L 7 SB 56/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 5 SB 82/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 56/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Behinderungsgrades.

Die am ... 1945 geborene Klägerin beantragte bereits am 18. April 2002 die Feststellung von Behinderungen. In diesem Verfahren zog der Beklagte den Reha-Entlassungsbericht der B. Klinik B. vom 16. April 2002 bei, in dem ein Zervikalsyndrom, Hypertonie und Diabetes mellitus (eingestellt mit Meformin) diagnostiziert worden waren. Die Klägerin war vollschichtig arbeitsfähig in ihrem erlernten Beruf als Bankkauffrau erschienen und hatte über ein Verspannungsgefühl im Nacken, Bewegungsschmerzen der Halswirbelsäule (HWS), der Schultergelenke sowie über rezidivierende Schmerzen im rechten Kniegelenk geklagt. Im Entlassungsbefund war diagnostiziert worden: HWS: Seitneige 30/0/30 Grad nach der Neutral-Null-Methode, Rotation 60/0/60 Grad; Hüft- und Kniegelenke frei beweglich. Der Blutdruck habe 120/80 mmHg betragen und werde medikamentös (Diovan) behandelt. Mit Befundschein vom 17. Mai 2002 berichtete Dr. B. von euthyreoten (normalen) Schilddrüsenwerten nach einer Radiojodtherapie. Der beteiligte ärztliche Dienst des Beklagten schlug daraufhin für Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen einen Grad der Behinderung von 20 sowie für Diabetes mellitus von 10 vor. Dem folgend stellte der Beklagte am 7. August 2002 eine Behinderung mit einem Grad von 20 fest. Nach Widerspruch der Klägerin holte der Beklagte weitere Befundscheine ein. Dr. B. teilte ergänzend mit, die Klägerin habe über Unruhe, Schlafstörungen, Blutzuckerschwankungen sowie erhebliche psychische und physische Probleme durch eine berufliche Überbelastung geklagt. Eine psychische Erkrankung sei ihr unbekannt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. L. schilderte am 16. Oktober 2003 eine Behandlung des Diabetes mellitus mit Diät und Metformin. Der HbA1c-Wert habe bei 6,0 % gelegen. Hypoglykämien oder Folgeschäden aufgrund des Diabetes mellitus seien nicht aufgetreten. Der Facharzt für Orthopädie Dr. E. teilte nach Untersuchung der Klägerin im Mai 2003 mit, im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) bestünden degenerative Veränderungen (ventrale Spondylosis). Die Rotation der HWS sei einmalig eingeschränkt gewesen. Im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) bestünden rezidivierende Blockaden und im Bereich des rechten Schultergelenks ein Reizzustand. Die Kniegelenke seien druckschmerzhaft. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2004 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Mit Schreiben vom 31. Juli 2005, eingegangen beim Beklagten laut Eingangsstempel am 1. August 2005, beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihres Behinderungsgrades. Sie teilte eine Verschlechterung im orthopädischen Bereich (rechter Arm und Knie), eine chronische Augenentzündung sowie depressive Verstimmungen mit. Der Beklagte holte wiederum einen Befundschein von Dr. B. ein. Diese teilte aufgrund der Untersuchung im September 2005 mit, es habe sich eine leichte Hypothyreose entwickelt, die zurzeit medikamentös behandelt werde. Die Klägerin habe über Schlafstörungen, innere Unruhe, Depressionen und Angstzustände berichtet. Die Situation scheine sich im Ruhezustand noch zu verstärken. Eine Behandlung finde nicht statt. Sie habe ein neurologisch-psychiatrisches Konsil empfohlen. Die Augenärztinnen Dres. M. und S. berichteten am 4. Oktober 2005, die Sehschärfe betrage mit Brillenkorrektur jeweils 1,0. Zeitweise (nicht regelmäßig) seien Augentropfen wegen einer Bindehautreizung verordnet worden. Der Orthopäde Dr. C. schilderte im Oktober 2005 einen Lymphstau im Bereich beider Arme sowie belastungsabhängige Schmerzen in beiden Kniegelenken mit endgradig eingeschränkter Flexion und Extension. Außerdem übersandte er einen Arztbrief des Neurologen Dr. S. vom 7. Februar 2005, mit dem dieser über ein mäßig ausgeprägtes Carpaltunnelsyndrom mit einer diskreten Hypästhesie (herabgesetzte Empfindung von Sinnesreizen) berichtet hatte.

Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Dezember 2005 eine Neufeststellung ab. Nach Widerspruch der Klägerin vom 19. Dezember 2005 holte der Beklagte einen Befundschein des Diplom-Psychologen A. ein. Dieser berichtete im März 2006 über eine anhaltende depressive Störung seit dem Jahre 2001. Seit November 2005 werde eine Gruppenpsychotherapie durchgeführt. Daraufhin schlug der beteiligte ärztliche Dienst des Beklagten für eine depressive Störung einen Grad der Behinderung von 20 sowie einen Gesamtgrad von 30 vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 19. April 2006 bei der Klägerin ab 31. Juli 2005 einen Grad der Behinderung von 30 fest und wies mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2006 den weitergehenden Widerspruch zurück.

