L 2 U 556/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5040/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 556/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das BayLSG hat in seinem Urteil vom 23.02.2011 (Az.: L 2 U 556/09) entschieden, dass die Abwicklung eines landwirtschaftlichen Unternehmens nur in den Grenzen von Treu und Glauben von der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst ist. In dem entscheidenden Fall ging es um die Leerung einer Güllegrube, nachdem der Betrieb 10 Jahre zuvor aufgegeben worden war. Bei einem solchen zeitlichen Abstand zur Beendigung der Unternehmertätigkeit verneinte das LSG den Vesicherungsschutz.
Die abwickelnde Tätigkeit muss iin einem nach Treu und Glauben begrenzten zeitlichen Zusammenhang stehen.
1. Zum Versicherungsschutz bei Arbeiten zur Abwicklung eines augegebenen Unternehmens.
2. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben kann ein überlanges Haftungsrisiko für den Eintritt eines Arbeitsunfalls unbillig sein.
3. Eine Wie-Beschäftigung scheidet aus, wenn die Tätigkeit überwiegend der Abwicklung des Unternehmens diente.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. September 2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Der 1940 geborene Kläger ist mit knapp 5 ha forstwirtschaftlicher Fläche bei der Beklagten veranlagt. Seine landwirtschaftlichen Flächen hat er bereits im Jahr 1995 aufgegeben, die Viehhaltung noch bis März 1996 betrieben.

Am 08.07.2006 zog sich der Kläger bei der Reparatur seiner Güllepumpe einen Handgelenksbruch und eine Prellung des Brustkorbes zu. Mit der Güllepumpe habe er die Restgülle auf seinem Hof aufrühren wollen.

Gegenüber dem Außendienstmitarbeiter der Beklagten gab er am 20.07.2006 an, die Pumpe habe schon seit zehn Jahren nicht mehr funktioniert. Grund für das Herrichten der Pumpe sei, dass die Güllegrube immer wieder übergelaufen sei bzw. Gefahr lief überzulaufen, vor allem wenn es viel geregnet hatte bzw. nach der starken Schneeschmelze. Bereits in der Vergangenheit habe er immer wieder kleinere Mengen an Wasser aus der Güllegrube entfernen müssen, um ein Überlaufen zu verhindern. Sein Pächter habe auch etwas Gülle in die Grube gefüllt, da er durch den langen Winter nicht alles habe ausbringen können. Der Großteil der Gülle bestehe aus der Restgülle der ehemaligen Landwirtschaft, die 1995 aufgegeben worden sei. Nach dem Aufrühren hätte der Pächter der landwirtschaftlichen Flächen diese dann auf die Felder ausgebracht.

Mit Bescheid vom 28.07.2006 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Der Kläger habe die Landwirtschaft bereits 1995 aufgegeben. Es bestehe deshalb kein Zusammenhang mehr mit dieser. Er sei aus rein privaten Motiven tätig gewesen, nämlich um das Überlaufen der Gülle in den Hofraum zu verhindern. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.05.2007). Da die Betriebsaufgabe schon mehr als zehn Jahre zurückliege, sei ein innerer Zusammenhang nicht mehr gegeben.

Hiergegen erhob der Kläger am 28.06.2007 Klage beim Sozialgericht München (SG). Bis März 1996 sei noch Viehhaltung betrieben worden. Insofern habe sich bis dahin Gülle angesammelt, die in der Grube aufbewahrt worden sei. Diese Grube habe irgendwann entleert werden müssen, wofür der Einsatz der Pumpe notwendig gewesen sei, da sich auf der Gülle eine dicke Schicht gebildet habe. Die Tätigkeit habe somit dem Betrieb gedient. Der Sauberhaltung des Hofes habe das Ausheben der Güllegrube nicht gedient, da diese mit einer Betondecke versehen sei und insofern ein Sauberhalten gar nicht notwendig gewesen wäre.

In der mündlichen Verhandlung erklärte die für den Kläger erschienene Ehefrau, die Güllegrube sei gut halbvoll gewesen und die Gülle, die der Pächter habe unterbringen wollen, sei demgegenüber nicht ins Gewicht gefallen.

Mit Urteil vom 04.09.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Hauptgrund für die Reparatur der Güllepumpe sei das stetige Überlaufen der Güllegrube in den Hof gewesen. Dies habe der Kläger am 27.07.2006 angegeben. Ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sei deshalb nicht gegeben. Unerheblich sei, dass die Gülle aus der früheren landwirtschaftlichen Tätigkeit stamme, da ihre Beseitigung nur dem privaten Lebensbereich dienen sollte.

