L 4 KR 1546/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 230/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1546/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 30. März 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Gewährung eines Multivitamin-, eines Calciumcitrat-, eines Vitamin B 12- und eines Eiweißpräparats als Sachleistung.

Der 1961 geborene Kläger ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Er bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung und ergänzend Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII).

Aufgrund einer krankhaft morbiden Adipositas unterzog sich der Kläger im März 2008 einer Magenverkleinerungsoperation mittels eines Schlauchmagens; im September 2009 erfolgte eine Nachresektion. Infolge einer Entzündung der Speiseröhre wurde im Dezember 2010 der Schlauchmagen in einen Roux Y-Magenbypass operativ umgewandelt. Hierzu befand sich der Kläger vom 02. Dezember bis 08. Dezember 2010 in stationärer Behandlung des Krankenhauses S. der DGD-GmbH in F. a. M (im Folgenden: Krankenhaus S.).

Bereits mit Schreiben vom 18. Januar 2010 hatte der Kläger bei der Beklagten Antrag u.a. auf "Übernahme der Kosten der Supplemente" (damals konkret benannt als Vitamin C, A, E, K und B-Komplex mit Eisen, Folsäure, Selen und Zink, Calcium, Vitamin D3 und Vitamin B12) beantragt. Die Beklagte veranlasste ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage durch Dr. S. auf der Grundlage insbesondere einer Auskunft des Prof. Dr. W., Chefarzt der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses S., vom 22. Oktober 2009 als sachverständiger Zeuge in dem beim Sozialgericht Mannheim (SG) geführten Rechtsstreit S 9 SO 2402/09. Der Gutachter kam in seinem Gutachten vom 13. April 2010 zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht erfüllt seien. Ein Vitaminmangel sei beim Kläger nicht bekannt. Medizinische Unterlagen fehlten. Die Gabe von Vitaminen sei nur im Einzelfall möglich, wenn diesbezüglich ein Mangel trotz ausgewogener normaler Ernährung explizit nachgewiesen sei. Hierzu fehlten im vorliegenden Fall medizinische Unterlagen und auch Laborausdrucke. Auch beschreibe die Klinik S., dass eine ausgewogene, gesunde Ernährung zweckmäßig und ausreichend sei. Mit Bescheid vom 22. April 2010, dem eine Rechtsmittelbelehrung nicht beigefügt war, lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme hinsichtlich aller Präparate ab.

Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2010 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und begehrte "die Kosten für Medikamente", nun konkret benannt als Vitamin B12-, Vitamin D3-, Calciumzitrat-, Multivitaminkomplex-, Eisen- und Eiweißpräparate, zu übernehmen. Aufgrund seiner Körpergröße und medizinischen Situation sei die Einnahme dieser Präparate für ihn unabdingbar, da andernfalls Krankheiten und Behinderungen entstünden. Die Kosten hierfür betrügen im Monat etwa EUR 75,00, die er aufgrund seiner finanziellen Situation nicht selbst aufbringen könne.

Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch, den ihr Widerspruchsausschuss am 24. März 2011 zurückwies. Eine Kostenerstattung für Vitamin- und Mineralpräparate sei nicht möglich, weil nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien und die beantragten Präparate bei der vorliegenden Erkrankung auch nicht ausnahmsweise zu Lasten der Kasse verordnet werden dürften. Nach Vollendung des zwölften Lebensjahres hätten Versicherte grundsätzlich keinen Anspruch mehr auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Der Gesetzgeber lasse allerdings bezüglich der Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gälten, gewisse Ausnahmen zu. Gemäß Nr. 44 der Anlage 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie - AM-RL -) seien (u.a.) wasserlösliche Vitamine als Monopräparate nur bei nachgewiesenem, schwerwiegendem Vitaminmangel, der durch eine entsprechende Ernährung nicht behoben werden könne, ausnahmsweise verordnungsfähig. Dasselbe gelte für Calcium- und Eisenpräparate. Vertragsärztliche Verordnungen lägen aber nicht vor. Auch aus den eingereichten Unterlagen der Klinik S. lasse sich keine medizinische Notwendigkeit dafür ableiten. Eine Ausnahmeindikation im Sinne der Arzneimittel-Richtlinie sei im Falle des Klägers folglich nicht gegeben. Der Kläger hat auf diesen Bescheid hin Klage zum SG erhoben (Az. S 5 KR 1291/11).

