L 3 U 5/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5056/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 5/09
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Arbeit suchende Berufsreiterin (Bereiterin), die sich im R=
ahmen der Eigeninitiative bei einem m=C3=B6glichen neuen Arbeitgeber vors=
tellt und bei dem probeweisen Vorreiten abgeworfen wird, steht nicht unte=
r dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII).
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.12.2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die 1967 geborene Klägerin begehrt die Feststellung, dass es sich bei dem Unfall vom 05.09.2005 um einen gemäß §§ 2, 8 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch
- Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall gehandelt hat.

Die Klägerin ist Berufsreiterin (Bereiterin). Zum Unfallzeitpunkt 05.09.2005 ist sie noch bei ihrem getrennt lebenden Ehemann in dessen Pferdewirtschaftsbetrieb auf 400,00 Euro-Basis beschäftigt gewesen. Sie hat privat erfahren, dass Herr C. (Pferderhändler in C-Stadt) eine Bereiterin in Vollzeit sucht und mit ihm Kontakt aufgenommen. Ohne Einschaltung der Agentur für Arbeit ist eine Vorstellung am 05.09.2005 vereinbart worden. Im Rahmen dieser Vorstellung hat die Klägerin zunächst ein ausgebildetes Pferd Probe geritten. Anschließend hat sie ein weiteres undressiertes Pferd geritten, von dem sie unvorhersehbar abgeworfen worden ist.

Die Klägerin hat durch den Sturz von diesem Pferd eine instabile LWK 1-Fraktur mit Spinalkanaleinengung erlitten. Nachdem zunächst keine Anzeige eines Arbeitsunfalles erfolgt ist, hat Prof. Dr. D. unter dem 02.11.2005 einen Durchgangsarztbericht erstellt und unter Hinweis auf die stationäre Aufnahme der Klägerin in der Neurochirurgischen Klinik des Klinikums I. vom 05. bis 16.09.2005 (operative Stabilisierung durch Fixateur intern von BWK 12 auf LWK 2) den Vorgang der Beklagten mitgeteilt.

Die Beklagte hat die Entschädigung des Unfalles vom 05.09.2005 mit den streitgegenständlichen Bescheid vom 28.04.2006 abgelehnt, da des sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Es habe sich um keine Tätigkeit gehandelt, die dem landwirtschaftlichen Betrieb wesentlich gedient habe oder mit ihm im Zusammenhang gestanden habe. Die Klägerin habe bei der privaten Arbeitssuche im Betrieb des Herrn C. im Wesentlichen eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt. Es liege eine unversicherte Vorbereitungshandlung vor. - Der Widerspruch der Klägerin ist mit Widerspruchsbescheid vom 22.06.2006 zurückgewiesen worden.

Die Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Klagebegründung vom 25.07.2006 hervorgehoben, das Aufsuchen eines Unternehmers nach Einladung zu einem Vorstellungsgespräch führe zu einer schuldrechtlichen Beziehung, die als kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis mit quasi direktionsrechtlicher Befugnis des Unternehmers zu beurteilen sei. Im Falle der Klägerin habe der Betriebsinhaber dieser ein besonders junges und wenig zugerittenes Pferd zugewiesen, um deren Reitkünste zu überprüfen. Durch die Weisung sei die Klägerin einer stark erhöhten Gefahr ausgesetzt worden, die sie aus eigenem privatem Interesse nicht auf sich genommen hätte, ohne entsprechend abgesichert zu sein. Es habe sich somit nicht nur um reine verbale Verhandlungen über den Abschluss des Arbeitsvertrages gehandelt, sondern um die tatsächliche praktische Ausübung einer Tätigkeit nach Weisung des Betriebsinhabers.

