Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 26 SF 4753/07
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 1376/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine rein materiellrechtliche Rücknahme im sozialgerichtlichen Verfahren in Form eines gerichtlichen "Vergleichs" erfüllt den Verzichtstatbestand in Nr.1006, 1000 VV-RVG.
Die Beschwerde der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 20. August 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gotha streitig (Az.: S 26 AS 4298/06).
Im Hauptsacheverfahren (Az.: S 26 AS 4298/06) vertrat die in der Rechtsanwaltskanzlei der Beschwerdeführer beschäftigte Rechtsanwältin A. die Klägerin. Diese bezog Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Schreiben vom 18. Oktober 2006 wies die Beklagte, eine ARGE SGB II, die Klägerin darauf hin, sie habe in der Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2006 Leistungen in Höhe von 125,90 Euro zu Unrecht bezogen; es werde um Äußerung hierzu gebeten. Mit Bescheid vom gleichen Tag erging ein Änderungsbescheid. Die Klägerin legte gegen das Schreiben vom 18. Oktober 2006 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2006 als unzulässig verwarf. Dagegen erhob die Klägerin am 8. Dezember 2006 Klage. Mit Verfügung vom 27. März 2007 wies der Kammervorsitzende sie darauf hin, dass diese mangels Verwaltungsakt unzulässig sei. Am 30. August 2007 zeigte Rechtsanwältin A. ihre Vertretung an und trug im Ergebnis vor, Gegenstand der Klage seien auch die inhaltlich unrichtigen Änderungsbescheide vom 18. und 24. Oktober 2006. In der 40 Minuten dauernden nichtöffentlichen Sitzung am 6. Oktober 2007 gewährte das Sozialgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung ab 30. August 2007 und ordnete Rechtsanwältin A. bei. Nach der Niederschrift wies der Vorsitzende anschließend darauf hin, dass er mangels Verwaltungsakt Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage habe. In der Niederschrift ist des Weiteren vermerkt: "Auf Vorschlag des Gerichts schließen die Beteiligten folgenden Vergleich: 1. Die Beklagte verpflichtet sich, den Bescheid vom 18. Oktober 2006 zu überprüfen. 2. Die Klägerin nimmt ihre Klage zurück. 3. Die Kosten werden gegenseitig aufgehoben. 4. Die Beteiligten erklären übereinstimmend, dass sich der Rechtsstreit damit erledigt hat."
In ihrer Kostenrechnung vom 11. Oktober 2007 machte Rechtsanwältin A. für dieses Verfahren einen Betrag von insgesamt 892,50 Euro geltend, der sich wie folgt errechnet:
Verfahrensgebühr 250,00 Euro Terminsgebühr 200,00 Euro Einigungsgebühr 280,00 Euro Post- und Telekommunikation 20,00 Euro Zwischensumme 750,00 Euro Mehrwertsteuer 142,50 Euro Gesamtbetrag 892,50 Euro
Unter dem 5. November 2007 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Zahlung von 381,99 Euro an und führte zur Begründung aus, hinsichtlich des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit komme es nur auf die Zeit von der Beiordnung bis zur Erledigung des Rechtsstreits an. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und die Einkommensverhältnisse der Klägerin seien unterdurchschnittlich, die Bedeutung durchschnittlich gewesen. Insofern seien Verfahrens- und Terminsgebühr auf jeweils 2/3 der Mittelgebühr festzusetzen. Die Voraussetzungen der Einigungs- oder Erledigungsgebühr lägen mangels qualifizierter anwaltlicher Mitwirkung bei der Erledigung nicht vor.
Am 14. März 2007 hat Rechtsanwältin A. Erinnerung eingelegt. Sie ist dann 2008 aus der Kanzlei der Beschwerdeführer ausgeschieden und hat mit Vereinbarung vom 30. Oktober 2008 ihren Anspruch auf die PKH an sie abgetreten. Die Erinnerung hat das Sozialgericht Gotha mit Beschluss vom 20. August 2010 zurückgewiesen und ausgeführt, die Bedeutung des Falls sei unterdurchschnittlich gewesen, weil es im Kern nur darum ging, ob die Klage unzulässig war. Mit der zuerkannten Terminsgebühr sei die Beschwerdeführerin "noch gut bedient". Bezüglich der Einigungsgebühr erscheine der Kammer die notwendige Mitwirkung nicht wahrscheinlich. Ein materiell-rechtlicher Vergleich sei nicht geschlossen worden. Sein Zweck habe allein darin gelegen, ein abweisendes Urteil wegen Unzulässigkeit zu vermeiden.
