L 12 AS 5558/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 1996/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 5558/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von 3 Lebensmittelgutscheinen a` 105,- EUR für den Sanktionszeitraum April bis Juni 2009 streitig.

Die 1958 geborene, alleinstehende Klägerin, die erwerbsfähig ist und weder über Einkommen noch Vermögen verfügt, bezieht seit 01. Januar 2005 Arbeitslosengeld II (ALG II), das gesondert durch die Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Träger, den R.-N.-K., erbracht wird. Die Beklagte bewilligte der Klägerin für die Zeit vom 01. November 2008 bis zum 30. April 2009 durch Bescheid vom 01. Oktober 2008 Leistungen in Höhe von 351,- EUR monatlich (Regelleistung), gegen den die Klägerin erfolglos wegen der Höhe der Regelleistung Widerspruch eingelegt hatte (Widerspruchsbescheid vom 10. November 2008).

Nachdem sich die Klägerin auf den Vermittlungsvorschlag der Beklagten vom 23. Februar 2009 für eine Vollzeittätigkeit als Personalsachbearbeiterin bei der Firma B. E. GmbH in W. nicht beworben, sondern diesen Vorschlag zurückgesandt hatte (Schreiben vom 25. Februar 2009), senkte die Beklagte mit Bescheid vom 09. März 2009 das ALG II für die Zeit vom 01. April 2009 bis zum 30. Juni 2009 monatlich um 30 % der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des der Klägerin zustehenden Gesamtauszahlungsbetrages, in Höhe von monatlich 105,- EUR ab und hob die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung für diesen Zeitraum gemäß § 48 Abs. 1 SGB X auf. Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 07. April 2009) und Klage blieben ohne Erfolg (SG Mannheim, Urteil vom 09. Oktober 2009 - S 5 AS 1542/09 -; die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 08. Juni 2011 - L 12 AS 5175/09 NZB - zurückgewiesen).

Mit Bescheid vom 06. April 2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 01. Mai 2009 bis zum 30. Oktober 2009 ALG II in Höhe der Regelleistung von monatlich 351,- EUR und setzte - entsprechend dem Sanktionsbescheid - in der Zeit vom 01. Mai bis zum 30. Juni 2009 einen Minderungsbetrag von monatlich 105,- EUR ab. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 03. Juni 2009; SG Mannheim, Urteil vom 22. Oktober 2009 - S 6 AS 1898/09 -; Senatsurteil vom 10. Juni 2011 - L 12 AS 5557/09 -).

Am 22. April 2009 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung eines Lebensmittelgutscheins in Höhe von monatlich 130,- EUR für die Monate April bis Juni 2009. Der Sanktionsbescheid und der Widerspruchsbescheid vom 07. April 2009 seien illegal. Um dem Hungertod zu entgehen, werde ein Antrag auf Gewährung von Lebensmittelgutscheinen für den Sanktionszeitraum gestellt. Im nicht existenzdeckenden Regelsatz seien für den Erwerb von Lebensmitteln 130,- EUR eingewertet. Auf diese staatliche Transferleistung bestehe ein Rechtsanspruch zur Sicherung des Existenzminimums. Ein Mensch könne nicht drei Monate lang ohne Lebensmittel existieren. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 24. April 2009 ab. Der Widerspruch der Klägerin (Schreiben vom 04. Mai 2009) hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 03. Juni 2009). Ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Gewährung dreier Lebensmittelgutscheine von je 105,- EUR hat das Sozialgericht Mannheim (SG) abgelehnt (Beschluss vom 09. Juni 2009 - S 6 AS 1846/09 ER -).

