L 4 P 8/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 12 P 64/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 P 8/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I.

Am 8. Januar 2004 beantragte der am ... 1970 geborene Kläger bei der Beklagten Pflegegeld. Die Beklagte holte ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) ein, welches von der Pflegefachkraft H. am 4. Februar 2004 erstellt wurde. Danach leide der Kläger unter einer lokalisationsbezogenen fokalen symptomatischen Epilepsie und epileptischen Syndromen mit komplexen fokalen Anfällen. Nach einem zurückliegenden Anfall sei eine Nervenlähmung im rechten Schultergelenk zurückgeblieben. Derzeit träten fast täglich, zu unterschiedlichen Tageszeiten, Anfälle auf, die zu einer völligen Verkrampfung mit Amnesie und zum Teil mit Einnässen sowie Zungenbissen verbunden seien. Für die Körperpflege benötige er Hilfe in einem zeitlichen Umfang von insgesamt 10 Minuten täglich. Diese setze sich wie folgt zusammen:

Duschen

5 Minuten

Rasieren

2 Minuten

Wasserlassen

3 Minuten

Beim Duschvorgang sowie bei der Rasur benötige der Versicherte lediglich eine grobe Beaufsichtigung, um einer Eigengefährdung im Falle eines Anfalls entgegenzuwirken. Zudem sei eine Hilfestellung nach einem anfallsbedingten Einnässen notwendig.

Für die Ernährung setzte die Gutachterin einen Zeitbedarf von 3 Minuten täglich an:

mundgerechte Zubereitung

3 Minuten

Bezüglich der Mobilität sei kein Pflegebedarf erforderlich. Der ermittelte Zeitumfang von insgesamt 13 Minuten pro Tag für die Grundpflege sowie 45 Minuten pro Tag für die hauswirtschaftliche Versorgung erfülle nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2004 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Hiergegen richtete sich der nicht mit einer Begründung versehen Widerspruch des Klägers vom 24. März 2004. Die Beklagte veranlasste eine erneute medizinische Begutachtung durch den MDK vom 14. Mai 2004. Die Pflegefachkraft Z. (MDK) stellte mit Untersuchung vom 12. Mai 2004 fest: Der Kläger bewohne ein Einfamilienhaus und werde von seinem Freund, der sich dort überwiegend aufhalte, und bei Bedarf von dessen Mutter versorgt. Er führe seit Januar 2003 einen Anfallskalender. Anfälle träten aktuell alle zwei Tage bis täglich auf. In der Nacht seien die Anfälle seltener (ca. zwei Mal im Monat). Die Medikamente könne der Kläger selbstständig einnehmen. Für die Körperpflege benötige er Hilfe in einem zeitlichen Umfang von insgesamt 8 Minuten täglich, die sich wie folgt zusammensetze:

Duschen

5 Minuten

Rasieren

2 Minuten

Wasserlassen

1 Minuten

Während des Duschvorgangs sowie der Rasur benötige er lediglich eine grobe Beaufsichtigung, um mögliche Eigengefährdungen zu vermeiden. Einnässen trete vor allem in der Nacht auf (laut Kalender drei Mal monatlich). Für die Ernährung setzte die MDK-Gutachterin einen Zeitbedarf von 3 Minuten täglich an und begründete dies mit der Beaufsichtigung beim Zubereiten der Brotmahlzeiten und der Handhabung des Bestecks:

mundgerechte Zubereitung

3 Minuten

Im Bereich der Mobilität sei für das Stehen ein Zeitbedarf von einer Minute erforderlich, um den Kläger beim Ein- und Ausstieg aus der Dusche zu beaufsichtigen. Zusammenfassend ergebe sich ein Pflegebedarf von insgesamt 12 Minuten pro Tag für die Grundpflege und von 45 Minuten pro Tag für die hauswirtschaftliche Versorgung. Der Grundpflegebedarf rechtfertige keine Pflegestufe I. Dem folgend wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2004 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 5. August 2004 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben und zur Begründung vorgetragen: Er benötige ständig Hilfe im Grundpflegebereich. Nach einem Anfall sei er praktisch orientierungslos, fühle sich schlapp und müde und verletze sich häufig. Auch beim Verlassen der Wohnung sei er ständig zu beaufsichtigen.

Die Beklagte hat dem entgegnet: Die Feststellungen der Pflegegutachter des MDK beruhten auf den Angaben des Klägers. Eine notwendige allgemeine Beaufsichtigung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht pflegerelevant.

Das Sozialgericht Halle hat sich mit Beschluss vom 13. September 2004 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Magdeburg verwiesen.

