Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 17 R 65/10
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 443/10 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zweifel im Sinne des § 37 Abs 2 S 3 SGB X sind gerechtfertigt, wenn der Adressat den Zugang ausdrücklich bestreitet oder einen späteren Zugang konkret behauptet.
I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 06.05.2010 aufgehoben.
II. Der Klägerin wird mit Wirkung ab 29.03.2010 für das Verfahren S 17 R 65/10 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt W. S., B-Stadt, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin vom 30.06.2009 auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 07.08.2009 und Widerspruchsbescheid vom 09.12.2009 ab. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Rentengewährung seien nicht erfüllt. Die Klägerin sei auf das gesamte Tätigkeitsfeld des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. In der Verwaltungsakte der Beklagtenakte befindet sich bei den sachleitenden Verfügungen zum Widerspruchsbescheid vom 09.12.2009 der Vermerk "abgesandt am 09.12.2009".
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat am 26.01.2010 Klage zum SG erhoben und mit Schriftsatz vom 29.03.2010 für die Klägerin die Bewilligung von PKH und seine Beiordnung beantragt.
Auf den richterlichen Hinweis vom 01.04.2010, die Klagefrist dürfte versäumt sein, hat der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 15.04.2010 ausgeführt, dass der Widerspruchsbescheid erst am 30.12.2009 bekannt gegeben worden sei. Auf das Anschreiben der Beklagten vom 09.12.2009 zum Widerspruchsbescheid werde verwiesen.
Mit Beschluss vom 06.05.2010 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Der Rechtsstreit habe keine Aussicht auf Erfolg. Die Klage sei unzulässig, da die Klagefrist versäumt sei. Der Widerspruchsbescheid sei am 09.12.2009 abgesandt worden. Nach der Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 S 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gelte der Widerspruchsbescheid am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Mache der Empfänger eines einfachen Briefes dessen verspäteten Zugang geltend, erfordere dies die substantiierte Darlegung von Tatsachen, aus denen schlüssig die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines späteren Zuganges hervorgehe. Vorliegend könne das bloße Bestreiten ohne Angabe weiterer Tatsachen die Zugangsfiktion nicht widerlegen.
Hiergegen hat der Bevollmächtige Beschwerde eingelegt und daran festgehalten, dass der Widerspruchsbescheid tatsächlich erst am 30.12.2009 zugegangen sei. Hierzu hat er auf den Eingangsstempel der Kanzlei ("eingegangen 30. Dez. 2009") auf dem Anschreiben der Beklagten zum Widerspruchsbescheid vom 09.12.2009 verwiesen. Die verspätete Auslieferung sei möglicherweise dadurch zu erklären, dass die Beklagte nicht die Deutsche Post AG sondern die nach seiner Kenntnis evtl. unzuverlässige Fa. F. beauftragt habe. Sollte die Deutsche Post AG beauftragt worden sein, liege ein "Ausreißer" vor. Auch bei der Deutschen Post AG komme es gelegentlich vor, dass aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Postsendungen ungewöhnlich lange Laufzeiten aufweisen. Eventuell habe die Deutsche Post AG aufgrund des durch die Weihnachtszeit bedingten erhöhten Briefaufkommens Aushilfspersonal eingestellt, das nicht mit der sonst üblichen Sorgfalt gearbeitet habe.
Die Beklagte hat erwidert, dass die Beförderung der Post der Beklagten durch die Deutsche Post AG erfolge.
Der Senat hat das Original des dem Bevollmächtigten zugesandten Anschreibens vom 09.12.2009 eingesehen.
Ergänzend wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat zu Unrecht entschieden, das die Klägerin die Bewilligung von PKH mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage nicht beanspruchen kann.
Gemäß § 73a Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 S 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn bei summarischer tatsächlicher und rechtlicher Prüfung eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit des Rechtsmittels besteht. Der Erfolg der von der Klägerin erhobenen Klage ist nicht deshalb unwahrscheinlich, weil die Klage wegen Versäumung der Monatsfrist des § 87 Abs 1 S 1 SGG als unzulässig anzusehen sein könnte.
