L 7 AS 206/11 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 23/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 206/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 21.01.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht (SG) den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Beschluss vom 21.01.2011 verwiesen, die sich der Senat nach Prüfung zu eigen macht (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Auch das Vorbringen der Antragstellers im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Beurteilung.

a) Soweit der Antragsteller rückwirkende Leistungen ab November 2010 begehrt, fehlt bis zum Zeitpunkt der Antragstellung beim SG am 10.01.2011 der gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung. Dies folgt aus dem allgemein anerkannten Grundsatz, dass kein Anordnungsgrund für das Verlangen von Geldleistungen für die Vergangenheit anzunehmen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Auflage, 2008, § 86b, Rdn. 28). Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind. Nur ausnahmsweise, wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistungen in der Vergangenheit noch in die Gegenwart fortwirkt und infolgedessen eine aktuelle Notlage besteht, kann von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 23.09.2010, Az.: L 7 AS 651/10 B ER, Rdn. 20). Derartige Folgewirkungen hat der Antragsteller aber nicht dargelegt.

b) Hinsichtlich des Zeitraums vom 11.01.2011 (Antragstellung beim SG) bis zum 02.02.2011 (Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch - SGB II -) begehrt der Antragsteller Leistungen für einen Zeitraum, für den eine bestandskräftige Entscheidung ergangen ist. Ausgehend vom Streitgegenstand eines Anordnungsverfahrens, im Eilverfahren zu prüfen, inwieweit dem Antragsteller für einen Zwischenraum bis zur Hauptsacheentscheidung eine bestimmte Rechtsposition zusteht, ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung unzulässig (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rdn. 26d). Es gibt dann keine Rechtsposition, die bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren gesichert werden könnte (LSG Bayern, Beschluss vom 23.09.2010, Az.: L 7 AS 651/10 B ER, Rdn. 18). Entgegen der vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren vertretenen Rechtsauffassung hat das SG aufgrund des Umstandes, dass es keinen Fall des § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) geprüft hat, nicht den Grundsatz der Amtsermittlung verletzt und es auch nicht unter Verstoß gegen § 123 SGG versäumt, über alle vom Antragsteller geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden. Erst wenn ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X bei der Behörde gestellt wurde und der Behörde unter Darlegung und ggf. Darlegung der Dringlichkeit der Überprüfung eine ausreichende Bearbeitungsfrist eingeräumt wurde, kann ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wieder zulässig werden. Es wäre zunächst erforderlich gewesen, dass der Antragsteller einen entsprechenden Überprüfungsantrag beim Antragsgegner stellt. Beim Gericht kann ein Überprüfungsantrag nicht gestellt werden, weil ein Gericht keine Stelle nach § 16 SGB I ist (LSG Bayern, a.a.O., Rdn. 19). Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es jedenfalls aber an einem Anordnungsgrund gefehlt hätte. An diesen sind im Falle eines Antrags nach § 44 SGB X besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil das Unterlassen eines rechtzeitigen Rechtsbehelfs trotz Rechtsbehelfsbelehrung gegen eine Eilbedürftigkeit spricht (LSG Bayern, a.a.O., Rdn. 20). Soll ein bestandskräftig gewordener Bescheid in einem Verfahren nach § 44 SGB X zurückgenommen werden, ist es dem Antragsteller im Regelfall zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungs- und gegebenenfalls in einem anschließendem Hauptsacheverfahren abzuwarten. Denn das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist regelmäßig auf die Bewilligung von Leistungen nicht für die Vergangenheit, sondern für die Gegenwart und Zukunft gerichtet (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.10.2010, Az.: L 8 AS 4197/10 B ER-B, Rdn. 18 m.w.N.).

c) Leistungen über den 03.02.2011 hinaus kann der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht geltend machen, weil der Streitgegenstand durch den Bescheid vom 14.03.2011 auf den Zeitraum bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt worden ist. Mit dem Bescheid vom 14.03.2011 wurden dem Antragsteller für ihn und Frau E für die Zeit vom 03.02.2011 bis 31.03.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt. Die Abhängigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes vom Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ergibt sich aus § 86b Abs. 2 SGG. Danach kann eine einstweilige Anordnung nur in Bezug auf den Streitgegenstand oder ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, LSG NRW, Beschluss vom 06.10.2008, Az.: L 19 B 121/08 AS ER; Finkelburg/Domberg/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren, 5. Auflage, Rdn. 228 m.w.N.) Das SG als Gericht der Hauptsache hat daher zutreffend auch nur über diesen Zeitraum eine Entscheidung getroffen. Soweit der Antragsteller die einstweilige Regelung weitergehender Zeiträume begehrt, muss er sich daher erneut an das SG wenden, da dieses und nicht das Beschwerdegericht das für die Entscheidung berufene Gericht der Hauptsache im Sinne des § 86 b Abs. 2 SGG ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, a.a.O., § 86b, Rdn. 37).

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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