Das Sozialgericht Magdeburg hat einen Pflegebefundbericht von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. W. vom 15. Dezember 2004 eingeholt. Hiernach leide der Kläger an fluktuierenden Anfällen am Tage. In einem beigefügten Arztbrief berichtete die Fachärztin für Neurologie Dr. S. (P., H.) über verschiedene Therapieversuche mit dem Kläger seit November 1998. Eine Therapie mit Lamictal und Orfiril habe zunächst zu einer fluktuierenden Anfallshäufigkeit von null bis sechs Anfällen im Monat geführt. Im Jahr 2000 habe sich die Anfallshäufigkeit unter der Gabe von Valproat deutlich reduziert (null bis zwei Anfälle monatlich). Ab Anfang 2001 sei der Kläger trotz eigenmächtigen Absetzens dieses Medikaments zunächst anfallsfrei geblieben; im September 2002 seien dann aber wieder Anfälle aufgetreten. Nach der Erprobung verschiedener Therapieansätze sei es in der Folgezeit teilweise bis zu 15 Anfällen im Monat mit Bewusstseinsverlust gekommen. Eine stationäre Behandlung habe der Kläger bisher abgelehnt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. ein Sachverständigengutachten vom 31. August 2006 (Untersuchung vom 23. August 2006) erstattet und angegeben: Zwischen Januar 2004 und Mai 2006 habe eine Anfallshäufigkeit von 15 bis 18 großen Anfällen mit Bewusstseinsverlust und fünf bis sechs kleinen Anfällen bestanden. Dabei sei es in der Nacht zu drei bis vier Anfällen gekommen. Von Mai bis August 2006 habe sich der Kläger im Epilepsiezentrum in B. (B.) stationär behandeln lassen. Er benötige eine ständige Beaufsichtigung, um Selbstgefährdungen zu vermeiden. In anfallsfreien Zeiträumen sei ihm die Körperpflege selbstständig möglich. In der Grundpflege ohne Verlassen des Hauses betrage der direkte Pflegeaufwand ohne Berücksichtigung der Beaufsichtigung ca. 45 Minuten. Diese Zeit setze sich zusammen aus Auffangen, Lagern, Sichern, Waschen, Umziehen und zu Bett bringen sowie Beaufsichtigen. An anfallsfreien Tagen benötige der Kläger nur Aufsichtsleistungen der Pflegeperson. Nach einer stationären Behandlung in B. sei die Zahl der Anfälle deutlich zurückgegangen. Seit 1. August 2006 habe die Pflegeperson vorrangig Beaufsichtigungsaufgaben und müsse die hauswirtschaftliche Versorgung sicherstellen.

Der Kläger hat sich durch das Sachverständigengutachten bestätigt gesehen, während die Beklagte das Gutachten als unbrauchbar abgelehnt hat. Es fehle an nachvollziehbar dargelegten Pflegezeiten. Überdies werde die Pflegeperson vorwiegend beaufsichtigend tätig, was nicht als Pflegebedarf im Sinne des Gesetzes anerkannt werden könne.

In der öffentlichen Sitzung des Sozialgerichts Magdeburg vom 1. März 2007 hat der Kläger angegeben: Nach dem Krankenhausaufenthalt in B. habe sich die Situation verschlechtert, da seit dieser Zeit sog. Grand Mal-Anfälle ca. fünf Mal monatlich aufträten. Deshalb habe er die Medikation erhöhen müssen. Das Sozialgericht Magdeburg hat die Klage mit Urteil vom gleichen Tage abgewiesen. Es bestehe lediglich ein allgemeiner Beaufsichtigungsbedarf. Das bloße Bereithalten der Pflegeperson sei nicht pflegerelevant, denn sie sei zeitlich und örtlich nicht gebunden und könne eigenen Verrichtungen nachgehen. Rechtlich problematisch seien auch die unregelmäßigen, d.h. nicht täglichen Anfälle des Klägers. Wegen der fluktuierenden Anfälle bestehe kein Grundpflegebedarf für zumindest zwei Verrichtungen täglich, was von der BSG-Rechtsprechung für die Gewährung einer Pflegestufe aber vorausgesetzt werde.

Der Kläger hat gegen das ihm am 2. April 2007 zugestellte Urteil am 27. April 2007 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Auch wenn er nicht an täglichen Anfälle leide, sei er doch überwiegend auf fremde Hilfe angewiesen. Diese Hilfeleistung gehe über eine bloße Verfügbarkeit bzw. ständige Hilfebereitschaft hinaus. Zudem sei der Zeitaufwand für die Pflege während und nach einem Anfall erheblich.

Am 17. Dezember 2008 hat der Kläger bei der Beklagten erneut Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung beantragt und angegeben, es komme immer häufiger zu Grand Mal-Anfällen und zu sog. Dämmerzuständen, in denen er für die Umwelt nicht mehr ansprechbar sei. Zudem seien starke Stimmungsschwankungen, Konzentrationsstörungen und Depressionen hinzugekommen. Die Beklagte beauftragte in diesem Verfahren die Pflegefachkraft F. (MDK) mit der Erstellung eines Pflegebedürftigkeitsgutachtens (Untersuchung vom 20. Januar 2009). Diese gab an: Der Kläger habe ein verlangsamtes Sprachbild, sei jedoch zu seiner Lebens- und Krankengeschichte voll orientiert. Eine Einschränkung der Alltagskompetenz bestehe nicht. Die Greiffunktion und Koordination sei beeinträchtigt. Die Kraft in der rechten Gebrauchshand sei eingeschränkt und ein feinschlägiger Tremor beider Hände sichtbar. Für die Körperpflege benötige der Kläger einen Pflegebedarf von insgesamt 13 Minuten täglich, der sich wie folgt zusammensetze:

Zahnpflege

8 Minuten

Kämmen

1 Minute

Rasieren

4 Minuten

Im Bereich der Ernährung setzte die MDK-Gutachterin für die mundgerechte Zubereitung einen Zeitbedarf von 6 Minuten täglich und für die Mobilität von einer Minute wegen eines sicheren Duschtransfers an. Zusammenfassend bestehen ein Pflegebedarf in der Grundpflege von 20 Minuten und ein Zeitaufwand für die Hauswirtschaft von 45 Minuten täglich.

Mit Bescheid vom 29. Januar 2009 wies die Beklagte den Antrag und den hiergegen gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2009 zurück. Der Bescheid enthielt keinen Hinweis nach § 96 SGG. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 10. Juli 2009 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben (S 5 P 61/09). Das Sozialgericht Magdeburg hat den Kläger auf die doppelte Rechtshängigkeit der Sache hingewiesen und die neuen Bescheide als Streitgegenstand des beim Senat anhängigen Berufungsverfahrens gewertet. Der Kläger hat daraufhin die Klage S 5 P 61/09 am 22. November 2010 für erledigt erklärt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 1. März 2007, den Bescheid vom 24. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2004 sowie den Bescheid vom 29. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Pflegegeld nach der Pflegestufe I seit dem 8. Januar 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. Vom Versorgungsamt wurden bei ihm mit Bescheid vom 12. August 2004 ab dem 27. Januar 2004 (Zeitpunkt des Antrages) ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 sowie die Merkzeichen "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) und "G" (Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festgestellt.