Das gegen den Widerspruchsbescheid gerichtete Schreiben der Klägerin vom 2. Juni 2006 hat der Beklagte als Klage an das Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau weitergeleitet. Am 13. September 2006 hat eine nichtöffentliche Sitzung vor dem SG stattgefunden. Das SG hat weitere Befundberichte eingeholt. Der Diplom-Psychologe A. hat am 19. September 2006 über eine rezidivierende depressive Symptomatik mit latenter Suizidalität, Zwangsgrübeleien, Antriebsminderung und Schlafstörungen berichtet. Diese sei anamnestisch bis vor die Pubertät zurückzuverfolgen. Den Hintergrund der rezidivierenden Symptomatik bilde eine depressive Persönlichkeitsstruktur mit Selbstzweifeln, narzisstischen Defiziten, der Zurückstellung eigener Bedürftigkeit sowie eine auch zwischen den depressiven Episoden gedrückte missmutig-pessimistische Stimmung mit Gefühlen von Sinnlosigkeit und Leere. Aufgrund des vorgeschrittenen Lebensalters der Klägerin und des langen Bestehens der depressiven Verstimmtheit sei die Prognose nur mittelgradig günstig. Dr. L. hat am 26. September 2006 Depressionen, einen Diabetes mellitus, chronische Schmerzen bei HWS- und Schulterarmsyndrom, eine Hyperthyreose sowie ein Myom des Uterus diagnostiziert. Der Blutdruck habe 120/70 mmHg und der HbA1c-Wert am 24. Januar 2005 6,4% und am 1. August 2006 5,8% betragen. Trotz Physiotherapie und TENS-Gerät habe die Klägerin weiterhin Schmerzen. Obwohl sei Dezember 2005 eine Psychotherapie durchgeführt werde, leide sie weiterhin unter Schlafstörungen und einer depressiven Stimmungslage. Folgende Arbeitsunfähigkeitszeiten hat Dr. L. angegeben: 31.05.2001, 15.07.2002 (Diabetes mellitus), 20.09. bis 18.10.2002 (Salmonellose), 09.12. bis 11.12.2002 (grippaler Infekt), 03. bis 09.07.2003 (grippaler Infekt), 21.10.2003 (entgleister Diabestes mellitus) und 27.10 bis 03.11.2003 (grippaler Infekt).

Mit Gerichtsbescheid vom 23. September 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: In der Gesamtschau sei von einem Grad der Behinderung von 30 auszugehen. Die psychischen Störungen mit körperlichen Beschwerden seien mit 20 zu bewerten, da keine stärker behindernden Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorlägen. Die Funktionsminderung der Wirbelsäule mit degenerativen Veränderungen sei ebenfalls mit 20 zu bewerten. Schwere funktionelle Auswirkungen seien nicht nachgewiesen worden. Der Diabetes mellitus rechtfertige einen Grad der Behinderung von 10.

Gegen den ihr am 26. Oktober 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23. November 2006 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und die Feststellung eines Grades der Behinderung von mindestens 50 ab 31. Juli 2005 weiterverfolgt. Sie hat die Ansicht vertreten, der behandelnde Psychotherapeut habe eine latente Suizidalität sowie Antriebsminderungen und Schlafstörungen und damit eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit beschrieben. Außerdem seien die Schilddrüsenfunktionsstörung sowie der Diabetes mellitus und die sich negativ aufeinander auswirkenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen dieser Erkrankungen zu berücksichtigten. An der Feststellung bereits ab 31. Juli 2005 habe sie nach § 236 a des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) und der dort getroffenen Vertrauensschutzregelung hinsichtlich des Zugangs für vorgezogene Altersrenten ein berechtigtes Interesse.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 23. September 2006 aufzuheben, den Bescheid vom 19. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von mindestens 50 mit Wirkung vom 31. Juli 2005 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat sich den Ausführungen des SG angeschlossen und ergänzend vorgetragen, eine Schilddrüsenfunktionsstörung sei nicht nachgewiesen worden.

Der Senat hat weitere Befundberichte eingeholt. Dr. C. hat am 19. August 2007 rezidivierende Blockierungen der LWS und der HWS bei Spondylarthrose, eine Chondropathie patellae beidseits mit Knieschmerzen sowie Schulterschmerzen rechts diagnostiziert. Es läge ein paravertebraler Hartspann der LWS und HWS mit Ausstrahlungen in die Arme und Beine vor. Der Arm könne aktiv bis 90 Grad gehoben werden. Dr. B. hat am 28. August 2007 über eine gut eingestellte und stabile Schilddrüsenfunktion berichtet. Im Zeitraum vom 10. bis 18. November 2003 und vom 3. bis 10. Dezember 2003 sei die Klägerin aufgrund von Diarrhoe arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin S. hat am 29. August 2007 in Ergänzung zum Befundbericht von Dr. L. mitgeteilt, der Blutdruck habe im Zeitraum von 2004 und 2007 zwischen 110/70 mmHg und 140/70 mmHg betragen. Dem Befundbericht haben weitere Arztbriefe beigelegen. Der Kardiologe Dr. R. hatte am 9. August 2007 mitgeteilt, ein Belastungs-EKG habe ein hypertensives Blutdruckverhalten unter Belastung gezeigt und sei wegen muskulärer Erschöpfung abgebrochen worden. Belastungsindizierte Herzrhythmusstörungen und ischämieverdächtige Endstreckenveränderungen seien nicht aufgetreten. Die Farbdopplerechokardiographie habe einen normal großen linken Ventrikel, keine myokardiale Hypertrophie und eine normale globale linksventrikuläre Funktion gezeigt. Dr. C. hatte am 11. August 2006 über eine Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks nach einer Partialruptur der Rotatorenmanschette (Abduktionseinschränkung ab 110 Grad) berichtet. Am 15. März 2007 hatte er weiterhin bestehende Bewegungseinschränkungen und die Verlängerung des TENS-Gerätes für sechs Monate mitgeteilt. Außerdem hatte er einen Hartspann der LWS ohne neurologische Auffälligkeiten festgestellt. Die Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. M. hatte am 18. April 2005 ein Leiomyom des Uterus ohne Therapienotwendigkeit diagnostiziert. Schließlich hat Dipl.-Psych. A. mit Befundbericht vom 7. September 2007 ergänzend über eine deutliche Verbesserung der erhobenen Befunde berichtet. Nach Beendigung der Gruppenpsychotherapie im Mai 2007 sei die Klägerin nicht mehr bei ihm in Behandlung gewesen. Es bestünden noch leichte psychische Störungen (anhaltende depressive Verstimmung, soziale Phobie, Zwangsgrübeln). Stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit lägen nicht vor. Psychopharmaka nehme die Klägerin nicht ein.

