L 8 SF 1465/11 AB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SF 1465/11 AB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Befangenheitsantrag des Klägers gegen Richterin R. wird abgelehnt

Gründe:

Der Ablehnungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Befangenheitsantrag des Klägers ist nicht mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig. Die Ansicht des Klägers, Richterin R. (im Folgenden: R. ) sei nicht mehr beim Sozialgericht Reutlingen (SG) als Richterin tätig, trifft nicht zu. Zwar wurde R. tatsächlich in dem vom Kläger hierzu vorgelegten Geschäftsverteilungsplan des SG in der Fassung vom 07.04.2011 nicht als Richterin geführt. Nach Auskunft des Präsidenten des SG vom 16.05.2011 und den hierzu vom SG vorgelegten Unterlagen ist die dem Kläger zunächst übersandte Fassung des Geschäftsverteilungsplanes jedoch unzutreffend. Nach den vom Senat beigezogenen Präsidiumsbeschlüssen im Zeitraum vom 22.12.2010 bis 07.04.2011 wurde R. mit Präsidiumsbeschluss vom 22.12.2010 ab 03.01.2011 der Vorsitz der 12. Kammer des SG übertragen. Eine Änderung dieses Beschlusses durch die späteren Beschlüsse ist nicht erfolgt. R. ist damit nach wie vor Vorsitzende der 12. Kammer, so dass sich der Befangenheitsantrag des Klägers nicht erledigt hat. Dies wurde gegenüber dem Kläger zwischenzeitlich auch geklärt, wie er am 27.05.2011 mitgeteilt hat.

Nach § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit von einem Prozessbeteiligten abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 60 RdZiff. 7). Dies ist dann der Fall, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann; es muss ein objektiver vernünftiger Grund vorliegen, der geeignet ist, den Antragsteller von seinem Standpunkt aus befürchten zu lassen, der abgelehnte Richter werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O. m.w.N.). Allein die unrichtige Anwendung von Verfahrens- oder materiellem Recht ist mithin kein für die Richterablehnung ausreichender Grund, denn diese ist grundsätzlich kein geeignetes Mittel, sich gegen für unrichtig gehaltenes prozessuales Vorgehen oder für unzutreffend angesehene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder Willkür (vgl. BVerfG NVwZ 2009, 581; Bundesarbeitsgericht NZA 1993, 238; BFH NVwZ 1998, 663, 664). Danach ist eine Besorgnis der Befangenheit nur dann begründet, wenn das prozessuale Vorgehen eines Richters einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehrt und sich so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für den betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt. Ein Verfahrensfehler des Gerichts vermag für sich allein noch nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Allerdings kann eine Häufung prozessualer Fehler stets zum Nachteil einer Partei auch bei einem besonnenen und vernünftigen Beteiligten den Eindruck einer unsachlichen Einstellung oder willkürlichen Verhaltens des Richters erwecken. Eine sachliche Meinungsäußerung über die Aussichten der Klage oder die Rechtslage rechtfertigt keine Besorgnis der Befangenheit (Bundesverwaltungsgericht NJW 79, 1316). Nicht ausreichend ist auch die Äußerung einer unrichtigen Rechtsauffassung, soweit sie nicht auf unsachlicher Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O., RdZiff. 8g, 8j).

Auf der Grundlage dieser Beurteilungskriterien vermag der Senat eine begründete Besorgnis der Befangenheit der R. nicht zu erkennen.

Das Vorbringen des Klägers, ihm sei in seinem Klageverfahren wegen Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) grundrechtswidrig der gesetzliche Richter entzogen worden und es werde gegen die Unabhängigkeit der Richter verstoßen, weil nicht die zuständige Richterin R. , sondern die Richterin O. still und heimlich das Verfahren übernommen habe, trifft nicht zu. Entgegen der Ansicht des Klägers kann ein solcher Verstoß nicht deshalb angenommen werden, weil in dem Klageverfahren des Klägers nach dem SGB IX ein Gutachtensauftrag gemäß § 109 SGG von der Richterin O. und nicht von R. erteilt (unterschrieben) wurde. Nach der dienstlichen Erklärung von R. war diese wegen ihrer Teilnahme an einer Fortbildung gehindert, den Gutachtensauftrag zu unterschreiben. Der Gutachtensauftrag wurde deshalb von der nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Vertreterin unterzeichnet und damit das grundgesetzlich geschützte Recht des gesetzlichen Richters gewahrt. Ein dem Kläger nicht mitgeteilter Zuständigkeitswechsel fand nicht statt. Soweit der Kläger unter Hinweis auf den vorgelegten Geschäftsverteilungsplan des SG geltend gemacht hat, R. sei nicht mehr beim SG tätig und seinem Verfahren würden willkürlich jeweils andere Richter zugeteilt, trifft dies nach dem oben Ausgeführten nicht zu. R. ist nach wie vor Vorsitzende der 12. Kammer des SG. Auch sonst findet sich in den vorgelegten Akten des SG kein Hinweis darauf, dass Richterin O. unberechtigt Einfluss auf das Klageverfahren des Klägers genommen hat. Von einem Entzug des gesetzlichen Richters oder einem Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit, wie der Kläger meint, kann keine Rede sein.