Die Klägerin hat am 18. Juni 2009 Klage zum SG erhoben. Die Beklagte habe einen illegalen Sanktionsbescheid erlassen. Sie - die Klägerin - besitze kein Sparvermögen und habe kein Einkommen. Ihre Grundversorgung und ihr Leben seien gefährdet, denn ihr stünden keine finanziellen Mittel für den Erwerb von Nahrungsmitteln zur Verfügung. Ein Mensch könne nicht drei Monate lang ohne Lebensmittel existieren. Infolge der Leistungskürzung um 30 % stehe nicht genügend Geld für die Fixkosten und die persönlichen Bedarfe zur Verfügung. Sie könne die Aufwendungen für Unterkunft nicht begleichen, ihr drohe Obdachlosigkeit. Die Beklagte habe kein Ermessen ausgeübt. In S. sei durch das Verhalten der dortigen Arbeitsagentur bereits ein Alg II-Empfänger verhungert. Es habe die Pflicht bestanden, ihr die beantragten Lebensmittelgutscheine zu gewähren. Durch Sanktionsmaßnahmen werde der ohnehin nicht existenzdeckende und verfassungswidrige Regelsatz noch weiter unterschritten. § 31 SGB II enthalte weder eine Ausnahmeregelung noch räume es der Verwaltung Ermessen ein. Das Vorenthalten der Lebensmittelgutscheine verstoße gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 GG.

Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen Richterin am SG Dr. D. hat der Senat mit Beschluss vom 28. Juli 2009 zurückgewiesen (L 12 SF 2986/09 A).

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 22. Oktober 2009 hat die Klägerin Bedenken hinsichtlich der ehrenamtlichen Richterin S.-R. geäußert und diese für befangen gehalten.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. Oktober 2009 unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter S.-R. und S. abgewiesen. Das SG habe trotz des in der mündlichen Verhandlung gestellten Befangenheitsantrages unter Mitwirkung der Richterin S.-R. den Termin fortsetzen und den Rechtsstreit entscheiden dürfen. Das Gericht lasse es dahinstehen, ob bei diesem Befangenheitsantrag ein Fall offenbarer Rechtsmissbräuchlichkeit vorliege. Denn nach § 47 Abs. 2 Satz 1 ZPO könne für den Fall, dass ein Richter während der Verhandlung abgelehnt werde und die Entscheidung über die Ablehnung eine Vertagung erfordern würde, der Termin unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden. Ein solcher Fall liege hier vor. Die Vorschrift des § 47 Abs. 2 ZPO gestatte auch den Erlass eines Endurteils. Der neben der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgte Feststellungsantrag sei unzulässig. Im Übrigen sei die zulässige Klage unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Aushändigung von Lebensmittelgutscheinen in Höhe von jeweils 105,- EUR für die Monate April bis Juni 2009. Da das SG keine Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 31 SGB II zu erkennen vermöge, bedürfe es auch keiner Aussetzung des Rechtsstreits und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. Nach § 31 Abs. 3 S. 6 SGB II könne der zuständige Träger bei einer Minderung des Alg II um mehr als 30 v.H. der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Zu diesen Leistungen zählten auch Lebensmittelgutscheine. Allerdings erfülle die Klägerin nicht die gesetzlich normierte Voraussetzung zur Bewilligung von Lebensmittelgutscheinen, da die Absenkung ihres Alg II lediglich 30 und nicht mehr als 30 % betrage. Deshalb habe es auch keiner Ermessensausübung bedurft. Wenn die Klägerin geltend mache, dass die Regelleistung für Erwachsene nicht das soziokulturelle Existenzminimum abdecke und verfassungswidrig sei, folge das Gericht dieser Ansicht nicht. Auch eine Verfassungswidrigkeit der Absenkungsmöglichkeit bzw. der Möglichkeit der Bewilligung von Lebensmittelgutscheinen erst bei einer Absenkung von mehr als 30 % sei nicht erkennbar. Darüber hinaus werde mit der Sanktionierung um 30 % das verfassungsrechtlich gewährleistete Existenzminimum nicht unterschritten. Der Klägerin seien neben den zuerkannten Kosten der Unterkunft Leistungen nach § 20 Abs. 2 SGB II in Höhe von 246,- EUR verblieben. Das Grundgesetz stelle in Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und dem Sozialstaatsprinzip lediglich das sog. physische Existenzminimum sicher. Zu diesem das "Überleben" sichernden physischen Existenzminimum gehörten jedenfalls ausreichende Nahrung, Kleidung, Obdach sowie auch ausreichende medizinische Versorgung. Dieses physische Existenzminimum bleibe der Klägerin auch bei einer Sanktion um 30 % ohne Bewilligung von Lebensmittelgutscheinen erhalten. Denn die Kosten der Unterkunft seien der Klägerin weiter geleistet worden. Sie sei auch weiterhin beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert gewesen und mit ausreichenden Mitteln versehen gewesen, um sich ausreichend mit Nahrung und Kleidung zu versorgen. Insoweit nehme das Gericht Bezug auf die Zusammensetzung der Regelleistung im SGB II. Selbst wenn man die Positionen Ernährung, Bekleidung, Schuhe, Wohnung, Energie, Wohnungsinstandhaltung und Gesundheitspflege zusammenzähle, werde der der Klägerin nach der Minderung noch zustehende Betrag von 246,- EUR nicht erreicht. Das SG erachte es nicht als erforderlich, dass dem Bedürftigen die Positionen für Verkehr, Nachrichtenübermittlung, Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Bildungswesen sowie andere Waren und Dienstleistungen zur Sicherung des "nackten Überlebens" zuerkannt werden.

