L 6 R 1033/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 R 129/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 1033/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 234/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Mit der Erstattung der Rentenbeiträge in der Höhe, in der die Versicherten sie getragen haben, wird das Versicherungsverhältnis aufgelöst, so dass auch kein Anspruch auf Rente aus den nicht erstatteten Beiträgen, die die Arbeitgeber getragen haben, mehr besteht.
2. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über soziale Sicherheit vom 16.04.1984 (BgBl. 1986 II, S. 1984) enthält keine Regelung zur freiwilligen Verischerung tunesischer Staatsangehöriger (i.S.d. § 210 Abs.1 Nr. 1 SGB VI, § 1303 Abs. 1 RVO).
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 02.07.2009 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin die Arbeitgeberanteile zur Rentenpflichtversicherung zu erstatten bzw. hieraus eine Rentenleistung zu erbringen hat.

Die 1946 in Tunesien geborene Klägerin hatte aufgrund rentenbeitragspflichtiger Beschäftigungen, die sie im Zeitraum vom 25.11.1969 bis 29.09.1981 in Deutschland ausgeübt hatte, Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet. Die Arbeitnehmeranteile hieraus wurden ihr auf Antrag vom 04.05.1984 mit Bescheid vom 26.07.1984 gemäß § 1303 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) erstattet.

Mit Schreiben vom 18.04.2007 wandte sich die Klägerin an die Deutsche Rentenversicherung Rheinland und führte aus, sie habe erfahren, dass es in Deutschland ein "Verfassungsänderungsgesetz" gebe, wonach sie - unter Beachtung des deutsch-tunesischen Sozialversicherungsabkommens - Anspruch auch auf die Arbeitgeberanteile habe. Die Deutsche Rentenversicherung Rheinland leitete den Vorgang an die Beklagte als zuständige Verbindungsstelle für das deutsch-tunesische Sozialversicherungsabkommen weiter.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2007 (zugestellt am 24.11.2007) lehnte die Beklagte die Erstattung der Arbeitgeberanteile mit der Begründung ab, es seien nur die Beiträge erstattungsfähig, die die Klägerin selbst entrichtet habe.

Die hiergegen am 25.02.2008 zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhobene Klage begründete die Klägerin damit, dass ihr der Antrag auf Beitragserstattung von den deutschen und tunesischen Behörden seinerzeit anheimgestellt worden sei. Nunmehr sei sie krank und mittellos. Sie fühle sich ungerecht und unsozial behandelt.

Die 17. Kammer des SG Augsburg hat - nach entsprechendem Hinweis an die Beteiligten - die Klage durch Gerichtsbescheid (vom 02.07.2008) abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Erstattung des Arbeitgeberanteils sei gesetzlich nicht vorgesehen und auch verfassungsrechtlich nicht geboten. Auch der hilfsweise geltend gemachte Altersrentenanspruch bestehe nicht. Denn durch die Beitragserstattung sei das Versicherungsverhältnis aufgelöst worden. Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin laut Rückschein am 18.07.2008 ausgeliefert worden.

Am 24.04.2009 ist beim SG Augsburg ein "Erinnerungsschreiben" der Klägerin eingegangen, mit dem sie beanstandet hat, dass sie auf ihr "Widerspruchsschreiben vom 23.09.2008" noch keine Antwort erhalten habe. Als Nachweis für die Absendung eines entsprechenden Schreibens hat sie einen Einlieferungsschein beigefügt, auf dem der 23.09.2008 als Einlieferungsdatum vermerkt ist. Hierauf hat das SG Augsburg mit Schreiben vom 05.05.2009 der Klägerin mitgeteilt, dass dort das angegebene Schreiben vom 23.09.2008 nicht vorliege und die Entscheidung des Sozialgerichts vom 02.07.2008 nicht mehr überprüft werde. Für die Entscheidung über eine etwaige Berufung sei das Bayerische (Bayer.) Landessozialgericht (LSG) zuständig.

