Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KN 153/10
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Rückforderung wegen Überschrei-tens der Hinzuverdienstgrenzen.
Der 1958 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Sozialversicherungsfachangestellter in der Funktion als Leiter der Verfahrenstelle für das Widerspruchs- und Klageverfahren beschäftigt. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 14.10.1997 ab 1.10.1997 Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau und mit Bescheid vom 18.1.1999 ab 1.1.1999 Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Mit Schreiben vom 20.3.2006 bat die Beklagte den Kläger um Beantwortung eines Frage-bogens zu Änderungen in den Verhältnissen, den der Kläger beantworte. Der ausgefüllte Fragebogen ging am 10.4.2006 bei der Beklagten ein. Bescheinigungen über die erzielten Bruttoarbeitsentgelte von Januar 1999 bis Dezember 2005 gingen am 5.4.2006 bei der Rentensachbearbeitung der Beklagten ein.
Mit Schreiben vom 27.9.2006 hörte die Beklagte den Kläger bezüglich einer beabsichtigten Aufhebung des Bescheides vom 18.1.1999 hinsichtlich der Rentenhöhe gemäß § 48 Abs. 1 SGB X an. Der Kläger nahm mit Schreiben vom 30.10.2006, eingegangen bei der Beklagten am 7.11.2006, ausführlich Stellung und wehrte sich gegen die beabsichtigte Aufhebung. Er bestritt eine Verletzung der Mitwirkungspflicht und das Vorliegen von gro-ber Fahrlässigkeit und berief sich auf die in der Dienstanweisung der Beklagten geregelte Obliegenheit zur jährlichen Rentenkontrolle. Zudem machte er Mehraufwendungen für eine bestehende hundertprozentige Schwerbehinderung und monatliche Unterhaltszahlungen an ein Heim für seine Mutter geltend. Er wies darauf hin, dass seiner Ansicht nach eine atypische Fallgestaltung vorliege.
Mit Schreiben vom 25.4.2007 forderte die Beklagte den Kläger auf, einen Fragebogen zur Klärung der wirtschaftlichen Verhältnisse auszufüllen. Am 8.9.2007 beantwortete der Klä-ger diese Anfrage, machte Ausführungen zum Unterhalt bezüglich seiner Mutter und legte Rechnungen des Heims, Kontoauszüge sowie eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises vor. Den von der Beklagten übersandten Fragebogen legte er nicht bei. Mit Schreiben vom 13.2.2008 forderte die Beklagte den Kläger auf, die familiären wirtschaftlichen Verhältnisse offen zu legen. Dieses Schreiben wurde nicht beantwortet.
Mit Bescheid vom 4.4.2008 hob die Beklagte den Bescheid vom 18.1.1999 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X wegen des Zusammentreffens von Rente und Hinzuverdienst auf und machte einen Erstattungsanspruch gemäß § 50 SGB X in Höhe von 11.680,62 EUR geltend. Den eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss Ibbenbüren mit Widerspruchsbescheid vom 20.8.2008 zurück. Im Widerspruchsbescheid nahm die Beklagte das Vorliegen eines atypischen Falles an. Im anschließenden Klageverfahren hob die auch hier zuständige Kammer des Sozialgerichts München nach Durchführung eines Erörterungstermins und einer mündlichen Verhandlung den Widerspruchsbescheid wegen des unzuständigen Widerspruchsauschusses auf. In der Folge wies die Beklagte durch den Widerspruchsauschuss München den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.6.2010 erneut zurück. Die Begründung ist identisch mit dem Widerspruchsbescheid vom 20.8.2008.