Nach § 87 Abs 2, Abs 1 S 1 SGG ist in den Fällen, in denen wie hier ein Vorverfahren stattgefunden hat, die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu erheben. Nach Auffassung des SG hat die Klägerin diese Frist mit der am 26.01.2010 erhobenen Klage nicht gewahrt, da der Widerspruchsbescheid ihrem bevollmächtigten Rechtsanwalt bereits am 12.12.2009 bekannt gegeben wurde und die Monatsfrist am 12.01.2010 endete.
Hinsichtlich des Fristbeginns hat das SG zutreffend auf die Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 S 1 SGB X abgestellt. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Der Widerspruchsbescheid vom 09.12.2009 wurde - wie in der Verwaltungsakte der Beklagten vermerkt - am 09.12.2009 zur Post aufgegeben. Der Widerspruchsbescheid gilt daher grundsätzlich als am 12.12.2009 bekannt gegeben (§ 26 Abs 1 SGB X, § 187 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch).
Die Hinweise des Bevollmächtigten darauf, dass die Fa. F. evtl. unzuverlässig sei, es auch bei der Deutschen Post gelegentlich zu längeren Postlaufzeiten komme und möglicherweise eine Aushilfskraft nicht mit der sonst üblichen Sorgfalt gearbeitet habe, stellen bloße Vermutungen dar, die Zweifel an der Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 S 1 SGB X nicht begründen können. Zwar gilt nach § 37 Abs 2 Satz 3 SGB X die Zugangsfiktion nicht, wenn der Verwaltungsakt gar nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen. Um von einem derartigen Zweifelsfall ausgehen zu können, reicht es jedoch nicht aus, lediglich einen späteren Zugang pauschal oder mittels vager Angaben zu behaupten. Erforderlich ist vielmehr ein substantiiertes Vorbringen von Tatsachen, die auf den verspäteten Zugang hindeuten und ein tatsächliches Abweichen von der gesetzlichen Zugangsfiktion möglich erscheinen lassen (Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 37 Rn 13; LSG Saarland Urteil vom 27.04.2007 - L 7 R 52/06; BFH Beschluss vom 01.12.2010 - VIII B 123/10).
Allerdings hat der Bevollmächtigte die Zugangsfiktion durch die Vorlage des Anschreibens der Beklagten vom 09.12.2009 und des hierauf angebrachten Eingangsstempels ("eingegangen 30. Dez. 2009") erschüttert. Zwar kommt dem Eingangsstempel - anders als im Gerichts- und Behördenbereich - keine Beweiskraft im Sinne von § 418 Abs 1 ZPO für den Eingang von Schriftstücken zu, insbesondere nicht für den Lauf von Rechtsmittelfristen (OLG München Urteil vom 11.03.2009 - 15 U 4982/08 - zit. nach juris). Aber der Verweis auf den Eingangsstempel stellt einen konkreten Bezug zu der hier streitigen Auslieferung des Widerspruchsbescheides her. Es ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an die Substantiierungspflicht nicht überspannt werden dürfen. Denn der Adressat hat in der Regel kaum eine Möglichkeit, Beweise oder auch nur konkrete Anhaltspunkte dafür zu liefern, dass er das Schriftstück verspätet oder gar nicht erhalten hat. Zweifel im Sinne des § 37 Abs 2 S 3 SGB X sind daher dann gerechtfertigt, wenn der Adressat den Zugang ausdrücklich bestreitet oder einen späteren Zugang konkret behauptet (vgl. BSG Urteil vom 09.12.2008 - B 8/9b SO 13/07 R - zit. nach juris; BSG Urteil vom 23.05.2000 - B 1 KR 27/99 R - SozR 3-1960 § 4 Nr 4; LSG Thüringen Urteil vom 26.06.2008 - L 5 VG 801/05 - zit. nach juris). Das war hier geschehen, denn der Bevollmächtigte hat einen bestimmten späteren Zugangszeitpunkt benannt und auf den Eingangsstempel verwiesen.