Das Sozialgericht München hat die Unfall-Akten der Beklagten beigezogen und die Klage mit Urteil vom 11.12.2008 abgewiesen. Die Klägerin habe bei dem mit der Vorstellung vom 05.09.2005 verbundenen Vorreiten keine versicherte Tätigkeit im Sinne von §§ 2, 3 oder 6 SGB VII ausgeübt. Insbesondere habe kein Arbeitsunfall im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII vorgelegen. Der Unfall vom 05.09.2005 habe weder in innerem Zusammenhang mit der noch bestehenden Beschäftigung bei dem Ehemann gestanden und sich auch nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses mit Herrn C. ereignet. Denn die Vorstellung habe der Vorbereitung der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses gedient, aber selbst keine versicherte Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII dargestellt. - Ein Versicherungsschutz habe auch nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII bestanden, weil sich die Klägerin nicht aufgrund einer Aufforderung einer Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit, sondern aufgrund eigener Initiative bei Herrn C. vorgestellt habe. Eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII sei in Fällen wie dem vorliegenden nicht möglich. Der unterschiedliche Versicherungsschutz für Arbeitslose, die aus eigener Initiative einen Arbeitsplatz zur Vorstellung aufsuchten und Personen, die einer im Einzelfall an sie gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit folgten eine Stelle aufzusuchen, verstoße nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Die Bevollmächtigten der Klägerin benannten mit Berufung vom 08.01.2009 Herrn C. als Zeugen dafür, dass die Klägerin auf dessen Weisung verschiedene Pferde habe vorreiten müssen. Bereits nach dem ersten Pferd, einem ausgebildeten Dressurpferd, habe der Betriebsinhaber der Klägerin mitgeteilt, dass er sie anstellen werde. Nachdem sie nun aber schon einmal hier sei, könne sie auch gleich noch ein sehr junges Pferd reiten. In Hinblick auf die bereits zugesagte Arbeitsstelle habe die Klägerin dann noch ein erst dreijähriges wenig ausgebildetes Pferd geritten, welches gebockt und sie abgeworfen habe. Die Klägerin habe hierbei die übrigen Arbeitnehmer des Betriebes des Herrn C. entlastet. Die Pferde wären sonst vom Angestellten geritten worden. Es habe sich somit um ein kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis mit quasi direktionsrechtlicher Befugnis des Unternehmers gehandelt. Nicht nachvollziehbar sei im Übrigen die Ungleichbehandlung von Arbeitssuchenden, die Eigeninitiative zeigten und sich selbst um eine Stelle bewerben würden, mit Arbeitssuchenden, die lediglich auf Anweisung des Arbeitsamtes einen Betrieb zu Vorstellungszwecken aufsuchen würden.

Von Seiten des Senats wurden die Unfall-Akten der Beklagten und die erstinstanzlichen Streitakten beigezogen.

In dem nichtöffentlichen Teil der Sitzung vom 25.01.2011 hat die Klägerin ihren bisherigen Sachvortrag präzisiert und ausgeführt, nachdem sie ein ausgebildetes Pferd Probe geritten habe, habe Herr C. mit den sinngemäßen Worten "das passt" ihr die Stelle gleichsam zugesichert. Sie habe anschließend das weitere undressierte Pferd geritten, bei dem sie abgeworfen worden sei. Zu diesem Zeitpunkt habe sie gewusst, dass es sich um eine Vollzeitstelle handele. Über die Höhe ihres Entgelts sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesprochen worden. Sie sei flexibel gewesen und hätte die Stelle jederzeit antreten können.

Der als Zeuge einvernommene Herr C. hat nach seinem Bekunden die Klägerin auf einer Veranstaltung mit Pferden kennengelernt und sich mit ihr unterhalten. Nachdem er damals eine Mitarbeiterin gesucht hat, ist mit der Klägerin ein Vorstellungstermin vereinbart worden. Die Klägerin ist wie vereinbart erschienen und man hat zuerst ein Gespräch über Pferde geführt und die Stallungen besichtigt. Anschließend hat die Klägerin wie vom Zeugen gewünscht ein erfahrenes Pferd reitfertig gemacht und gesattelt. - Bei dem Vorreiten ist deutlich geworden, dass die Klägerin sachlich und fachlich gut mit Pferden umgehen kann. Der Zeuge hat erklärt, dass er sich schon fast sicher gewesen sei die Klägerin einzustellen, wollte aber noch sehen, wie die Klägerin mit einem jungen Pferd umgeht. Die Klägerin hat anschließend ein junges noch nicht ausgebildetes Pferd fertig gemacht. Dieses ist von dem Zeugen an der Longe geführt worden. Die Klägerin hat dies anfänglich im Schritt geritten. Nach ein paar Runden hat der Zeuge gebeten anzutraben. - Nach ein paar weiteren Runden fast zum Schluss, das Pferd ist bis dahin völlig ruhig gewesen, hat das Pferd völlig überraschend gebuckelt und die Klägerin abgeworfen. Der Zeuge ist sich nach dem Vorreiten auf dem ersten Pferd ziemlich sicher gewesen die Klägerin einzustellen, auch wenn man zu diesem Zeitpunkt noch nicht über das Arbeitsentgelt und die Arbeitszeiten gesprochen hat. Aufgrund des positiven Eindrucks ist sich der Zeuge aber sicher gewesen, dass man sich über das Entgelt und die Arbeitszeiten geeinigt hätte. Der Zeuge ist daran interessiert gewesen, die Klägerin möglichst bald einzustellen, vielleicht zum nächsten Fünfzehnten oder nächsten Ersten. - Bereits nach dem Vorreiten auf dem ersten Pferd hat der Zeuge zu der Klägerin gesagt, dass ihm das Vorreiten gut gefallen habe, er jedoch noch einmal sehen möge, wie sie mit jungen Pferden umgehe. Wenn sich der Zeuge nicht fast so gut wie sicher gewesen wäre, hätte er sie auf dem jungen Pferd nicht zusätzlich reiten lassen, weil dann hierfür die Zeit zu schade gewesen wäre.

