L 10 R 3494/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 29/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3494/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 19.06.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens eine höhere Rente. Inhaltlich geht es um die rentenrechtliche Bewertung von Beitragszeiten, die die Klägerin in der ehemaligen S: zurücklegte, konkret um die Einstufung der Tätigkeit als Kranführerin in der Zeit vom 18.03.1967 bis 10.01.1981 in die Qualifikationsgruppe 4 (Facharbeiter) statt 5 (angelernte und ungelernte Tätigkeiten) der Anlage 13 zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), und zwar entgegen einer früheren vergleichsweisen Regelung zwischen den Beteiligten.

Die im Jahr 1937 geborene Klägerin war - so die Übersetzung ihres Arbeitsbuchs (Bl. 8 Verwaltungsakte) sowie ihre Angaben in dem unter dem Aktenzeichen S 5 RJ 2985/97 vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) geführten Verfahren (Bl. 35 SG-Akte) - nach einem sechsmonatigen Lehrgang ab Mai 1955 bis zur Geburt ihres Kindes im Mai 1962 als Maschinistin, "Reguliererin" und Arbeiterin (ab Dezember 1958 in der sechsten Kategorie, ab Januar 1960 in der fünften Kategorie, ab Februar 1961 in der ersten Kategorie) tätig. Ab Mai 1963 absolvierte sie einen sechsmonatigen Kurs als Schülerin auf dem elektrischen Kran. Im September 1963 wurde ihr die Qualifikation als Kranführer der zweiten Kategorie, im November 1963 der dritten Kategorie und im Januar 1970 der vierten Kategorie verliehen. Im April 1976 wurde ihr die Qualifikation der "Maschinistin des Kranes" zuerkannt. Im Oktober 1978 erfolgte die Versetzung als Meister in die Transportstelle, im Januar 1981 die Entlassung unter der Kategorie "Rente ist bestimmt/Invalide". Im September 1984 wurde die Klägerin als "Helfearbeiterin" in die Transportstelle aufgenommen und im März 1985 als Verteilerin der Arbeit nach der dritten Kategorie versetzt. Ab September 1986 arbeitete sie bis zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland im Juni 1990 als Maschinistin des Kranes nach der fünften Kategorie.

Mit Bescheid vom 14.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.1997 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 01.05.1997 eine Altersrente für Frauen in Höhe von monatlich 1.299,51 DM (brutto, Stand 01.05.1997). Die Tätigkeiten der Klägerin in der früheren S: ordnete die Beklagte durchgängig der Qualifikationsgruppe 5 zu. Im anschließenden Streitverfahren (S 5 RJ 2985/97) wegen der Zuordnung der Tätigkeit als Kranführerin zur Qualifikationsgruppe 4 sowie wegen der Frage, welche Wirtschaftsgruppe anzuwenden sei, in dem die Klägerin u.a. das "Zeugnis Nr. 3" über eine individuale Ausbildung zur Kranführerin nebst Nachweisen zu Wiederholungen der Kenntnisprüfungen vorgelegt hatte (Bl. 8 ff., Übersetzung Bl. 22 SG-Akte), schlossen die Beteiligten am 16.11.1999 vor dem SG in einem Erörterungstermin folgenden Vergleich:

"1. Die Beklagte anerkennt eine Qualifikationsgruppe 4 ab 08.09.1986 an sowie Wirtschaftsbereich 11 vom 22.06.1964 bis 10.01.1981 und 18.09.1984 bis 16.06.1990, soweit sich durch diesen Wirtschaftsbereich eine Besserstellung der Klägerin ergibt. 2. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt."

Diesen Vergleich setzte die Beklagte mit dem Rentenbescheid vom 05.01.2000 um, indem sie der Klägerin ab 01.05.1997 eine höhere Altersrente bewilligte (brutto nunmehr monatlich 1.463,78 DM, Stand 01.05.1997).