Der 2. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg hat das Ablehnungsgesuch gegen die ehrenamtliche Richterin S.-R. mit Beschluss vom 09. November 2009 als unzulässig verworfen (L 2 SF 5077/09 A).

Gegen das ihr am 2. November 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 1. Dezember 2009 eingelegte, vom SG zugelassene Berufung der Klägerin. Die am Urteil mitwirkende Schöffin S.-R. sei befangen gewesen. Sie - die Klägerin - habe die ehrenamtliche Richterin wegen Befangenheit in der mündlichen Verhandlung abgelehnt. Ihr Ablehnungsgesuch sei durch das SG verfahrensfehlerhaft und materiell-rechtlich inkorrekt beschieden worden. Der Beschluss des 2. Senats vom 9. November 2009 sei unter Verstoß gegen geltendes Recht und in Übergehung des rechtlichen Gehörs zustande gekommen. Der 2. Senat habe ihre Eingabe unter Übergehung des rechtlichen Gehörs vorsätzlich nicht zur Kenntnis genommen. Die Voreingenommenheit des 2. Senats sei unverkennbar, er habe seine Funktion als amtierendes Gericht bewusst missbraucht und bedenkenlos Rechtsbeugung verübt. Das Urteil des SG beruhe auf einer mangelhaften Darstellung und Erfassung der streitentscheidenden Tatsachen sowie auf einem falschen Rechtsverständnis der Sanktionsregelung. Das SG habe die Klageschrift übergangen und ihr rechtliches Gehör verletzt. Sie – die Klägerin – sei ihrer Verpflichtung aus der Eingliederungsvereinbarung nachgekommen und habe die geforderten Eigenbemühungen unternommen. Weitere Bewerbungen und damit zusammenhängende Kosten habe sie nicht unternehmen müssen. Die Beklagte habe die Bearbeitung der Lebensmittelanträge ohne Rücksicht auf Verluste zwei Monate hinausgezögert, keine Interessenabwägung vorgenommen und die Klägerin dem Risiko des Verhungerns ausgesetzt. Kein Mensch könne drei Monate ohne Grundnahrungsmittel existieren. Auf dem Land gebe es keine "Tafelläden". Gegen die gesetzliche Regelung des § 31 SGB II bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Das Verfahren sei auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 GG vorzulegen. Hinsichtlich der Feststellungsklage liege ein Feststellungsinteresse vor. Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsbedürfnis und Schadenskompensation liege vor. Die Klärung der Frage sei Vorfrage für die Rechtsmäßigkeit des Sanktionsbescheides.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Oktober 2009 aufzuheben, 2. unter Abänderung des Bescheids vom 24. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. Juni 2009 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin drei Lebensmittelgutscheine im Wert von 105,- EUR für den Zeitraum vom 01. April 2009 bis zum 30. Juni 2009, ersatzweise 315,- EUR zu gewähren. 3. hilfsweise die Rechtssache gem. Art. 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zwecks Normenkontrolle vorzulegen, da die Regelung von § 31 SGB II gegen Art. 1 Abs. 1 und 3, 2 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG verstößt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf das angefochtene Urteil.

Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg hat auf die "Beschwerde" vom 01. Dezember 2009 gegen den Beschluss vom 09. November 2009 die Klägerin auf dessen Unanfechtbarkeit (§ 177 SGG) hingewiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten des SG Mannheim S 5 AS 1542/09 und des LSG Baden-Württemberg L 12 AS 5175/09 NZB, L 12 AS 5557/09, L 2 SF 5078/09 A Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) einlegte Berufung ist zulässig und statthaft (§ 143 SGG), da das SG die Berufung in dem angefochtenen Urteil für den Senat bindend zugelassen hat (§ 144 Abs. 3 SGG).

2. Gegenstand der statthaft erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) bildet allein der Bescheid vom 24. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. Juni 2009, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Lebensmittelgutscheinen für den Sanktionszeitraum vom 01. April bis zum 30. Juni 2009 abgelehnt hat.

3. Der Bescheid der Beklagten vom 24. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. Juni 2009 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin weder auf Grundlage des § 31 Abs. 3 S. 6 SGG noch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen für den Sanktionszeitraum ein Anspruch auf die Gewährung von Lebensmittelgutscheinen zusteht. Insoweit nimmt der Senat auf die Darlegungen des SG Bezug und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

4. Ergänzend weist der Senat im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren darauf hin, dass ein wesentlicher Verfahrensfehler, der zur Zurückverweisung an das SG nach § 159 Abs. 1 SGG führen könnte, nicht vorliegt. Der geltend gemachte Verfahrensmangel, das SG habe trotz des Ablehnungsgesuchs unter Mitwirkung der abgelehnten ehrenamtlichen Richterin S.-R. unter Verletzung der "Wartepflicht" (vgl. § 47 ZPO) entschieden (vgl. dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09. Juli 2007 - L 1 SF 116/07 -), ist jedenfalls geheilt (dazu z.B. BSG, Beschluss vom 01. August 2000 - B 9 SB 24/00 B -). Denn seit der Zustellung des unanfechtbaren Beschlusses vom 09. November 2009 (L 2 SF 5077/09 A), an den der Senat gebunden ist, ist der in der Mitwirkung der abgelehnten ehrenamtlichen Richterin S.-R. möglicherweise liegende Verfahrensfehler jedenfalls als geheilt anzusehen. Auch der geltend gemachte Verfahrensmangel, das SG habe den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 GG verletzt, ist nicht ersichtlich. Ihr Einwand, das SG habe ihren Vortrag nicht berücksichtigt, begründet keinen Verfahrensmangel. Das Gericht ist im Rahmen des rechtlichen Gehörs nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen auch in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insbesondere ist es nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe eines Verfahrens von der einen oder der anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (BVerfGE 96, 205; BSG, Beschluss vom 05. Oktober 2010 - B 8 SO 62/10 b -). Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör gem. § 62 SGG, Art. 103 Abs. 1 GG kann nicht angenommen werden, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten unerwähnt lässt, die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich und offensichtlich haltlos sind (BSG, a.a.O.). Danach war das SG nicht verpflichtet, ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 3 S. 6 SGB II lägen nicht vor und diese Regelung begegne keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, sich u.a. mit den ausführlichen Darlegungen der Klägerin zur Eingliederungsvereinbarung und zum Sanktionsbescheid vom 09. März 2009 auseinanderzusetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gericht den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und mit in seine Erwägungen einzubeziehen hat. Dieses ist grundsätzlich anzunehmen, wenn das Gericht den Vortrag entgegengenommen hat (vgl. Keller in Mayer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 62 Rdnr. 7). In den Entscheidungsgründen muss daher nicht zu den vorgetragenen Ausführungen Stellung genommen werden. In Einklang mit diesen Grundsätzen hat das SG in den Entscheidungsgründen die aus seiner Sicht das Urteil tragenden Umstände dargelegt und damit hinreichend den Vortrag der Klägerin berücksichtigt.