In Auswertung dieser Unterlagen hat der Beklagte auf eine Stellungnahme der ärztlichen Gutachterin Dr. W. vom 26. September 2007 verwiesen. Danach liege aufgrund der deutlichen Besserung der seelischen Störungen kein Behinderungsgrad mehr vor. Selbst wenn sich für das rechte Schultergelenk ein Behinderungsgrad von 20 ergäbe, sei wegen der bisher teilweise zu hohen Anerkennung des Wirbelsäulenschadens und der Besserung der seelischen Störungen kein höherer Behinderungsgrad vertretbar.

Am 9. Januar 2008 hat eine nichtöffentliche Sitzung vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt stattgefunden. In dieser hat die Klägerin erklärt: Sie befinde sich seit Oktober 2007 wieder bei Herrn A. in Behandlung und werde eine Einzeltherapie durchführen. Medikamente aufgrund der psychischen Erkrankung nehme sie nicht. Des Weiteren leide sie unter einer noch nicht behandlungsbedürftigen Schwerhörigkeit. Durch die Umgebungsgeräusche könne sie sich nicht konzentrieren. Außerdem habe sie in vollen und engen Räumen Panikgefühle.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat Dr. B. (Facharzt für Psychotherapie, Psychotherapie, Psychoanalyse) am 12. November 2008 ein psychiatrisch-psychosomatisches Gutachten erstellt. Danach habe die Klägerin berichtet, sie werde mit dem Leben nicht mehr fertig, schiebe alles vor sich her und sei unfähig, irgendwelche Dinge zu erledigen. Sie habe Kontrollzwänge und ein Kontrollritual beim Verlassen der Wohnung. Auch habe sie große Sorge um ihren jüngsten Sohn, die sich bis zur Unerträglichkeit gesteigert habe, nachdem vor zwei Jahren ihr eine Wahrsagerin prophezeit habe, dass ihr Sohn nicht mehr lange zu leben habe. Seitdem schlafe sie extrem schlecht. Die Psychotherapie habe sie beendet, damit der Sohn nicht denke, ihr ginge es schlecht. Sie habe in der Gruppe vorgespielt, ihr ginge es besser, das Gegenteil sei aber der Fall. Sie habe auch leichte Ängste in Kaufhäusern und U-Bahnen. Die Stimmung sei oft schlecht. Sie fühle sich oft müde, schlapp, ohne Initiative und Entschlusskraft. Auch habe sie deutliche Ein- und Durchschlafstörungen. Sie habe weiterhin Probleme mit der rechten Schulter und häufig Rückenschmerzen. Diese Symptome seien aber nach der Berentung eher besser geworden. Sie nehme nur Schilddrüsenmedikamente, da sie äußerst misstrauisch gegen Medikamente sei. Außerdem habe die Klägerin erzählt, sie habe auf Drängen ihres damaligen Partners drei Häuser in Sachsen-Anhalt gekauft. Nach der qualvollen Trennung von ihm zwischen 2003 und 2005 stehe sie ziemlich einsam mit 400.000 EUR Schulden da. Die Immobilien bereiteten nur Ärger und Verdruss. Sie habe oft Streitigkeiten mit den Mietern. Zu ihrem jüngeren Sohn bestehe ein enger Kontakt, durch ihren ehemaligen Partner sei der sehr enge und liebevolle Kontakt zu ihrer Schwester abgebrochen. Anfang 2004 habe sie das Angebot zur Altersteilzeit angenommen und beziehe seit 2005 eine Rente. Die berufliche Situation in der Sparkasse sei sehr wechselhaft gewesen. Durch ihren Sachverstand und ihre Zuverlässigkeit sei sie als Anlageberaterin geschätzt gewesen. Die Vorgesetzten hätten ihr manchmal vorgeworfen, Routinearbeiten zu schleppend und zu langsam zu erledigen. Der Sachverständige hat ausgeführt: Diagnostisch sei von einer Dysthymia (ICD-10 F34.1) und einer schweren Zwangsneurose mit vorwiegend Zwangsbefürchtungen und Zwangsgrübeln (ICD-10 F42.0) auf dem Boden einer gemischten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden, depressiven und zwanghaften Anteilen (ICD-10 F61) auszugehen. Die Antriebsstimmungen seien wohl weniger depressiv als viel mehr zwanghaft. Durch ihr Misstrauen in ganz persönlichen Beziehungen und gegen alle Medikamente sei auf einen erheblichen schizoiden Persönlichkeitsanteil zu schließen. Depressive Persönlichkeitszüge seien deutlich vorhanden. Ihr Einsatz für die Interessen der Sparkassenkunden, die übermäßige Fürsorge für den Sohn und das übermäßige Eingehen auf die Bedürfnisse des Freundes wiesen daraufhin. Zwanghafte Züge seien überdeutlich und vorherrschend. Es bestünden ausgeprägte Zwangsbefürchtungen mit deutlichem Symptomcharakter, leichtere Zwangshaltungen und Wesenszüge wie Pünktlichkeit und Ordnungsliebe, die zur zwanghaften Struktur gehörten. Dadurch seien die Entschlussfähigkeit, Initiative und die Handlungsfähigkeit grob gestört. Gestört sei ferner die Fähigkeit, sich zu erholen und zu entspannen. Mittelgradig gestört seien die Konzentrationsfähigkeit, das Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen, die Flexibilität und die Fähigkeit, etwas Neues zu lernen. Leicht gestört seien die Wegefähigkeit und einige soziale Funktionen, wie Kontaktaufnahme sowie die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen. Diese Funktionseinschränkungen führten insgesamt zu mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten und seien mit einer MdE von 60 zu bewerten. Die orthopädischen und internistischen Leiden seien nicht sehr erheblich, sodass eine Gesamt-MdE von 60 gerechtfertigt erscheine. Eine Verschlimmerung sei 2003 aufgrund der Schwierigkeiten eingetreten, die ihr früherer Lebenspartner bereitet habe. Zudem sei im Jahre 2004 die stabilisierend wirkende berufliche Tätigkeit weggefallen. Somit treffe diese Einschätzung für den gesamten Zeitraum seit der Antragstellung zu.

