeiten erforderlichen Materialien übernahm, erfolgte deren Einkauf und Finanzierung ausschließlich über den Karosseriebaubetrieb. Der Bruder des Klägers hat hierzu in der mündlichen Verhandlung im Verfahren S 9 KR 4086/06 ausdrücklich angegeben, Grund hierfür sei, dass "das Geschäft unter meinem Namen stand". Außerdem sei "das eine oder andere", das der Kläger für die Ausführung der Arbeiten benötigt habe, bereits in seinem Betrieb vorhanden gewesen. Der Kläger verfügte somit weder über eine eigene Betriebstätte noch über eigene Arbeits- und Betriebsmittel für die Tätigkeit. Wer aber über den Warenbezug, den Einsatz von Kapital und Maschinen weitgehend nicht eigenständig entscheiden kann, ist in der Regel nicht selbständig tätig (Gürtner, a.a.O.). Bedeutsames Kriterium einer selbständigen Tätigkeit ist vor allem das Bestehen eines Unternehmerrisikos. Maßgebend für ein solches Risiko ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und persönlichen Mittel also wesentlich ungewiss ist (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R - (juris)). Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Belastung mit Risiken nur dann für Selbständigkeit spricht, wenn diesen Risiken auch eine größere Freiheit bei der Gestaltung und der Bestimmung des Umfanges des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft gegenübersteht (BSG, Urteil vom 16. Februar 1982 – 12 RK 6/81 – SozSich 1982, 330). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Für seine Lackierarbeiten erhielt der Kläger ein festes monatliches Arbeitsentgelt i.H.v. EUR 2.300.- brutto. Dass dieses bei Liquiditätsengpässen des Karosseriebaubetriebes teilweise nicht oder nicht vollständig gezahlt wurde, stellt kein spezifisches Unternehmerrisiko, sondern ein allgemeines Zahlungsrisiko dar. Ein solches trägt jeder Gläubiger einer Forderung, gleich ob diese auf einem entgeltlichen Auftrag, einem Dienst- oder Arbeitsvertrag oder einem anderen Rechtsgrund beruht. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Kläger durch abweichende Bestimmung des Umfanges, in dem er seine Arbeitskraft einsetzte, keine Erhöhung des daraus erzielten Entgelts erreichen konnte. Die angegebene "Tantieme", deren tatsächliche Zahlung allerdings nicht belegt ist, sollte durch den Karosseriebaubetrieb und in Abhängigkeit von dessen Umsätzen ausgezahlt werden. Auch hier zeigt sich kein gerade mit einer selbständigen Lackiertätigkeit verbundenes unternehmerisches Risiko. Denn dieses ist geprägt allein durch die Verhältnisse des Karosseriebauunternehmens. Dies könnte mithin ein Indiz für eine Stellung als Mitunternehmer in diesem Betrieb sein. Dafür spräche auch die Angabe, dass der Kläger dieses Unternehmen geführt habe, wenn sein Bruder im Urlaub gewesen sei; er habe auch Aufträge angenommen und abgewickelt. Ob dies den Kläger trotz der Ausgestaltung als Einzelunternehmen des Bruders im Hinblick auf eine fehlende Rechtsmacht zum Mitunternehmer machen konnte, war aus den o.g. Gründen vorliegend nicht zu klären. Diese Umstände sind jedoch weitere Indizien dafür, dass der Kläger keinen eigenen "Lackierbetrieb" geführt hat. Entsprechend war er auch, worauf die Beklagte hingewiesen hat, nicht in die Handwerksrolle eingetragen. Aufgrund der gesamten Umstände des Sachverhaltes ist der Senat daher davon überzeugt, dass die von der Beklagten angenommene eigenständige selbständige Tätigkeit des Klägers als Lackierer mit dem Karosseriebauunternehmen des Bruders als einzigem Auftraggeber tatsächlich nicht vorlag.

Mangels Versicherungspflicht war der Kläger somit auch nicht zur Beitragszahlung verpflichtet. Die angefochtenen Bescheide sowie der Gerichtsbescheid des SG waren daher in vollem Umfange aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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