L 6 U 96/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 6 U 94/01
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 96/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 58/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt Gerichtskosten in Höhe von 225,00 EUR.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob eine Erkrankung des Klägers wie eine Berufskrankheit (Wie- bzw. Quasi-BK) anzuerkennen und ihm deshalb eine Verletztenrente zu gewähren ist.

Der 1949 geborene Kläger war von September 1964 bis Juni 1994 und von August 1994 bis Oktober 1999 als Melker tätig und hatte dabei in den Ställen Kontakt zu Rindern sowie nach seinen Angaben zu Asbest.

Am 11. August 2000 zeigte die Krankenkasse des Klägers der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft B. (Rechtsvorgängerin der Beklagten; nachfolgend einheitlich als Beklagte bezeichnet) den Verdacht des Bestehens einer BK an. Die Beklagte zog den Bericht des Internisten Dr. W. vom 14. Juli 2000 bei, wonach spirometrisch und blutgasanalytisch keine pathologischen Befunde zu erheben waren. Dr. W. fügte den Arztbrief des Diakoniekrankenhauses H. vom 16. August 2000 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 25. Juli bis zum 16. August 2000 hinzu, aus dem die Diagnose eines Morbus Boeck mit pulmonaler, cutaner, ophtalmologischer sowie abdomineller Beteiligung hervorging. Erkrankungsbeginn war nach den Angaben des Klägers der 7. April 2000, als u.a. sehr hohes Fieber, Schwindelerscheinungen und eine blau angelaufene Mundpartie aufgetreten seien.

Die Beklagte ließ sich von dem Arbeitsmediziner Dr. B. beraten, der unter dem 23. Oktober 2000 ausführte: Bei der diagnostizierten Erkrankung des Klägers handele es sich weder um ein Asthma bronchiale noch um eine (sonstige) obstruktive Atemwegserkrankung, sondern um eine Sarkoidose (Synonym für Morbus Boeck). Eine solche Gesundheitsstörung, die eine Allgemeinerkrankung des lymphatischen Gewebes sei und von der vorliegend neben der Lunge und den Bronchien des Klägers auch seine Haut und Bauchlymphknoten betroffen seien, sei in der Liste der BKen nicht enthalten. Es gäbe bislang auch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dafür, dass eine Sarkoidose durch berufliche Einwirkungen ausgelöst werden könne.

Dieser Einschätzung schloss sich Dr. M. in seiner gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 12. Dezember 2000 an und gab die Empfehlung ab, keine BK anzuerkennen. Die Erkrankung des Klägers sei ein Anlageleiden.

Mit Bescheid (über die Ablehnung einer Entschädigung) vom 12. Januar 2001 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung des Klägers als oder wie eine BK ab. Die bei ihm bestehende Sarkoidose stelle keine Listen-BK dar. Auch ihre Anerkennung wie eine BK scheide aus. Denn es lägen keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse dafür vor, dass Melker häufiger als die übrige Bevölkerung an einer Sarkoidose leiden würden. Daher bestünden keine Entschädigungsansprüche.

Hiergegen erhob der Kläger am 22. Januar 2001 Widerspruch und führte zur Begründung mit Schreiben vom 22. Februar 2001 u.a. aus, die Ursache der Erkrankung sei unbekannt; er habe jedoch Kontakt zu Rindern und Asbest gehabt. Es gebe Literaturhinweise, wonach Melker häufiger an Sarkoidose erkrankten als die übrige Bevölkerung. Auslöser könnten der im Stroh befindliche Mutterkornpilz bzw. abgeschilferte Rinderhautteile sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte nochmals aus, dass ein beruflicher Zusammenhang des Erkrankungsgeschehens nicht zu belegen sei. Auch Hinweise auf das Vorliegen einer Asbestose oder Tuberkulose fänden sich beim Kläger nicht.