Der Berichterstatter hat in einer nichtöffentlichen Sitzung vom 13. Dezember 2007 den Lebensgefährten des Klägers, den Zeugen S., befragt. Dieser hat angegeben: Die Anfallssituation habe sich in der Intensität und den Folgen verschlechtert. So dauere die Bewusstlosigkeit heute deutlich länger als früher. Der Kläger benötige nach einem Anfall fast einen halben Tag, um sich wieder zu stabilisieren. In dieser Phase habe er Orientierungsprobleme. Zwar müsse er ihn nicht füttern, jedoch sei eine Fremdmotivation erforderlich. Das Einnässen erfolge nun regelmäßig bei einem Anfall. Nach vermehrten Zungenbissen sei der Kläger auch vom Blut zu reinigen. Aktuell leide er an ca. acht bis zehn Anfällen pro Monat.

Der Senat hat einen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 6. Februar 2008 sowie einen Befundbericht des Epilepsie-Zentrums B. vom 7. Februar 2008 und des Klinikums B. vom 6. August 2008 eingeholt. Dr. K. hat angegeben: Der Kläger leide an gehäuft auftretenden Anfällen mit Bewusstseinsverlust, Zungen- und Wangenbiss, sowie Einnässen und Begleitverletzungen. Seit November 2007 habe sich die Anfallshäufigkeit erhöht (sechs bis zehn Anfälle monatlich). Der Kläger habe über Sehstörungen und Gelenkschmerzen als Nebenwirkungen der Medikation berichtet. Dr. B. (Epilepsiezentrum B.) hat über den stationären Aufenthalt im Jahr 2006 berichtet: Bei der stationären Aufnahme habe der Kläger über ca. zehn tonisch-psychosomatische Anfälle sowie ca. fünf absenceähnliche Zustände im Monat berichtet. Der Erfolg der medikamentösen Umstellung sei nicht sicher zu beurteilen. Assistenzärztin B. hat über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 12. Februar 2008 bis 28. Februar 2008 berichtet. Danach seien neben der Anfallsproblematik auch vegetative Symptome wie Bauchschmerzen, Verstopfungen, Blähsucht, Doppelbilder sowie Schwindel aufgetreten. In einer dem Bericht beigefügten Epikrise vom 7. Mai 2008 gab Dr. E. an: Unter stationären Bedingungen bis zum 17. Februar 2008 seien zunächst fast täglich komplex-fokale, sekundär generalisierte epileptische Anfälle aufgetreten, dann aber seltener geworden.

Der Senat hat einen weiteren Befundbericht vom Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie H. vom 28. Oktober 2009 über eine Behandlung vom 6. August 2009 eingeholt. Hiernach sei der letzte Anfall vor fünf Tagen aufgetreten. Das derzeitige Anfallsintervall betrage ca. zehn Anfälle im Monat. In psychischer Hinsicht habe der Kläger über eine Instabilität, eine Reizbarkeit und über unmotivierte Weglaufreaktionen berichtet. Es bestehe eine depressive Grundstimmung. Diagnostisch sei von einer Anpassungsstörung auszugehen.

