L 15 AY 14/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 20 AY 1/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 AY 14/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 1. April 2011 wird abgelehnt. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 1. April 2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Sozialgerichts war abzulehnen. Das Rechtsmittel hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, sodass von daher die Voraussetzungen für eine Bewilligung nicht vorliegen (§§ 153 Abs. 1, 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i. V. mit § 114 Zivilprozessordnung). Keinen Erfolg hat angesichts dessen auch die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht richtet. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin, wie sie aus ihrem Schriftsatz vom 31. Mai 2011 hervorgeht, führt allein der Umstand, dass ein Vorlagebeschluss zu der von der Antragstellerin als entscheidungserheblich angesehenen Rechtsfrage beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist, nicht dazu, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Weiteres gegeben wären. Die Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist anhand anderer rechtlicher Kriterien zu treffen. Auf die folgenden Ausführungen wird Bezug genommen. Die Beschwerde ist auch unbegründet, soweit sie sich gegen die Ablehnung einer Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes richtet. Die Antragstellerin macht eine Leistung geltend, die sie bisher nicht erhält. Eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung setzt in diesem Fall grundsätzlich voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 916 ZPO; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 917 ZPO; Anordnungsgrund) feststellbar sind. Es fehlt nach einfachem Recht an einem Anordnungsanspruch. Die Antragstellerin gehört gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG zum Kreis der Leistungsberechtigten nach diesem Gesetz. Sie ist deshalb von anderen Leistungsgesetzen ausgeschlossen, die bedürftigkeitsabhängige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vorsehen (s. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch, 23 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch). Diese Unterscheidung ist nicht gleichheitswidrig. Der Gesetzgeber darf Art und Umfang von Sozialleistungen an Ausländerinnen und Ausländer grundsätzlich von der voraussichtlichen Dauer ihres Aufenthalts abhängig machen und dabei auch ein eigenes, von den Regelungen der allgemeinen Leistungsgesetze zur Existenzsicherung abweichendes Konzept zur Sicherung des Lebensbedarfs entwickeln (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvR 293/05, BVerfGE 116, 229 ff mit weiteren Nachweisen). Jedenfalls bei Personen wie der Antragstellerin, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, kann von einem nur vorübergehenden Aufenthalt im Inland ausgegangen werden. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin lässt sich der von ihr geforderte Anspruch aus dem geltenden AsylbLG nicht herleiten. Sie macht laufende Barleistungen als Anspruchsleistungen und in einer Höhe geltend, die wesentlich über der liegt, die § 3 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 AsylbLG vorsehen. Ob das in § 3 Abs. 3 AsylbLG genannte Bundesministerium das in dieser Vorschrift aufgestellte Normsetzungsgebot verletzt hat, indem es die in § 3 Abs. 2 AsylbLG angegebenen Werte nicht durch Rechtsverordnung angepasst hat, oder ob die Werte - wie nach dem Vortrag der Antragstellerin offenbar das Bundesministerium selbst meint - nicht anzupassen waren, kann offenbleiben. Denn selbst wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anpassung vorlägen, verböte der Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz [GG]) den Gerichten, selbst normsetzend tätig zu werden. Neben § 3 AsylbLG sieht das Gesetz laufende Leistungen zur Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts nicht vor, vor allem nicht in § 6 Abs. 1 AsylbLG. Ob die vom Antragsgegner gewährten "einmaligen" Leistungen auf der Grundlage dieser Vorschrift rechtmäßig gewährt worden sind, ist für das vorliegende Verfahren ohne rechtliche Bedeutung. Sie stehen außerhalb der laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die von der Antragstellerin geltend gemacht werden. Die Antragstellerin verkennt die Kompetenzen der Fachgerichte, wenn sie meint, dass diese berechtigt wären, eine Norm des förmlichen Bundesrechts jedenfalls vorläufig bis zu einer Entscheidung des für die Verwerfung alleinzuständigen Bundesverfassungsgerichts in einer Weise anzuwenden, die eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorwegnähme. Die Fachgerichte sind aufgrund ihrer Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) vielmehr nicht berechtigt, Leistungen zuzuerkennen, die sich nicht aus dem geschriebenen Recht - ummittelbar oder durch Auslegung nach anerkannten rechtswissenschaftlichen