Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 629/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 98/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialge-richts Berlin vom 16. März 2009 wird zurückgewiesen. Kosten werden nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente.
Die 1964 geborene Klägerin erlitt während ihrer Beschäftigung als S Bahn Aufsicht am 04. September 2002 um 8.50 Uhr im S Bahnhof B einen Schock, als sie beobach-tete, wie eine Frau vor einen einfahrenden S Bahnzug sprang und dabei zu Tode kam. Die Klägerin wurde im Anschluss im V Klinikum im F in der Erste Hilfe Stelle be-handelt. Dort wurde die Diagnose vegetative Dystonie gestellt. Laut ärztlicher Unfall-meldung der Fachärztin für Allgemeinmedizin K vom 12. September 2002, erstellt auf-grund einer Untersuchung am 05. September 2002, zog sich die Klägerin eine vegeta-tive Dystonie bei psychischer Ausnahmesituation zu. Der Gesundheitsservice der Ar-beitgeberin der Klägerin legte der Beklagten unter dem 15. November 2002 ein Infor-mationsprotokoll über Auffang- und Beratungsgespräche nach dramatischem Ereignis mit der Klägerin vor, welche am 11., 18. und 24. Oktober 2002 geführt wurden. Da-nach habe die Klägerin berichtet, dass sich in der Zeit seit Beginn ihrer Tätigkeit als S Bahn Aufsicht neben Belastungen durch Schichtdienst und erhebliche Überstunden auch partnerschaftliche und gesundheitlich bedingte zusätzliche Belastungen ange-sammelt hätten. So sei es zu ihrer Ehescheidung gekommen. Von daher sei bereits seit längerem eine Erholungskur in B beantragt gewesen. Es bestehe eine PTBS. Es bestehe aus psychologischer Sicht aktuell keine Eignung für den Wiedereinsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz im betriebsdienstlichen Bereich. Die Klägerin durchlief in der Zeit vom 29. Oktober bis zum 03. Dezember 2002 eine Rehabilitationsmaßnahme in der Reha Klinik B in B, vgl. Reha Entlassungsbericht vom 03. Dezember 2002, un-ter anderem mit der Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Die Be-klagte zog bei der Krankenkasse der Klägerin ein Vorerkrankungsverzeichnis vom 29. Januar 2003 bei. Die Klägerin unterzog sich in der Folgezeit einer psychothera-peutischen Behandlung beim Psychologischen Psychotherapeuten und Verhaltens-therapeuten Dipl. Psych. M L, vgl. Befundberichte beginnend mit dem 14. Februar 2003 und Stellungnahme der Psychologischen Psychotherapeutin R vom 23. Februar 2003. Die Beklagte nahm ein ärztliches Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S vom 28. Juni 2002 zu den Akten. Die Beklagte holte das unter dem 17. Juni 2003 erstellte nervenärztliche Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L ein, welchem eine Un-tersuchung der Klägerin am 02. April 2003 vorausgegangen war. Dr. L führte unter anderem aus, dass eine bei der Klägerin vorliegende PTBS ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sei. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 40 vom Hundert (v.H.). Die Beklagte wurde über die Aufnahme der Klägerin zu einer stationären Behandlung in der P Klinik M am 21. Oktober 2003 informiert. Nach dem Entlassungsbericht vom 12. November 2003 befand sich die Klägerin vom 21. Oktober bis zum 11. November 2003 in dortiger stationärer Behandlung mit der Diagnose PTBS. Nach Einholung eines Berufshelferberichts vom 10. Februar 2004 veranlasste die Beklagte eine betriebliche Belastungserprobung der Klägerin ab 23. Februar 2004 und holte eine neurologisch-psychiatrische Stellungnahme des Neu-rologen und Psychiaters Dr. B nach Aktenlage vom 12. April 2004 ein, wonach die Klägerin nach wie vor unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leide, so dass die fortbestehende Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Un-falls weiterhin anzuerkennen sei. Nachdem der Dipl. Psych. L unter dem 20. April 2004 einen weiteren Befundbericht vorgelegt hatte, befand sich die Klägerin vom 12. Mai bis zum 22. Juni 2004 in stationärer Behandlung der C, Medizinische Kli-nik mit Schwerpunkt Psychosomatik. Laut Entlassungsbericht vom 30. Juni 2004 wa-ren die Diagnosen bei Aufnahme PTBS, Agoraphobie mit Panikstörung und Anpas-sungsstörung mit längerer depressiver Reaktion. Die Entlassungsdiagnosen lauteten Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt, sonstige Krankheit durch Helicobacter pylori, Platzangst mit Panikstörung, Gastritis durch Helicobacter pylori und Allergie gegenüber Penicillin in Eigenanamnese. In der Folgezeit ließ sich die Klägerin auf Vorschlag der Beklagten vom Chefarzt der Abteilung Psychiatrie der S-Klinik Prof. Dr. S am 23. Februar 2005 untersuchen. Prof. Dr. S erstellte unter dem 03. Mai 2005 ein psychiatrisches Gutachten, wonach bei der Klägerin eine Anpas-sungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen (Angst, Sor-gen, Anspannung und Ärger) und psychogene Schlafstörungen bestünden. Dies seien die Unfallfolgen. Vom Unfall unabhängige krankhafte Veränderungen seien die von der Klägerin geschilderte gravierenden Einschränkungen ihres sozialen Leben mit in-terkurrentem Rückzug, geringer Belastbarkeit, Schwierigkeit im Umgang mit Men-schengruppen, lauten Geräuschen. Durch die Verletzungsfolgen sei die Erwerbsfähig-keit nur um 10 v.H. gemindert. Die Erfahrung zeige, dass erst eine endgültige Ent-scheidung des Rentenverfahrens die Beschwerden und den Leidensdruck wesentlich reduzieren würde.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. Mai 2005 die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund des Unfalls vom 04. September 2002 ab. Die Klägerin habe beim Unfall eine PTBS erlitten. Im Ergebnis der ärztlichen Un-tersuchung sei festgestellt worden, dass bei ihr noch als unfallbedingter Gesundheits-schaden ein leichtgradiger psychischer Krankheitszustand bestehe. Eine rentenbe-rechtigende MdE bestehe nicht. Die Klägerin erhob am 15. Juni 2005 Widerspruch und verwies auf das Vorliegen einer PTBS. Die Beklagte forderte bei der Landesklinik B einen Behandlungsbericht der Bezirksnervenklinik B vom 16. Dezember 1986 an, wonach die Klägerin dort vom 08. Dezember bis zum 09. Dezember 1986 nach Vor-nahme eines Selbsttötungsversuchs nach Partnerschaftskonflikt unter Alkoholeinfluss bei unreifer Persönlichkeit behandelt wurde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2005 zurück. In der Begründung verwies sie auf die ausweislich des Gutachtens von Prof. Dr. S vom 03. Mai 2005 eingetretene Besserung beziehungsweise Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit.
Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 07. Oktober 2005 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung gewesen, dass Prof. Dr. S in seiner Begutachtung nicht hinreichend berücksichtigt habe, wie schwie-rig die Wiedereingliederung der Klägerin ins Arbeitsleben verlaufe. Sie sei kaum mehr als fünf Stunden täglich belastbar. Die bei der Klägerin von Dr. L in seinem Gutachten vom 17. Juni 2003 diagnostizierte Belastungsstörung sei nach wie vor in vollem Um-fang gegeben. Die Klägerin sei nach wie vor nicht in der Lage, vollschichtig zu arbei-ten. Die Belastbarkeit der Klägerin leide auch darunter, dass sie ersichtliche Probleme in der Kommunikationsfähigkeit mit Fremden habe, was sich auch aus dem Gutachten des Sachverständige Prof. Dr. S ergebe. Dieser lasse völlig unbeachtet, dass die Klä-gerin bis zum heutigen Tage auch unstreitig nicht in der Lage sei, eine S Bahn zu nut-zen beziehungsweise eine S Bahn überhaupt zu sehen oder aber auch nur die Vibra-tionen eines S Bahn Zuges zu spüren. Die Klägerin sei nur unter Einnahme von Beru-higungsmitteln (Urfiril 300 2 x morgens und 3 x abends) in der Lage, ihr Arbeitsleben zu bewältigen. Das SG hat aufgrund der Beweisanordnung vom 27. April 2006 beim Leitenden Oberarzt des V Klinikums A und Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B das unter dem 30. Juni 2006 erstellte psychiatrische Sachverständigengutach-ten eingeholt. Der Sachverständige ist zu der Einschätzung gelangt, dass als über-dauerndes Leiden eine Dysthymia festzustellen sei, aktualisiert durch eine wenige Wochen zurückliegende Trennung. Vorübergehend und zeitbegrenzt sei nach dem Unfall vom 04. September 2002 bis Juni 2004 eine PTBS in den Vordergrund getre-ten, welche jetzt nur noch abklingend wirksam sei und vor allem im Kontext des ge-richtlichen Verfahrens das Selbstkonzept der Klägerin bestimme. Die PTBS sei im Sinne der erstmaligen Entstehung auf das Unfallereignis zurückzuführen. Die unfall-begründete MdE sei ab Eintritt des Versicherungsfalles bis zum Juni 2004 mit 40 v. H. einzuschätzen; seither sei die unfallbegründete MdE mit unter 10 v. H. zu veranschla-gen. Die Beurteilung von Prof. Dr. S sei im Wesentlichen zu bestätigen. In Verschie-bung der Diagnose von einer Anpassungsstörung hin zu einer Dysthymia sei beson-ders in diesem rechtlichen Rahmen nur als Akzentverschiebung zu sehen. Die Kläge-rin ist dem Gutachten mit einem für die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn See unter dem 18. Mai 2006 des S-Krankenhauses B entgegengetreten, wo-nach die Klägerin unter einer komplexen PTBS nach Verunfallung im September 2002 leide. Es bestehe der Verdacht auf eine posttraumatische Persönlichkeitsänderung. Zum Zeitpunkt der Begutachtung liege eine leicht ausgeprägte depressive Symptoma-tik vor, welche als leichtgradige depressive Episode zu diagnostizieren sei. Die Kläge-rin könne bei qualitativen Leistungseinschränkungen einer regelmäßigen Erwerbstä-tigkeit nach hinreichender fachlicher Behandlung nachgehen, ohne dass die Gefahr einer Verschlechterung bestehe. Sie könne in geeigneter Umgebung nach hinreichen-der Besserung sechs Stunden und mehr arbeiten, aus derzeitiger Sicht unter den zu-letzt bekannten Arbeitsbedingungen nicht mehr als sechs Stunden. Das SG hat auf Antrag der Klägerin mit Beweisanordnung vom 22. März 2007 das unter dem 13. Oktober 2008 erstellte psychiatrisch-psychologische Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychotherapeutische Medizin Dr. H und des Oberarztes und Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie K eingeholt, wonach die Klägerin zum Zeitpunkt der Untersuchung wie auch im Zeitpunkt der früheren Be-gutachtung beim S Krankenhaus unter einer komplexen PTBS mit noch fortbestehen-der Vermeidungs- und Intrusionssymptomatik und typischer Komorbidität einer mit-telgradig ausgeprägten, rezidivierenden depressiven Störung gelitten habe. Ab dem 01. Dezember 2004 habe fortbestehende MdE mit zeitlich begrenzter Arbeitsfähigkeit als Fahrkartenverkäuferin bestanden. Die MdE habe zunächst 40 v.H. betragen. Am 13. Juli 2005 werde eine MdE von 30 bis 40 v.H. zur Anerkennung gebracht. Dr. B hat unter dem 23. Dezember 2008 ergänzend Stellung genommen und das Gutachten von Dr. H und K vor allem in methodischer Hinsicht kritisiert.