Der Senat hat den Pflegesachverständigen Dipl.-Pflegewissenschaftler und Fachkrankenpfleger H. mit dem Gutachten vom 26. Oktober 2010 (Untersuchung vom 7. Oktober 2010) beauftragt. Dieser hat angegeben: Nach Angaben des Klägers habe sich die Anfallsfrequenz aktuell verringert, jedoch die jeweilige Stärke erhöht. Wegen seiner psychischen Probleme habe er eine ambulante Psychotherapie aufgenommen. Aktuell nehme er an Medikamenten Lamotrigin, Frisium (für die Nacht) sowie bei Bedarf Faustan. Einmal im Quartal suche er seine Hausärztin (Dr. K.) auf. Daneben befinde er sich in regelmäßiger fachärztlicher Kontrolle bei Dr. K. (ein bis drei Mal im Quartal). Seit Sommer 2009 sei er beim Psychiater H. in Behandlung und habe seit Ende 2009 eine regelmäßige Behandlung aufgenommen (14tägig). Hinzu kämen Kontrollen beim Orthopäden in weiteren Abständen und eine ärztliche Physiotherapie etwa alle zwei Wochen im näheren Wohnumfeld. Außer einem Matratzennässeschutz verwende er keine Hilfsmittel. Im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates sei der Kläger nicht eingeschränkt. Bezogen auf die inneren Organe und Sinnesorgane bestünden keine pflegerelevanten Einschränkungen. Für den Bereich der Nerven und der Psyche ergebe sich folgendes Krankheitsbild. Nach dem Anfallskalender 2010 betrage die Anfallsfrequenz zwischen sechs und 18 im Monat. Die letzte anfallsfreie Zeitspanne bis zum Begutachtungstermin habe fünf Tage betragen. Nach Krampfanfällen leide er an geringen Bewegungsstörungen im rechten Arm sowie an Verspannungen und Muskelschmerzen. Bei der Begutachtung habe der Kläger einen wachen und unbeeinträchtigten Eindruck gemacht. Der Antrieb sei jedoch reduziert. Er könne sich selbst beschäftigen und z. B. in anfallsfreien Zeiten mit Begleitung regelmäßig zwei Mal am Tag mit dem Hund spazieren gehen. Anlässlich der Untersuchung habe er angegeben, zu seinen Ärzten kein Vertrauen mehr zu haben. Auf Stress und Druck reagiere er zunehmend empfindlich und teilweise auch gereizt und aggressiv. Eine Verweigerungshaltung gegenüber der Pflegeperson bestehe nicht. Pflegerelevante Einschränkungen der Selbstpflegekompetenz lägen nicht vor. Trotz der schweren gesundheitlichen Einschränkungen sei der Kläger in der Regel im Grundpflegebereich selbstständig. Wegen der psychischen Probleme und der damit verbundenen depressiven Grundstimmung sowie einer Antriebsarmut benötige er bei Bedarf einer Impulsgabe von außen. Dies gelte insbesondere für die regelmäßige Einnahme von Mahlzeiten. Die Kommunikation sei mit ihm im Alltag problemlos möglich. Ein regelmäßiger, d.h. täglicher Pflegebedarf bestehe im Grundpflegebedarf nicht. Eine konkrete grundpflegerische Versorgung falle im Bedarfsfall bei großen Krampfanfällen, insbesondere im Bereich der Körperpflege und der Mobilität in unterschiedlicher Frequenz an. Auch müsse der Kläger regelmäßig zu Arztterminen begleitet werden. Nach Angabe der Pflegeperson habe sich der epilepsiebedingte Hilfebedarf seit 2004 im Wesentlichen nicht verändert. Hinzugekommen sei der erhöhte Betreuungsbedarf aufgrund der psychischen Problematik. Die eingetretene psychische Veränderung schränke ihn in seiner Alltagskompetenz ein, da er ohne Fremdhilfe und eine vorgegebene Tagesstruktur seinen Alltag nicht mehr bewältigen könne. Bei großen epileptischen Anfällen seien die Größe und das Gewicht (88 kg) pflegeerschwerend zu berücksichtigen. Für den Bereich der Körperpflege sei wegen der anfallsbedingt erhöhten Zahl der Wäschen bei einer durchschnittlichen Anfallsfrequenz von drei bis vier Anfällen je Woche ein täglicher Pflegebedarf von 10 Minuten anzusetzen. Eine ständige Präsenz der Pflegeperson in der Grundpflege sei im Übrigen nicht anzuerkennen, da diese lediglich aus Fürsorge und nicht wegen eines konkreten Pflegebedarfs notwendig sei. Für den Bereich der Blasen- und Darmentleerung sei kein Pflegebedarf festzustellen. Der Hilfebedarf nach einem Krampfanfall und einem unkontrolliertem Harnabgang sei bereits im Bereich der Körperpflege berücksichtigt worden. Im Bereich der Ernährung benötige der Kläger keine direkte Fremdhilfe. Wegen der psychischen Problematik seien vermehrte Impulsgaben, die, genau wie ein Anreichen von Getränken nach einem Anfall zu einem täglichen Pflegebedarf für die Nahrungsaufnahme von vier Minuten zusammenzufassen seien. Für die Anleitung wegen der psychischen Problematik seien dabei 3 und für die Versorgung nach einem Anfall 1 Minute anzusetzen. Für den Bereich der Mobilität ergebe sich aus dem notwendigen Kleiderwechsel und der anfallsbedingten Benommenheit ein hochgerechneter Pflegebedarf von täglich 2 Minuten für das Ankleiden, 3 Minuten für das Entkleiden sowie 1 Minute für das Gehen. Mit Beginn der regelmäßigen Psychotherapie (zwei Mal monatlich) und den weiteren Arztbesuchen sowie der Physiotherapie sei von einem Termin in der Woche auszugehen, der mit 90 Minuten anzusetzen sei und zu einem täglichen Pflegebedarf von 13 Minuten führe. Im Bereich der Hauswirtschaft erreiche der Kläger einen Hilfebedarf von 45 Minuten pro Tag. Zusammenfassend sei der Grundpflegebedarf von 2004 bis Ende 2009 mit 17 Minuten und ab Ende 2009 nach Erhöhung des Mobilitätsbedarfs (13 Minuten) sowie des erhöhten Bedarfs bei der Ernährung mit weiteren 16 Minuten, d.h. dann 33 Minuten täglich anzusetzen. Die in den Pflegetagebüchern von 2009 und 2010 durchschnittlich aufgeführten Pflegebedarfe von 200 bis 500 Minuten je Tag seien nach den Begutachtungsrichtlinien nicht als Grundpflegebedarf anzusehen.

Obwohl der Kläger nicht geistig behindert sei und keine pflegerelevant kognitiven Einschränkungen aufweise, sei seine allgemeine Alltagskompetenz aufgrund der labilen psychischen Situation erheblich eingeschränkt. So sei er nicht in der Lage, den Alltag ohne Fremdhilfe zu bewältigen. Neben dem Anfallsleiden habe sich eine depressive Stimmungslage, eine allgemeine Antriebsarmut, ein affektlabiles Verhalten mit Fremd- und Selbstaggression sowie Fehlhandlungen entwickelt. Gleichwohl resultiere daraus kein konkreter, pflegerischer Hilfebedarf so dass der Kläger keine Tages-, Nacht-, oder Kurzzeitpflege benötige. Eine zeitweise soziale Betreuung außerhalb des häuslichen Umfeldes wäre jedoch zur Entlastung der Pflegeperson und der häuslichen Situation zu empfehlen.