In Auswertung des Gutachtens hat der Beklagte sich vergleichsweise bereit erklärt, für die psychische Störung der Klägerin einen Einzelgrad der Behinderung von 30 sowie einen Gesamtbehinderungsgrad von 40 ab 14. Oktober 2008 festzustellen. Dem Gutachten von Dr. B. könne er nicht folgen. Angaben zum Tagesablauf fehlten, eine relevante Zwangsstörung sei nicht nachvollziehbar. Die Klägerin sei Altersrentnerin und kümmere sich um ihre Immobilien. Zum Sohn sowie zu einigen Bekannten bestünden soziale Beziehungen. Mittelschwere soziale Anpassungsschwierigkeiten ließen sich daraus nicht ableiten. Es seien zwar ausgeprägte zwanghafte Befürchtungen, aber nur leichtere Zwangshandlungen beschrieben worden. Der sie langjährig behandelnde Dipl.-Psych. A. habe nur ein Zwangsgrübeln angegeben. Auch aus keinem anderen Bericht gehe eine schwere Zwangskrankheit vor. Anfang 2007 habe Dipl.-Psych. A. sogar eine deutliche Besserung beobachtet. Auch wenn die Besserung nur vorgespielt worden sei, lasse sich daraus allenfalls nur auf eine wesentliche Einschränkung der Gestaltungsfähigkeit schließen, die für sich einen Grad der Behinderung von 30 bedinge.

Die Klägerin hat das Vergleichsangebot nicht angenommen und ergänzend ausgeführt, sie überprüfe regelmäßig morgens ihre e-Mails, da sie sich extreme Sorgen um ihren Sohn mache. Auch müsse sie dreimal am Tag mit ihm telefonieren, um sich zu vergewissern, dass nichts passiert sei. Ähnliche Beschwerden und Befürchtungen habe sie bei der Benutzung von U-Bahnen und bei dem Besuch von Kaufhäusern.

Auf Veranlassung des Senats hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und Fachärztin für Psychotherapie Dr. P. nach Untersuchung der Klägerin am 15. Februar 2010 ein Gutachten erstattet. Die Klägerin hat im Wesentlichen die gegenüber Dr. B. angegebene biographischen Anamnese sowie ihre Beschwerden wiederholt und ergänzend ausgeführt: Sie habe eine Ausbildung bei der Sparkasse gemacht, sei von 1973 bis zum Ende der ersten Ehe im Jahre 1988 Hausfrau gewesen und habe sich dann über die Volkshochschule qualifiziert. Von 1988 bis 1992 sei sie als Buchhalterin tätig gewesen. 1992 habe sie dann wieder bei der Sparkasse angefangen, habe Fachlehrgänge absolviert und mit 49 Jahren ein Studium der Bankbetriebswirtschaft abgeschlossen. Sie hätte eine Superkarriere machen können, habe sich aber wegen des damaligen Partners für die Altersteilzeit entschieden. Ihren Hauptwohnsitz habe sie in M., außerdem habe sie noch eine Wohnung in B. bei ihrem Sohn. Dieser sei ihr einziger Vertrauter. Jede Sache mit Ärger errege sie leicht. Sie sei nicht in der Lage, Dinge leicht zu lösen. Sie denke, das sei ein unüberwindbarer Berg. Konflikte beherrsche sie nicht. Sie habe keine Zeit für sich. Sie fühle sich permanent überfordert. Jeden von ihr geschriebenen Brief korrigiere sie zwanzigmal. Bevor sie die Wohnung verlasse, gehe sie auf die Toilette. Sie kontrolliere den Herd, die Fenster und das Licht. Wenn sie den Müll runter trage, packe sie das Telefon ein und nehme Fahrgeld mit, falls sie die Schlüssel vergesse und sie sich selber ausschließe. Sie sei geruchsempfindlich und ängstlich. Sie habe alle elektrischen Sachen ausgewechselt. Sie denke, durch die Heizung, das Radio und die Energiesparlampe könnten giftige Gase in der Wohnung entstehen. Sie vermeide große Menschenmengen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln könne sie sich aber frei bewegen. Unter Einsamkeit leide sie nicht. Sie telefoniere herum, kümmere sich um die Wohnungen, vermiete sie, engagiere Handwerker, treibe Mietrückstände ein und unterstütze den Sohn. Sie versuche sehr korrekt zu arbeiten und habe auch liebe Gespräche mit Kunden, so wie früher in der Bank. Sie versorge sich alleine und verwalte auch ihre Finanzen am PC. Sie habe jetzt zwar Schulden durch den Kauf der Immobilien. Doch habe sie eine Lebensversicherung ausgezahlt bekommen, so dass sie eine Insolvenz bisher habe vermeiden können. Probleme mit der Ordnung habe sie zeitweise. Psychopharmaka nehme sie nicht ein und in einer speziellen Psychotherapie sei sie seit 2007 nicht mehr. An Medikamenten nehme sie zurzeit L-Thyroxin 75, Metformin 500 sowie Diovan 80 und Johanniskraut.

Die Sachverständige hat ausgeführt, die Klägerin leide an Zwängen im Denken und Verhalten. Sie neige zur Kontrolle von Abläufen und habe die Tendenz, in Beziehungen stark regressiv und überangepasst zu reagieren. Das seien aber psychische Besonderheiten ohne Krankheitswert. Eine abhängige Persönlichkeit liege nicht vor, weil ihre Verhaltensweisen nicht durchgängig seien. Die Klägerin habe immer wieder Phasen von Eigenständigkeit und Autonomie (so im Arbeitsleben) gehabt. Von einer zwanghaften Persönlichkeit sei auch nicht auszugehen, weil zwanghafte Persönlichkeiten in mehreren Lebensbereichen erheblich eingeschränkt und kontrollierend und im Verhalten sozial viel eingeengter seien. Die Funktionsbeeinträchtigungen durch die psychischen Besonderheiten wirkten nicht stärker behindernd. Die Klägerin könne ihre Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit in ihren Freiräumen willkürlich nutzen. Der Handlungsspielraum als Wohnungsverwalterin und Verwalterin ihrer Finanzen sei nicht beeinträchtigt. Die soziale Anpassungsfähigkeit sei im privaten Bereich und den Wohnungsverwaltungen erhalten. Ausgeprägte Depressionen und Entwicklungen von Krankheitswert hätten zu keinem Zeitpunkt bestanden, auch keine somatoforme Störung. Die Neigung zur Regression und Abhängigkeitshaltung, die dann mit Zwängen kompensiert werde sowie die Zwänge im Denken und Verhalten (ICD F42.2) seien mit einem Grad der Behinderung von 20 zu bewerten. Die neurotischen Störungen hätten sich offensichtlich seit der psychisch belastenden Trennung von ihrem Partner entwickelt. Aber es handelte sich nicht um eine Entwicklung mit Krankheitswert, wie man bei einer Neurose seit der Kindheit eigentlich erwarten müsste.