Dagegen hat der Kläger am 30.7.2010 Klage zum Sozialgericht München erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 12.4.2011 hat die Kammer ausführlich auf die Sach- und Rechtslage und das bestehende Prozessrisiko hingewiesen und einen gerichtlichen Vergleichvorschlag unterbreitet. Beide Beteiligte haben diesen Vergleichsvorschlag nicht an-genommen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass er nicht grob fahrlässig eine Mitteilungspflicht hinsichtlich der Meldung seines Hinzuverdienstes verletzt habe. Die Beklagte habe auf Grundlage der geltenden Dienstanweisung jährlich eine Hinzuverdienstprüfung vorzunehmen. Auch sei eine Rückforderung im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X auf den Mehrverdienst begrenzt. Der Kläger beruft sich darüber hinaus auf die seiner Ansicht nach abgelaufener Jahresfrist des §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X und auf eine fehlerhafte Ermessensentscheidung.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 4.4.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der parallelen Klageakte S 4 KN 152/10, der Klageakte S 4 KN 205/08 sowie der beigezogenen Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Gegenstand der Klage ist der Bescheid vom 4.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2010, mit dem die Beklagte den Rentenbescheid vom 18.1.1999 wegen des Zusammentreffens von Rente und Hinzuverdienst aufgehoben und einen Erstattungsanspruch in Höhe von 11.680,62 EUR geltend gemacht hat.
Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Formelle Verfahrensfehler bezüglich des Erlasses der streitgegenständlichen Bescheide sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat nun der zuständige Widerspruchsausschuss München über den Widerspruch des Klägers entschieden. Aber auch materiell entsprechen die Be-scheide dem geltenden Recht.
Gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung ein-tritt.
Gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Gem. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss die Behörde bei einer Rücknahme für die Vergangenheit dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X sind erfüllt. Die wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen liegt im Über-schreiten der für die Rente wegen Berufsunfähigkeit geltenden Hinzuverdienstgrenzen. Im Gegensatz zur Ansicht des Klägers liegt eine wesentliche Änderung bereits dann vor, wenn die Hinzuverdienstgrenze minimal (hier 6,68 EUR) überschritten wird. Einen Mindestbetrag des Überschreitens sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr bedeutet "wesentlich" in die-sem Zusammenhang "rechtserheblich" (BSG SozR 2200 § 1255&8201;a Nr 19 S 56; BSGE 59, 111, 112 = SozR 1300 § 48 Nr 19). Vorausgesetzt wird also eine solche Änderung, die zur Folge hat, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den ergangenen Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr 22 S 50), etwa weil der im Bescheid festgestellte Anspruch materiell-rechtlich nicht mehr be-steht. "Soweit" auch eine geringfügige Änderung für den Verwaltungsakt rechtserheblich ist, ist er (ggf. teilweise) aufzuheben (siehe dazu u.a. Kasseler Kommentar, Sozialversi-cherungsrecht, § 48 SGB X Rn 13).
Der Kläger hat seinen gestiegenen Hinzuverdienst und damit das Überschreiten der maß-gebenden Hinzuverdienstgrenze nicht von sich aus an die Beklagte gemeldet, sondern erst auf Anforderung durch die Beklagte. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Meldepflicht und die Konsequenzen einer Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen dem Kläger bekannt waren. Wenn nicht, liegt zur vollen Überzeugung des Gerichts zumindest grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X vor. Schließlich war der Kläger zum Zeitpunkt der Erzielung des Hinzuverdienstes Leiter der Verfahren-stelle für das Widerspruchs- und Klageverfahren bei der Beklagten und damit sehr gut mit den gesetzlichen Regelungen vertraut. Davon konnte sich das Gericht mehrfach bei der Wahrnehmung von Sitzungsvertretungen durch den Kläger selbst überzeugen.
Soweit der Kläger sich auf die in der Dienstanweisung der Beklagten geregelte jährliche Rentenüberprüfung beruft, schließt diese grobe Fahrlässigkeit nicht aus. Unabhängig da-von, dass die Rentenversicherung regelmäßig selbst bei den Arbeitgebern aktuelle Hinzuverdienste überprüfen soll und auch überprüft, entbindet die Dienstanweisung die Versicherten nicht von ihren Mitteilungspflichten. Dies gilt auch für den Kläger, auch wenn in seinem Fall personalbearbeitende Stelle und Rentensachbearbeitung in einer Abteilung bei der Beklagten zusammengefasst ist. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet die Gleichbehandlung aller Versicherten unabhängig davon, wer Arbeitgeber ist.
Folglich hat die Beklagte die Rücknahme zu Recht nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind zwar ebenfalls gegeben, jedoch ist die Rücknahme und Überzahlung hier (nach der Rechtsprechung des Bundessozialge-richts) auf den die Hinzuverdienstgrenze übersteigenden Betrag begrenzt. Diese Begren-zung entfällt bei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X.
Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Beklagte die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beachtet. Es ist in der höchstrichterlichen Recht-sprechung nicht eindeutig geklärt, hinsichtlich welcher Tatsachen Kenntnis bestehen muss. Insbesondere ist nicht eindeutig geklärt, ob die Jahresfrist erst mit Kenntnis der für die Ausübung des Ermessens notwendigen Tatsachen beginnt. Stellt man im vorliegen-den Fall nur auf die Kenntnis hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale ohne Berücksichti-gung der Rechtsfolge "Ermessensentscheidung" ab, wäre die Frist versäumt. Denn die Beklagte hatte bereits am 10.4.2006 vollständige Kenntnis bezüglich der erzielten Ar-beitsentgelte von 1999-2005 inklusive einer Vorausbescheinigung für 2006. Die Verlet-zung der Mitteilungspflicht beziehungsweise die grobe Fahrlässigkeit bezüglich der Kenntnis der Rechtsfolgen eines die Hinzuverdienstgrenze übersteigenden Hinzuver-dienstes war ihr ebenfalls bereits 2006 bekannt. Im Übrigen ergibt sich dies auch aus ei-nem Aktenvermerk vom 16.4.2007, in dem auf die Frist hingewiesen wurde. Müssen je-doch auch die für eine Ermessensausübung notwendig feststellenden Tatsachen bekannt sein, ist die Frist gewahrt, weil der Kläger die von dem Sachbearbeiter als notwendig er-achtete Anfrage zur Offenlegung der familiären wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vollum-fänglich beantwortet hat.
Die Kammer ist der Auffassung, dass bei Annahme eines atypischen Falles auch Kenntnis der für die Ermessensausübung notwendigen Tatsachen für den Fristbeginn bestehen muss. Denn wäre dem nicht so, wäre die Beklagte trotz Kenntnis, dass eine Ermessensentscheidung notwendig ist, gegebenenfalls gegen Ende der Frist verpflichtet, eine Entscheidung ins Blaue hinein ohne Berücksichtigung sämtlicher für das Ermessen notwendiger Tatsachen zu treffen. Damit liefe sie aber automatisch Gefahr, in einem nachfolgen-den Rechtsbehelfsverfahren wegen Ermessensfehler aufgehoben zu werden. Die Kammer sieht sich in dieser Auffassung durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 31.1.2008 (Az. B 13 R 23/07 R) bestärkt. Die dortigen Entscheidungsgründe lauten aus-zugsweise wie folgt:
"Die Einjahresfrist des § 48 Abs 4 iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X beginnt mit Kenntnis des Aufhebungsgrunds. Hierzu gehört jedenfalls Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich die wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des früheren Verwaltungsakts ergibt. [ ] Die Frist beginnt zu laufen, sobald dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind. Dazu gehören alle Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden. [ ] Außerdem lässt die Argumentation der Revision außer Acht, dass es für die Kenntnis iS des § 48 Abs 4 iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X nicht allein auf die Kenntnis der Tatsachen ankommt, die die wesentliche Änderung gegenüber dem Ursprungsbescheid ausmachen, sondern auch auf die Tatsache, die die Behörde zur Ausübung ihres Ermessens benötigt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Behörde gleichzeitig Kenntnis von jenen Umständen hatte, die nach ihrer Rechtsmeinung auch eine Atypik iS des "Soll"-Ermessens (stRspr des BSG; s zB BSG SozR 1300 § 48 Nr 53 S 149) begründen. Denn der Sinn der Jahres-frist dient nicht dem Vertrauensschutz des Betroffenen, sondern der Rechtssicherheit (BSGE 74, 20, 26 = SozR 3-1300 § 48 Nr 32)."
Im vorliegenden Fall gingen sowohl Kläger wie auch Beklagte von einem atypischen Fall aus, der deshalb eine Ermessensentscheidung erfordert. Folglich ist die Rücknahmefrist nicht versäumt. Fehler im Hinblick auf die hier aufgrund der atypischen Fallgestaltung ausnahmsweise notwendige Ermessensentscheidung sind nicht ersichtlich.
Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es ins-besondere im Blick auf die Berechnung der Überzahlung der zutreffenden Begründung des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2010 in vollem Umfang folgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG und berücksichtigt, dass die Klage nicht erfolgreich war.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Rückforderung wegen Überschrei-tens der Hinzuverdienstgrenzen.