Die Beklagte sieht sich durch das Sachverständigengutachten bestätigt. Der Senat hat nochmals einen Befundbericht von Dr. K. vom 12. November 2010 und von dem Psychiater H. vom 23. November 2010 eingeholt. Dr. K. hat angegeben: Seit 2002 bestehe eine Anfallshäufigkeit von acht bis 15 Anfällen und von Januar 2004 bis Mai 2006 von 15 bis 18 Anfällen im Monat. Neben den großen Anfällen komme es zu weiteren fünf bis sechs kleinen Anfällen, in denen der Kläger nur kurz umdämmert sei und nicht reagieren könne. Drei bis vier Mal im Monat komme es auch nachts zu epileptischen Anfällen. Dr. K. hat einen Arztbrief der Universitätsklinik für Neurologie M. vom 12. August 2010 vorgelegt. Darin berichtete Prof. Dr. H. über derzeit aktuell drei bis fünf Anfälle pro Woche. Die Ende 2009 aufgenommene Psychotherapie habe keinen wesentlichen Erfolg gebracht. Während des stationären Aufenthaltes vom 5. bis 12. August 2010 seien per Video vier Anfallsereignisse aufgezeichnet worden. Facharzt H. berichtete über eine chronische Verschlechterung der Stimmungslage und diagnostizierte auf psychiatrischem Gebiet neben einer Anpassungsstörung auch eine mittelgradig depressive Episode.

Am 8. März 2011 hat der Kläger ergänzend zum Gutachten vorgetragen: Bei einem Grand-Mal-Anfall komme es zu einer Versteifung und Zuckungen. Dieser habe eine zeitliche Dauer von einer bis zu 15 Minuten. Dem Anfall gehe eine sog. Aura als spezifische Empfindung voraus. Der Gutachter H. habe sich zu Unrecht nur auf die großen Anfälle konzentriert und dabei die Auswirkungen der einfachen Anfälle, Vorfälle und Absencen unbeachtet gelassen. Diese führten ständig zu Zittern, Schlaflosigkeit, Verwirrtheit, Kopfschmerzen, Bewegungsstörungen, Schwindelgefühl, Doppelsehen und Verschwommenheit, Hautbrennen, Appetitlosigkeit, schneller Reizbarkeit, körperlichen Schmerzen, verstärktem Sexualverlangen und der Gefahr der Selbstverletzung. Der Lebensgefährte schildert exemplarisch Vorfälle eines Tages in der letzten Woche. Der gerichtliche Sachverständige habe zudem keine eigenen Beobachtungen der Anfälle und ihrer Auswirkungen gemacht, sei fachlich für die Epilepsie nicht hinreichend qualifiziert und ziehe falsche Schlussfolgerungen. Seit September 2010 nehme der Kläger nach einem Nervenzusammenbruch zusätzlich Faustan. Wegen der Beschwerden benötige er die ständige Unterstützung einer Hilfeperson. Bei einem Vergleich der bisherigen Gutachten von H., Z., F. und H. ergebe sich ein durchschnittlicher Pflegebedarf von sogar 82 Minuten pro Woche, wobei sich der Kläger jeweils an den Höchstwerten orientiert habe (vgl. Tabelle Bl. 411). Entgegen der Ansicht des gerichtlichen Sachverständigen erhalte er allein 18mal im Quartal Massagen und Fango, d.h. sechs Mal im Monat. Zusammenfassend sei daher ein durchschnittlicher Bedarf an mindestens zwei wöchentlichen Arzt- bzw. Therapieterminen auszugehen. Der gerichtliche Sachverständige habe es zudem versäumt, die erheblichen Nebenwirkungen der Medikation wie Doppelbilder, Schwindelgefühl mit Fallneigung, unangenehmes Gefühl des Drehens, Störung des Gleichgewichtssinns usw. im Pflegebedarf zu bewerten. Diese führten zu einer Verlangsamung und einem erhöhten Hilfebedarf.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet, denn die Bescheide der Beklagten vom 24. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2004 sowie vom 29. Januar 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2009 sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil er keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I (dazu im Folgenden 1.) und auch keinen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen hat (dazu im Folgenden 2.).

Die nach dem Neufeststellungsantrag von der Beklagten erlassenen Bescheide vom 29. Januar 2009 sowie vom 11. Juni 2009 sind gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, da sie die zunächst angegriffenen Bescheide ersetzt haben. Die Beklagte hat nach dem Neuantrag ein erneutes MDK-Gutachten eingeholt und damit den Sachverhalt erneut geprüft und entschieden.

1. Der Anspruch auf Pflegegeld beruht auf § 37 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) in Verbindung mit § 14, 15 SGB XI. Voraussetzung ist, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicher stellt. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen oder regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen. Die pflegebedürftigen Personen werden nach § 15 Abs. 1 SGB XI für die Gewährung von Leistungen einer von drei Pflegestufen zugeordnet. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege – Körperpflege, Ernährung und Mobilität – mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI).

Beim Kläger liegen seit der Antragsstellung bis zur Entscheidung des Senats die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI nicht vor. Nach den übereinstimmenden und auch überzeugenden Bewertungen der zahlreichen MDK-Gutachter sowie des gerichtlichen Sachverständigen H. verfehlt der Kläger den gesetzlich notwendigen Pflegebedarf von mindestens 45 Minuten in der Grundpflege deutlich (im Folgenden a.). Dabei sind die in den genannten Gutachten festgestellten Pflegezeiten von 2004 bis Ende 2009 zum Teil schon aus Rechtsgründen zu hoch ausgefallen. Der Kläger erreicht erst mit Auftreten einer psychischen Erkrankung und der Aufnahme einer Psychotherapie einen regelmäßigen, d.h. täglichen Pflegebedarf in mindestens zwei Verrichtungen als Mindestvoraussetzung für einen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I (im Folgenden b.).