Im Dezember 2003 beantragte die Klägerin u.a. mit dem Ziel der Zuerkennung der Qualifikationsgruppe 4 bereits ab Juni 1964 eine Überprüfung der Rentenberechnung. Mit Bescheid vom 02.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2005 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Sie berief sich auf die Rechtsverbindlichkeit des im November 1999 geschlossenen Vergleiches. Die Klägerin habe keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen. Hinsichtlich einer Korrektur der Kürzung der Entgeltpunkt um 40 % nach § 22 Abs. 4 Fremdrentengesetz (FRG) wurde eine Entscheidung zurückgestellt.

Am 03.01.2006 hat die Klägerin beim SG Klage erhoben. Unter Bezugnahme auf das "Zeugnis Nr. 3", das zwar das Datum vom 18.03.1957 trage, richtig jedoch auf das Jahr 1967 lauten müsse, hat sie die Zuordnung ihrer Tätigkeit als Kranführerin zur Qualifikationsgruppe 4 ab dem 18.03.1967 geltend gemacht und hierzu auf Veröffentlichungen von Michael Müller in der Zeitschrift "Die Angestelltenversicherung" ("Qualifikation statt Leistung" und "Die Qual mit den Qualifikationsgruppen" - DAngVers 1995, 305 ff. und 354 ff.) hingewiesen. Danach sei die Qualifikationsgruppe 4 schon bei Tätigkeiten in den Kategorien 3 und 4 einschlägig.

Nachdem auf Grund eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (13.06.2006, 1 BvL 9/00 in SozR 4-5050 § 22 Nr. 5) im Jahr 2007 eine neue Übergangsregelung für die Absenkung der Entgeltpunkte für Zeiten nach dem FRG (Art. 6 § 4c Abs. 2 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz - FANG -, Fassung des Gesetzes vom 20.04.2007, BGBl. I, Seite 554) geschaffen worden war, hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 14.01.2008 (Bl. 26 ff. SG-Akte) eine Neuberechnung der Rente mit einem Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 01.01.1999 bis 30.06.2000 in Höhe von 552,80 EUR vorgenommen und im Bescheid ausgeführt, der Bescheid vom 14.03.1997 werde "zurückgenommen und insoweit durch diesen Bescheid ersetzt".

Mit Urteil vom 19.06.2008 hat das SG die Klage betreffend die Zuordnung zu einer höheren Qualifikationsgruppe als unzulässig abgewiesen Der Vergleichsschluss im Jahr 1999 umfasse einen Verzicht der Klägerin, hinsichtlich des gleichen Streitgegenstandes nochmals zu klagen. Im Hinblick auf die Gewährung weiterer - über den Bescheid vom 14.01.2008 hinausgehender - Zuschläge an persönlichen Entgeltpunkten zum Ausgleich der Absenkung um 40 % nach § 22 Abs. 4 Fremdrentengesetz (FRG) hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen.

Gegen das ihr am 18.07.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23.07.2008 Berufung eingelegt. Sie begehrt weiter für die Zeit ab 18.03.1967 die Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 4 und trägt zur Begründung vor, der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe in mehreren Entscheidungen im Jahr 2003 Rechtsansichten entwickelt, die die im Jahr 1999 gültigen überholen würden. Ferner verweist sie auf ihre zwischenzeitlich eingetretene Krebserkrankung.