Nach Entlassung des Zeugen sowie nach Erörterung der Sach- und Rechtslage ist im Einverständnis mit den Beteiligten folgender Beschluss ergangen: Die Öffentlichkeit wird hergestellt. Das Gericht entscheidet durch Einzelrichter.

Die Bevollmächtigte stellt den Antrag auf den Schriftsatz vom 08.01.2009,
der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2006 sowie das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.12.2008 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Unfall, den die Klägerin am 05.09.2005 erlitten hat, ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall gewesen ist.

Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs. 2 SGG auf die Unterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß § 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Bei dem Unfall vom 05.09.2005 hat die Klägerin nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII) gestanden.

Das Sozialgericht München hat die Klage gegen den Bescheid vom 28.04.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2006 mit Urteil vom 11.12.2008 zutreffend abgewiesen. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Dies gilt auch in Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin in dem nichtöffentlichen Teil der Sitzung vom 25.01.2011 ihren Sachvortrag präzisiert und der Zeuge C. diesen vollinhaltlich mit weiteren Details (vgl. oben) bestätigt hat.

Denn das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits mit Urteil vom 26.09.1996 - 2 RU 12/96 entschieden, dass auf dem Weg zu einem Probearbeitstag ebensowenig Unfallversicherungsschutz wie auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch oder zu Verhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsvertrages besteht. Ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII besteht vielmehr nur dann, wenn ein durch Antritt der Arbeit wirksam gewordenes Beschäftigungsverhältnis vorliegt (Sozialgericht Aachen, Urteil vom 16.09.2009 - S 8 U 26/09). Ein solches lässt sich hier jedoch nicht annehmen, da der Zeuge C. den Beginn des Beschäftigungsverhältnisses erst baldmöglichst, vielleicht zum nächsten Fünfzehnten oder nächsten Ersten ins Auge gefasst hat.

Soweit die Bevollmächtigte der Klägerin hervorgehoben hat, die Tätigkeit der Klägerin habe auch einen Nutzen für den Betrieb des Zeugen R. erbracht, weil andernfalls Angestellte die Pferde hätten bewegen oder reiten müssen, begründet dies ebenfalls keinen Versicherungsschutz wie eine Beschäftigte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Denn es besteht kein Versicherungsschutz als "Wie-Beschäftigte", wenn eine Tätigkeit im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens für einen Arbeitsplatz zwar objektiv nützlich für ein fremdes Unternehmen ist, die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz - Erlangung eines Arbeitsplatzes - wie hier aber weit im Vordergrund steht (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.01.2007 - L 14 U 70/05).

Der von Klägerseite vorgetragene Gesichtspunkt einer Gefahrenerhöhung durch Vorreiten auf einem undressierten Pferd vermag keinen Unfallversicherungsschutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zu begründen. Eine entsprechende Differenzierung zwischen weniger und mehr gefahrgeneigten Tätigkeiten ist in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nicht vorgesehen. Unabhängig davon gehört es zu dem Berufsbild einer Bereiterin auch noch nicht dressierte Pferde zuzureiten. Es ist also nicht zu beanstanden, dass der Zeuge C. im Rahmen des Vorstellungsgesprächs die Klägerin gebeten hat, auch auf dem zweiten noch undressierten Pferd vorzureiten.

Die hier auf Eigeninitiative der Klägerin vereinbarte Vorstellung im Betrieb des Zeugen C. ist auch nicht in entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII als versicherte Tätigkeit ansehbar. Einer teleologischen extensiven Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII im Wege der Rechtsfortbildung steht bereits der Wille des Gesetzgebers entgegen, den Unfallversicherungsschutz vom Arbeitslosen auf einen engen Ausschnitt der möglichen Sachverhalte zu beschränken (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.06.2002 - L 2 U 112/01 mit Hinweis auf BR-Drs. 263/95 S. 215).

Die vorstehend bezeichnete Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts ist mit Urteil des BSG vom 24.06.2003 - B 2 U 45/02 R bestätigt worden: Eine Arbeitslose, die im Unfallzeitpunkt der allgemeinen Meldepflicht nach § 309 Abs. 1 Satz 1 SGB III unterstand und die wegen eines bedrohenden Anspruchsverlustes ohne konkrete Aufforderung eine Dienststelle der Bundesanstalt das Arbeitsamt aufsucht, steht auf diesem Weg nicht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. - Erst recht gilt dies für die Klägerin, die sich hier aufgrund Eigeninitiative am 05.09.2005 bei dem Zeugen C. vorgestellt hat, um alsbald dort als Reiterin tätig zu werden.

Nachdem die hier gegebene Vorbereitungshandlung mit dem Ziel Abschluss eines Arbeitsvertrages (und dies zum nächstmöglichen Zeitpunkt) unter keinem Gesichtspunkt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.12.2008 zurückzuweisen. Im Einverständnis der Beteiligten ist die Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats ergangen (§ 155 Abs. 3 und 4 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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