Außerdem hat die Sachverständige ausgeführt: Der mit Metformin eingestellte Diabetes mellitus rechtfertige einen Grad der Behinderung von 20. Für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule sei ohne vorliegende Befunde ein Grad der Behinderung von 20 anzunehmen. Es bestünde Klopfschmerz über der HWS und der LWS. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule sei aber nicht eingeschränkt gewesen. Lediglich der Schürzen- und Nackengriff rechts sei nicht möglich gewesen. Weitere Einzelbehinderungsgrade lägen nicht vor. Der Bluthochdruck rechtfertige keinen Behinderungsgrad. Eine Augenhintergrundserkrankung liege nicht vor. Hinweise auf eine kardiale Dekompensation oder eine auf Störung der pulmonalen Funktion bestünden nicht. Das Myom des Uterus sei ohne subjektive und objektive Probleme und die Stoffwechsellage sei ausgeglichen.

Insgesamt sei ein Grad der Behinderung von 40 vorzuschlagen. Die einzelnen Gesundheitsstörungen verstärkten sich nicht wechselseitig. Es gebe auch keine Überschneidungen in der Funktionsminderung. Hinweise für weitere Gesundheitsstörungen lägen nicht vor. Die Einschätzung treffe auf den gesamten Zeitraum seit dem 1. Juli 2005 vor. Die eigentliche psychische Krise habe die Klägerin während der Trennung von ihrem Partner ohne weitere ärztliche Maßnahmen erlebt. Es seien danach keine entscheidenden Behandlungen, stationären Aufenthalte oder Veränderungen des Gesundheitszustandes eingetreten.

Gegen das Gutachten von Dr. B. hat die Sachverständige ausgeführt: Für eine seit der Kindheit der Klägerin bestehende rezidivierende depressive Symptomatik gebe es keine Hinweise. Dagegen spreche auch die eigenständige und berufliche erfolgreiche Entwicklung der Klägerin, nachdem sie aus erster Ehe wieder in den Lehrberuf als Bankkauffrau zurückgekehrt sei. Sie sei beständig, durchsetzungsfähig, fleißig und sozial kompetent gewesen und habe sogar mit 49 Jahren ein Studium der Betriebsökonomie abgeschlossen. Schwere Störungen oder eine schwere Zwangskrankheit mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten lägen nicht vor. Die Klägerin habe ihre realen Probleme bis jetzt auch ohne Hilfe erfolgreich gelöst. Soweit es sich um eine Persönlichkeitsstörung gehandelt hätte, die durch depressive und zwanghafte Wesenszüge gekennzeichnet sei, wäre sie schon früher psychisch auffällig gewesen, hätte Probleme am Arbeitsplatz gehabt und würde nicht noch bis zum heutigen Tage ihre finanzielle Situation so gut wie möglich meistern. Auch bei einer schizoiden Persönlichkeit wären eine Tätigkeit in der Bank und eine erfolgreiche Entwicklung nicht möglich gewesen. Schwere Zwangsneurosen ermöglichten auch keine so erfolgreiche Karriere infolge eines unflexiblen Einengungsverhaltens. Beide Persönlichkeitseigenarten ermöglichten schließlich keine so intensive zweite Partnerschaft.

Mit Beschluss vom 17. September 2010 hat der Senat das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen die Sachverständige Dr. P. zurückgewiesen.

Die Klägerin hat gegen das Gutachten eingewandt, die Sachverständige habe sie nicht ernst genommen, ihre Beschwerden bagatellisiert und sei ihren Ängsten und Zwängen mit rationalen Vorschlägen begegnet. Sie sei nicht in der Lage, ihre Probleme zu lösen. Aufgrund der Probleme mit Mietern habe sie Suizidgedanken. Die Sachverständige habe allein auf ihr Berufsleben abgestellt und völlig ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen ignoriert, wegen derer sie vorzeitig in Rente gegangen sei. Auch habe sie wegen der in der Bank miterlebten Überfälle und des Todes vieler Kollegen die Altersteilzeit vereinbart. Im Übrigen enthalte das Gutachten Fehler, Ungereimtheiten und Unterstellungen.

In Auswertung des Gutachtens hat der Beklagte seinen Vergleichsvorschlag zurückgezogen. Bei Bewertung der psychischen Erkrankung mit einem Grad der Behinderung von 20 sei unter Berücksichtigung der weiteren vorliegenden Behinderungen von einem Gesamtgrad von 30 auszugehen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 143 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft liegen bei ihr nicht vor.

Der Neufeststellungsantrag der Klägerin ist laut Eingangsstempel zwar erst am 1. August 2005 bei dem Beklagten eingegangen. Die auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bereits zum 31. Juli 2005 gerichtete Klage ist aber zulässig. Das Rechtschutzbedürfnis liegt vor, da die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der rückwirkenden Feststellung wegen der Vertrauensschutzregelung nach § 236a SGB VI geltend machen kann.

Bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der hier erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000 – B 9 SB 3/99 R = SozR 3-3870 § 3 Nr. 9, S. 22).

Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 7. August 2002 einen Grad der Behinderung von 20 festgestellt und damit über den Grad der Behinderung der Klägerin entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades um wenigstens 10 ergibt. Die Änderung der Behinderungsbezeichnung oder das Hinzutreten weiterer Teil-Behinderungen ohne Auswirkung auf den Gesamtbehinderungsgrad allein stellen aber noch keine wesentliche Änderung dar (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 – B 9 SB 18/97 R, zitiert nach juris). Für die wesentliche Änderung kommt es weder auf den Inhalt des Vergleichsbescheides noch auf die von der Behörde bei der Bewilligung oder später angenommenen Verhältnisse, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse und deren objektive Änderung an (KassKomm-Steinwedel, SGB X, § 48 Rdnr. 14 m.w.N.).

Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheids vom 7. August 2002 vorgelegen haben, ist zwar eine Änderung eingetreten. Die Funktionsstörungen rechtfertigen aber keinesfalls einen noch höheren Behinderungsgrad als 30.

Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Rechtsgrundlage für den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung von mindestens 50 ist § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den Grad der Behinderung die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den Grad der Behinderung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Absatz 17 ermächtigt worden ist.

Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 RSozR 4-3800 § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Die in den Anhaltspunkten (Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nur für die Bewertung des Diabetes mellitus geändert worden. Für alle anderen Gesundheitsstörungen sind die gegenüber den Anhaltspunkten inhaltsgleichen Versorgungsmedizinischen Grundsätze maßgeblich. Im Folgenden werden daher nur die Vorschriften der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zitiert.

Soweit der streitigen Bemessung des Grads der Behinderung die GdS-(Grad der Schädigung)Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A, S. 17 ff.) zugrunde zu legen ist, gilt Folgendes: Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A, S. 8 ff.) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A, S. 8) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a, S. 18).

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen der Klägerin kein höherer Grad der Behinderung als 30 festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat auf das Gutachten von Dr. P., die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten sowie die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen. Die Einwände der Klägerin gegen das Gutachten hindern den Senat nicht, die unbestrittenen Ausführungen zugrunde zu legen und den fachlichen Einschätzungen der Sachverständigen Dr. P. zu folgen. Die Einwände betreffen nur für die Entscheidung nicht wesentliche Randbereiche, sodass selbst bei der unterstellten Richtigkeit der Senat keine Bedenken hat, das Gutachten zu verwerten.

a)

Das Hauptleiden der Klägerin ist dem Funktionsbereich "Gehirn einschließlich Psyche" zuzuordnen. Dafür ist ein Einzelgrad der Behinderung von 20 festzustellen.

Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (B 3.9., S. 43) geben für die hier in Betracht kommenden Gesundheitsstörungen folgenden Bewertungsrahmen vor:

Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen

0 – 20

Stärker behindernde Störungen

mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen)

30 – 40

Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit)

mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten

mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten

50 – 70

80 – 100

Der Senat folgt der diagnostischen Einordnung der psychischen Erkrankung durch Dr. P ... Danach neigt die Klägerin zur Regression und Abhängigkeitshaltung, die dann mit Zwängen kompensiert werden sowie an Zwängen im Denken und Verhalten (ICD-10 F 42.2). Eine abhängige Persönlichkeit liegt nicht vor, weil die Verhaltensweisen der Klägerin nicht durchgängig sind. Die Klägerin hat immer wieder Phasen von Eigenständigkeit und Autonomie (so im Arbeitsleben) gehabt. Von einer zwanghaften Persönlichkeit ist auch nicht auszugehen, weil zwanghafte Persönlichkeiten in mehreren Lebensbereichen erheblich eingeschränkter und im Verhalten sozial viel eingeengter sind. Eine depressive Erkrankung der Klägerin wurde von Dr. P. ausgeschlossen.

Wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bzw. mittelgradige Anpassungsstörungen - sowie von Dr. B. angenommen - sind mit den psychischen Besonderheiten der Klägerin nicht verbunden, sodass allenfalls ein Grad der Behinderung von 20 festgestellt werden kann. Auch insoweit schließt sich der Senat der Auffassung von Dr. P. an. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind nach dem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates (BMA am 18./19.03.1998 – zitiert nach Rohr/Sträßer, A 180, Nr. 26.3, 65. Lfg. – Stand Juni 200) durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen Störungen ganz unterschiedlich ist (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 8./9.11.2000 – zitiert nach Rohr/Sträßer, a.a.O.). Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen neben den Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 18./19.03.1998 – zitiert nach Rohr/Sträßer, a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat die Klägerin aufgrund der Zwänge durchaus Einschränkungen in ihrer Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. Zwangshandlungen beim Verlassen des Hauses, mehrfachen Kontrolle von Briefen, der Stapel unerledigter Dinge) und Ängste (z.B. die Angst um ihren Sohn, Angst bei Menschenansammlungen, Angst vor Giften). Sie leidet an Unruhe, Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten. Doch wird sie dadurch in ihrer Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit keinesfalls wesentlich eingeschränkt. Ihr war eine berufliche Tätigkeit in einer Bank ohne auffällige Einschränkungen möglich. Zwar hat sie mitgeteilt, aufgrund ihrer Gesundheitsstörungen vorzeitig die Tätigkeit aufgegeben zu haben. Nachgewiesen ist das aber nicht. So war sie vor Beendigung der Tätigkeit kaum arbeitsunfähig erkrankt. Die angegebenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit haben nur Allgemeinerkrankungen wie z.B. grippale Infekte betroffen. Zwar hat sie die berufliche Situation in der Sparkasse als sehr wechselhaft beschrieben. Doch war sie durch ihren Sachverstand und ihre Zuverlässigkeit als Anlageberaterin geschätzt gewesen. Allein der von den Vorgesetzten gemachte Vorwurf der zu schleppenden und zu langsamen Erledigung von Routinearbeiten lässt auf keine krankheitsbedingten beruflichen Probleme schließen. Im Übrigen hat die Klägerin die Aufgabe der Tätigkeit auch damit begründet, sie habe sich wegen ihres damaligen Partners für die Altersteilzeit entschieden. Außerdem hat sie auf die in der Bank erlebten Überfalle und den Tod von Kollegen als Grund für die Altersteilzeit hingewiesen.