Bereits am 21. Januar 2011 hatte der Kläger das SG um Eilrechtsschutz ersucht. Er beantragte, die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Gewährung von "Supplementen (Vitamine, Ca, Fe (III), Eiweiß)" zu verpflichten, indem die Beklagte monatlich den Betrag von EUR 75,00 vorläufig zahle.

Die Beklagte trat dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung entgegen.

Das SG holte eine sachverständige Zeugenauskunft bei Prof. Dr. W. u.a. darüber ein, ob und welche besonderen Empfehlungen es für die Ernährung des Klägers gebe, ob es medizinisch zwingend geboten sei, dass der Kläger außer einer üblichen gesunden Vollkost besondere Nahrung bzw. Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen müsse und ob sich für den Kläger unmittelbare Gefahren ergäben, wenn er mit der Einnahme der als notwendig gesehenen Ergänzungsstoffe erst in einigen Monaten beginne. Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2011 teilte Prof. Dr. W. mit, dem Kläger seien Empfehlungen für seine Ernährung erteilt worden. Durch eine regelmäßige Supplementation mit wasserlöslichen Vitaminen und der parenteralen Gabe von Vitamin B12 könne langfristig die Entwicklung von Mangelzuständen verhindert werden. Die erfolgte Bypass-Operation könne potentiell zu einem Vitaminmangel mit Folgezuständen führen. Aus diesem Grunde sei es medizinisch zwingend geboten, täglich eine Multivitamin-Tablette und Vitamin B12 alle drei Monate zu applizieren. Bei dem Kläger ergäben sich zunächst keine unmittelbaren Gefahren, wenn mit der Einnahme der als notwendig angesehenen Ergänzungsstoffe erst nach einigen Monaten begonnen werde. Sie sollte aber spätestens nach drei Monaten einsetzen und dann regelmäßig lebenslang fortgesetzt werden.

Das SG lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab (Beschluss vom 30. März 2011). Es sei dem Kläger zuzumuten, auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg die von der Beklagten in gesetzlichem Umfang angebotenen Sachleistungen in Anspruch zu nehmen. Grundsätzlich seien Vitaminpräparate als nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) von der Versorgung ausgeschlossen, jedoch bestehe im Rahmen der vom GBA festgelegten AM-RL eine Ausnahmeregelung von diesem Versorgungsausschluss, wenn die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gälten und zur Anwendung mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet würden (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Vitaminpräparate könnten danach bei nachgewiesenem, durch Ernährung nicht behebbaren Vitaminmangel vertragsärztlich verordnet werden. Dabei könne die Vitaminsubstitution auch auf parenteralem Wege vorgenommen werden, soweit ein irreversibles Malassimilationssyndrom bestehe.

Gegen den am 05. April 2011 dem Kläger zugestellten Beschluss hat dieser am 15. April 2011 beim Landessozialgericht (LSG) Beschwerde eingelegt. Die Beklagte weigere sich nach wie vor hartnäckig, die erforderliche medikamentöse Versorgung zu übernehmen. Nach Aussage seines Hausarztes sei es nicht möglich, ein vertragsärztliches Rezept zu verordnen, weil dann das Risiko zu groß sei, durch die Beklagte in Regress genommen zu werden. Daher stelle dieser lediglich Privatrezepte aus. Derzeit lebe er selbst nur von einem Taschengeld von EUR 19,00 pro Woche nach § 67 SGB XII. Er könne daher die Kosten für die erforderlichen Nahrungsergänzungsmittel nicht vorläufig aufbringen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 30. März 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens Multivitamine, Calciumcitrat, Vitamin B12 sowie Eiweiß in der notwendigen Dosierung als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Die Möglichkeiten der Kostenübernahme ergäben sich aus Anlage 1 der AM-RL. Multivitamine könnten danach überhaupt nicht übernommen werden. Calciumverbindungen seien unter bestimmten Bedingungen verordnungsfähig. Allerdings lägen hier die danach erforderlichen Diagnosen nicht vor. Auch der verordnende Arzt sei nicht zu dem Ergebnis einer Verordnungsfähigkeit gekommen. Aus diesem Grunde habe er die Präparate nur privat verordnet und nicht als Kassenleistung. Das gleiche gelte für die Vitamin B12-Präparate. Soweit der Kläger Eiweißpräparate beantragt habe, könnten diese gemäß § 6 AM-RL im Rahmen einer bilanzierten Diät zur enteralen Ernährung verordnet werden. Dies sei jedoch gemäß § 21 AM-RL nur bei fehlender oder eingeschränkter Fähigkeit zur ausreichenden normalen Ernährung verordnungsfähig, eine Voraussetzung, die hier ebenfalls nicht vorliege.

Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2011 hat der Kläger unter Vorlage zweier Privatrezepte der Gemeinschaftspraxis Dr. Wachter und Kollegen vom 20. April 2011 für ein Multivitamin-, ein Vitamin B12- und ein Calciumcitratpräparat sowie Vigantoletten bei der Beklagten erneut Antrag auf Kostenübernahme gestellt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Senatsakte, die Akten des SG im Eil- und Klageverfahren, sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Klägers ist zulässig. Ein Ausschlussgrund nach § 172 Abs. 3 SGG ist aufgrund der beantragten laufenden Versorgung nicht gegeben. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Behandlung mit den beantragten Präparaten Kosten von weniger als EUR 750,00 anfallen werden und dass die Behandlung einen Zeitraum von weniger als einem Jahr umfasst (vgl. entsprechend den Beschluss des Senats vom 27. Januar 2009, L 4 KR 5775/08 ER-B).

Die Beschwerde des Klägers ist in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Kläger zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, sodass dem Kläger schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein. Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstands hat der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung mit den begehrten Vitamin- bzw. Mineralstoffpräparaten, sodass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist.

Einen Sachleistungsanspruch (abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung) hat der Kläger weder bezogen auf die begehrten Multivitamine, noch das Calciumcitrat-, das Vitamin B12- und das Eiweißpräparat. Denn alle begehrten Mittel gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Bei den ersten drei Präparaten handelt es sich um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, für die vorliegend nach derzeitigem Sach- und Streitstand kein Ausnahmetatbestand eingreift. Das Eiweißpräparat stellt ein Nahrungsergänzungsmittel dar, welches ebenfalls nicht durch die Beklagte zu gewähren ist.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Abweichendes sehen weder das Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) noch das SGB V vor.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der ab 01. Januar 2004 geltenden Fassung sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Der GBA legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Diese Regelung gilt nicht für versicherte Kinder bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres und versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen (§ 34 Abs. 1 Satz V SGB V).

Nach § 12 der auf der Grundlage des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V vom GBA beschlossenen AM-RL i. d. F. vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009 (Bundesanzeiger 2009, Nr. 49a), zuletzt geändert am 16. September 2010 (Bundesanzeiger 2010 Nr. 185, S. 4059), ist die Verordnung eines Arzneimittels gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten (Abs. 2 a.a.O.). Eine Krankheit ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (Abs. 3 a.a.O.). Ein Arzneimittel gilt als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (Abs. 4 a.a.O.). Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind in Anlage 1 der AM-RL aufgeführt (Abs. 5 a.a.O.). Die Verordnung der Arzneimittel in den zugelassenen Fällen ist in der ärztlichen Dokumentation durch Angabe der entsprechenden Diagnose zu begründen (Abs. 9 a.a.O.). Die Vorschriften des § 12 AM-RL regeln abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sind (Abs. 10 Halbsatz 1 a.a.O.).

Aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstands geht der Senat davon aus, dass die Voraussetzungen beim Kläger hinsichtlich keines der von ihm beantragten nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel vorliegen.

Der Kläger begehrt zunächst die Versorgung mit verschiedenen Vitaminpräparaten (in der Beschwerdeschrift als "Multivitamine" sowie als "Vitamin B12 monatlich 1000 µg" bezeichnet). Ausweislich der Auflistung in Anlage 1 zur AM-RL mit Stand vom 30. Juli 2009 (Bundesanzeiger Nr. 110, S. 2589 vom 29. Juli 2009) kommt die Verschreibung von Vitaminpräparaten zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse nur nach Maßgabe von Nr. 43 sowie Nr. 44 in Betracht. Nr. 43 sieht eine Verordnungsfähigkeit "wasserlöslicher Vitamine auch in Kombinationen" nur bei der Dialyse vor. Nach Nr. 44 der Anlage 1 sind wasserlösliche Vitamine, Benfotiamin und Folsäure als Monopräparate nur bei nachgewiesenem, schwerwiegendem Vitaminmangel, der durch eine entsprechende Ernährung nicht behoben werden kann, verordnungsfähig.

Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht vor. Weder aus der durch die erste Instanz eingeholten sachverständigen Zeugenauskunft des Prof. Dr. W. vom 25. Februar 2011 noch aus dem vom Kläger selbst im Verwaltungsverfahren vorgelegten Arztbrief der ihn behandelnden Klinik geht hervor, dass der Kläger derzeit überhaupt an einem Vitamin-Mangel leidet. Erst recht ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Mangel schwerwiegend sein soll. Insbesondere finden sich keinerlei Anhaltspunkte für ein insoweit von der Norm abweichendes Blutbild. Dies gilt sowohl hinsichtlich der beantragten Multivitaminpräparate, als auch des begehrten Vitamin B12-Präparats. Prof. Dr. W. zeigt in seiner sachverständigen Zeugenauskunft nur auf, dass eine Mangelerscheinung potentiell auftreten könne, nicht aber ist die Rede davon, dass dies zwangsläufig der Fall sein muss. Allein die Gefahr eines Vitamin-Mangels begründet ausweislich des insoweit eindeutigen Wortlauts der zitierten Ausnahmeregelung die Verordnungsfähigkeit eines Vitaminpräparats zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse jedoch gerade noch nicht. Indem die Ausnahmeregelung darauf abstellt, dass ein Mangel nicht durch eine entsprechende Ernährung behoben werden könne, muss vielmehr schon feststehen, dass eine ausgewogene Ernährung einen Vitaminmangel nicht zu verhindern vermag.

Gegen einen bereits akut vorliegenden Vitaminmangel spricht im Übrigen auch, dass der den Kläger behandelnde Hausarzt offenbar eine Mangelerscheinung, die ihn zur zwingenden Verordnung eines vertragsärztlichen Rezepts veranlasst hätte, nicht diagnostiziert hat. Denn nach wie vor wird ärztlicherseits die Notwendigkeit zur vertragsärztlichen Verordnung nicht gesehen. Auch die der Beklagten zwischenzeitlich vorgelegten neuen Rezepte über Vitaminpräparate sind Privatrezepte.

Da sich dem Senat folglich unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt Anhaltspunkte für eine bereits eingetretene Mangelerscheinung ergeben, sind weitere medizinische Ermittlungen jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht angezeigt. Sie bleiben dem Klageverfahren vorbehalten.

Die vom Kläger weiter begehrte Calciumverbindung (Calciumcitrat) kann nur nach Maßgabe von Nr. 11 und Nr. 12 der Anlage I zur AM-RL zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung vertragsärztlich verschrieben werden. Auch die Voraussetzungen dieser beiden Nummern liegen indes nicht vor. Nach Nr. 11 können Calciumverbindungen in Kombination mit Vitamin D ausnahmsweise zur Behandlung entweder einer manifesten Osteoporose, oder zeitgleich zur Steroid-Therapie bei Erkrankungen, die voraussichtlich einer mindestens sechsmonatigen Steroid-Therapie in einer Dosis von wenigstens 7,5 mg Prednisolonäquivalent bedürfen, oder bei einer Biphosphornat-Behandlung gemäß Angabe in der jeweiligen Fachinformation bei zwingender Notwendigkeit, verschrieben werden. Nach Nr. 12 der Anlage I kommt eine Verschreibungsfähigkeit von Calciumverbindungen als Monopräparat nur bei Pseudohypo- und Hypoparathyreodismus oder bei Biphosphornat-Behandlung gemäß Angabe in der jeweiligen Fachinformation bei zwingender Notwendigkeit in Betracht. Das Vorliegen einer hiernach maßgeblichen Erkrankung hat der Kläger jedoch von vornherein nicht geltend gemacht.