Gegen den am 7. September 2010 zugestellten Beschluss haben die Beschwerdeführer am 6. Oktober 2010, begrenzt auf die Festsetzung der Einigungsgebühr, Beschwerde eingelegt. Für eine kausale Mitwirkung genüge es, dass der Anwalt dem Mandanten rate, ein Einigungsangebot anzunehmen. Ob dieses sich auf Zahlung eines Geldbetrages oder auf Rücknahme richte, sei für das Vorliegen der Einigung nicht von Relevanz. Rechtsanwältin A. habe der Klägerin den Vergleichsvorschlag des Gerichts kurz erläutert und seine Annahme empfohlen. Die Beweislast für eine fehlende Mitwirkung trage der Beschwerdegegner. Nach dem Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 18. April 2001 (Az.: L 6 B 2/01 SF) sei in Ermangelung entgegen gesetzter Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der beim Vertragsabschluss anwesende Rechtsanwalt zumindest beratend tätig gewesen sei.
Die Beschwerdeführer beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 20. August 2010 aufzuheben und die Vergütung auf 661,99 Euro festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Erinnerungsverfahren sowie auf die Entscheidung der Vorinstanz.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 28. Dezember 2010) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt. Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren dem Senat mit Beschluss vom 9. Februar 2011 wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.
II.
Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 26. Januar 2009 - Az.: L 6 B 256/08 SF; 16. Januar 2009 - Az.: L 6 B 255/08 SF, 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF) und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro. Zwar ist die Beschwerde nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist der §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt worden; angesichts der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung im Beschluss vom 20. August 2010 gilt jedoch die eingehaltene Jahresfrist.
Die Beschwerde ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht, wenn auch mit unrichtiger Begründung, haben Vorinstanz und UKB die Erstattung der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr abgelehnt.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Das SG hatte der Klägerin PKH gewährt; sie war auch kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. § 183 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG).
Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF, 19. Juni 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF und 14. März 2001 - Az.: L 6 B 3/01 SF; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73a Rdnr. 13 f.; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010 Rdnr. 12). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006 – Az.: L 1 B 320/05 SF SK, nach juris); dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.
Eine Erledigungsgebühr nach den Nrn. 1006, 1002 VV RVG kommt nicht in Betracht. Sie entsteht in Verfahren nach § 183 SGG, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung erledigt. Ein Anspruch scheitert hier bereits daran, dass sich das Verfahren nicht nach Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung erledigt hat. Die Klage richtete sich nach übereinstimmender Beurteilung der Beteiligten und des Kammervorsitzenden im Termin am 6. September 2007 nicht gegen einen Verwaltungsakt sondern gegen eine Anhörung. Damit fehlt es auch an der Aufhebung oder Abänderung eines angefochtenen Verwaltungsakts.
Dem steht auch nicht die Verpflichtung der Beklagten entgegen, den Bescheid vom 18. Oktober 2006 zu überprüfen. Eine Überprüfung nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) kann zwar später zur ganzen oder teilweisen Rücknahme eines Verwaltungsakts führen, muss dies jedoch nicht. Die Erledigung des Rechtsstreits durch den "Vergleich" war gerade nicht die Folge einer Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts.
Nicht zu erstatten ist eine Einigungsgebühr nach den Nrn. 1006, 1000 VV RVG. Diese Gebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn er beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Anmerkung 1 S. 1 zu Nr. 1000 VV RVG). Die Gebühr kann auch bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts in Betracht kommen, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann (Anmerkung 4 zu Nr. 1000 VV-RVG), so bei Ermessensentscheidungen (§ 53 Abs. 2 SGB X) und wenn Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs oder die Rechtslage beseitigt werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 101 Rdnr. 7a). Nr. 1000 VV RVG weicht von der früher geltenden Regelung in § 23 Abs. 1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) ab, die durch Verweisung auf § 779 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte. Der Gesetzgeber hat darauf bewusst verzichtet, um Streit darüber zu vermeiden, welche Abrede noch als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 147, 204). Insofern kommt es nur auf eine Einigung an (vgl. BGH, Urteile vom 17. September 2008 - Az.: IV ZB 11/08 und 10. Oktober 2006 - Az.: VI ZR 280/05, nach juris), sofern nicht ein bloßes Anerkenntnis oder - wie hier - ein bloßer Verzicht vorliegen.