Methoden unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen - ergeben. Die Voraussetzungen für die von der Antragstellerin ins Gespräch gebrachte verfassungskonforme Auslegung einer Norm des einfachen Rechts liegen offenkundig nicht vor: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist "die verfassungskonforme Auslegung einer Norm ... geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt. Grenzen werden der verfassungskonformen Auslegung durch den Wortlaut und den Gesetzeszweck gezogen. Ein Normverständnis, welches mit dem Gesetzeswortlaut nicht mehr in Einklang zu bringen ist, kann durch verfassungskonforme Auslegung ebenso wenig gewonnen werden wie ein solches, das in Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes treten würde" (stellvertretend Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 825/08 u. a. -, BVerfGE 124, 25 [39]). Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 AsylbLG ergibt sich die maximale Höhe der Barleistungen, die laufend zu gewähren sind oder zu gewähren sein können. Höhere laufende Leistungen stünden daher im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes. Dass der Wortlaut des AsylbLG nicht an die Währungsumstellung zum 1. Januar 2002 angepasst wurde, machte im Gegensatz dazu eine Auslegung des Gesetzes unerlässlich: Es steht außer Frage, dass staatliche Geldleistungen nicht in einer Währung ausgezahlt werden können, die derselbe Staat nicht mehr als geltendes Zahlungsmittel anerkennt (s. § 1 des Gesetzes über die Beendigung der Zahlungsmitteleigenschaft der auf Deutsche Mark lautenden Banknoten und der auf Deutsche Mark und Deutsche Pfennig lautenden Bundesmünzen vom 16. Dezember 1999, BGBl. I S. 2402). Weil aber nichts dafür ersichtlich ist, dass mit der Einführung des Euro die Barleistungen nach dem AsylbLG abgeschafft werden sollten, ergibt bereits die einfachrechtliche Auslegung nach Sinn und Zweck, dass die Barleistungen in der als Zahlungsmittel geltenden Währung, also dem Euro, entsprechend dem allgemein geltenden Umrechnungskurs zu gewähren sind (zum Umrechnungskurs Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2866/98 vom 31. Dezember 1998, ABl. Nr. L 359 S. 1). Der Umstand, dass gegen Art und Höhe der Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem AsylbLG beachtliche verfassungsrechtliche Bedenken vorgetragen worden sind und ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig ist, führt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes jedoch dazu, dass der Senat nicht in der Lage ist, die entscheidungserhebliche Rechtslage abschließend - einschließlich der Frage der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz - zu prüfen; wie ausgeführt ist die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Der Senat hat, anders als die Antragstellerin meint, jedoch nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG vorliegen, unter denen die Frage der Vereinbarkeit einer Rechtsnorm mit dem Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen ist. Vielmehr hat er im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes eine Interessenabwägung anhand von Grundrechten vorzunehmen (s. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 803). Diese ergibt auch nach den Ausführungen der Bevollmächtigten der Antragstellerin in diesem Verfahren nicht, dass ihr ohne die Zuerkennung von Leistungen mittels gerichtlicher Eilentscheidung schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch ein etwaiges Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären Die Antragstellerin macht zur Begründung ihres Anliegens geltend, dass die gewährten Leistungen nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Festlegung des Existenzminimums entsprächen. Weiterhin ist aber nicht ersichtlich, dass die Leistungen, welche der Antragsgegner gewährt, Bedarfe ungedeckt ließen, die zur Sicherung der Existenz unerlässlich wären. Wie bereits ausgeführt, ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, für den Personenkreis der Asylbewerberinnen und Asylbewerber ein Leistungssystem zu schaffen, das dem gleichen Konzept folgt wie die Sozialhilfe oder die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Dementsprechend ergibt sich allein aus einem Vergleich mit den Leistungen zum Lebensunterhalt nach diesen beiden Leistungssystemen noch nicht, dass die Antragstellerin tatsächlich aktuell ungedeckte existenznotwendige Bedarfe hätte. Nichts anderes gilt für den Betrag, um den der Antragsgegner den Wert nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG gemindert hat. Es handelt sich um Kosten, von denen davon ausgegangen werden kann, dass sie der Antragstellerin auch dann entstünden, wenn sie außerhalb einer Gemeinschaftseinrichtung wohnen würde. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Bundessozialgericht ausgeschlossen (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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