Der Kläger kann sich zur Begründung seines Ablehnungsantrags auch nicht mit Erfolg darauf berufen, R. habe gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Willkürverbot verstoßen, weil sie trotz seiner erklärten Ablehnung eines nervenärztlichen Gutachtens von Amts wegen und entgegen seinem Antrag, ein endokrinologisches Gutachten gemäß § 109 SGG von Prof. Dr. S. einzuholen, ein überwiegend psychiatrisches-psychologisches Gutachten in Auftrag gegeben habe. Der Kläger kann allein deswegen, weil in Beweisfrage 1 des Gutachtensauftrages an Prof. Dr. S. nach Behinderungen des Klägers - in Klammer - u.a. auch hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten und seelischen Gesundheit gefragt wurde, nach vernünftigen Erwägungen nicht darauf schließen, das SG habe ein "getarntes" nervenärztliches Gutachten in Auftrag gegeben. Der bei der Beweisfrage Nr. 1 in Klammern gesetzte Text stellt lediglich eine Kurzfassung der gesetzlichen Legaldefinition des Begriffes "Behinderung", wie er in § 2 Abs. 1 SGB IX ausgeführt ist, dar. Der Sinn besteht darin, dem Sachverständigen ein Unterscheidungskriterium zwischen Behinderung im Sinne des SGB IX und vorübergehenden Gesundheitsstörungen, die nicht als Behinderung anerkannt werden können, an die Hand zu geben. Die Beweisfrage Nr. 1 wird grundsätzlich bei dem Gutachtensauftrag in dieser Formulierung gestellt, unabhängig vom Fachgebiet des Gutachters.

Dass der vom Kläger benannte Sachverständige Prof. Dr. S. nervenärztlichen/psychiatrischen Sachverstand hat, der ihm ein Gutachten zu Behinderungen auf nervenfachärztlichem Gebiet erlaubt, ist im Übrigen auch nicht ersichtlich. Nach dem vom Kläger im Klageverfahren vorgelegten Ausdruck (Blatt 236 der Akte des SG) ist Prof. Dr. S. Leiter der Abteilung für Innere Medizin, Endokrinologie und Klinische Chemie am M. P. Institut für Psychiatrie sowie Forschungsgruppenleiter für klinische Neuroendokrinologie. Dem entspricht auch der berufliche Werdegang des Prof. Dr. S ... Dafür, dass Prof. Dr. S. auch Psychiater ist, wie der Kläger zur Begründung seines Befangenheitsantrages behauptet hat, gibt es mithin keinen Anhaltspunkt. Für die Ansicht des Klägers, dass er in eine psychiatrische Begutachtung habe gelockt werden sollen oder dass R. weiterhin eine psychiatrische Begutachtung beabsichtige, ist - auch sonst - nichts ersichtlich.

Der Kläger kann sich zur Begründung seines Ablehnungsantrages auch nicht mit Erfolg darauf berufen, R. habe vor der Entscheidung über den Ablehnungsantrag einen Kostenvorschuss angefordert. Dem hierzu vom Kläger vorgelegten Schreiben "auf richterliche Anordnung" lässt sich bereits nicht entnehmen, dass dieses Schreiben von R. angeordnet wurde. Unabhängig davon wäre selbst dann, wenn dies zuträfe, ein objektiver vernünftiger Grund, der geeignet ist, den Kläger von seinem Standpunkt aus befürchten zu lassen, R. werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden, nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht gegeben. Die Anforderung eines Kostenvorschusses ist eine lediglich "verwaltungstechnische" Verfahrenshandlung im Anschluss an die Mitteilung im Rahmen des Gutachtensauftrages an Prof. Dr. S. , dass der bisherige Vorschuss von 1.200 EUR bei geschätzten Gutachtenskosten von 2.380 EUR nicht ausreicht. Damit dient die Anforderung eines weiteren Kostenvorschusses allein dem Interesse des Klägers, eine zeitliche Verzögerung der Gutachtenserstellung zu vermeiden, und kann damit nicht als Ausdruck einer Voreingenommenheit von R. gewertet werden. Aus der Mitteilung, dass der Vorschuss die voraussichtlichen Gutachtenskosten nicht deckt, kann der Kläger schließlich auch nicht berechtigt folgern, es seien zwei Gutachten (auch auf dem Gebiet der Psychiatrie) in Auftrag gegeben worden.

Nach alledem vermag der Senat einen objektiv vernünftigen Grund, der geeignet ist, den Kläger von seinem Standpunkt aus befürchten zu lassen, R. werde nicht unparteiisch sachlich entscheiden, nicht zu erkennen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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