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 16. März 2009 abgewiesen. Es hat sich zur Beur-teilung des Grades der MdE vor allem der medizinischen Einschätzung Dr. Bs ange-schlossen. Der zu fordernde haftungsausfüllende Zusammenhang zwischen dem Un-fallereignis und den fortbestehenden psychiatrischen Auffälligkeiten der Klägerin sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Es bestünden vielmehr Zweifel, dass das Ereignis vom 04. September 2002 die rechtlich wesentliche Ursache für das auch seit Wieder-eintritt der Arbeitsfähigkeit am 01. Dezember 2004 bestehende Schadensbild der Klä-gerin auf psychiatrischem Gebiet sei. Dr. B habe lediglich als überdauerndes Leiden eine Dysthymia festgestellt, welche durch eine wenige Wochen zurückliegende Tren-nung aktualisiert sei. Vorübergehend und zeitlich begrenzt sei zwar nach dem Unfall vom 04. September 2002 bis Juni 2004 eine PTBS in den Vordergrund getreten. Sie sei jetzt jedoch nur noch abklingend wirksam. Seit Juni 2004 sei die unfallbegründete MdE mit unter 10 v.H. zu veranschlagen. Die von Dr. B postulierte Tendenzwende zum Juni 2004 sei nachvollziehbar mit der Beendigung eines stationären Aufenthalts der Klägerin in der C am 22. Juni 2004 zu begründen. Laut Entlassungsbericht habe ein Diagnosewechsel von einer PTBS zu einer Anpassungsstörung mit Angst und de-pressiver Reaktion gemischt stattgefunden. Zudem sei im nervenärztlichen Konsil vom 13. Mai 2004 keine führend depressive oder auch angstgeprägte Psychopathologie festgestellt worden, sondern eine Dysthymie, die zum Teil auch posttraumatisch be-dingt sei. Die charakteristischen Symptome einer PTBS habe Dr. B bei der Klägerin nicht mehr sicher saldieren können. Auch liege keine Drohung katastrophenartigen Ausmaßes in dem Unfall vom 04. September 2002, welche erst eine chronifizierte Form der PTBS hätte bedingen können. Dies werde auch im einschlägigen arbeits-medizinischen Schrifttum gefordert. Der Einschätzung der von der Klägerin genannten Sachverständigen Dr. H sei demgegenüber nicht zu folgen. Dr. H verwische die feine Unterscheidung, welche zwischen den Diagnoseschlüsseln F62.0 und F62.1 zu treffen sei, worauf Dr. B zutreffend hinweise. Das Erfordernis einer Extrembelastung als Vor-aussetzung für die Annahme einer chronifizierten Form der PTBS solle so ausgehe-belt werden, was nicht überzeuge. Zudem seien durch Dr. H, soweit bei der Klägerin eine PTBS diagnostiziert werde, doch recht unbesehen subjektive Angaben der Klä-gerin zur Pathogenese ihres psychiatrischen Leidens zugrunde gelegt worden, ohne die mögliche Bedeutung anderer Faktoren für ihr Beschwerdebild und den Grad der Beschwerden in ihrem zeitlichen Verlauf hinreichend zu berücksichtigen. Dr. B weise zutreffend darauf hin, dass der von Dr. H vorgenommenen testpsychologischen Un-tersuchung mit größter Skepsis zu begegnen sei, weil selbst Beurteilungsskalen und projektive Verfahren zur Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung weder konzipiert noch validiert seien. Schließlich fehle es, worauf Dr. B ebenfalls zutreffend hinweise, dem Gutachten von Dr. H an einer Formulierung eindeutiger Aussagen. Es überzeuge auch nicht in methodischer Hinsicht. Es seien keine klaren Argumentati-onslinien erkennbar, welche eine Überzeugung von der Richtigkeit der von ihr letztlich gestellten Diagnosen bewirken könnten. Schließlich habe Dr. H für die Fertigung des Gutachtens mehr als 18 Monate benötigt und damit die vom Gericht gesetzte Frist um mehr als das Sechsfache überschritten.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 30. März 2009 zugestellte Urteil am 27. April 2009 Berufung eingelegt. Die Klägerin legt eine Stellungnahme der Fachärzte für Neurolo-gie und Psychiatrie Dr. F und Dr. K vom 19. Mai 2009 vor, wonach bei der Klägerin ei-ne PTBS diagnostiziert sei, ferner ausgeprägte Schlafstörungen, eine Agoraphobie und ausgeprägte Anpassungsstörungen bestünden. Die Klägerin verweist zudem auf den vorgelegten Bericht des Dipl. Psych. L vom 11. Mai 2009, wonach eine chronifi-zierte Symptomatik nach Traumatisierung fortbestehe.
Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),
den Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2005 sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. März 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Ar-beitsunfalls vom 04. September 2002 ab dem 01. Dezember 2004 eine Verletztenrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 13. und 16. Mai 2011 einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die jeweils in drei Bänden vorliegenden Gerichts- und Unfallakten, die beige-zogenen Akten der Knappschaft Bahn See und auf die als Beiheft zu den Akten ge-nommenen Kopien aus der Schwerbehindertenakte der Klägerin verwiesen und inhalt-lich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Berichterstatter kann gemäß § 155 Abs. 3 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) allein anstelle des Senats sowie gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise ihr Einverständnis erklärt haben.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren die Klä-gerin nicht. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verletztenrente.
Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge ei-nes Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 7 Abs. 1 SGB VI sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle der Versicherten infolge einer den Versicherungs-schutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereig-nisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der Gesetzgeber bringt mit der Formulierung "infolge" in § 8 Abs. 1 S. 1 und § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Ver-knüpfung des Unfalls mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zu-rechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleich-gestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversi-cherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa Bun-dessozialgericht (BSG), Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Die Frage nach diesem Zurechnungszusammenhang stellt sich auf drei Ebenen, nämlich als Unfallkausalität zwischen ausgeübter Tätigkeit und Unfallereig-nis, als haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheits-erstschaden und als haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstscha-den und längerandauernden Unfallfolgen (BSG, a.a.O., Rn. 10; Schönberger/ Mehr-tens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, 1.4, S. 21 f.). Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit, des Unfallereignisses und Unfall-folgen müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahr-scheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu be-urteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrschein-lich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20). Soweit das Gesetz in § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII eine äußere Ursache für den Gesundheitsschaden fordert, lösen im Umkehrschluss solche Gesundheitsschäden keinen Anspruch aus, welche auf so genannten inneren Ursa-chen beruhen. Dies sind körpereigene Ursachen infolge krankhafter Erscheinungen oder der Konstitution des Betroffenen (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, a.a.O., S. 28). Wesentliche Ursache für den Gesundheitsschaden ist eine beim Versicherten be-standene, bereits zuvor beschriebene Krankheitsanlage und nicht das schädigende Ereignis, wenn nichts dafür vorliegt, dass die Krankheitsanlage entweder zur Entste-hung krankhafter Veränderungen einer besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äuße-ren Einwirkung bedurfte oder ohne das Unfallereignis zu einem – nicht unwesentlich – späteren Zeitpunkt aufgetreten wäre, dieser aber durch die schädigende Einwirkung erheblich vorverlegt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 35/87 -, zi-tiert nach juris Rn. 27). Hiervon ausgehend hängt die Bemessung der MdE von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglich-keiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beein-trächtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wir-kung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die rich-terliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfol-gen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfah-rungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträch-tigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamt-gebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versi-cherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, ge-rechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unter-liegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R -, zi-tiert nach juris Rn. 12). Hierbei kann zu beachten sein, dass zu Rezidiven neigende Erkrankungen zu Beeinträchtigungen führen, die über die reine Funktionseinschrän-kung des betroffenen Organs hinausgehen und sich auf das Erwerbsleben auswirken. Bei derartigen Erkrankungen sind bei der Schätzung der MdE entsprechend den Ver-hältnissen des Einzelfalls gegebenenfalls bestehende besondere Aspekte der Gene-sungszeit wie das Vorliegen einer Dauertherapie, eines Schmerzsyndroms mit Schmerzmittelabhängigkeit, Anpassung und Gewöhnung an den gegebenenfalls re-duzierten Allgemeinzustand, die notwendige Schonung zur Stabilisierung des Ge-sundheitszustandes, psychische Beeinträchtigungen (Antriebsarmut, Hoffnungslosig-keit), soziale Anpassungsprobleme etc., die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit haben, wie auch sonst bei der MdE-Bewertung zu berücksichtigen (BSG a.a.O., Rn. 17). Für eine Art "Risikozuschlag" oder "Gefährdungs-MdE" wegen der Prognoseunsi-cherheiten hinsichtlich der Entwicklung der Krankheit ist in der auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten bezogenen MdE-Schätzung in der gesetzlichen Unfallversiche-rung kein Raum, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leis-tungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind (BSG a.a.O., Rn. 18).
Dies zugrunde gelegt ist der Senat nicht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit überzeugt, dass bei der Klägerin eine MdE von mindestens 10 v.H. auf den Unfall zurückzuführen ist. Die bei der Klägerin feststellba-ren Funktionsbeeinträchtigungen geben für eine auf dem – unstreitigen – Unfall beru-hende rentenberechtigende MdE nichts her. Es ist insofern der medizinischen Beurtei-lung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B zu folgen, an dessen fachlicher Kom-petenz nicht zu zweifeln ist. Dr. B ist in seinem Sachverständigengutachten nach einer eingehenden Befunderhebung zum nachvollziehbaren Schluss gelangt, dass als ü-berdauerndes, auf den Unfall zurückzuführendes Leiden nur eine Dysthymia in Be-tracht kommt, welche lediglich eine unfallbegründete MdE von unter 10 v.H. mit sich bringt. Insbesondere vermag seine Einschätzung zu überzeugen, dass eine über den 30. November 2004 hinausgehende rentenberechtigende MdE aufgrund einer PTBS im Übergang zu einer posttraumatischen Persönlichkeitsänderung - so, wie sie vorlie-gend von den Sachverständigen Dr. H und K angenommen wird - im vorliegenden Fall mangels hinreichender Schwere des auslösenden Ereignisses nicht anzunehmen ist. Die Einschätzung des Dr. B steht so im Einklang mit dem einschlägigen unfallmedizi-nischen Fachschrifttum, wonach der akute Verlauf einer PTBS im Allgemeinen weni-ger als drei Monate dauert. Nur bei extremen Traumatisierungen kann sich langfristig eine andauernde Persönlichkeitsstörung entwickeln, wobei selbst kurzzeitige Lebens-bedrohungen des Versicherten des Versicherten in der Regel nicht ausreichten, son-dern eine andauernde lebensbedrohliche Situation gegeben sein muss. Die andau-ernde Persönlichkeitsstörung nach psychischer Erkrankung entwickelt sich auf der Grundlage einer schweren psychischen Störung zum Beispiel im Gefolge einer schweren PTBS. Das Unfallereignis muss jedoch eine qualitativ neue psychopatholo-gische Symptomatik herausbilden, welche zu einer deutlichen Unterbrechung der bis-herigen biografischen Kontinuität führt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeits-unfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, 5.1.3 und 5.1.4 (Seite 144 f.)). Demge-genüber ist ein Unfallereignis, welches - wie hier - in der Wahrnehmung eines Suizids besteht, zwar noch geeignet, kurzzeitig eine PTBS auszulösen, jedoch nicht länger-fristig, das heißt hier über den 30. November 2004 hinaus, eine rentenberechtigende MdE zu vermitteln.
Im Übrigen wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, weil die Berufung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen ist, § 153 Abs. 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfah-rens in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG gegeben ist.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente.