Die Klägerin hat in dem "Vergleich" vom 6. September 2007 materiellrechtlich auf das von ihr geltend gemachte Begehren verzichtet. Auf die äußere Form kommt es dabei nicht an (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2010, VV 1000 Rdnr. 191). Ausreichend ist, dass der "Vergleich" - wie hier - inhaltlich eine bloße Rücknahme beinhaltet. Sie ist im sozialgerichtlichen Verfahren dem Verzicht gleichzustellen.
Nach dem Urteil des BAG vom 29. März 2006 (Az.: 3 AZB 69/06, nach juris) nimmt das RVG in Nr. 1000 VV RVG Begriffe auf, wie sie in den §§ 306, 307 ZPO, die das Anerkenntnis- und Verzichtsurteil regeln, verwendet werden. Daraus sei zu schließen, dass eine vertragliche Regelung ohne weitergehende materiellrechtliche Regelung keine Einigungsgebühr auslöst. Ein Verzichtsurteil existiert im sozialgerichtlichen Verfahren nicht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 125 Rdnr. 3f), denn die Beklagte hätte der Rücknahme nach § 102 Abs. 1 SGG (im Gegensatz zu § 269 Abs. 1 ZPO) nicht zustimmen müssen. Deshalb erfüllt immer auch eine rein materiellrechtliche Rücknahme ungeachtet der abgegebenen Form den Verzichtstatbestand.
Der bloßen Rücknahme steht nicht die Verpflichtung der Beklagten zur Überprüfung des Bescheids vom 18. Oktober 2006 entgegen. Dies beinhaltet nur einen Antrag auf Rücknahme nach § 44 SGB X. Ihn muss die Beklagte immer bescheiden; ein Ermessen steht ihr insoweit nicht zu. Damit hatte die Nr. 1 des "Vergleichs" keine eigenständige Bedeutung, denn die Beklagte verpflichtete sich nur zu einem Tun, zu dem sie nach dem Gesetz und dem Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung ohnehin verpflichtet war.
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gotha streitig (Az.: S 26 AS 4298/06).
Im Hauptsacheverfahren (Az.: S 26 AS 4298/06) vertrat die in der Rechtsanwaltskanzlei der Beschwerdeführer beschäftigte Rechtsanwältin A. die Klägerin. Diese bezog Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Schreiben vom 18. Oktober 2006 wies die Beklagte, eine ARGE SGB II, die Klägerin darauf hin, sie habe in der Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2006 Leistungen in Höhe von 125,90 Euro zu Unrecht bezogen; es werde um Äußerung hierzu gebeten. Mit Bescheid vom gleichen Tag erging ein Änderungsbescheid. Die Klägerin legte gegen das Schreiben vom 18. Oktober 2006 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2006 als unzulässig verwarf. Dagegen erhob die Klägerin am 8. Dezember 2006 Klage. Mit Verfügung vom 27. März 2007 wies der Kammervorsitzende sie darauf hin, dass diese mangels Verwaltungsakt unzulässig sei. Am 30. August 2007 zeigte Rechtsanwältin A. ihre Vertretung an und trug im Ergebnis vor, Gegenstand der Klage seien auch die inhaltlich unrichtigen Änderungsbescheide vom 18. und 24. Oktober 2006. In der 40 Minuten dauernden nichtöffentlichen Sitzung am 6. Oktober 2007 gewährte das Sozialgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung ab 30. August 2007 und ordnete Rechtsanwältin A. bei. Nach der Niederschrift wies der Vorsitzende anschließend darauf hin, dass er mangels Verwaltungsakt Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage habe. In der Niederschrift ist des Weiteren vermerkt: "Auf Vorschlag des Gerichts schließen die Beteiligten folgenden Vergleich: 1. Die Beklagte verpflichtet sich, den Bescheid vom 18. Oktober 2006 zu überprüfen. 2. Die Klägerin nimmt ihre Klage zurück. 3. Die Kosten werden gegenseitig aufgehoben. 4. Die Beteiligten erklären übereinstimmend, dass sich der Rechtsstreit damit erledigt hat."