Am 01.10.2009 ist beim SG Augsburg ein weiteres Schreiben der Klägerin eingegangen, in dem sie beanstandet, dass sie auf ihre Schreiben (vom 23./25.09.2008 und vom 16.04.2009) noch keine Antwort erhalten habe. Das SG hat hierauf mit Schreiben vom 14.10.2009 um eine Kopie des Schreibens vom (23.) 25.09.2008 sowie um Auskunft gebeten, ob der Vorgang als Berufung an das Bayer. LSG übersandt werden soll. Dieses gerichtliche Schreiben ist der Klägerin am 20.10.2009 ausgehändigt worden.

Am 09.12.2009 ist beim Bayer. LSG ein Schreiben der Klägerin vom 28.11.2009 eingegangen, mit dem sie "Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 02.07.2008" eingelegt hat. Hierbei hat sie in der Hauptsache die "Erstattung des Arbeitgeberanteils" beantragt sowie zusätzlich eine Teilrentengewährung. Denn sie begreife nicht, mit welchem Recht die Deutsche Rentenversicherung den Arbeitgeberanteil einfach für sich einbehalten dürfe. Die "Transaktion der Beitragserstattung" sei nach dem deutsch-tunesischen Sozialversicherungsabkommen zudem unzulässig gewesen.

Entgegen der Ankündigung der Klägerin per Telefax vom 09.03.2011 ist zur mündlichen Verhandlung für sie niemand erschienen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des SG Augsburg vom 02.07.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.05.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die in der Zeit vom 25.11.1969 bis 29.09.1981 zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Arbeitgeberanteile zu erstatten,
hilfsweise hieraus eine Altersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt aus, die Berufung sei nach Ablauf der maßgeblichen Fristen eingelegt worden, so dass die Berufung bereits unzulässig sei. Im Übrigen sei die Berufung auch nicht begründet.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 16.02.2011 darauf hingewiesen, dass gegebenenfalls das Schreiben der Klägerin vom 10.04.2009 (Eingang beim Sozialgericht Augsburg am 24.04.2009) bereits die Rechtsanträge der Berufung und gegebenenfalls der Wiedereinsetzung gemäß § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) enthalten könnte.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte, der Akte des SG und den der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 02.07.2008 ist zulässig, sachlich aber unbegründet.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Klägerin "ohne Verschulden" verhindert war, die Berufungsfrist von drei Monaten nach Zustellung des angefochtenen Gerichtsbescheides einzuhalten. Denn sie durfte annehmen, dass ihr ursprüngliches Berufungsschreiben vom 23.09.2008, das sie laut Posteinlieferung am gleichen Tag zur Post gegeben hatte, rechtzeitig vor Ablauf der Dreimonatsfrist nach Zugang des Gerichtsbescheides - also bis zum Montag den 20.10.2008 - beim Sozialgericht Augsburg eingehen werde. Dies wäre im Rahmen der normalen Postlaufzeiten zu erwarten gewesen. Damit ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin ursprünglich eine Fristversäumung hinsichtlich der Berufungseinlegung zu vertreten hätte (vgl. hierzu auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Aufl., § 67 Rn. 6 und 6 a).
Ihre Ausführungen im Erinnerungsschreiben vom 10.04.2009, eingegangen beim SG Augsburg am 24.04.2009 (Bl. 26 SG-A), sind bei objektiver Auslegung - unter Beachtung der Unerfahrenheit der Klägerin in rechtlichen Angelegenheiten sowie des Grundsatzes eines "fairen Verfahrens" (vgl. hierzu Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, 9. Aufl., § 67 Rn. 1 und 4 b) - als Rechtsmittel gegen die Gerichtsentscheidung sowie zugleich als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu werten. Damit sind die Fristen des § 67 SGG, insbesondere auch die Jahresfrist des § 67 Abs. 3 SGG, eingehalten. Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und einer Entscheidung des Senats in der Hauptsache steht damit - nach erfolgter Anhörung der Beteiligten - kein Hindernis entgegen (vgl. auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 67 Rn. 18).

Die somit zulässige Berufung ist jedoch unbegründet. Denn zu Recht haben die Beklagte und das SG den in der Hauptsache erhobenen Anspruch auf Erstattung der Arbeitgeberanteile verneint.

Der Bescheid über die Erstattung der in Deutschland zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten ist bestandskräftig. Eine Überprüfung dieses Bescheides wäre nur in einem neuen Verwaltungsverfahren nach § 44 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) möglich. Eine entsprechende Neufeststellung ist weder erfolgt noch ist sie angezeigt. Denn eine Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Feststellung liegt nicht vor.