Auch in der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Nach § 31 Abs. 3 S. 6 SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung; vgl. nun § 31a Abs. 3 S. 1 SGB II) kann der zuständige Träger bei einer Minderung des ALG II um mehr als 30 v.H. der nach 20 SGB II maßgebenden Regelleistung in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Nachdem die Beklagte durch den - hier nicht streitgegenständlichen und bestandskräftigen - Sanktionsbescheid vom 09. März 2009 das ALG II für die Zeit vom 01. April bis zum 30. Juni 2009 monatlich um 30 v.H. der für die Klägerin maßgeblichen Regelleistung von 351,- EUR um 105,- EUR auf 246,- EUR abgesenkt hat, liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung ergänzender Sachleistungen bzw. geldwerter Leistungen nicht vor. Der Senat hat - wie das SG - keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Absenkung des ALG II für einen Zeitraum von 3 Monaten um 30 v.H. der Regelleistung. Nach Auffassung des Senats ist es auszuschließen, dass das verfassungsrechtlich abgesicherte Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) der Klägerin beeinträchtigt wurde. Das BSG (Urteil vom 09. November 2010 - B 4 AS 27/10 R -) hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Absenkung des ALG II für einen auf vier Monate begrenzten Zeitraum um 20 v.H. bzw. 30 v.H. der Regelleistung bereits deshalb verneint, weil dem dortigen Kläger - anders als der Klägerin - ergänzende Sachleistungen "in angemessenem Umfang" angeboten worden waren und der Kläger von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Gleichwohl bestehen auch in der vorliegenden Fallgestaltung einer Absenkung um 30 v.H. der Regelleistung über einen Zeitraum von 3 Monaten keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach dem grundlegenden Urteil des BVerfG vom 09. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) muss das dem Grunde nach unverfügbare Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) durch den Gesetzgeber eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zukommt, die mit der Bestimmung der Höhe des Existenzminimums verbunden sind. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt. Der Leistungsanspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG ist dem Grunde nach von der Verfassung vorgegeben. Der Umfang dieses Anspruchs kann im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel jedoch nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem Gesetzgeber kommt ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht. Die Verfassung gebietet nicht die Gewährung von bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen (BVerfG, Beschluss vom 07. Juli 2010 - 1 BvR 2556/09 -). In Einklang mit dieser Rechtsprechung geht die sozialrechtliche Rechtsprechung davon aus, dass auch während eines Sanktionszeitraums dem Hilfebedürftigen das zur physischen Existenz Unerlässliche zu sichern ist (vgl. bspw. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09. September 2009 - L 7 B 211/09 AS ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - L 10 B 2154/08 AS -) Zu diesem das "nackte Überleben" sichernden physischen Existenzminimum gehört neben Obdach und ausreichender medizinischer Versorgung auch Nahrung und Kleidung. Im Hinblick auf den Grundsatz des Forderns (§ 2 SGB II), der seinen Niederschlag in der Sanktionsnorm des § 31 SGB II gefunden hat und vom erwerbsfähigen Hilfebedürftigen verlangt, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen, bewegt sich der Gesetzgeber im Rahmen seines - durch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannten - Gestaltungsspielraums, wenn er die finanziellen Leistungen für den Fall absenkt, dass der Hilfebedürftige seinen Teil zu seiner beruflichen Eingliederung nicht (hinreichend) erbringt, und eine Erbringung ergänzender Sachleistungen und geldwerter Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums erst bei einer Minderung des Alg II um mehr als 30 v.H. der Regelleistung vorsieht (§ 31 Abs. 3 S. 6 SGB II). In Ausübung seines Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber in der gesetzlichen Regelung des § 31 Abs. 3 S. 6 SGB II präzisiert, ab wann die Unterschreitung des das "nackte Überleben" sichernden Existenzminimums in Betracht kommt und die Erbringung ergänzender Sachleistungen möglich ist. Vorliegend verblieben der Klägerin für Nahrung und Kleidung, nachdem Unterkunft und eine ausreichende medizinische Versorgung durch die Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (§§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V, 20 Abs. 1 Nr. 2a SGB XI) gesichert waren, monatlich 246,- EUR, so dass - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - ihr physisches Existenzminimum gesichert war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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