In ihrer Kostenrechnung vom 11. Oktober 2007 machte Rechtsanwältin A. für dieses Verfahren einen Betrag von insgesamt 892,50 Euro geltend, der sich wie folgt errechnet:
Verfahrensgebühr 250,00 Euro Terminsgebühr 200,00 Euro Einigungsgebühr 280,00 Euro Post- und Telekommunikation 20,00 Euro Zwischensumme 750,00 Euro Mehrwertsteuer 142,50 Euro Gesamtbetrag 892,50 Euro
Unter dem 5. November 2007 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Zahlung von 381,99 Euro an und führte zur Begründung aus, hinsichtlich des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit komme es nur auf die Zeit von der Beiordnung bis zur Erledigung des Rechtsstreits an. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und die Einkommensverhältnisse der Klägerin seien unterdurchschnittlich, die Bedeutung durchschnittlich gewesen. Insofern seien Verfahrens- und Terminsgebühr auf jeweils 2/3 der Mittelgebühr festzusetzen. Die Voraussetzungen der Einigungs- oder Erledigungsgebühr lägen mangels qualifizierter anwaltlicher Mitwirkung bei der Erledigung nicht vor.
Am 14. März 2007 hat Rechtsanwältin A. Erinnerung eingelegt. Sie ist dann 2008 aus der Kanzlei der Beschwerdeführer ausgeschieden und hat mit Vereinbarung vom 30. Oktober 2008 ihren Anspruch auf die PKH an sie abgetreten. Die Erinnerung hat das Sozialgericht Gotha mit Beschluss vom 20. August 2010 zurückgewiesen und ausgeführt, die Bedeutung des Falls sei unterdurchschnittlich gewesen, weil es im Kern nur darum ging, ob die Klage unzulässig war. Mit der zuerkannten Terminsgebühr sei die Beschwerdeführerin "noch gut bedient". Bezüglich der Einigungsgebühr erscheine der Kammer die notwendige Mitwirkung nicht wahrscheinlich. Ein materiell-rechtlicher Vergleich sei nicht geschlossen worden. Sein Zweck habe allein darin gelegen, ein abweisendes Urteil wegen Unzulässigkeit zu vermeiden.
Gegen den am 7. September 2010 zugestellten Beschluss haben die Beschwerdeführer am 6. Oktober 2010, begrenzt auf die Festsetzung der Einigungsgebühr, Beschwerde eingelegt. Für eine kausale Mitwirkung genüge es, dass der Anwalt dem Mandanten rate, ein Einigungsangebot anzunehmen. Ob dieses sich auf Zahlung eines Geldbetrages oder auf Rücknahme richte, sei für das Vorliegen der Einigung nicht von Relevanz. Rechtsanwältin A. habe der Klägerin den Vergleichsvorschlag des Gerichts kurz erläutert und seine Annahme empfohlen. Die Beweislast für eine fehlende Mitwirkung trage der Beschwerdegegner. Nach dem Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 18. April 2001 (Az.: L 6 B 2/01 SF) sei in Ermangelung entgegen gesetzter Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der beim Vertragsabschluss anwesende Rechtsanwalt zumindest beratend tätig gewesen sei.
Die Beschwerdeführer beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 20. August 2010 aufzuheben und die Vergütung auf 661,99 Euro festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Erinnerungsverfahren sowie auf die Entscheidung der Vorinstanz.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 28. Dezember 2010) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt. Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren dem Senat mit Beschluss vom 9. Februar 2011 wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.
II.
Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 26. Januar 2009 - Az.: L 6 B 256/08 SF; 16. Januar 2009 - Az.: L 6 B 255/08 SF, 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF) und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro. Zwar ist die Beschwerde nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist der §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt worden; angesichts der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung im Beschluss vom 20. August 2010 gilt jedoch die eingehaltene Jahresfrist.
Die Beschwerde ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht, wenn auch mit unrichtiger Begründung, haben Vorinstanz und UKB die Erstattung der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr abgelehnt.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Das SG hatte der Klägerin PKH gewährt; sie war auch kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. § 183 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG).
Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF, 19. Juni 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF und 14. März 2001 - Az.: L 6 B 3/01 SF; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73a Rdnr. 13 f.; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010 Rdnr. 12). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006 – Az.: L 1 B 320/05 SF SK, nach juris); dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.