Hiergegen hat der Kläger am 23.12.2009 Berufung eingelegt. Der Kläger habe niemals angegeben, dass Hauptgrund und alleiniger Anlass für die Reparatur der Güllepumpe das stetige Überlaufen der Grube in seinen Hof gewesen sei. Die Grube sei vielmehr in den zehn Jahren nach Aufgabe der Viehhaltung nicht ein einziges Mal übergelaufen. Der Kläger distanziere sich von der seinerzeit unterschriebenen Erklärung vom 27.07.2006, deren Inhalt er vor der Unterschrift auch nicht zur Kenntnis genommen habe. Die Güllegrube habe vielmehr einmal entleert werden müssen. Hierfür musste die Pumpe repariert werden. Im privaten Bereich entstehe keine Gülle und müsse deshalb auch nicht entfernt werden. Es handle sich um eine Tätigkeit im Rahmen der landwirtschaftlichen Abschlussarbeiten.

Die Beklagte hat eingewendet, dass Anlass für die Reparatur der Pumpe die Nutzung der Grube durch den Pächter gewesen sei. Denn hypothetisch wäre die Güllegrube nicht ausgerechnet zum Unfallzeitpunkt entleert worden, wenn dies nach über 13 Jahren bisher noch nicht erledigt worden war und die Güllegrube auch noch nie übergelaufen war. Es handle sich um eine einem fremden Unternehmer nützliche Tätigkeit, die nicht beschäftigtenähnlich verrichtet worden sei. Der Kläger habe wesentlich allein eine eigene Angelegenheit verfolgt, indem er die dicke Gülleschicht aufrühren wollte, damit seine Restgülle vom Pächter auch mit ausgebracht werden könnte. Er sei unternehmerähnlich tätig geworden.

Hiergegen hat der Kläger vortragen lassen, dass er sich durch das Auffüllen der frischen Gülle erhofft habe, die vorhandene Güllekruste etwas aufzuweichen, damit sich diese sodann kurz vor dem Ausbringen besser aufrühren ließe. Die Güllepumpe sei gerade nicht dazu gebraucht worden, dass der Pächter Gülle in die Grube einfülle, sondern um die restliche Gülle des Klägers aufzurühren. Das Entsorgen der aus der eigenen Viehhaltung resultierenden Gülle sei als Annextätigkeit der eigenen unternehmerischen Tätigkeit zuzuordnen und insofern nicht dem privaten Bereich.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.09.2009 und den Bescheid der Beklagten vom 28.07.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2007 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall des Klägers vom 08.07.2006 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger hat am 08.07.2006 keinen versicherten Arbeitsunfall erlitten, da die Reparatur der Güllepumpe weder dem früheren landwirtschaftlichen Unternehmen des Klägers zuzurechnen ist, noch der Kläger arbeitnehmerähnlich tätig geworden ist.

Der Kläger hatte seinen landwirtschaftlichen Betrieb in den Jahren 1995 bis 1996 aufgegeben. Von der Viehhaltung war Gülle verblieben. Diese lagerte in der Güllegrube im Hof. Das in der Güllegrube zugelaufene Wasser hat der Kläger hin und wieder am Waldrand entsorgt. Der Pächter des landwirtschaftlichen Unternehmens wollte beim Kläger Gülle zwischenlagern, um sie anschließend auf die Felder auszubringen. Diese Gelegenheit wollte der Kläger lediglich nutzen, um seine verbliebene Gülle ebenfalls wegzuschaffen. Da sich auf dieser Gülle eine dicke Kruste gebildet hatte, musste er hierzu die Pumpe reparieren. Bei dieser Tätigkeit erlitt er den Unfall. Dieser ist nicht als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) anzuerkennen, da der Kläger den Unfall als Privatmann und nicht als landwirtschaftlicher Unternehmer gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5a SGB VII erlitten hat.