a. Nach den überzeugenden MDK Gutachten von H. vom 4. Februar 2004 (Zeitaufwand Grundpflege: 13 Minuten), Z. vom 12. Mai 2004 (Zeitaufwand Grundpflege: 12 Minuten) und F. vom 20. Januar 2009 (Zeitaufwand Grundpflege: 20 Minuten) erreicht der Kläger nicht einmal die Hälfte des für die Pflegestufe I erforderlichen Pflegeaufwandes in der Grundpflege von mehr als 45 Minuten. Auch der gerichtliche Sachverständige H. gelangte mit ausführlicher Aufbereitung des Sachverhalts und überzeugender Begründung von Januar 2004 bis Ende 2009 zu einem Grundpflegebedarf von nur 17 Minuten bzw. ab Ende 2009 von 33 Minuten und unterschreitet damit die notwendige Pflegeminutenzahl von mehr als 45 Minuten Grundpflege deutlich. Die dagegen gerichteten Einwände des Klägers vermögen insgesamt nicht zu überzeugen.

Die Kritik des Klägers, der Sachverständige H. habe den Pflegeaufwand für die wöchentlichen Arzt- und Therapieterminen mit 13 Minuten zu gering bewertet und dabei insbesondere den Umfang der Physiotherapie fehlerhaft bewertet, kann nicht überzeugen. Nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen hat dieser offenbar auf der Grundlage der Angaben des Klägers die zusätzlichen physiotherapeutischen Behandlungen berücksichtigt und dabei insbesondere zeitlich mit einbezogen, dass diese Therapie in seinem näheren Wohnumfeld stattfindet. Die Behauptung des Klägers einer weitergehenden Physiotherapie ist dagegen nicht belegt. Aber auch wenn dies zuträfe und sich dadurch der Pflegebedarf im Bereich der Mobilität erhöhen würde, bliebe ein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten unerreichbar.

Die Berechnung des Klägers, im Rahmen einer vergleichsweisen Bewertung sich jeweils zu seinen Gunsten aus den vorliegenden Gutachten die für ihn höchsten Werte herauszurechnen, ist nicht zutreffend. Die Einschätzungen der MDK-Gutachter und des Sachverständigen H. sind als in sich geschlossene Gesamtbewertungen anzusehen und berücksichtigen je nach individueller Bewertung des einzelnen Gutachters die verschiedenen Pflegeverrichtungen. Die Vorgehensweise des Klägers nach Art einer "Rosinentheorie", nur die für ihn höchsten Minutenwerte heranzuziehen, kann zu einer unzulässigen Doppelbewertung von einzelnen Verrichtungen führen und reißt die gutachterlichen Gesamteinschätzungen aus ihrem jeweils inneren Zusammenhang. Im Übrigen wäre es bei einer solchen Vorgehensweise auch denkbar, jeweils nur die niedrigsten Werte einzubeziehen.

Der Vortrag des Klägers, es läge bei ihm ein anfallsbedingt ständiger Pflegebedarf vor, der sich neben den großen Anfällen auch aus den weiteren Begleitfolgen (Auren, Absencen und medikamentösen Nebenwirkungen usw.) zusammensetze, hat sich in tatsächlicher Hinsicht nicht erhärten lassen. So hat der Pfleger Scheffler in seiner Vernehmung vom 13. Dezember 2007 die Anfallshäufigkeit mit ca. acht bis zehn Anfällen pro Monat angegeben und mögliche pflegerelevante Begleitfolgen aus der Medikation nicht beschrieben oder auch nur angedeutet. Auch Dr. K. hat in dem Befundbericht vom 12. November 2010 die kleinen Anfälle nur mit einem kurzen Dämmerzustand beschrieben. Dies lässt den Rückschluss auf einen konkreten und ständigen Pflegebedarf jedoch noch nicht zu. Gleiches gilt für die anderen von ihm genannten Nebenfolgen, die sich teilweise in Befundberichten als Beschwerdeangaben wiederfinden. Die angegebenen Doppelbilder, Schwindelgefühl mit Fallneigung, unangenehmen Gefühle des Drehens, Störung des Gleichgewichtssinns usw. sind trotz ausführlicher Befragung des Klägers von den MDK-Gutachtern und vom Sachverständigen H. übereinstimmend nicht als pflegerelevant bewertet worden. Hierbei kann der Senat auch nicht übersehen, dass der Kläger diesen Aspekt erst in seinem Schriftsatz vom 4. März 2011 besonders hervorgehoben hat. Seine sehr späte Einlassung lässt vermuten, dass er diesen Aspekt in den vorherigen Befragungen bei den verschiedenen Untersuchungen der Gutachter nicht als bedeutsam angesehen hatte. Dies ist auch nachvollziehbar, da derartig allgemeine Beeinträchtigungen für den Pflegebedarf erst bedeutsam werden können, wenn sie so nachhaltig sind, dass sie in den genannten Verrichtungen einen konkreten Pflegebedarf für die Pflegeperson auslösen. Hierfür bestehen aber keine Anhaltspunkte.

Der Hinweis des Klägers, der Sachverständige H. sei fachlich nicht in der Lage die Folgen einer Epilepsie einzuschätzen, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Dies gilt auch für den Vorhalt, der Sachverständige hätte sich den konkreten Pflegebedarf in einer tatsächlichen Anfallssituation ansehen müssen. Gerade besonders qualifizierte Pflegekräfte, wie der langjährig für das Gericht tätige Sachverständige H., können den für das SGB XI erforderlichen verrichtungsbezogenen Pflegebedarf besonders gut einschätzen. Denn dabei geht es nicht mehr in erster Linie um die Bewertung von Erkrankungen, sondern um die Feststellung von Funktionsbeeinträchtigungen in Bezug auf die Pflegeverrichtungen.