Die Klägerin beantragt sachdienlich gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 19.06.2008 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2005 und in der Fassung des Bescheids vom 14.01.2008 zu verurteilen, unter teilweiser Rücknahme des Bescheids 05.01.2000 ebenfalls in der Fassung des Bescheids vom 14.01.2008 höhere Altersrente zu gewähren, insbesondere unter Zuordnung des Zeitraums vom 18.03.1967 bis 10.01.1981 zur Qualifikationsgruppe 4.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend und einen wirksamen sozialgerichtlichen Vergleich nicht nach den §§ 44, 45 und 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) korrigierbar.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen; dies gilt insbesondere für den Inhalt der erwähnten Bescheide.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist angesichts der Tatsache, dass die Klägerin mit ihrem Überprüfungsantrag vom Dezember 2003 allgemein eine höhere Rente begehrte, zunächst der Bescheid vom 02.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.12.2005, mit dem die Beklagte diesen Antrag ablehnte. Gegenstand des Klageverfahrens ist aber gemäß § 96 Abs. 1 SGG auch der Bescheid vom 14.01.2008 geworden. Dieser Bescheid ist im Hinblick auf ein Berechnungselement der Rentenberechnung ergangen, zu dem eine Entscheidung im Bescheid vom 02.09.2004 ausdrücklich zurückgestellt wurde (siehe auch BSG, Urteil vom 20.10.2010, B 13 R 82/09 R in SozR 4-6480 Art. 22 Nr. 2, juris RdNr. 23 wonach jeder weitere Bescheide nach § 44 SGB X einbezogen ist); insoweit ergänzt der Bescheid vom 14.01.2008 jenen vom 02.09.2004. Im Ergebnis hat die Beklagte den von der Klägerin mit dem Ziel, eine höhere Rente zu erhalten, gestellten Überprüfungsantrag somit nur noch teilweise abgelehnt. Es handelt sich deshalb bei den Bescheiden vom 02.09.2004 und 14.01.2008 um eine einheitliche Entscheidung nach § 44 SGB X über die Höhe der Rente.

Das SG hat die hiergegen gerichtete Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Allerdings ist das SG hinsichtlich der Prüfung der Qualifikationsgruppenzuordnung zu Unrecht von einer unzulässigen Klage ausgegangen. Aus der vom SG herangezogenen Kommentarliteratur (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Auflage, § 101 Rdnr. 10) ergibt sich, dass nach einem Vergleichsschluss eine neue Klage nur in "derselben" Sache unzulässig ist. Um eine solche Klage handelt es sich jedoch vorliegend nicht, da die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide über den von der Klägerin gestellten Überprüfungsantrag entschied. Damit ist der Klageweg formell wieder eröffnet. Die Frage der Bindung an den gerichtlichen Vergleich des Jahres 1999 stellt sich im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der Klage.

Rechtsgrundlage des Begehrens der Klägerin ist § 44 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Die Überprüfung nach § 44 SGB X bezieht sich allein auf den Bescheid vom 05.01.2000, ebenfalls in der Fassung des Bescheids vom 14.01.2008. Der in Umsetzung des gerichtlichen Vergleichs vom November 1999 ergangene Bescheid vom 05.01.2000 trat - jedenfalls was die hier allein streitige Höhe der Rente anbelangt - in vollem Umfang an die Stelle der erstmaligen Rentenbewilligung im Bescheid vom 14.03.1997 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.1997). Denn mit diesem Bescheid vom 05.01.2000 wurde die Rente von Anfang an, also ab dem 01.05.1997 neu festgestellt, auf der Grundlage der, an Stelle der im zuvor angefochtenen Bescheid vom 14.03.1997 erfolgten Zuordnung (ausschließlich Qualifikationsgruppe 5), einvernehmlich getroffenen vertraglichen Regelung. (ab 08.09.1986 Qualifikationsgruppe 4, zuvor mithin Qualifikationsgruppe 5). Damit kam der Bewilligung vom 14.03.1997, auch wenn im Bescheid vom 05.01.2000 keine ausdrückliche Rücknahme dieses Bescheids erfolgte, keine regelnde Wirkung mehr zu (§ 39 Abs. 2 SGB X). Der Bescheid vom 05.01.2000 wurde wiederum durch den Bescheid vom 14.01.2008 hinsichtlich der Rentenberechnung für die Zeit vom 01.01.1999 bis 30.06.2000 teilweise zurückgenommen und insoweit, also für diesen Zeitraum, durch die Bewilligung höherer Rente - nämlich unter Berücksichtigung des zeitlich befristeten Zuschlages nach Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG, begrenzt durch die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X - ersetzt. Dass im Bescheid vom 14.01.2008 sachlich unrichtig von einer Rücknahme des Bescheids vom 14.03.1997 die Rede ist, ist unschädlich, weil die zugunsten des Klägers eintretende ersetzende Wirkung nach § 39 Abs. 2 SGB X hiervon nicht abhängt. Damit bezieht sich das Begehren der Klägerin, über § 44 SGB VI höhere Altersrente zu erhalten, zum einen auf den Bescheid vom 05.01.2000 (für die Zeit ab 01.05.1997) und zum anderen auf den Bescheid vom 14.01.2008 (hinsichtlich des Zeitraumes vom 01.01.1999 bis 30.06.2000).