Am 10. Mai 2001 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Halle unter Wiederholung und Vertiefung seiner Ansicht Klage erhoben. Auf seinen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG von dem Chirurgen Prof. Dr. Dr. S. das Gutachten vom 15. Oktober 2002 nach ambulanter Untersuchung am 12. August 2002 eingeholt und der Kläger die ergänzende Stellungnahme des Gutachters vom 6. Januar 2003 vorgelegt. Prof. Dr. Dr. S. hat eine Sarkoidose mit Beteiligung der Lunge, der Augen und der Haut sowie mit abdominalen Lymphknoten bestätigt und das Vorliegen einer Tuberkulose oder Asbestose ausgeschlossen. Die Sarkoidose sei eine systemische Erkrankung unklarer Ätiologie, wobei aus wissenschaftlicher Sicht ein multifaktorielles Geschehen angenommen werde. Ein chronischer Entzündungszustand, der durch eine Asbestose unterhalten werde, könne die Entwicklung einer Sarkoidose begünstigen, wobei allerdings noch weitere Momente zu berücksichtigen seien. In einer Forschungsarbeit aus dem Jahr 1980 sei die Beziehung zwischen silikogener Exposition und Sarkoidoseentstehung anhand von 1.575 Erkrankten untersucht worden, von denen 72 teilweise langjährig der Einwirkung von Steinstaub ausgesetzt gewesen seien. In vier Fällen sei es zur Anerkennung nach der BK-Liste der DDR gekommen. Im Ergebnis seien vorliegend die Möglichkeit und damit auch die Wahrscheinlichkeit einer ursächlichen Beteiligung der 30 Jahre lang währenden Asbestexposition bei der Entstehung der Sarkoidose gegeben. Die mit der Lungenfunktions- und kardialen Leistungseinschränkung sowie dem Nierensteinleiden des Klägers verbundenen Funktionseinschränkungen seien als Folgen einer solchen Wie-BK anzusehen und – vorbehaltlich bestimmter apparativer Untersuchungen – mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 vom Hundert (vH) zu bewerten.

Die Beklagte hat hierzu eingewandt, Prof. Dr. Dr. S. habe die ungeklärte Ätiologie der Sarkoidose selbst bestätigt. Die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der beruflichen Exposition des Klägers und seiner Erkrankung sei nicht mit dessen Wahrscheinlichkeit gleichzusetzen. Überdies sei bei ihm auch keine langjährige Asbestexposition belegt.

Mit Urteil vom 23. Juni 2005 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen vor allem ausgeführt: Die Voraussetzungen zur Anerkennung einer Wie-BK lägen bei dem Kläger nicht vor. Auch Prof. Dr. Dr. S. habe eingeräumt, dass die Ursachen einer Sarkoidose bis heute unklar seien. Er habe auch nicht begründet, weshalb vorliegend mehr dafür als dagegen spreche, dass die Erkrankung des Klägers im Wesentlichen durch seine berufliche Exposition verursacht sein soll. Schließlich habe der Sachverständige auch keine neuen Erkenntnisse angeführt, wonach die herrschende medizinische Wissenschaft davon ausgehe, dass Einwirkungen, denen der Kläger bzw. eine bestimmte Berufsgruppe in gesteigertem Maße ausgesetzt waren, geeignet seien, eine Sarkoidose zu verursachen.

Gegen das am 28. Juli 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger im selben Monat Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und sich zur Begründung insbesondere auf die Bewertung von Prof. Dr. Dr. S. bezogen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Juni 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2001 aufzuheben,

festzustellen, dass seine Sarkoidose eine Erkrankung wie eine Berufskrankheit ist, und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 60 vH zu gewähren;

hilfsweise, Prof. Dr. L. zu den im Schriftsatz vom 20. Januar 2011 gestellten Fragen ergänzend zu hören;

hilfsweise, von der Humboldt Universität zu B. die Arbeit von Theodor Scharkoff, "Epidemiologie der Sarkoidose im Bezirk C. – unter besonderer Berücksichtigung sozioökonomischer Aspekte" beizuziehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie schließt sich dem Urteil des SG an und sieht sich in ihrer Ansicht durch das im Berufungsverfahren von Prof. Dr. L. eingeholte Gutachten bestätigt.