Auch im privaten Bereich sind keine Auswirkungen aufgrund einer psychischen Erkrankung erkennbar, die sie krankheitsbedingt wesentlich einschränken. Die soziale Anpassungsfähigkeit im privaten Bereich und den Wohnungsverwaltungen ist trotz der Schwierigkeiten seit Jahren erhalten. Die Klägerin war und ist in der Lage, in B. und M. ihr Leben zu regeln. Sie versorgt sich allein und verwaltet trotz der hohen Schulden ihre Immobilien. Die Menge an unerledigten Aufgaben hat zu keinem Zeitpunkt zur Handlungsunfähigkeit geführt. Im Übrigen spricht gegen eine höhere Bewertung als mit einem Grad der Behinderung von 30 der fehlende soziale Rückzug. Zwar ist ihr Sohn die einzige Vertrauensperson. Den Kontakt zu ihrer Schwester und den älteren Sohn hat sie aber nicht aufgrund einer psychischen Erkrankung verloren. Diese Probleme sind nach ihren eigenen Schilderungen auf die Beziehung zum damaligen Lebenspartner zurückzuführen. Gegen einen sozialen Rückzug spricht auch die eigene Einschätzung der Klägerin, nicht einsam zu sein. Sie telefoniert herum, kümmert sich um die Wohnungen, vermietet diese, engagiert Handwerker, treibt Mietrückstände ein und unterstützt den Sohn. Sie führt Gespräche mit Kunden, die sie als "lieb" und "so wie früher in der Bank" beschrieben hat. Ihre Erlebnisfähigkeit ist somit erhalten geblieben. Trotz ihrer Sozialphobie kann sie sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln frei bewegen. Dieser aktive und engagierte Lebensstil zeigt einen großen Aktionsradius der Klägerin und uneingeschränkt nutzbare Freiräume.

Gegen eine mehr als leichte psychische Störung sprechen auch die weiteren medizinischen Unterlagen. Während der Reha-Maßnahme im Jahre 2002 war die Klägerin psychisch völlig unauffällig und hat auch keine psychischen Beschwerden angegeben. Auch Dr. B. hat noch im März 2003 eine psychische Erkrankung ausgeschlossen. Die von Dipl.-Psych. A. seit 2001 diagnostizierte Depression erscheint insoweit nicht nachvollziehbar. Zudem ist Herr A. kein Arzt, sodass seine Einschätzung nicht zum Nachweis einer seelischen Erkrankung - wie einer Anpassungsstörung oder Depression - herangezogen werden kann. Im Übrigen hat selbst Dipl.-Psych. A., der eine latente Suizidalität mitgeteilt hat, am 7. September 2007 über eine deutliche Verbesserung der erhobenen Befunde berichtet und nur noch eine leichte psychische Störung angenommen. Stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit hat auch er ausdrücklich ausgeschlossen. Letztlich ist bislang auch keine psychiatrische Behandlung der Klägerin erforderlich gewesen. Eine Behandlung mit Antidepressiva bzw. Psychopharmaka hat nicht stattgefunden. Dr. B.s Anregung zu einem neurologisch-psychiatrischen Konsil ist die Klägerin nicht nachgekommen. Selbst die psychologische Hilfe hat sie wieder abgebrochen, sodass ein entsprechender Leidensdruck, der mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit verbunden wäre, nicht erkennbar ist.

b)

Weiterhin ist für das Funktionssystem Rumpf ein Einzelbehinderungsgrad festzustellen. Bei der Klägerin liegt eine Funktionseinschränkung der Wirbelsäule vor, die keinesfalls einen Grad der Behinderung von mehr als 20 rechtfertigt.

Für Wirbelsäulenfunktionseinschränkungen sind die maßgeblichen Bewertungskriterien in Teil B 18.9 (S. 106 f) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vorgegeben. Danach folgt der Grad der Behinderung bei Wirbelsäulenschäden primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung der Wirbelsäulenverformung, der Wirbelsäuleninstabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Abschnitte der Wirbelsäule. Nach B 18.9 (S. 107) rechtfertigen erst mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grades, einen Einzelgrad der Behinderung um 20. Funktionsstörungen geringeren Grades bedingen allenfalls einen Einzelgrad um 10.

Der Beklagte hatte schon im Jahr 2002 die Funktionseinschränkungen im Bereich des Rumpfes mit einem Grad der Behinderung von 20 bewertet. Auch Dr. P. hat für die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule diesen Behinderungsgrad angenommen. Allerdings hat Dr. P. diesen Behinderungsgrad ohne vorliegende Befunde vorgeschlagen. Sie konnte nur einen Klopfschmerz über der HWS und der LWS bei uneingeschränkter Beweglichkeit der Wirbelsäule feststellen. Dauerhafte Bewegungseinschränkungen hat auch der behandelnde Orthopäde Dr. C. nicht berichtet. Dieser hat nur rezidivierenden Blockaden und einen Hartspann im Bereich der LWS und eine einmalig in der Rotation eingeschränkte HWS geschildert. Zu Recht hat daher die Versorgungsärztin Dr. W. auf die nicht nachgewiesenen mittelgradigen funktionellen Auswirkungen hingewiesen. Allein die dokumentierten degenerativen Veränderungen, die nach Angabe der Klägerin weiterhin zu Rückenschmerzen mit einer Ausstrahlung in Arme und Beine führen, können die Annahme eines Behinderungsgrades rechtfertigen. Da die Klägerin auch selbst gegenüber Dr. B. von einer Verbesserung der Rückenschmerzen berichtet hat, kann jedenfalls kein höherer als der vom Beklagten bisher angenommene Behinderungsgrad von 20 festgestellt werden.

c)

Das Bluthochdruckleiden der Klägerin ist dem Funktionssystem Herz-Kreislauf zuzuordnen und rechtfertigt einen Grad der Behinderung von 10.

Nach Teil B, Nr. 9.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 51) ist die leichte Form der Hypertonie, bei der keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundsveränderungen vorliegen, mit einem Grad der Behinderung von 0 bis zu 10 zu bewerten. Die mittelschwere Form eröffnet je nach Leistungsbeeinträchtigung einen Bewertungsrahmen von 20 bis 40. Kriterien dafür sind Organbeteiligungen leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundsveränderungen – Fundus hypertonicus I bis II- und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie) sowie diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung.