Lediglich die Sachverständige Dr. K. hat in ihrem Gutachten nach § 109 SGG einen Pflegebedarf von ca. 45 Minuten bejaht und ist damit dem für die Pflegestufe I notwendigen Hilfebedarf sehr nahe gekommen. Dieses Gutachten hält der Senat jedoch für nicht tragfähig, da der dort festgestellte Pflegebedarf zu hoch ausgefallen ist. Frau Dr. K. hat ihre Schlussfolgerung eines Pflegebedarfes von ca. 45 Minuten nicht nachvollziehbar begründet. Dem Gutachten fehlen eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den jeweils gesetzlich bestimmten Verrichtungen und eine genaue Zuordnung von konkret pflegerelevanten Zeiten. Dr. K. hat sich offensichtlich nicht an den Begutachtungsrichtlinien orientiert und teilweise Hilfeleistungen beschrieben, die keine Verrichtung im Sinne des SGB XI betreffen. So hält sie z. B. Hilfeleistungen wie Auffangen, Lagern und Sichern für notwendig, die erkennbar keiner konkreten Verrichtung im Sinne des SGB XI zugeordnet werden können. Demgegenüber haben sich die drei MDK-Gutachter und der gerichtliche Sachverständige H. mit den einzelnen gesetzlichen Verrichtungen auseinandergesetzt und anhand der jeweils vorhandenen Ressourcen des Klägers einen konkreten Pflegebedarf ermittelt. Trotz gewisser Abweichungen im Detail kommen die drei MDK-Gutachter und der gerichtliche Sachverständige übereinstimmend zu einem Grundpflegebedarf weit unterhalb der Grenze von mehr als 45 Minuten.

b. Bis zum Ende des Jahres 2009 ist der Grundpflegebedarf des Klägers von Seiten der MDK-Gutachter und des gerichtlichen Sachverständigen H. im Übrigen ohnehin zu hoch angesetzt worden. Richtigerweise hätte der Zeitaufwand für die Grundpflege bis zur Aufnahme einer regelmäßigen Psychotherapie mit nur 0 Minuten bewertet werden dürfen. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI genügt ein lediglich unregelmäßiger, d.h. nicht täglicher Pflegebedarf nicht den gesetzlichen Anforderungen. Das Gesetz verlangt einen täglichen Hilfebedarf in mindestens zwei Verrichtungen. Dies bestätigt auch das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 14. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R (zitiert nach juris). Eine Durchschnittsbewertung des innerhalb einer Woche aufgetretenen, anfallbedingten Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege war damit bis zum Auftreten der psychischen Erkrankung gesetzlich ausgeschlossen. Diese Durchschnittsberechnung eines nicht täglichen, aber häufigen Grundpflegebedarfs – wie z.B. bei einem Anfallsleiden – ist von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI nicht gedeckt. Vielmehr kann eine wöchentliche Durchschnittsberechnung erst dann vorgenommen werden, wenn die Hilfebedürftigkeit zwar schubweise gehäuft auftritt, aber jeden Tag ein Hilfebedarf bei zumindest zwei Verrichtungen der Grundpflege besteht (so BSG, Urteil vom 14. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R, zitiert nach juris).

Die damit verbundene Benachteiligung von Versicherten, die lediglich an schubweise auftretenden Erkrankungen leiden, ist gesetzlich gewollt und nicht zu beanstanden. Zwar ist ein derart partiell auftretender Hilfebedarf für die Gebrechlichkeitspflege, die bei der Konzeption der Pflegeversicherung im Vordergrund stand, nicht typisch. Dem Gesetzgeber waren derartige Erkrankungsbilder mit erheblichen Schwankungen der Intensität und des Umfangs des täglichen Hilfebedarfs jedoch bekannt. Hinweise dafür, dass er derart häufig auftretende Pflegebedarfe wie z.B. bei der Epilepsie im Gesetzgebungsverfahren übersehen haben könnte, liegen nicht vor. Dies lässt den Rückschluss zu, dass die Notwendigkeit des täglichen Hilfebedarfs in mindestens zwei Verrichtungen bewusst als ausnahmslose Mindestgrenze für den Pflegebegriff im Sinne des SGB XI gewählt wurde. Ein Verfassungsverstoß kann hierin schon deshalb nicht gesehen werden, weil die Pflegeversicherung vom Gesetzgeber nicht auf die lückenlose Erfassung jeglichen Pflegebedarfs ausgerichtet worden ist, worauf das BSG bereits mehrfach hingewiesen hat (vgl. BSGE 82, 27 [34]; BSGE 85, 278 [284]). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzliche Regelung bestehen nicht (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2000, a.a.O.).

Nach allen Gutachten steht fest, dass der Kläger an einer Epilepsie leidet, die nicht an jedem Tag in der Woche einen anfallsbedingten Hilfebedarf auslöst. Dies hat auch Dr. K. so bewertet, die nach der zunächst erfolgreichen Behandlung in B. nur noch Aufsichtsaufgaben der Pflegeperson bejaht hatte. Anfallsfrequenz und Intensität der Anfälle waren im Zeitraum zwischen 2004 bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nie so hoch, dass täglich ein anfallsbedingter Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege festzustellen ist. Dies wurde über einen langen Zeitraum auch vom Kläger oder seiner Pflegeperson nicht anders dargestellt. Die Sachverständigen Dr. K. und H. bewerten den Kläger in seiner anfallsfreien Zeit – trotz seiner zweifellos schweren gesundheitlichen Einschränkungen – als in der Regel im Grundpflegebereich selbstständig. Die Anfallserkrankung führt damit im Hinblick auf den gesetzlichen Pflegebegriff zu einem unregelmäßigen, d.h. nicht täglichen Bedarf an Pflegeleistungen. Nach den Feststellungen der MDK-Gutachter sowie des gerichtlichen Sachverständigen erreicht der Kläger eine wöchentliche Durchschnittsanfallshäufigkeit von drei bis fünf, d.h. ca. vier Anfällen pro Woche. Je nach Intensität der Anfälle kommt es dabei im Bereich der Körperpflege und im Bereich der Mobilität zu einem entsprechenden Pflegebedarf insbesondere für zusätzliche Ganzkörperwäschen und notwendiges Umziehen nach Einnässen. An anfallsfreien Tagen ist der Kläger dagegen im Bereich der Grundpflege als selbstständig, also nicht pflegebedürftig anzusehen. Diese lediglich tageweise anfallsbedingte Unfähigkeit des Klägers, seine Verrichtungen der Grundpflege selbst vornehmen zu können, führt zunächst dazu, den anfallsbedingten Pflegebedarf vollständig aus der Bewertung herauszunehmen. Damit verbleibt für die Grundpflege kein Pflegebedarf.