Mit Beweisanordnung vom 22. September 2005 hat der Senat den (ehemaligen) Direktor der Lungenklinik L Prof. Dr. L. mit der Erstellung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung des Klägers beauftragt. Nachdem Prof. Dr. L. nach Durchsicht der Akten am 10. Oktober 2005 telefonisch mitgeteilt hatte, er halte eine ambulante Untersuchung zur Beantwortung der Beweisfragen nicht für erforderlich, hat der Senat die Beweisanordnung mit Beschluss vom selben Tag aufgehoben und am 10. Oktober 2005 zugleich eine Begutachtung nach Aktenlage angeordnet. Die hiergegen vom Kläger am 16. Oktober 2005 erhobene Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 15. Dezember 2005 (L 6 B 7/05 U) als unzulässig zurückgewiesen.

In seinem Gutachten vom 21. Oktober 2005 hat Prof. Dr. L. – unter Auswertung der bis zum Jahre 2005 veröffentlichten Literatur – dargelegt, derzeit bestünden keine gesicherten Erkenntnisse darüber, dass durch die Exposition gegenüber organischen oder anorganischen Stäuben in einem Rinderstall eine Sarkoidose entstehen könne oder unterhalten werde. Die Ursache einer solchen Erkrankung sei unklar. So nehme ihre Häufigkeit z.B. in Europa von Süden nach Norden zu. Aufgefallen seien auch jahreszeitliche Schwankungen und ein Zusammenhang mit der Aufenthaltsdauer in geschlossenen Räumen. In England sei eine überdurchschnittliche Betroffenheit von Pflegepersonen bemerkt worden. Jedoch seien auch Büroangestellte, Sekretärinnen und Hausfrauen häufig als Sarkoidosepatienten anzutreffen. U.a. dadurch, dass nahezu alle Betroffenen Nichtraucher seien, werde ein anlagebedingter Faktor für das Erkranken an Sarkoidose gestützt. Das gemeinsame Auftreten einer Tuberkulose und einer Sarkoidose, wohl auch einer Asbestose und einer Sarkoidose, sei eine rein zufällige Erscheinung. Ein ursächlicher Zusammenhang sei insoweit bisher nicht zu sichern; Expositionen gegenüber asbesthaltigen Stäuben stünden nicht im Vordergrund.

Der Kläger hält das Gutachten für nicht verwertbar, da es während des noch laufenden Beschwerdeverfahrens erstellt worden sei. Dass Prof. Dr. L. sein Gutachten innerhalb so kurzer Zeit gefertigt habe, lasse zudem eine vorgefasste Meinung vermuten. Überdies habe Prof. Dr. Dr. S. im Rahmen seiner Tätigkeit dreimal die Universitätsbibliotheken M. und L. bemüht.

Der Senat hat am 12. Mai 2010 mündlich verhandelt, den Rechtsstreit vertagt und auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG von dem Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Allergologie Privatdozent (PD) Dr. H. nach ambulanter Untersuchung am 6. August 2010 das Gutachten vom 8. November 2010 eingeholt. Auf die entsprechende Frage des Vorsitzenden hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Termin erklärt, der Sachverständige könne belegen, dass die Verursachung einer Sarkoidose durch besondere berufliche Belastungen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich sei. Dies sei ihm als konkrete Erkenntnis des Sachverständigen bekannt.

PD Dr. H. ist zu dem Ergebnis gelangt, die angeschuldigten beruflichen Einwirkungen seien nicht geeignet, eine Sarkoidose zu verursachen. Bei der von ihm beim Kläger durchgeführten Lungenfunktionsdiagnostik hätten sich ohne Hinweise auf Gasaustauschstörungen, die für eine fortgeschrittene Sarkoidose oder eine Lungenasbestose sprechen könnten, im Wesentlichen Normalbefunde gezeigt. Die vorhandenen unspezifischen Laborwerte seien jedoch noch mit einer vorhandenen Aktivität einer Sarkoidose vereinbar. Für diese werde derzeit keine medikamentöse Therapie durchgeführt, was angesichts der normalen Lungenfunktion und bildgebenden Befunde auch nicht erforderlich sei. Gesicherte oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse dafür, dass eine Sarkoidose bei bestimmten Personengruppen in erheblich höherem Maße als bei der Normalbevölkerung vorkomme, seien nicht vorhanden. Bezüglich einer Auslösung durch eine Asbeststaubexposition habe die Recherche weltweiter Publikationen lediglich fünf Literaturhinweise erbracht. Die darin enthaltenen Beschreibungen einzelner Fälle erstreckten sich über den Zeitraum von 1976 bis 2001 und seien somit als absolut anekdotische Raritäten in der gesamten Weltliteratur einzustufen. Der Kontakt zu Rindern, deren Ausscheidungen oder deren Futter könne ebenfalls nicht zu einer Entstehung der Sarkoidose beim Kläger beigetragen haben. Hinweise hierauf fänden sich weder anamnestisch oder aufgrund der vorgenommenen Untersuchungen noch gebe es insoweit überhaupt irgendwelche Erkenntnisse.