Die 1964 geborene Klägerin erlitt während ihrer Beschäftigung als S Bahn Aufsicht am 04. September 2002 um 8.50 Uhr im S Bahnhof B einen Schock, als sie beobach-tete, wie eine Frau vor einen einfahrenden S Bahnzug sprang und dabei zu Tode kam. Die Klägerin wurde im Anschluss im V Klinikum im F in der Erste Hilfe Stelle be-handelt. Dort wurde die Diagnose vegetative Dystonie gestellt. Laut ärztlicher Unfall-meldung der Fachärztin für Allgemeinmedizin K vom 12. September 2002, erstellt auf-grund einer Untersuchung am 05. September 2002, zog sich die Klägerin eine vegeta-tive Dystonie bei psychischer Ausnahmesituation zu. Der Gesundheitsservice der Ar-beitgeberin der Klägerin legte der Beklagten unter dem 15. November 2002 ein Infor-mationsprotokoll über Auffang- und Beratungsgespräche nach dramatischem Ereignis mit der Klägerin vor, welche am 11., 18. und 24. Oktober 2002 geführt wurden. Da-nach habe die Klägerin berichtet, dass sich in der Zeit seit Beginn ihrer Tätigkeit als S Bahn Aufsicht neben Belastungen durch Schichtdienst und erhebliche Überstunden auch partnerschaftliche und gesundheitlich bedingte zusätzliche Belastungen ange-sammelt hätten. So sei es zu ihrer Ehescheidung gekommen. Von daher sei bereits seit längerem eine Erholungskur in B beantragt gewesen. Es bestehe eine PTBS. Es bestehe aus psychologischer Sicht aktuell keine Eignung für den Wiedereinsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz im betriebsdienstlichen Bereich. Die Klägerin durchlief in der Zeit vom 29. Oktober bis zum 03. Dezember 2002 eine Rehabilitationsmaßnahme in der Reha Klinik B in B, vgl. Reha Entlassungsbericht vom 03. Dezember 2002, un-ter anderem mit der Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Die Be-klagte zog bei der Krankenkasse der Klägerin ein Vorerkrankungsverzeichnis vom 29. Januar 2003 bei. Die Klägerin unterzog sich in der Folgezeit einer psychothera-peutischen Behandlung beim Psychologischen Psychotherapeuten und Verhaltens-therapeuten Dipl. Psych. M L, vgl. Befundberichte beginnend mit dem 14. Februar 2003 und Stellungnahme der Psychologischen Psychotherapeutin R vom 23. Februar 2003. Die Beklagte nahm ein ärztliches Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S vom 28. Juni 2002 zu den Akten. Die Beklagte holte das unter dem 17. Juni 2003 erstellte nervenärztliche Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L ein, welchem eine Un-tersuchung der Klägerin am 02. April 2003 vorausgegangen war. Dr. L führte unter anderem aus, dass eine bei der Klägerin vorliegende PTBS ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sei. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 40 vom Hundert (v.H.). Die Beklagte wurde über die Aufnahme der Klägerin zu einer stationären Behandlung in der P Klinik M am 21. Oktober 2003 informiert. Nach dem Entlassungsbericht vom 12. November 2003 befand sich die Klägerin vom 21. Oktober bis zum 11. November 2003 in dortiger stationärer Behandlung mit der Diagnose PTBS. Nach Einholung eines Berufshelferberichts vom 10. Februar 2004 veranlasste die Beklagte eine betriebliche Belastungserprobung der Klägerin ab 23. Februar 2004 und holte eine neurologisch-psychiatrische Stellungnahme des Neu-rologen und Psychiaters Dr. B nach Aktenlage vom 12. April 2004 ein, wonach die Klägerin nach wie vor unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leide, so dass die fortbestehende Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Un-falls weiterhin anzuerkennen sei. Nachdem der Dipl. Psych. L unter dem 20. April 2004 einen weiteren Befundbericht vorgelegt hatte, befand sich die Klägerin vom 12. Mai bis zum 22. Juni 2004 in stationärer Behandlung der C, Medizinische Kli-nik mit Schwerpunkt Psychosomatik. Laut Entlassungsbericht vom 30. Juni 2004 wa-ren die Diagnosen bei Aufnahme PTBS, Agoraphobie mit Panikstörung und Anpas-sungsstörung mit längerer depressiver Reaktion. Die Entlassungsdiagnosen lauteten Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt, sonstige Krankheit durch Helicobacter pylori, Platzangst mit Panikstörung, Gastritis durch Helicobacter pylori und Allergie gegenüber Penicillin in Eigenanamnese. In der Folgezeit ließ sich die Klägerin auf Vorschlag der Beklagten vom Chefarzt der Abteilung Psychiatrie der S-Klinik Prof. Dr. S am 23. Februar 2005 untersuchen. Prof. Dr. S erstellte unter dem 03. Mai 2005 ein psychiatrisches Gutachten, wonach bei der Klägerin eine Anpas-sungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen (Angst, Sor-gen, Anspannung und Ärger) und psychogene Schlafstörungen bestünden. Dies seien die Unfallfolgen. Vom Unfall unabhängige krankhafte Veränderungen seien die von der Klägerin geschilderte gravierenden Einschränkungen ihres sozialen Leben mit in-terkurrentem Rückzug, geringer Belastbarkeit, Schwierigkeit im Umgang mit Men-schengruppen, lauten Geräuschen. Durch die Verletzungsfolgen sei die Erwerbsfähig-keit nur um 10 v.H. gemindert. Die Erfahrung zeige, dass erst eine endgültige Ent-scheidung des Rentenverfahrens die Beschwerden und den Leidensdruck wesentlich reduzieren würde.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. Mai 2005 die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund des Unfalls vom 04. September 2002 ab. Die Klägerin habe beim Unfall eine PTBS erlitten. Im Ergebnis der ärztlichen Un-tersuchung sei festgestellt worden, dass bei ihr noch als unfallbedingter Gesundheits-schaden ein leichtgradiger psychischer Krankheitszustand bestehe. Eine rentenbe-rechtigende MdE bestehe nicht. Die Klägerin erhob am 15. Juni 2005 Widerspruch und verwies auf das Vorliegen einer PTBS. Die Beklagte forderte bei der Landesklinik B einen Behandlungsbericht der Bezirksnervenklinik B vom 16. Dezember 1986 an, wonach die Klägerin dort vom 08. Dezember bis zum 09. Dezember 1986 nach Vor-nahme eines Selbsttötungsversuchs nach Partnerschaftskonflikt unter Alkoholeinfluss bei unreifer Persönlichkeit behandelt wurde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2005 zurück. In der Begründung verwies sie auf die ausweislich des Gutachtens von Prof. Dr. S vom 03. Mai 2005 eingetretene Besserung beziehungsweise Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit.
Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 07. Oktober 2005 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie ist der Auffassung gewesen, dass Prof. Dr. S in seiner Begutachtung nicht hinreichend berücksichtigt habe, wie schwie-rig die Wiedereingliederung der Klägerin ins Arbeitsleben verlaufe. Sie sei kaum mehr als fünf Stunden täglich belastbar. Die bei der Klägerin von Dr. L in seinem Gutachten vom 17. Juni 2003 diagnostizierte Belastungsstörung sei nach wie vor in vollem Um-fang gegeben. Die Klägerin sei nach wie vor nicht in der Lage, vollschichtig zu arbei-ten. Die Belastbarkeit der Klägerin leide auch darunter, dass sie ersichtliche Probleme in der Kommunikationsfähigkeit mit Fremden habe, was sich auch aus dem Gutachten des Sachverständige Prof. Dr. S ergebe. Dieser lasse völlig unbeachtet, dass die Klä-gerin bis zum heutigen Tage auch unstreitig nicht in der Lage sei, eine S Bahn zu nut-zen beziehungsweise eine S Bahn überhaupt zu sehen oder aber auch nur die Vibra-tionen eines S Bahn Zuges zu spüren. Die Klägerin sei nur unter Einnahme von Beru-higungsmitteln (Urfiril 300 2 x morgens und 3 x abends) in der Lage, ihr Arbeitsleben zu bewältigen. Das SG hat aufgrund der Beweisanordnung vom 27. April 2006 beim Leitenden Oberarzt des V Klinikums A und Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B das unter dem 30. Juni 2006 erstellte psychiatrische Sachverständigengutach-ten eingeholt. Der Sachverständige ist zu der Einschätzung gelangt, dass als über-dauerndes Leiden eine Dysthymia festzustellen sei, aktualisiert durch eine wenige Wochen zurückliegende Trennung. Vorübergehend und zeitbegrenzt sei nach dem Unfall vom 04. September 2002 bis Juni 2004 eine PTBS in den Vordergrund getre-ten, welche jetzt nur noch abklingend wirksam sei und vor allem im Kontext des ge-richtlichen Verfahrens das Selbstkonzept der Klägerin bestimme. Die PTBS sei im Sinne der erstmaligen Entstehung auf das Unfallereignis zurückzuführen. Die unfall-begründete MdE sei ab Eintritt des Versicherungsfalles bis zum Juni 2004 mit 40 v. H. einzuschätzen; seither sei die unfallbegründete MdE mit unter 10 v. H. zu veranschla-gen. Die Beurteilung von Prof. Dr. S sei im Wesentlichen zu bestätigen. In Verschie-bung der Diagnose von einer Anpassungsstörung hin zu einer Dysthymia sei beson-ders in diesem rechtlichen Rahmen nur als Akzentverschiebung zu sehen. Die Kläge-rin ist dem Gutachten mit einem für die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn See unter dem 18. Mai 2006 des S-Krankenhauses B entgegengetreten, wo-nach die Klägerin unter einer komplexen PTBS nach Verunfallung im September 2002 leide. Es bestehe der Verdacht auf eine posttraumatische Persönlichkeitsänderung. Zum Zeitpunkt der Begutachtung liege eine leicht ausgeprägte depressive Symptoma-tik vor, welche als leichtgradige depressive Episode zu diagnostizieren sei. Die Kläge-rin könne bei qualitativen Leistungseinschränkungen einer regelmäßigen Erwerbstä-tigkeit nach hinreichender fachlicher Behandlung nachgehen, ohne dass die Gefahr einer Verschlechterung bestehe. Sie könne in geeigneter Umgebung nach hinreichen-der Besserung sechs Stunden und mehr arbeiten, aus derzeitiger Sicht unter den zu-letzt bekannten Arbeitsbedingungen nicht mehr als sechs Stunden. Das SG hat auf Antrag der Klägerin mit Beweisanordnung vom 22. März 2007 das unter dem 13. Oktober 2008 erstellte psychiatrisch-psychologische Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychotherapeutische Medizin Dr. H und des Oberarztes und Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie K eingeholt, wonach die Klägerin zum Zeitpunkt der Untersuchung wie auch im Zeitpunkt der früheren Be-gutachtung beim S Krankenhaus unter einer komplexen PTBS mit noch fortbestehen-der Vermeidungs- und Intrusionssymptomatik und typischer Komorbidität einer mit-telgradig ausgeprägten, rezidivierenden depressiven Störung gelitten habe. Ab dem 01. Dezember 2004 habe fortbestehende MdE mit zeitlich begrenzter Arbeitsfähigkeit als Fahrkartenverkäuferin bestanden. Die MdE habe zunächst 40 v.H. betragen. Am 13. Juli 2005 werde eine MdE von 30 bis 40 v.H. zur Anerkennung gebracht. Dr. B hat unter dem 23. Dezember 2008 ergänzend Stellung genommen und das Gutachten von Dr. H und K vor allem in methodischer Hinsicht kritisiert.