Der 1958 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Sozialversicherungsfachangestellter in der Funktion als Leiter der Verfahrenstelle für das Widerspruchs- und Klageverfahren beschäftigt. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 14.10.1997 ab 1.10.1997 Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau und mit Bescheid vom 18.1.1999 ab 1.1.1999 Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Mit Schreiben vom 20.3.2006 bat die Beklagte den Kläger um Beantwortung eines Frage-bogens zu Änderungen in den Verhältnissen, den der Kläger beantworte. Der ausgefüllte Fragebogen ging am 10.4.2006 bei der Beklagten ein. Bescheinigungen über die erzielten Bruttoarbeitsentgelte von Januar 1999 bis Dezember 2005 gingen am 5.4.2006 bei der Rentensachbearbeitung der Beklagten ein.
Mit Schreiben vom 27.9.2006 hörte die Beklagte den Kläger bezüglich einer beabsichtigten Aufhebung des Bescheides vom 18.1.1999 hinsichtlich der Rentenhöhe gemäß § 48 Abs. 1 SGB X an. Der Kläger nahm mit Schreiben vom 30.10.2006, eingegangen bei der Beklagten am 7.11.2006, ausführlich Stellung und wehrte sich gegen die beabsichtigte Aufhebung. Er bestritt eine Verletzung der Mitwirkungspflicht und das Vorliegen von gro-ber Fahrlässigkeit und berief sich auf die in der Dienstanweisung der Beklagten geregelte Obliegenheit zur jährlichen Rentenkontrolle. Zudem machte er Mehraufwendungen für eine bestehende hundertprozentige Schwerbehinderung und monatliche Unterhaltszahlungen an ein Heim für seine Mutter geltend. Er wies darauf hin, dass seiner Ansicht nach eine atypische Fallgestaltung vorliege.
Mit Schreiben vom 25.4.2007 forderte die Beklagte den Kläger auf, einen Fragebogen zur Klärung der wirtschaftlichen Verhältnisse auszufüllen. Am 8.9.2007 beantwortete der Klä-ger diese Anfrage, machte Ausführungen zum Unterhalt bezüglich seiner Mutter und legte Rechnungen des Heims, Kontoauszüge sowie eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises vor. Den von der Beklagten übersandten Fragebogen legte er nicht bei. Mit Schreiben vom 13.2.2008 forderte die Beklagte den Kläger auf, die familiären wirtschaftlichen Verhältnisse offen zu legen. Dieses Schreiben wurde nicht beantwortet.
Mit Bescheid vom 4.4.2008 hob die Beklagte den Bescheid vom 18.1.1999 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X wegen des Zusammentreffens von Rente und Hinzuverdienst auf und machte einen Erstattungsanspruch gemäß § 50 SGB X in Höhe von 11.680,62 EUR geltend. Den eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss Ibbenbüren mit Widerspruchsbescheid vom 20.8.2008 zurück. Im Widerspruchsbescheid nahm die Beklagte das Vorliegen eines atypischen Falles an. Im anschließenden Klageverfahren hob die auch hier zuständige Kammer des Sozialgerichts München nach Durchführung eines Erörterungstermins und einer mündlichen Verhandlung den Widerspruchsbescheid wegen des unzuständigen Widerspruchsauschusses auf. In der Folge wies die Beklagte durch den Widerspruchsauschuss München den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24.6.2010 erneut zurück. Die Begründung ist identisch mit dem Widerspruchsbescheid vom 20.8.2008.
Dagegen hat der Kläger am 30.7.2010 Klage zum Sozialgericht München erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 12.4.2011 hat die Kammer ausführlich auf die Sach- und Rechtslage und das bestehende Prozessrisiko hingewiesen und einen gerichtlichen Vergleichvorschlag unterbreitet. Beide Beteiligte haben diesen Vergleichsvorschlag nicht an-genommen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass er nicht grob fahrlässig eine Mitteilungspflicht hinsichtlich der Meldung seines Hinzuverdienstes verletzt habe. Die Beklagte habe auf Grundlage der geltenden Dienstanweisung jährlich eine Hinzuverdienstprüfung vorzunehmen. Auch sei eine Rückforderung im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X auf den Mehrverdienst begrenzt. Der Kläger beruft sich darüber hinaus auf die seiner Ansicht nach abgelaufener Jahresfrist des §§ 48 Abs. 4 Satz 1, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X und auf eine fehlerhafte Ermessensentscheidung.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 4.4.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der parallelen Klageakte S 4 KN 152/10, der Klageakte S 4 KN 205/08 sowie der beigezogenen Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Gegenstand der Klage ist der Bescheid vom 4.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2010, mit dem die Beklagte den Rentenbescheid vom 18.1.1999 wegen des Zusammentreffens von Rente und Hinzuverdienst aufgehoben und einen Erstattungsanspruch in Höhe von 11.680,62 EUR geltend gemacht hat.
Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Formelle Verfahrensfehler bezüglich des Erlasses der streitgegenständlichen Bescheide sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat nun der zuständige Widerspruchsausschuss München über den Widerspruch des Klägers entschieden. Aber auch materiell entsprechen die Be-scheide dem geltenden Recht.
Gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung ein-tritt.
Gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Gem. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss die Behörde bei einer Rücknahme für die Vergangenheit dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X sind erfüllt. Die wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen liegt im Über-schreiten der für die Rente wegen Berufsunfähigkeit geltenden Hinzuverdienstgrenzen. Im Gegensatz zur Ansicht des Klägers liegt eine wesentliche Änderung bereits dann vor, wenn die Hinzuverdienstgrenze minimal (hier 6,68 EUR) überschritten wird. Einen Mindestbetrag des Überschreitens sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr bedeutet "wesentlich" in die-sem Zusammenhang "rechtserheblich" (BSG SozR 2200 § 1255&8201;a Nr 19 S 56; BSGE 59, 111, 112 = SozR 1300 § 48 Nr 19). Vorausgesetzt wird also eine solche Änderung, die zur Folge hat, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den ergangenen Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr 22 S 50), etwa weil der im Bescheid festgestellte Anspruch materiell-rechtlich nicht mehr be-steht. "Soweit" auch eine geringfügige Änderung für den Verwaltungsakt rechtserheblich ist, ist er (ggf. teilweise) aufzuheben (siehe dazu u.a. Kasseler Kommentar, Sozialversi-cherungsrecht, § 48 SGB X Rn 13).
Der Kläger hat seinen gestiegenen Hinzuverdienst und damit das Überschreiten der maß-gebenden Hinzuverdienstgrenze nicht von sich aus an die Beklagte gemeldet, sondern erst auf Anforderung durch die Beklagte. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Meldepflicht und die Konsequenzen einer Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen dem Kläger bekannt waren. Wenn nicht, liegt zur vollen Überzeugung des Gerichts zumindest grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X vor. Schließlich war der Kläger zum Zeitpunkt der Erzielung des Hinzuverdienstes Leiter der Verfahren-stelle für das Widerspruchs- und Klageverfahren bei der Beklagten und damit sehr gut mit den gesetzlichen Regelungen vertraut. Davon konnte sich das Gericht mehrfach bei der Wahrnehmung von Sitzungsvertretungen durch den Kläger selbst überzeugen.
Soweit der Kläger sich auf die in der Dienstanweisung der Beklagten geregelte jährliche Rentenüberprüfung beruft, schließt diese grobe Fahrlässigkeit nicht aus. Unabhängig da-von, dass die Rentenversicherung regelmäßig selbst bei den Arbeitgebern aktuelle Hinzuverdienste überprüfen soll und auch überprüft, entbindet die Dienstanweisung die Versicherten nicht von ihren Mitteilungspflichten. Dies gilt auch für den Kläger, auch wenn in seinem Fall personalbearbeitende Stelle und Rentensachbearbeitung in einer Abteilung bei der Beklagten zusammengefasst ist. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet die Gleichbehandlung aller Versicherten unabhängig davon, wer Arbeitgeber ist.
Folglich hat die Beklagte die Rücknahme zu Recht nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind zwar ebenfalls gegeben, jedoch ist die Rücknahme und Überzahlung hier (nach der Rechtsprechung des Bundessozialge-richts) auf den die Hinzuverdienstgrenze übersteigenden Betrag begrenzt. Diese Begren-zung entfällt bei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X.
Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Beklagte die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beachtet. Es ist in der höchstrichterlichen Recht-sprechung nicht eindeutig geklärt, hinsichtlich welcher Tatsachen Kenntnis bestehen muss. Insbesondere ist nicht eindeutig geklärt, ob die Jahresfrist erst mit Kenntnis der für die Ausübung des Ermessens notwendigen Tatsachen beginnt. Stellt man im vorliegen-den Fall nur auf die Kenntnis hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale ohne Berücksichti-gung der Rechtsfolge "Ermessensentscheidung" ab, wäre die Frist versäumt. Denn die Beklagte hatte bereits am 10.4.2006 vollständige Kenntnis bezüglich der erzielten Ar-beitsentgelte von 1999-2005 inklusive einer Vorausbescheinigung für 2006. Die Verlet-zung der Mitteilungspflicht beziehungsweise die grobe Fahrlässigkeit bezüglich der Kenntnis der Rechtsfolgen eines die Hinzuverdienstgrenze übersteigenden Hinzuver-dienstes war ihr ebenfalls bereits 2006 bekannt. Im Übrigen ergibt sich dies auch aus ei-nem Aktenvermerk vom 16.4.2007, in dem auf die Frist hingewiesen wurde. Müssen je-doch auch die für eine Ermessensausübung notwendig feststellenden Tatsachen bekannt sein, ist die Frist gewahrt, weil der Kläger die von dem Sachbearbeiter als notwendig er-achtete Anfrage zur Offenlegung der familiären wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vollum-fänglich beantwortet hat.
Die Kammer ist der Auffassung, dass bei Annahme eines atypischen Falles auch Kenntnis der für die Ermessensausübung notwendigen Tatsachen für den Fristbeginn bestehen muss. Denn wäre dem nicht so, wäre die Beklagte trotz Kenntnis, dass eine Ermessensentscheidung notwendig ist, gegebenenfalls gegen Ende der Frist verpflichtet, eine Entscheidung ins Blaue hinein ohne Berücksichtigung sämtlicher für das Ermessen notwendiger Tatsachen zu treffen. Damit liefe sie aber automatisch Gefahr, in einem nachfolgen-den Rechtsbehelfsverfahren wegen Ermessensfehler aufgehoben zu werden. Die Kammer sieht sich in dieser Auffassung durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 31.1.2008 (Az. B 13 R 23/07 R) bestärkt. Die dortigen Entscheidungsgründe lauten aus-zugsweise wie folgt:
"Die Einjahresfrist des § 48 Abs 4 iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X beginnt mit Kenntnis des Aufhebungsgrunds. Hierzu gehört jedenfalls Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich die wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des früheren Verwaltungsakts ergibt. [ ] Die Frist beginnt zu laufen, sobald dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind. Dazu gehören alle Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden. [ ] Außerdem lässt die Argumentation der Revision außer Acht, dass es für die Kenntnis iS des § 48 Abs 4 iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X nicht allein auf die Kenntnis der Tatsachen ankommt, die die wesentliche Änderung gegenüber dem Ursprungsbescheid ausmachen, sondern auch auf die Tatsache, die die Behörde zur Ausübung ihres Ermessens benötigt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Behörde gleichzeitig Kenntnis von jenen Umständen hatte, die nach ihrer Rechtsmeinung auch eine Atypik iS des "Soll"-Ermessens (stRspr des BSG; s zB BSG SozR 1300 § 48 Nr 53 S 149) begründen. Denn der Sinn der Jahres-frist dient nicht dem Vertrauensschutz des Betroffenen, sondern der Rechtssicherheit (BSGE 74, 20, 26 = SozR 3-1300 § 48 Nr 32)."
Im vorliegenden Fall gingen sowohl Kläger wie auch Beklagte von einem atypischen Fall aus, der deshalb eine Ermessensentscheidung erfordert. Folglich ist die Rücknahmefrist nicht versäumt. Fehler im Hinblick auf die hier aufgrund der atypischen Fallgestaltung ausnahmsweise notwendige Ermessensentscheidung sind nicht ersichtlich.
Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es ins-besondere im Blick auf die Berechnung der Überzahlung der zutreffenden Begründung des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2010 in vollem Umfang folgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG und berücksichtigt, dass die Klage nicht erfolgreich war.
Rechtskraft
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