Die Beklagte hat zu Recht eine über den Bescheid vom 14.01.2008 hinausgehende Rücknahme und Neufeststellung der im Bescheid vom 05.01.2000 erfolgten Rentenbewilligung abgelehnt. Die Klägerin kann die von ihr zuletzt nur noch begehrte höhere Qualifikationsgruppenzuordnung nicht verlangen. Andere Ansatzpunkte für die Annahme, die Beklagte könnte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sein oder das Recht unrichtig angewandt haben und der Klägerin Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht haben, als die von der Klägerin gerügte Qualifikationsgruppenzuordnung, sind für den Senat nicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht behauptet. Im Hinblick auf § 22 Abs. 4 FRG macht die Klägerin zwischenzeitlich keinen weiter gehenden Anspruch, als mit dem Bescheid vom 14.01.2008 zuerkannt, geltend.

Die von der Beklagten vorgenommene Rentenberechnung (Bescheid vom 05.01.2000 für die Zeit ab 01.05.1997 und Bescheid vom 14.01.2008 hinsichtlich des Zeitraumes vom 01.01.1999 bis 30.06.2000) ist rechtmäßig. Hinsichtlich der streitigen Zuordnung der Tätigkeit der Klägerin in der Zeit vom 18.03.1967 bis 10.01.1981 zur Qualifikationsgruppe 4 anstatt 5 ist die Beklagte, ohne dass die inhaltliche Richtigkeit dieser Zuordnung zu überprüfen wäre, nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Denn die Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 5 entspricht dem am 16.11.1999 zwischen der Klägerin und der Beklagten wirksam geschlossenen Vergleich, an den beide Seiten gebunden sind. Ein Anspruch der Klägerin auf Anpassung des Vergleichs nach § 59 Abs. 1 SGB X besteht nicht, die Voraussetzungen für einen Widerruf durch die Klägerin liegen nicht vor. Da der Rentenberechnung in diesen Bescheiden die von den Beteiligten vertraglich vorgenommene Zuordnung zu Grunde liegt, beruhen diese Bescheide weder auf einem unrichtigen Sachverhalt noch auf einer unrichtigen Rechtsanwendung.

Ein gerichtlicher Vergleich ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Beteiligten über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Er hat eine Doppelnatur. So ist er einerseits Prozesshandlung, welche gemäß § 101 Abs. 1 SGG die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt und andererseits ein materiell-rechtlicher Vertrag (BSG, Urteil vom 17.05.1989, 10 RKg 16/88 in SozR 1500 § 101 Nr. 8 unter Hinweis auf § 779 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - und Urteil vom 24.01.1991, 2 RU 51/90; s. auch BSG, Urteil vom 29.01.1986, 9b RU 18/84 in SozR 1200 § 44 Nr.14; Urteil vom 29.01.1992, 9a RV 2/91).

Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs kann daher darauf beruhen, dass entweder der materiell-rechtliche Vertrag nach den Bestimmungen des BGB nichtig oder wirksam angefochten ist oder die zum Abschluss des Vergleichs notwendigen Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen sind, insbesondere die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben (BSG, Urteil vom 17.05.1989 und vom 24.01.1991, a.a.O.). Gleiches gilt nach § 779 Abs. 1 BGB, wenn der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht oder der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.