Der Kläger hat hierzu ausgeführt, PD Dr. H. habe immerhin fünf Fälle beschrieben, die genau auf ihn zuträfen. Überdies habe der Zusammenhang zwischen Asbestexposition und dem Auftreten von Lungenerkrankungen zum 1. Juli 2009 zur Aufnahme der BK 1414 – gemeint offensichtlich 4114 (Zusammenwirken von Asbeststaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen [PAK]) – in die Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) geführt. Wie schon Prof. Dr. Dr. S. dargelegt habe, sei eine mit der Sarkoidose vergleichbare Erkrankung die Berylliose, welche als BK 1110 anerkannt werden könne. Beryllium sei auch in Asbest enthalten. Bei Steinmetzhandwerkern sei zu DDR-Zeiten in einigen Fällen eine Sarkoidose als BK anerkannt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2001 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil die Beklagte darin zutreffend die Anerkennung einer Wie-BK und die Gewährung von Leistungen abgelehnt hat.

Die vom Kläger verfolgten Ansprüche richten sich nach den Vorschriften des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), da der geltend gemachte Versicherungsfall (Wie-BK) nach seinem Vorbringen am 7. April 2000 und damit nach dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten sein soll (vgl. Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I, 1254 ff., §§ 212 ff. SGB VII).

Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII setzt eine Wie-BK voraus, dass im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der (medizinischen) Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 der Norm erfüllt sind. Es muss sich also um eine Erkrankung handeln, die durch besondere Einwirkungen, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, verursacht wird. Mit dieser Regelung soll nicht im Wege einer Generalklausel jede Krankheit, bei der ein ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist, stets wie eine BK entschädigt werden. Vielmehr geht es um solche Erkrankungen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKV noch nicht vorhanden bzw. dem Verordnungsgeber nicht bekannt waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Für die Anerkennung einer Wie-BK ist demnach zunächst erforderlich, dass es bei der geltend gemachten Krankheit um eine Erkrankung geht, die ihrer Art nach – wie hier – noch nicht von einer Listen-BK erfasst wird. Zusätzlich muss die Erkrankung abstrakt nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen durch besondere Einwirkungen verursacht werden, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Schließlich muss neben dieser Erkrankung auch eine nach der zweiten Voraussetzung einschlägige berufliche Exposition im konkreten Einzelfall vorliegen und beim Versicherten überdies ein wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen diesen beruflichen Einwirkungen und seiner Krankheit hinreichend wahrscheinlich sein (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 30. Januar 1986 – 2 RU 80/84 – SozR 2200 § 551 Nr. 27; Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 16/01 R – juris; Urteil vom 20. Juli 2010 – B 2 U 19/09 R – juris).

Ausgehend hiervon steht schon nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger einer bestimmten Personengruppe angehörte, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen generell geeignet sind, eine Sarkoidose zu verursachen.