Sind demnach Zweifel an der Zugangsfiktion begründet, so hat das SG den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Vortrags des Bevollmächtigten aufzuklären. Es ist demnach nicht ausgeschlossen oder entfernt liegend, dass die Klage als zulässig anzusehen ist und ihr in der Hauptsache Erfolg zukommt.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist auch erforderlich (§ 121 Abs 2 ZPO). Die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH sind gegeben.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei. Nach § 127 Abs 4 ZPO werden Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
II. Der Klägerin wird mit Wirkung ab 29.03.2010 für das Verfahren S 17 R 65/10 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt W. S., B-Stadt, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin vom 30.06.2009 auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 07.08.2009 und Widerspruchsbescheid vom 09.12.2009 ab. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Rentengewährung seien nicht erfüllt. Die Klägerin sei auf das gesamte Tätigkeitsfeld des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. In der Verwaltungsakte der Beklagtenakte befindet sich bei den sachleitenden Verfügungen zum Widerspruchsbescheid vom 09.12.2009 der Vermerk "abgesandt am 09.12.2009".
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat am 26.01.2010 Klage zum SG erhoben und mit Schriftsatz vom 29.03.2010 für die Klägerin die Bewilligung von PKH und seine Beiordnung beantragt.
Auf den richterlichen Hinweis vom 01.04.2010, die Klagefrist dürfte versäumt sein, hat der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 15.04.2010 ausgeführt, dass der Widerspruchsbescheid erst am 30.12.2009 bekannt gegeben worden sei. Auf das Anschreiben der Beklagten vom 09.12.2009 zum Widerspruchsbescheid werde verwiesen.
Mit Beschluss vom 06.05.2010 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Der Rechtsstreit habe keine Aussicht auf Erfolg. Die Klage sei unzulässig, da die Klagefrist versäumt sei. Der Widerspruchsbescheid sei am 09.12.2009 abgesandt worden. Nach der Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 S 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gelte der Widerspruchsbescheid am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Mache der Empfänger eines einfachen Briefes dessen verspäteten Zugang geltend, erfordere dies die substantiierte Darlegung von Tatsachen, aus denen schlüssig die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines späteren Zuganges hervorgehe. Vorliegend könne das bloße Bestreiten ohne Angabe weiterer Tatsachen die Zugangsfiktion nicht widerlegen.
Hiergegen hat der Bevollmächtige Beschwerde eingelegt und daran festgehalten, dass der Widerspruchsbescheid tatsächlich erst am 30.12.2009 zugegangen sei. Hierzu hat er auf den Eingangsstempel der Kanzlei ("eingegangen 30. Dez. 2009") auf dem Anschreiben der Beklagten zum Widerspruchsbescheid vom 09.12.2009 verwiesen. Die verspätete Auslieferung sei möglicherweise dadurch zu erklären, dass die Beklagte nicht die Deutsche Post AG sondern die nach seiner Kenntnis evtl. unzuverlässige Fa. F. beauftragt habe. Sollte die Deutsche Post AG beauftragt worden sein, liege ein "Ausreißer" vor. Auch bei der Deutschen Post AG komme es gelegentlich vor, dass aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Postsendungen ungewöhnlich lange Laufzeiten aufweisen. Eventuell habe die Deutsche Post AG aufgrund des durch die Weihnachtszeit bedingten erhöhten Briefaufkommens Aushilfspersonal eingestellt, das nicht mit der sonst üblichen Sorgfalt gearbeitet habe.
Die Beklagte hat erwidert, dass die Beförderung der Post der Beklagten durch die Deutsche Post AG erfolge.
Der Senat hat das Original des dem Bevollmächtigten zugesandten Anschreibens vom 09.12.2009 eingesehen.
Ergänzend wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat zu Unrecht entschieden, das die Klägerin die Bewilligung von PKH mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage nicht beanspruchen kann.
Gemäß § 73a Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 S 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn bei summarischer tatsächlicher und rechtlicher Prüfung eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit des Rechtsmittels besteht. Der Erfolg der von der Klägerin erhobenen Klage ist nicht deshalb unwahrscheinlich, weil die Klage wegen Versäumung der Monatsfrist des § 87 Abs 1 S 1 SGG als unzulässig anzusehen sein könnte.
Nach § 87 Abs 2, Abs 1 S 1 SGG ist in den Fällen, in denen wie hier ein Vorverfahren stattgefunden hat, die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu erheben. Nach Auffassung des SG hat die Klägerin diese Frist mit der am 26.01.2010 erhobenen Klage nicht gewahrt, da der Widerspruchsbescheid ihrem bevollmächtigten Rechtsanwalt bereits am 12.12.2009 bekannt gegeben wurde und die Monatsfrist am 12.01.2010 endete.