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 16. März 2009 abgewiesen. Es hat sich zur Beur-teilung des Grades der MdE vor allem der medizinischen Einschätzung Dr. Bs ange-schlossen. Der zu fordernde haftungsausfüllende Zusammenhang zwischen dem Un-fallereignis und den fortbestehenden psychiatrischen Auffälligkeiten der Klägerin sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Es bestünden vielmehr Zweifel, dass das Ereignis vom 04. September 2002 die rechtlich wesentliche Ursache für das auch seit Wieder-eintritt der Arbeitsfähigkeit am 01. Dezember 2004 bestehende Schadensbild der Klä-gerin auf psychiatrischem Gebiet sei. Dr. B habe lediglich als überdauerndes Leiden eine Dysthymia festgestellt, welche durch eine wenige Wochen zurückliegende Tren-nung aktualisiert sei. Vorübergehend und zeitlich begrenzt sei zwar nach dem Unfall vom 04. September 2002 bis Juni 2004 eine PTBS in den Vordergrund getreten. Sie sei jetzt jedoch nur noch abklingend wirksam. Seit Juni 2004 sei die unfallbegründete MdE mit unter 10 v.H. zu veranschlagen. Die von Dr. B postulierte Tendenzwende zum Juni 2004 sei nachvollziehbar mit der Beendigung eines stationären Aufenthalts der Klägerin in der C am 22. Juni 2004 zu begründen. Laut Entlassungsbericht habe ein Diagnosewechsel von einer PTBS zu einer Anpassungsstörung mit Angst und de-pressiver Reaktion gemischt stattgefunden. Zudem sei im nervenärztlichen Konsil vom 13. Mai 2004 keine führend depressive oder auch angstgeprägte Psychopathologie festgestellt worden, sondern eine Dysthymie, die zum Teil auch posttraumatisch be-dingt sei. Die charakteristischen Symptome einer PTBS habe Dr. B bei der Klägerin nicht mehr sicher saldieren können. Auch liege keine Drohung katastrophenartigen Ausmaßes in dem Unfall vom 04. September 2002, welche erst eine chronifizierte Form der PTBS hätte bedingen können. Dies werde auch im einschlägigen arbeits-medizinischen Schrifttum gefordert. Der Einschätzung der von der Klägerin genannten Sachverständigen Dr. H sei demgegenüber nicht zu folgen. Dr. H verwische die feine Unterscheidung, welche zwischen den Diagnoseschlüsseln F62.0 und F62.1 zu treffen sei, worauf Dr. B zutreffend hinweise. Das Erfordernis einer Extrembelastung als Vor-aussetzung für die Annahme einer chronifizierten Form der PTBS solle so ausgehe-belt werden, was nicht überzeuge. Zudem seien durch Dr. H, soweit bei der Klägerin eine PTBS diagnostiziert werde, doch recht unbesehen subjektive Angaben der Klä-gerin zur Pathogenese ihres psychiatrischen Leidens zugrunde gelegt worden, ohne die mögliche Bedeutung anderer Faktoren für ihr Beschwerdebild und den Grad der Beschwerden in ihrem zeitlichen Verlauf hinreichend zu berücksichtigen. Dr. B weise zutreffend darauf hin, dass der von Dr. H vorgenommenen testpsychologischen Un-tersuchung mit größter Skepsis zu begegnen sei, weil selbst Beurteilungsskalen und projektive Verfahren zur Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung weder konzipiert noch validiert seien. Schließlich fehle es, worauf Dr. B ebenfalls zutreffend hinweise, dem Gutachten von Dr. H an einer Formulierung eindeutiger Aussagen. Es überzeuge auch nicht in methodischer Hinsicht. Es seien keine klaren Argumentati-onslinien erkennbar, welche eine Überzeugung von der Richtigkeit der von ihr letztlich gestellten Diagnosen bewirken könnten. Schließlich habe Dr. H für die Fertigung des Gutachtens mehr als 18 Monate benötigt und damit die vom Gericht gesetzte Frist um mehr als das Sechsfache überschritten.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 30. März 2009 zugestellte Urteil am 27. April 2009 Berufung eingelegt. Die Klägerin legt eine Stellungnahme der Fachärzte für Neurolo-gie und Psychiatrie Dr. F und Dr. K vom 19. Mai 2009 vor, wonach bei der Klägerin ei-ne PTBS diagnostiziert sei, ferner ausgeprägte Schlafstörungen, eine Agoraphobie und ausgeprägte Anpassungsstörungen bestünden. Die Klägerin verweist zudem auf den vorgelegten Bericht des Dipl. Psych. L vom 11. Mai 2009, wonach eine chronifi-zierte Symptomatik nach Traumatisierung fortbestehe.
Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),
den Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2005 sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. März 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Ar-beitsunfalls vom 04. September 2002 ab dem 01. Dezember 2004 eine Verletztenrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 13. und 16. Mai 2011 einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die jeweils in drei Bänden vorliegenden Gerichts- und Unfallakten, die beige-zogenen Akten der Knappschaft Bahn See und auf die als Beiheft zu den Akten ge-nommenen Kopien aus der Schwerbehindertenakte der Klägerin verwiesen und inhalt-lich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Berichterstatter kann gemäß § 155 Abs. 3 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) allein anstelle des Senats sowie gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise ihr Einverständnis erklärt haben.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren die Klä-gerin nicht. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verletztenrente.
Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge ei-nes Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 7 Abs. 1 SGB VI sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle der Versicherten infolge einer den Versicherungs-schutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereig-nisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der Gesetzgeber bringt mit der Formulierung "infolge" in § 8 Abs. 1 S. 1 und § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Ver-knüpfung des Unfalls mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zu-rechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleich-gestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversi-cherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa Bun-dessozialgericht (BSG), Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Die Frage nach diesem Zurechnungszusammenhang stellt sich auf drei Ebenen, nämlich als Unfallkausalität zwischen ausgeübter Tätigkeit und Unfallereig-nis, als haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheits-erstschaden und als haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstscha-den und längerandauernden Unfallfolgen (BSG, a.a.O., Rn. 10; Schönberger/ Mehr-tens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, 1.4, S. 21 f.). Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit, des Unfallereignisses und Unfall-folgen müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahr-scheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu be-urteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrschein-lich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20). Soweit das Gesetz in § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII eine äußere Ursache für den Gesundheitsschaden fordert, lösen im Umkehrschluss solche Gesundheitsschäden keinen Anspruch aus, welche auf so genannten inneren Ursa-chen beruhen. Dies sind körpereigene Ursachen infolge krankhafter Erscheinungen oder der Konstitution des Betroffenen (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, a.a.O., S. 28). Wesentliche Ursache für den Gesundheitsschaden ist eine beim Versicherten be-standene, bereits zuvor beschriebene Krankheitsanlage und nicht das schädigende Ereignis, wenn nichts dafür vorliegt, dass die Krankheitsanlage entweder zur Entste-hung krankhafter Veränderungen einer besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äuße-ren Einwirkung bedurfte oder ohne das Unfallereignis zu einem – nicht unwesentlich – späteren Zeitpunkt aufgetreten wäre, dieser aber durch die schädigende Einwirkung erheblich vorverlegt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 1987 – 2 RU 35/87 -, zi-tiert nach juris Rn. 27). Hiervon ausgehend hängt die Bemessung der MdE von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglich-keiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beein-trächtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wir-kung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die rich-terliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfol-gen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfah-rungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträch-tigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamt-gebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versi-cherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, ge-rechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unter-liegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R -, zi-tiert nach juris Rn. 12). Hierbei kann zu beachten sein, dass zu Rezidiven neigende Erkrankungen zu Beeinträchtigungen führen, die über die reine Funktionseinschrän-kung des betroffenen Organs hinausgehen und sich auf das Erwerbsleben auswirken. Bei derartigen Erkrankungen sind bei der Schätzung der MdE entsprechend den Ver-hältnissen des Einzelfalls gegebenenfalls bestehende besondere Aspekte der Gene-sungszeit wie das Vorliegen einer Dauertherapie, eines Schmerzsyndroms mit Schmerzmittelabhängigkeit, Anpassung und Gewöhnung an den gegebenenfalls re-duzierten Allgemeinzustand, die notwendige Schonung zur Stabilisierung des Ge-sundheitszustandes, psychische Beeinträchtigungen (Antriebsarmut, Hoffnungslosig-keit), soziale Anpassungsprobleme etc., die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit haben, wie auch sonst bei der MdE-Bewertung zu berücksichtigen (BSG a.a.O., Rn. 17). Für eine Art "Risikozuschlag" oder "Gefährdungs-MdE" wegen der Prognoseunsi-cherheiten hinsichtlich der Entwicklung der Krankheit ist in der auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten bezogenen MdE-Schätzung in der gesetzlichen Unfallversiche-rung kein Raum, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leis-tungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind (BSG a.a.O., Rn. 18).
Dies zugrunde gelegt ist der Senat nicht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit überzeugt, dass bei der Klägerin eine MdE von mindestens 10 v.H. auf den Unfall zurückzuführen ist. Die bei der Klägerin feststellba-ren Funktionsbeeinträchtigungen geben für eine auf dem – unstreitigen – Unfall beru-hende rentenberechtigende MdE nichts her. Es ist insofern der medizinischen Beurtei-lung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B zu folgen, an dessen fachlicher Kom-petenz nicht zu zweifeln ist. Dr. B ist in seinem Sachverständigengutachten nach einer eingehenden Befunderhebung zum nachvollziehbaren Schluss gelangt, dass als ü-berdauerndes, auf den Unfall zurückzuführendes Leiden nur eine Dysthymia in Be-tracht kommt, welche lediglich eine unfallbegründete MdE von unter 10 v.H. mit sich bringt. Insbesondere vermag seine Einschätzung zu überzeugen, dass eine über den 30. November 2004 hinausgehende rentenberechtigende MdE aufgrund einer PTBS im Übergang zu einer posttraumatischen Persönlichkeitsänderung - so, wie sie vorlie-gend von den Sachverständigen Dr. H und K angenommen wird - im vorliegenden Fall mangels hinreichender Schwere des auslösenden Ereignisses nicht anzunehmen ist. Die Einschätzung des Dr. B steht so im Einklang mit dem einschlägigen unfallmedizi-nischen Fachschrifttum, wonach der akute Verlauf einer PTBS im Allgemeinen weni-ger als drei Monate dauert. Nur bei extremen Traumatisierungen kann sich langfristig eine andauernde Persönlichkeitsstörung entwickeln, wobei selbst kurzzeitige Lebens-bedrohungen des Versicherten des Versicherten in der Regel nicht ausreichten, son-dern eine andauernde lebensbedrohliche Situation gegeben sein muss. Die andau-ernde Persönlichkeitsstörung nach psychischer Erkrankung entwickelt sich auf der Grundlage einer schweren psychischen Störung zum Beispiel im Gefolge einer schweren PTBS. Das Unfallereignis muss jedoch eine qualitativ neue psychopatholo-gische Symptomatik herausbilden, welche zu einer deutlichen Unterbrechung der bis-herigen biografischen Kontinuität führt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeits-unfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, 5.1.3 und 5.1.4 (Seite 144 f.)). Demge-genüber ist ein Unfallereignis, welches - wie hier - in der Wahrnehmung eines Suizids besteht, zwar noch geeignet, kurzzeitig eine PTBS auszulösen, jedoch nicht länger-fristig, das heißt hier über den 30. November 2004 hinaus, eine rentenberechtigende MdE zu vermitteln.
Im Übrigen wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, weil die Berufung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen ist, § 153 Abs. 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfah-rens in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG gegeben ist.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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