Eine Risikoerhöhung im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII würde zunächst das Vorhandensein ausreichender medizinischer Erkenntnisse dafür erfordern, dass bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit Einwirkungen ausgesetzt wären, mit denen die übrige Bevölkerung nicht in diesem Maße in Kontakt käme, und die geeignet wären, eine Sarkoidose hervorzurufen. Unter Heranziehung der Zahlen aus der von Prof. Dr. Dr. S. zitierten Studie mag ein Erkrankungsanteil von rund 4,6 % gegenüber Steinstäuben Exponierter zwar in gewisser Weise auf ein erhöhtes Risikopotential dieser Personengruppe im Verhältnis zur Normalbevölkerung hindeuten können. Abgesehen davon, dass dies noch nichts über die Berufsgruppe des Klägers aussagt, reicht allein eine in Relation zur übrigen Bevölkerung gesteigerte Einwirkung als solche jedoch noch nicht aus. Erforderlich wäre vielmehr der Nachweis, dass der Kläger einer erhöht gefährdeten Personengruppe angehört, dass eine Sarkoidose also auch infolge der Einwirkung eines konkreten Arbeitsstoffs erheblich häufiger aufzutreten pflegt als bei der übrigen Bevölkerung. In dieser Hinsicht enthält Prof. Dr. Dr. S.s Gutachten keinerlei Aussage. Auch sein Hinweis darauf, dass ein durch eine Asbestose unterhaltener chronischer Entzündungszustand – neben weiteren Momenten – die Entwicklung einer Sarkoidose begünstigen könne, führt nicht weiter. Denn auch wenn entsprechend dem Vortrag des Klägers davon ausgegangen wird, dass die von ihm betreuten Rinder in mit Asbestplatten gedeckten Ställen untergebracht waren, lässt sich daraus nicht ohne weiteres auf eine relevante Asbestexposition schließen. Dies gilt umso mehr, als ebenso wie die anderen im Verfahren eingeschalteten Sachverständigen auch Prof. Dr. Dr. S. keinerlei medizinische Hinweise für eine solche Einwirkung gefunden und neben einer Tuberkulose auch eine Asbestose ausdrücklich ausgeschlossen hat. Überdies hat Prof. Dr. L. dieser These entgegengehalten, dass Asbestexpositionen im Rahmen einer Sarkoidose nicht im Vordergrund stehen und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ein ursächlicher Zusammenhang insoweit bislang nicht zu sichern ist. Diese Einschätzung hat PD Dr. H. bestätigt und die diesbezüglich vorhandenen Beschreibungen einzelner Fälle ausdrücklich als absolut anekdotische Raritäten in der gesamten Weltliteratur bezeichnet.

Auf die Darlegungen Prof. Dr. L.s kann sich der Senat auch stützen, da die nach § 172 Abs. 2 SGG unzulässige Beschwerde gegen den Beschluss vom 10. Oktober 2005 einer Verwertung von vornherein nicht entgegen steht und der Kläger auch keinen Anspruch darauf hat, einem Sachverständigen vorgestellt zu werden (§§ 153 Abs. 1, 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG). Eine Untersuchung war hier auch entbehrlich, da die Sarkoidose unbestritten vorliegt und andere Erkrankungen, die in das Fachgebiet des Sachverständigen fallen und im Zusammenhang mit denkbaren beruflichen Einflüssen zu diskutieren wären, nach allen ärztlichen Gutachten und Berichten ausscheiden. Für die grundlegende Einschätzung des Sachverständigen kam es auch auf die Ausprägung der Sarkoidose nicht an. Auch die Rüge, Prof. Dr. L. habe keine einzige Literaturquelle benannt, trifft ausweislich Seite 4 seines Gutachtens nicht zu. Überdies sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass einem mit wissenschaftlicher Lehrtätigkeit betrauten Ärztlichen Direktor einer Lungenfachklinik der wissenschaftliche Diskussionsstand seines Fachgebietes nicht geläufig ist, den sich Prof. Dr. Dr. S. als fachfremder Chirurg erst erarbeiten musste. Schließlich ist auch keine Voreingenommenheit des Sachverständigen ersichtlich. Allein das (erfolgreiche) Bemühen Prof. Dr. L.s um eine zeitnahe Gutachtenvorlage reicht hierfür jedenfalls nicht aus.

Lassen sich den von Prof. Dr. Dr. S. präsentierten Erkenntnisse damit schon keine belastbaren Aussagen über bestimmte risikoerhöhende Arbeitsstoffe entnehmen, denen gerade auch die Berufsgruppe des Klägers im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit ausgesetzt ist, sind sie auch nicht "neu” im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nämlich nur dann erfüllt, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch feststeht, dass die betroffenen Erkenntnisse bei der letzten Änderung der BKV – vorliegend die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl. I S. 1273) – noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn sie erst nach der letzten BKV-Novelle bekannt geworden sind (näher hierzu BSG, Urteil vom 14. November 1996 – 2 RU 9/96SozR 3-2200 § 551 Nr. 9, Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 20/01 R – juris).