Derartige Umstände, die zur Unwirksamkeit des Vergleichs führen würden, liegen nicht vor; auch die Klägerin hat keine Zweifel an der Wirksamkeit des Vergleiches geäußert. Der Vergleich ist insbesondere nicht deshalb unwirksam (nichtig), weil seine Voraussetzungen nicht vorlagen (vgl. § 58 Abs. 2 Nr. 3 SGB X).

Seine materiell-rechtliche Grundlage hat der von den Beteiligten geschlossene gerichtliche Vergleich in § 54 Abs. 1 SGB X. Danach kann ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 2, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird (Vergleich), geschlossen werden, wenn die Behörde den Abschluss des Vergleichs zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält. So lag der Fall bei Abschluss des gerichtlichen Vergleiches am 16.11.1999. Die Beteiligten selbst gingen hinsichtlich der schon damals streitigen Zuordnung der Tätigkeit der Klägerin als Kranführerin zur Qualifikationsgruppe 4 vom Vorliegen der Voraussetzungen dieser Regelung aus und auch der Senat hat hieran keine Zweifel. Die Einigung war Ausdruck eines gegenseitigen Nachgebens bei einer bestehenden Ungewissheit. Die vorliegenden Unterlagen geben nach wie vor hinsichtlich der im umstrittenen Zeitraum einschlägigen Qualifikationsgruppe kein völlig klares Bild. Für eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 4 sprechen die im Arbeitsbuch angegebenen Kategorien 3 und 4, für die Müller in den von der Klägerin zuletzt ausdrücklich herangezogenen Veröffentlichungen (a.a.O.) ein Indiz für das Erreichen eines Facharbeiterstatus sah. Ferner belegt das von der Klägerin vorgelegte "Zeugnis Nr. 3" eine "individuelle Ausbildung". Andererseits sind die im Arbeitsbuch angegebenen Kategorien nach einem nur sechsmonatigen Lehrgang und einer kurzen Einarbeitung eher nicht mit einem Facharbeiterstatus in Einklang zu bringen. Das "Zeugnis Nr. 3" gibt Hinweise darauf, dass es sich nur um eine nachfolgend regelmäßig wiederholte Kenntnisprüfung handelte, die einen Vergleich mit einer breit angelegten Facharbeiterausbildung fraglich macht. Mithin gingen die Beteiligten im November 1999 zu Recht vom Bestehen einer Ungewissheit hinsichtlich der Zuordnung der Tätigkeit der Klägerin als Kranführerin zu den Qualifikationsgruppen 4 bzw. 5 aus. Diese Ungewissheit wurde durch ein gegenseitiges Nachgeben beseitigt. Die Beteiligten sahen es als sachgerecht an, als maßgebliche Zäsur den 08.09.1986 (Einsatz als Maschinistin des Krans in der 5. Kategorie) anzunehmen. Die Klägerin gab insoweit nach, als sie für die Zeit zuvor die Qualifikationsgruppe 4 nicht mehr geltend machte, mithin die Qualifikationsgruppe 5 akzeptierte, die Beklagte gab insoweit nach, als sie entgegen ihrer ursprünglichen Auffassung ab dem 08.09.1986 die Qualifikationsgruppe 4 zugestand. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bei Abschluss dieses Vergleichs ermessensfehlerhaft handelte, sind nicht ersichtlich.