Zum Zeitpunkt der Beitragserstattung war für die Klägerin die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfallen, ohne dass sie das Recht zur freiwilligen Versicherung hatte, so dass nach der seinerzeit geltenden gesetzlichen Regelung des § 1303 Abs. 1 Satz 1 RVO zwei Jahre nach Wegfall der Beitragspflicht die Arbeitnehmeranteile antragsgemäß zu erstatten waren. Auch mit Inkrafttreten des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über soziale Sicherheit vom 16.04.1984 (BGBl. 1986 II S. 584) am 01.08.1986 (BGBl. II S. 747), ist insoweit keine Rechtsänderung eingetreten: Denn dieses Abkommen enthält keine Regelung zur freiwilligen Versicherung tunesischer Staatsangehöriger.

Weder das seinerzeit geltende Recht (§ 1303 Abs. 1 Satz 1 RVO) noch die jetzt maßgebliche Bestimmung (§ 210 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch - SGB VI) sehen einen Anspruch auf Erstattung der Arbeitgeberanteile vor, auch wenn der Arbeitgeber die hälftige Beitragstragung übernommen hatte. Dies verstößt nicht gegen das Grundgesetz (vgl. hierzu insbesondere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16.06.1981, 1 BvR 445/81 - in SozR 2200 § 1303 Nr. 19).

Die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht nur durch den Arbeitnehmeranteil, sondern auch durch den Arbeitgeberanteil, entspricht der Sozialbindung des Eigentums sowie dem Sozialstaatsprinzip, indem hierdurch ein hinreichend funktionierendes Sozialversicherungssystem gewährleistet wird: Die Abführung des Arbeitgeberanteils an die gesetzliche Rentenversicherung (wie auch an die anderen Sozialversicherungssysteme) beruht auf einer eigenständigen gesetzlichen Pflicht des Arbeitgebers. In diese Rechtsbeziehung zwischen Sozialleistungsträger und Arbeitgeber ist der Arbeitnehmer nicht unmittelbar einbezogen. Diese Leistung dient der Aufrechterhaltung des Sozialversicherungssystems insgesamt und begründet demgemäß keinen Individualanspruch für den Arbeitnehmer auf Erstattung. Die Beschränkung des Erstattungsanspruches auf den Beitragsanteil, den der Versicherte selbst getragen hat, entspricht also dem System der sozialen Sicherung , ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar und dürfte auch einem Laien nicht unbillig erscheinen.

Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf eine Rente allein aus den nicht erstatteten Beitragsanteilen der Arbeitgeber ist nicht begründet. Bereits die zum Zeitpunkt der Erstattung geltende gesetzliche Regelung (§ 1303 Abs. 7 RVO) sah vor, dass mit der Erstattung weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten ausgeschlossen wurden. Die nunmehr maßgebliche Regelung des § 210 Abs. 6 Satz 2 SGB VI bestimmt entsprechend, dass das "bisherige Versicherungsverhältnis" mit der Erstattung aufgelöst wird. Damit kann die Klägerin seit der Erstattung keine Ansprüche mehr aus dem ursprünglichen Versicherungsverhältnis herleiten. Das Bundesverfassungsgericht und das Bundessozialgericht haben bereits wiederholt festgestellt, dass der Versicherte aus den nicht erstatteten Beitragsanteilen des Arbeitgebers keine eigentumsrechtlich geschützten Anwartschaften i. S. d. Art. 14 Grundgesetz - GG - erlangt (vgl. u. a. BVerfG vom 24.11.1986 - 1 BvR 772/85 = SozR 2200 § 1303 Nr. 34 und BSG vom 29.06.2000, B 4 RA 57/98 R = BSGE 86, 262). Die Verfallsklausel im Gesetz ist verfassungsrechtlich also nicht zu beanstanden.

Angesichts der eindeutigen Sach- und Rechtslage konnte auf das Erscheinen der Klägerin bzw. der angekündigten Bevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung - nach Ablauf einer angemessenen Wartezeit (vgl. Niederschrift) - verzichtet werden.

Nach alledem war der Berufung der Klägerin der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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