Nach diesem Maßstab ist die Bluthochdruckerkrankung als leichte Form der Hypertonie zu bewerten. Die dokumentierten Blutdruckwerte sind im Wesentlichen unter Medikation stabil. Zwar hat das Belastungs-EKG im August 2007 ein hypertensives Blutdruckverhalten unter Belastung gezeigt. Doch waren belastungsindizierte Herzrhythmusstörungen und ischämieverdächtige Endstreckenveränderungen nicht aufgetreten. Die Farbdopplerechokardiographie hat einen normal großen linken Ventrikel, keine Hypertrophie und eine normale globale linksventrikuläre Funktion dokumentiert. Auch andere Organbeteiligungen aufgrund des Bluthochdrucks sind nicht nachgewiesen.

d)

Für das Funktionssystem Arme ist aufgrund der Bewegungseinschränkung nach der Partialruptur der Rotatorenmanschette ein Grad der Behinderung von 10 festzustellen. Nach Teil B 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 110) ist bei einer Bewegungseinschränkung des Schultergelenks der Bewertungsrahmen von der Fähigkeit den Arm zu heben (mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) abhängig. Wenn die Armhebung nach vorn bis 120 Grad möglich ist, ist ein Grad der Behinderung von 10 anzunehmen. Bei einer auf 90 Grad begrenzten Armhebung erfolgt die Bewertung mit 20. Die von Dr. C. am 11. August 2006 dokumentierte Abduktionseinschränkung ab 110 Grad rechtfertigt danach einen Behinderungsgrad von 10. Zwar liegen keine aktuelle Bewegungsmaße vor. Da die Klägerin gegenüber Dr. B. aber von einer diesbezüglichen Verbesserung berichtet hat, kann keinesfalls ein noch höherer Behinderungsgrad angenommen werden.

e)

Die Erkrankung der Klägerin an Diabetes mellitus betrifft das Funktionssystem Innere Sekretion und Stoffwechsel. Diese kann maximal mit einem Grad der Behinderung von 10 bis zum 22. Juli 2010 bewertet werden.

Bis zum Inkrafttreten der Änderung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze am 22. Juli 2010 war nach den Anhaltspunkten aufgrund der medikamentösen Einstellung des Diabetes mellitus mit Metformin noch eine Bewertung mit 10 möglich (Teil B 15.1., S. 90). Denn danach war die Erkrankung an einem mit Medikamenten eingestellten Diabetes mellitus, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen, mit 10 zu bewerten. Da Metformin nicht die Insulinproduktion, sondern die Insulinwirksamkeit verstärkt, geht eine Metformin-Therapie nicht mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko einher. Zwar können die Anhaltspunkte in ihren Fassungen von 2004 und 2008 nach dem Urteil des BSG vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 10/06 R) nicht herangezogen werden. Nach der Zweiten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 14. Juli 2010 (BGBl. I S. 928) ist aber nunmehr kein Behinderungsgrad für einen mit Metformin eingestellten Diabetes mellitus anzunehmen. Denn dort ist festgelegt:

"Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Der GdS beträgt 0. Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20."

Hypoglykämien oder Folgeschäden sind bei der Klägerin aufgrund der Therapie mit Metformin auch tatsächlich nicht aufgetreten. Auch über die Tabletteneinnahme hinausgehende Teilhabebeeinträchtigungen sind nicht erkennbar.

f)

Weitere Gesundheitsstörungen, die einem anderen Funktionssystem zuzuordnen sind und zumindest und mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 zu bewerten wären, sind nicht erkennbar. Die von Dr. C. diagnostizierte Chondropathie patellae beidseits mit Knieschmerzen führt bei einer nur endgradig eingeschränkten Beugung und Streckung zu keinem Behinderungsgrad. Eine Schilddrüsenfunktionsstörung liegt nicht vor. Unter Medikation ist die Stoffwechsellage ausgeglichen. Die von der Klägerin angegebene chronische Augenentzündung bedingt auch keinen Behinderungsgrad, denn die Augenärztinnen Dres. M. und S. haben lediglich von einer zeitweisen Verordnung von Augentropfen wegen einer Bindehautreizung bei einer uneingeschränkten Sehkraft berichtet. Dauerhaft bestehende Funktionseinschränkungen aufgrund des vom Orthopäden Dr. C. im Oktober 2005 geschilderten Lymphstaus im Bereich beider Arme sind nicht erkennbar. Auch das vom Neurologen Dr. S. im Februar 2005 dokumentierte mäßig ausgeprägte Carpaltunnelsyndrom mit einer diskreten Hypästhesie im Medianusbereich rechtfertigt keinen Behinderungsgrad. Hinsichtlich des Myoms des Uterus besteht nach dem Befundbericht der Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. M. keine Therapienotwendigkeit. Die angegebene Schwerhörigkeit ist schließlich nicht nachgewiesen.

g)

Da bei der Klägerin Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren Grad der Behinderung vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Gesamtbehinderung zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (S. 8) anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

Danach ist von dem Behinderungsgrad von 20 für das Funktionssystem Psyche einschließlich Gehirn auszugehen. Dieser kann nicht erhöht werden, weil mehrere andere Funktionssysteme (Herz-Kreislauf, Arme, Stoffwechsel) mit einem Einzelgrad von 10 zu bewerten sind. Denn nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A, Nr. 3 ee, S. 23) führen – von hier fern liegenden Ausnahmefällen abgesehen – zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzelgrad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen und verschiedene Lebensbereiche betreffen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000 – B 9 V 8/00 R = SozR 3 – 3870 § 4 Nr. 28). Soweit der Beklagte aufgrund der Funktionseinschränkungen im Funktionssystem Rumpf (Einzelbehinderungsgrad von 20) den Gesamtgrad mit 30 bewertet hat, erscheint dies sehr wohlwollend. Keinesfalls ist aber ein noch höherer als der bislang festgestellte Grad der Behinderung von 30 gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegt nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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