Im Übrigen haben Versicherte nur einen Anspruch auf kostenfreie Verschaffung eines Arzneimittels, wenn hierfür eine vom Vertragsarzt im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auf Kassenrezept ausgestellte Verordnung vorliegt. Versicherte können mithin ein bestimmtes Mittel erst dann beanspruchen, wenn es ihnen in Konkretisierung des gesetzlichen Rahmenrechts vom Vertragsarzt als ärztliche Behandlungsmaßnahme verschrieben wird (Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2500 § 13 Nr. 13 m.w.N.). Der Sachleistungsanspruch setzt eine vertragsärztliche Verordnung gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V auf dem entsprechenden Formblatt (so genanntes Kassenrezept) voraus. Dies ergibt sich auch aus § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V, wonach nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ausnahmsweise verordnet werden können. Diese erforderliche vertragsärztliche Verordnung fehlt beim Kläger hinsichtlich aller von ihm begehrten Arzneimittel. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass eines der Arzneimittel vertragsärztlich verordnet worden ist. Wenn der behandelnde Vertragsarzt der Auffassung sein sollte, die Voraussetzungen der ausnahmsweise Verordnung nach Maßgabe von Anlage 1 der AM-RL lägen hinsichtlich eines der begehrten Präparate vor, müsste er entsprechende vertragsärztliche Verordnungen ausstellen. Dies ist indes auch nach Auskunft des Klägers gerade nicht erfolgt. Soweit der Kläger behauptet hat, entsprechende vertragsärztliche Verordnungen erfolgten durch seinen Hausarzt nicht, weil die Gefahr eines Regresses durch die Beklagte bestehe, spricht dies dafür, dass auch sein Hausarzt die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise vertragsärztliche Verordnung nicht als gegeben ansieht.

Der grundsätzliche Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Dies entscheidet der Senat in ständiger Rechtsprechung im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG (vgl. Beschluss vom 27. Januar 2009, L 4 KR 5775/08 ER-B und Urteil vom 08. Oktober 2009 - L 4 KR 2423/07 -, im Anschluss an BSG SozR 4-2500 § 34 Nr. 4).

Die vom Kläger weiterhin begehrten Proteine stellen der Sache nach ein diätetisches Nahrungsergänzungsmittel dar. Anhaltspunkte dafür, dass diese durch die Beklagte zu übernehmen wären, ergeben sich dem Senat nach derzeitigem Sach- und Streitstand ebenfalls nicht.

Gemäß § 6 AM-RL sind (u.a.) Nahrungsergänzungsmittel von der Versorgung nach § 27 SGB V grundsätzlich ausgeschlossen (Satz 1 a.a.O.). Nach Satz 2 der Vorschrift haben Versicherte ausnahmsweise Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung, wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Das Nähere regeln die §§ 18 ff. AM-RL. Nach § 18 Satz 2 AM-RL sind nur Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise verordnungsfähig. Nach § 21 Abs. 1 AM-RL ist enterale Ernährung nur bei fehlender oder eingeschränkter Fähigkeit zur ausreichenden normalen Ernährung verordnungsfähig, wenn eine Modifizierung der normalen Ernährung oder sonstige ärztliche, pflegerische oder ernährungstherapeutische Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungssituation nicht ausreichen.

Ausgehend davon hat der Kläger auch den Bedarf nach Versorgung durch die Beklagte mit einem Protein-Präparat nicht glaubhaft gemacht. Der sachverständigen Zeugenauskunft des Prof. Dr. W. im erstinstanzlichen Verfahren lässt sich für das Erfordernis einer Proteinversorgung von vornherein gar nichts entnehmen. Auch auf den vom Kläger neu vorgelegten Privatrezepten vom 20. April 2011 ist ein Eiweißpräparat nicht verordnet. Die Dringlichkeit einer gesonderten Energiezufuhr nach durchgeführter Magenverkleinerung mit dem Ziel des Gewichtsverlusts ist dem Senat daher derzeit nicht ersichtlich. Im Übrigen gilt auch insoweit, dass eine Kostenübernahme nur nach Ausstellung eines Kassenrezepts in Betracht kommt, an welchem es ebenfalls fehlt.

Ein Leistungsanspruch des Klägers lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung begründen. In seinem Beschluss vom 06. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25) hat es das BVerfG für mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht für vereinbar erklärt, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine für die Bejahung des Leistungsanspruchs unter diesem Gesichtspunkt erforderliche notstandsähnliche Situation liegt nur dann vor, wenn ohne die streitige Behandlung sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird oder ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2007, B 1 KR 17/06 R, in Juris). Ein solcher ausnahmsweise bestehender akuter Behandlungsbedarf ergibt sich nach den vorliegenden ärztlichen Auskünften nicht.

Vor diesem Hintergrund konnte der Senat offenlassen, ob ein Anordnungsgrund vorliegt. Der Kläger hat hinsichtlich aller begehrten Präparate schon keinen Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte, sodass bereits ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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