Ob mit dem Auftreten der psychischen Erkrankung des Klägers von einem regelmäßigen, d.h. täglichen Pflegebedarf in mindestens zwei Verrichtungen auszugehen ist (Ernährung und Mobilität), kann trotz gewisser Zweifel nach den obigen Ausführungen offenbleiben. Problematisch könnte nämlich sein, ob die Arzt- und Therapiestunden, die gerade nicht täglich anfallen, hierfür tatsächlich ausreichen können. Doch selbst wenn mit dem Auftreten der neuen psychischen Erkrankung, deren Beginn der Senat nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen H. und den seit dieser Zeit aufgenommenen psychotherapeutischen Behandlungen (vgl. Befundberichte von Facharzt H. vom 28. Oktober 2009 und vom 23. November 2010) auf Ende des Jahres 2009 bestimmen kann, ein regelmäßiger, d.h. täglicher Pflegebedarf in zwei Verrichtungen entstanden ist, verfehlt der Kläger einen Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten immer noch deutlich. Den pflegebedingten Hilfsbedarf wegen der psychischen Erkrankung bewertet der Senat – wie auch der Sachverständige H. – mit 16 Minuten. Dieser setzt sich aus einer Anleitung zur Nahrungsaufnahme (3 Minuten) und den wöchentlichen Arzt- und Therapieterminen (13 Minuten) zusammen. Hinzu kommt der anfallsbedingte Mehrbedarf von 17 Minuten. Dieser setzt sich aus der Körperpflege von 10 Minuten einschließlich der Folgen des unkontrollierten Harnabgangs zusammen. Hinzu kommt für das Anreichen von Getränken nach einem Anfall 1 Minute sowie für den notwendigen Kleiderwechsel von täglich 2 Minuten für das Ankleiden, 3 Minuten für das Entkleiden sowie 1 Minute für das Gehen. Zusammenfassend ergibt sich damit lediglich ein durchschnittlicher Grundpflegebedarf von 33 Minuten, der für die Pflegestufe I nicht genügt.

2. Auch für einen Leistungsanspruch des Klägers auf zusätzliche Betreuungsleistungen gemäß §§ 45 a, 45 b SGB XI bleibt kein Raum. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG um ein zweistufiges Kostenerstattungsverfahren (vgl. BSG, Urteil vom 12. August 2010 – B 3 P 3/09 R, zitiert nach juris). Es bestehen bereits Zweifel, ob der Kläger überhaupt in den von § 45 a SGB XI erfassten Personenkreis fällt. Für die Bewertung, ob die Einschränkung der Alltagskompetenz auf Dauer erheblich ist, sind die in § 45 a Abs. 2 Satz 1 SGB XI im Einzelnen aufgeführten, für diesen Personenkreis typischen 13 Schädigungen und Fähigkeitsstörungen im Alltag - sogenannte Assessments (vgl. PEA-RL Ziffer 2.2) - maßgebend. Die Alltagskompetenz ist danach erheblich eingeschränkt, wenn bei dem Pflegebedürftigen wenigstens in zwei Bereichen, davon mindestens einmal in einem der Bereiche 1 bis 9, dauerhafte und regelmäßige Schädigungen und Fähigkeitsstörungen bestehen (§ 45 a Abs. 2 Satz 2 SGB XI). Der gerichtliche Sachverständige hat beim Kläger wegen der psychischen Störung Schwierigkeiten bejaht, einen Tagesablauf zu planen und zu strukturieren. Gravierende, gefährdende Verhaltensweisen gegen sich oder Dritte (wie z.B. Weglauftendenz, Selbstgefährdung in Situationen und mit gefährlichen Gegenständen, tätlich oder verbal aggressives Verhalten) im Sinne der § 45 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. bis 9. SGB XI vermochte der gerichtliche Sachverständige jedoch nicht festzustellen. Vielmehr beschrieb er lediglich einen depressionsbedingten Anleitungsbedarf und wies gleichzeitig auf die hohe Selbstständigkeit und Eigenständigkeit des Klägers hin. Ziel der zusätzlichen Betreuungsleistungen wäre nach Ansicht des Sachverständigen auch nur eine Entlastung der Pflegeperson und keine erkrankungsbedingt notwendige Förderung. Ein Kostenerstattungsanspruch gemäß §§ 45 a, 45 b Abs. 1 S.2 SGB XI scheitert auch daran, dass der Kläger bisher derartige Leistungen noch nicht in Anspruch genommen hat. Dies setzt der Leistungsanspruch gemäß § 45 b Abs. 1 Satz 6 SGB XI jedoch ausdrücklich voraus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es sich um die Entscheidung eines Einzelfalls auf gesicherter rechtlicher Grundlage handelt.
Rechtskraft
Aus
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