Eine Erledigungsgebühr nach den Nrn. 1006, 1002 VV RVG kommt nicht in Betracht. Sie entsteht in Verfahren nach § 183 SGG, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung erledigt. Ein Anspruch scheitert hier bereits daran, dass sich das Verfahren nicht nach Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung erledigt hat. Die Klage richtete sich nach übereinstimmender Beurteilung der Beteiligten und des Kammervorsitzenden im Termin am 6. September 2007 nicht gegen einen Verwaltungsakt sondern gegen eine Anhörung. Damit fehlt es auch an der Aufhebung oder Abänderung eines angefochtenen Verwaltungsakts.
Dem steht auch nicht die Verpflichtung der Beklagten entgegen, den Bescheid vom 18. Oktober 2006 zu überprüfen. Eine Überprüfung nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) kann zwar später zur ganzen oder teilweisen Rücknahme eines Verwaltungsakts führen, muss dies jedoch nicht. Die Erledigung des Rechtsstreits durch den "Vergleich" war gerade nicht die Folge einer Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts.
Nicht zu erstatten ist eine Einigungsgebühr nach den Nrn. 1006, 1000 VV RVG. Diese Gebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn er beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Anmerkung 1 S. 1 zu Nr. 1000 VV RVG). Die Gebühr kann auch bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts in Betracht kommen, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann (Anmerkung 4 zu Nr. 1000 VV-RVG), so bei Ermessensentscheidungen (§ 53 Abs. 2 SGB X) und wenn Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs oder die Rechtslage beseitigt werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 101 Rdnr. 7a). Nr. 1000 VV RVG weicht von der früher geltenden Regelung in § 23 Abs. 1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) ab, die durch Verweisung auf § 779 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte. Der Gesetzgeber hat darauf bewusst verzichtet, um Streit darüber zu vermeiden, welche Abrede noch als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 147, 204). Insofern kommt es nur auf eine Einigung an (vgl. BGH, Urteile vom 17. September 2008 - Az.: IV ZB 11/08 und 10. Oktober 2006 - Az.: VI ZR 280/05, nach juris), sofern nicht ein bloßes Anerkenntnis oder - wie hier - ein bloßer Verzicht vorliegen.
Die Klägerin hat in dem "Vergleich" vom 6. September 2007 materiellrechtlich auf das von ihr geltend gemachte Begehren verzichtet. Auf die äußere Form kommt es dabei nicht an (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2010, VV 1000 Rdnr. 191). Ausreichend ist, dass der "Vergleich" - wie hier - inhaltlich eine bloße Rücknahme beinhaltet. Sie ist im sozialgerichtlichen Verfahren dem Verzicht gleichzustellen.
Nach dem Urteil des BAG vom 29. März 2006 (Az.: 3 AZB 69/06, nach juris) nimmt das RVG in Nr. 1000 VV RVG Begriffe auf, wie sie in den §§ 306, 307 ZPO, die das Anerkenntnis- und Verzichtsurteil regeln, verwendet werden. Daraus sei zu schließen, dass eine vertragliche Regelung ohne weitergehende materiellrechtliche Regelung keine Einigungsgebühr auslöst. Ein Verzichtsurteil existiert im sozialgerichtlichen Verfahren nicht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 125 Rdnr. 3f), denn die Beklagte hätte der Rücknahme nach § 102 Abs. 1 SGG (im Gegensatz zu § 269 Abs. 1 ZPO) nicht zustimmen müssen. Deshalb erfüllt immer auch eine rein materiellrechtliche Rücknahme ungeachtet der abgegebenen Form den Verzichtstatbestand.
Der bloßen Rücknahme steht nicht die Verpflichtung der Beklagten zur Überprüfung des Bescheids vom 18. Oktober 2006 entgegen. Dies beinhaltet nur einen Antrag auf Rücknahme nach § 44 SGB X. Ihn muss die Beklagte immer bescheiden; ein Ermessen steht ihr insoweit nicht zu. Damit hatte die Nr. 1 des "Vergleichs" keine eigenständige Bedeutung, denn die Beklagte verpflichtete sich nur zu einem Tun, zu dem sie nach dem Gesetz und dem Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung ohnehin verpflichtet war.
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
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