Für den Verordnungsgeber bei der letzten Änderung der BKV berücksichtigungsfähige Erkenntnisse, denen zufolge die Entstehung oder Unterhaltung einer Sarkoidose überhaupt durch bestimmte berufliche Einwirkungen beeinflusst wird, existieren nach wie vor nicht. Die von Prof. Dr. Dr. S. angeführten wissenschaftlichen Bewertungen stammen aus dem Zeitraum der Jahre 1980 bis 2000. Nach ihnen handelt es sich bei der Sarkoidose um eine systemische Erkrankung unbekannter Ursache. Diese Einschätzung hat Prof. Dr. L. unter Darlegung des Diskussionsstandes bis zum Jahre 2005 bestätigt. An ihm hat sich auch aktuell nichts geändert (siehe Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl. 2007, S. 1698; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Abschn. 17.2.6.3, S. 1013), wie PD Dr. H. insbesondere bezogen auf eine Einwirkung durch Asbest oder auf einen Kontakt zu Rindern, deren Ausscheidungen oder deren Futter nochmals bekräftigt und damit dem vom Kläger behaupteten Vorliegen neuer wissenschaftliche Erkenntnisse widersprochen hat. Daran ändern auch die Hinweise des Klägers auf die BKen 1110 oder 4114 nichts. Auf das von ihm behauptete Vorliegen von Beryllium in Asbest wäre allenfalls die BK 1110 selbst, nicht aber eine Wie-BK zu prüfen. Dies ist aber nicht Inhalt des angefochtenen Bescheides. Auch leidet der Kläger nicht unter Lungenkrebs, weshalb der Bezug der BK 4114 zu seinem Fall nicht herzustellen ist.

Ist damit schon keine gruppentypische Risikoerhöhung zu sichern, kann dahinstehen, ob sich im konkreten Fall des Klägers ein wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen, denen gegenüber er während seiner versicherten Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) exponiert war, und der bei ihm diagnostizierten Sarkoidose hinreichend wahrscheinlich machen lässt. Liegen aber die Feststellungsvoraussetzungen einer Wie-BK nicht vor, bedarf es keiner Prüfung eines Anspruchs auf Verletztenrente mehr (siehe hierzu die §§ 56 Abs. 1 und 2, 72 SGB VII).

Den Hilfsanträgen des Klägers war nicht stattzugeben.

Mangels Sachdienlichkeit sah der Senat zunächst keine Veranlassung, Prof. Dr. L. nochmals zu hören, zumal es dem Kläger hierbei nicht um die Ausräumung etwaiger Zweifel im Zusammenhang mit dessen Gutachten, sondern ersichtlich allein um die Einwirkungsmöglichkeit auf die gerichtliche Überzeugungsbildung ging (vgl. hierzu nur BSG, Beschluss vom 9. September 2006 – B 1 KR 52/05 B – juris). Die nochmals vom Kläger aufgeworfenen Punkte sind unstrittig bzw. bereits beantwortet, können als wahr unterstellt werden oder sind nicht entscheidungserheblich. Dass bei ihm eine Sarkoidose diagnostiziert worden und wie sie klinisch sowie radiologisch ausgeprägt ist, ist ebenso unstrittig wie die von den Sachverständigen übereinstimmend getroffene Einschätzung zur Unklarheit der Ursache einer solchen Erkrankung (Fragen 1 bis 3, 5 und 6). Ferner ist geklärt, dass eine Sarkoidose keine Listen-BK ist (Frage 4). Bestünden keine Unterschiede zwischen einer Tuberkulose, einer Berylliose und einer Sarkoidose, würde es sich um ein und dieselbe Erkrankung handeln (Frage 4, 7 und 8). Abgesehen davon hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid keine Entscheidung über eine BK 1110 oder 4114 getroffen (s.o.). Weitere Lungenbefunde des Klägers aus den Jahren 2000 bis 2008 hat PD Dr. H. seinem Gutachten beigefügt; sie sind den Beteiligten zusammen mit diesem zugeleitet worden (Frage 9). Auch die Frage 10 hat Prof. Dr. L. beantwortet. Gegen die Anerkennung als Wie-BK spricht nach seinen Ausführungen das Fehlen gesicherter Erkenntnisse über das Entstehen einer Sarkoidose durch die Exposition gegenüber organischen oder anorganischen Stäuben in einem Rinderstall. Dass nach den Darlegungen von Prof. Dr. Dr. S. in der DDR in vier Fällen bei langjähriger Einwirkung von Steinstäuben eine Sarkoidose als BK anerkannt worden ist, ist vorliegend schon deshalb entscheidungsunerheblich, weil der Kläger gegenüber einem solchen Stoff nicht exponiert war (Frage 11 und oben). Schließlich haben sowohl Prof. Dr. L. als auch PD Dr. H. eine bestimmte Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Asbesteinwirkung und Entstehung einer Sarkoidose verneint, vorhandene einzelne Beschreibungen von Asbestosen und Sarkoidosen als rein zufälliges Nebeneinander eingestuft und somit auch die Frage 12 beantwortet.