Unstreitig ist, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt nur noch forstwirtschaftlich unternehmerisch tätig war. Hierfür war die Gülle nicht erforderlich und hieraus stammte sie auch nicht. Die Tätigkeit könnte jedoch dem früheren landwirtschaftlichen Unternehmen zuzurechnen sein, wenn es sich hierbei um die abwickelnde Tätigkeit nach oder zur Unternehmensaufgabe handeln würde. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 31.05.1978 (Az.: 2 RU 67/76) hierzu ausgeführt, dass entscheidend ist, dass das Vorhandensein des Unternehmens ein wesentlicher Anlass für die Tätigkeit ist und diese Tätigkeit auch für das Unternehmen Bedeutung hatte. In dem vom BSG entschiedenen Fall hatte sich der landwirtschaftliche Unternehmer beim Verkauf verpflichtet, die Abwicklungstätigkeit "Roden der Obstbäume" durchzuführen. Eine solche Pflicht bestand hier nicht. Weitere Beispiele für abwickelnde Tätigkeit nach oder zur Unternehmensaufgabe sind Verkaufsverhandlungen, Verwertung des Betriebsvermögens, Gewerbeabmeldung und Aufräumarbeiten nach Stilllegung (Ricke in: Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII,
Rdnr. 133). Hier könnte man allenfalls an Aufräumarbeiten denken. Die Tätigkeit zur Abwicklung eines schon eingestellten Unternehmens muss jedoch noch im inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen (BSGE 31, 203; 51, 203). Zu beachten ist jedoch, dass die Arbeiten erst zehn Jahre nach der Betriebsaufgabe durchgeführt worden sind. Das BSG hat hierzu in seinem Urteil vom 26.06.1970 (Az.: 2 RU 87/66) ausgeführt, dass bei der Abwicklung eines Betriebes immer zu prüfen ist, ob der zeitliche Abstand einer an sich noch mit dem abzuwickelnden Unternehmen im Zusammenhang stehenden Tätigkeit von der Beendigung der eigentlichen Unternehmertätigkeit zur Folge hat, dass diese ursächliche Verknüpfung rechtlich nicht mehr wesentlich ist.

Bei Unternehmern unterliegt die Abgrenzung zwischen unversicherter persönlicher und versicherter unternehmerischer Tätigkeit zusätzlichen Schwierigkeiten, weil geschäftliche und private Dinge oft nebeneinander liegen oder sich überschneiden, private oft auch mit Rücksicht auf geschäftliche Angelegenheiten gesteuert werden und umgekehrt. Nach dem eher strengen Maßstab der Rechtsprechung ist der innere Zusammenhang nur zu bejahen für Tätigkeiten, die für das Unternehmen unmittelbare konkrete Bedeutung haben. Allgemeine Überlegungen, ein Verhalten könne auch geschäftsnützlich sein, genügen daher nicht (vgl. Ricke in a.a.O. § 8 Rdnr. 132).

Dieser Unternehmensbezug fehlt hier zehn Jahre nach Stilllegung des Betriebes. Die Leerung der Güllegrube diente im Ergebnis nicht dem einstigen landwirtschaftlichen Unternehmen, sondern ausschließlich privaten Interessen. Der Kläger bewohnt das ehemalige landwirtschaftliche Anwesen. Sein Wunsch, die Gülle aus der Güllegrube mit Hilfe des Pächters wegzubringen, ist deshalb nachvollziehbar. Es kommt hier nicht darauf an, ob die Güllegrube wirklich jemals übergelaufen ist. Vielmehr ist durch die Einleitung von Regenwasser die Gefahr, dass dies passieren könnte, ständig gegeben. Ansonsten wären die Bemühungen des Klägers, die Pumpe in Gang zu bringen und die Gülle aufzurühren, vom Aufwand her nicht nachvollziehbar. Vielmehr wollte der Kläger wohl die günstige Gelegenheit ausnutzen und damit die Gülle von seinem privaten Anwesen auf einfache und preisgünstige Art entfernen. Die Tätigkeit liegt jedoch nicht mehr innerhalb des zeitlichen Rahmens, in dem Abwicklungsarbeiten versicherungsrechtlich dem abwickelnden Unternehmen zuzurechnen sind (BSG vom 26.06.1970, a.a.O.). Zwar bestehen hier keine starren zeitlichen Vorgaben, jedoch bildet der auch im öffentlichen Recht geltende Grundsatz von Treu und Glauben analog § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einen Rahmen. Ein überlanges Haftungsrisiko der Beklagten als Solidargemeinschaft kann danach unbillig sein (vgl. auch zur Ausschließlichkeitsbindung, Roth in: Münchner-Kommentar, Bürgerliches Recht, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2007, § 242 Rdnr. 413; zum Wettbewerbsverbot: BGH WM 1986, 1282). Bei einem wie hier zehnjährigen Stillstand der Unternehmensabwicklung besteht jedenfalls kein Unternehmensbezug mehr. Der Schwerpunkt der Handlungstendenz liegt dann im privaten Bereich.

Auch eine versicherte Tätigkeit als sogenannter "Wie-Beschäftigter" nach § 2 Abs. 2
SGB VII ist zu verneinen. Wie oben dargelegt, war die Handlungstendenz des Klägers nicht auf die Belange des Pächters, der einen geringen Teil Gülle zur Zwischenlagerung eingefüllt hatte, gerichtet, sondern auf die Beseitigung der noch vorhandenen Gülle aus der aufgegebenen Landwirtschaft. Insoweit war er eigenwirtschaftlich tätig.

Das Sozialgericht hat deshalb die Klage zu Recht abgewiesen, da unter keinem Gesichtspunkt Versicherungsschutz zu bejahen ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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