Hinsichtlich des Fristbeginns hat das SG zutreffend auf die Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 S 1 SGB X abgestellt. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Der Widerspruchsbescheid vom 09.12.2009 wurde - wie in der Verwaltungsakte der Beklagten vermerkt - am 09.12.2009 zur Post aufgegeben. Der Widerspruchsbescheid gilt daher grundsätzlich als am 12.12.2009 bekannt gegeben (§ 26 Abs 1 SGB X, § 187 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch).
Die Hinweise des Bevollmächtigten darauf, dass die Fa. F. evtl. unzuverlässig sei, es auch bei der Deutschen Post gelegentlich zu längeren Postlaufzeiten komme und möglicherweise eine Aushilfskraft nicht mit der sonst üblichen Sorgfalt gearbeitet habe, stellen bloße Vermutungen dar, die Zweifel an der Zugangsfiktion des § 37 Abs 2 S 1 SGB X nicht begründen können. Zwar gilt nach § 37 Abs 2 Satz 3 SGB X die Zugangsfiktion nicht, wenn der Verwaltungsakt gar nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen. Um von einem derartigen Zweifelsfall ausgehen zu können, reicht es jedoch nicht aus, lediglich einen späteren Zugang pauschal oder mittels vager Angaben zu behaupten. Erforderlich ist vielmehr ein substantiiertes Vorbringen von Tatsachen, die auf den verspäteten Zugang hindeuten und ein tatsächliches Abweichen von der gesetzlichen Zugangsfiktion möglich erscheinen lassen (Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 37 Rn 13; LSG Saarland Urteil vom 27.04.2007 - L 7 R 52/06; BFH Beschluss vom 01.12.2010 - VIII B 123/10).
Allerdings hat der Bevollmächtigte die Zugangsfiktion durch die Vorlage des Anschreibens der Beklagten vom 09.12.2009 und des hierauf angebrachten Eingangsstempels ("eingegangen 30. Dez. 2009") erschüttert. Zwar kommt dem Eingangsstempel - anders als im Gerichts- und Behördenbereich - keine Beweiskraft im Sinne von § 418 Abs 1 ZPO für den Eingang von Schriftstücken zu, insbesondere nicht für den Lauf von Rechtsmittelfristen (OLG München Urteil vom 11.03.2009 - 15 U 4982/08 - zit. nach juris). Aber der Verweis auf den Eingangsstempel stellt einen konkreten Bezug zu der hier streitigen Auslieferung des Widerspruchsbescheides her. Es ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an die Substantiierungspflicht nicht überspannt werden dürfen. Denn der Adressat hat in der Regel kaum eine Möglichkeit, Beweise oder auch nur konkrete Anhaltspunkte dafür zu liefern, dass er das Schriftstück verspätet oder gar nicht erhalten hat. Zweifel im Sinne des § 37 Abs 2 S 3 SGB X sind daher dann gerechtfertigt, wenn der Adressat den Zugang ausdrücklich bestreitet oder einen späteren Zugang konkret behauptet (vgl. BSG Urteil vom 09.12.2008 - B 8/9b SO 13/07 R - zit. nach juris; BSG Urteil vom 23.05.2000 - B 1 KR 27/99 R - SozR 3-1960 § 4 Nr 4; LSG Thüringen Urteil vom 26.06.2008 - L 5 VG 801/05 - zit. nach juris). Das war hier geschehen, denn der Bevollmächtigte hat einen bestimmten späteren Zugangszeitpunkt benannt und auf den Eingangsstempel verwiesen.
Sind demnach Zweifel an der Zugangsfiktion begründet, so hat das SG den Sachverhalt unter Berücksichtigung des Vortrags des Bevollmächtigten aufzuklären. Es ist demnach nicht ausgeschlossen oder entfernt liegend, dass die Klage als zulässig anzusehen ist und ihr in der Hauptsache Erfolg zukommt.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist auch erforderlich (§ 121 Abs 2 ZPO). Die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH sind gegeben.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei. Nach § 127 Abs 4 ZPO werden Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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