Was die Beiziehung der Arbeit von Scharkoff anbelangt, bei der es sich anstatt um dessen Dissertation aus dem Jahre 1951 eher um die Habilitationsschrift des Jahres 1978 handeln dürfte (vgl. hierzu Lausitzer Rundschau vom 5. Juli 2007; abrufbar unter: http://www.lronline.de/regionen/cottbus/Theodor-Scharkoff;art1049,1697753), drängt sich schon nicht auf, dass die darin enthaltenen Erkenntnisse "neu" im Sinne der obigen Ausführungen und von Prof. Dr. L. bzw. PD Dr. H. nicht berücksichtigt worden sind. Unabhängig hiervon reicht es jedenfalls nicht aus, dass durch Scharkoff überhaupt wissenschaftliche Erkenntnisse existieren. Erforderlich wäre vielmehr, dass sich zum vorliegend relevanten medizinischen Problemfeld im einschlägigen Fachgebiet eine so genannte herrschende Meinung gebildet hat, die nicht nur Bezug zu Silikoseeinwirkungen, sondern auch Asbesteinwirkungen hat (vgl. nochmals BSG, Urteil vom 4. Juni 2002, s.o.). Dies ist nach den Ausführungen der genannten Sachverständigen bis heute nicht der Fall, so dass es irrelevant wäre, wenn die Arbeit Scharkoffs dem Verordnungsgeber unbekannt geblieben sein sollte.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die vom Kläger zu tragenden Gerichtskosten auf § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sowie Sätze 2 und 3 SGG. Der Senat hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, weil der Kläger, dem sein Prozessbevollmächtigter gleich steht, durch Verschulden die Vertagung der mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2010 sowie die Anberaumung des neuen Termins verursacht hat. Auf ausdrückliche Frage des Vorsitzenden hat der Klägerbevollmächtigte im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2010 in Kenntnis der für die beantragte Wie-BK erforderliche Voraussetzung des Vorliegens neuer Erkenntnisse – wie sich später herausgestellt hat "ins Blaue" – behauptet, PD Dr. H. lägen konkrete Belege dafür vor, dass die Verursachung einer Sarkoidose durch besondere berufliche Belastungen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich sei. Dem hat der Sachverständige ausdrücklich widersprochen. Damit hat das Verhalten des Klägers die Vertagung des entscheidungsreifen Rechtsstreits verursacht. Bei der Höhe der Missbrauchskosten hat der Senat lediglich den Mindestbetrag von 225 EUR (§ 192 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 184 Abs. 2 SGG) angesetzt, obgleich die tatsächlich durch das Verhalten des anwaltlich vertretenen Klägers verursachten Kosten für die Senatstermine deutlich darüber liegen. Da die Kosten bei verständigem Handeln vermeidbar gewesen wären, sind sie durch den Kläger zu erstatten (vgl. BSG, Urteil vom 27. April 1994 – 10 RAr 10/93 – juris).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage ohne dass der Senat von einem der in der genannten Vorschrift bezeichneten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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