Im Ergebnis einigten sich die Beteiligten auf der Grundlage der damals wie heute vorhandenen Unterlagen und Angaben der Klägerin über ihre berufliche Tätigkeit in der S: auf eine für beide Seiten akzeptable Bewertung und Zuordnung in die Qualifikationsgruppen, also über ein Berechnungselement für die Rente. Es war also beabsichtigt, diese Streitfrage - Bewertung und Zuordnung in Qualifikationsgruppen - durch Abstriche von der jeweiligen eigenen Bewertung und damit durch gegenseitiges Nachgeben - abschließend und verbindlich zu klären, nämlich dahin, dass die Qualifikationsgruppe (erst) ab dem 08.09.1986 zu Grunde gelegt wird, bis dahin somit (nur) die Qualifikationsgruppe 5. Dies schließt eine jederzeitige und bedingungslose Möglichkeit, sich einseitig vom Vertrag zu lösen, aus, auch für die Klägerin. Die Beteiligten sind vielmehr als Parteien dieses Vergleichsvertrages vertragsmäßig gebunden (BSG, Urteil vom 29.01.1986, a.a.O.), gerade an die vertraglich vereinbarte Zuordnung zu Qualifikationsgruppen.

Gegenüber dieser (vertragsmäßigen) Qualifikationsgruppenzuordnung ist der Anwendungsbereich des § 44 SGB X nicht eröffnet (so auch zu § 45 SGB X Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 01.09.1999, L 8 U 23/99, juris Rdnr. 25). § 44 SGB X erlaubt schon seinem Wortlaut nach nur eine Durchbrechung der Bindungswirkung von Verwaltungsakten und ist auf öffentlich-rechtliche Verträge somit nicht anwendbar. Dies gilt auch in Bezug auf den von der Beklagten zur Umsetzung dieses Vergleiches erlassenen Bescheid vom 05.01.2000 (offen gelassen vom BSG im Urteil vom 29.01.1992, 9a RV 2/91, wo eine analoge Anwendung des § 44 SGB X schon deshalb nicht näher in Betracht gezogen wurde, weil der dortige Kläger - wie die Klägerin im vorliegenden Fall - nichts Neues vorgebracht hatte). Denn der Zuordnung der Qualifikationsgruppen in der Rentenberechnung dieses Bescheides kommt keine eigenständige Regelungswirkung zu. Im Übrigen bestand (und besteht) eine Bindung der Beklagten an den Vergleich, sodass insoweit im Bescheid vom 05.01.2000 inhaltlich keine eigenständige Entscheidung über die Zuordnung zu den Qualifikationsgruppen erfolgte.

Soweit der Vergleichsvertrag reichte (hier die umstrittene Zuordnung zu bestimmten Qualifikationsgruppen und die nicht umstrittene Zuordnung zu einem Wirtschaftsbereich), gilt somit nur Vertragsrecht (Mannes/Peters-Lange, "Anpassungsmöglichkeiten von Vergleichsverträgen mit Versicherten bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse", SGb 2011, 126 ff.). Soweit das BSG in früherer Zeit anderes entschieden hat (soweit ersichtlich erstmals mit Urteil vom 22.05.1975, 10 RV 153/74 in SozR 3900 § 40 Nr. 2 und nachfolgend ohne zusätzliche Erwägungen im Urteil vom 25.11.1977, 2 RU 93/76, im Urteil vom 23.06.1983, 2 RU 2/82 und im Urteil vom 15.10.1985, 11a RA 58/84 in SozR 2200 § 1251 Nr. 115), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Aus welchen Gründen - so im Urteil vom 22.05.1975 - die Rechtsstellung des Leistungsberechtigten durch einen Vergleichsvertrag nicht beeinträchtigt werden darf, erschließt sich dem Senat nicht. Gegen eine vom BSG anscheinend befürchtete Übervorteilung ist der Leistungsberechtigte durch die für den gerichtlichen Vergleichsvertrag geltenden Nichtigkeitsvorschriften (§ 134 BGB, § 779 BGB, § 58 SGB X) und die Anfechtungsregeln des BGB hinreichend geschützt. Vielmehr spricht die - im Zeitpunkt der Entscheidung des BSG von 1975 so noch nicht vorhandene - ausdrückliche gesetzgeberische Erlaubnis zum Abschluss von Vergleichsverträgen (§§ 53, 54 SGB X), in denen gerade diese Rechtsstellung Gegenstand der vertraglichen Regelung ist, gegen diese Erwägung. Ebenfalls nicht überzeugend ist die in den genannten Urteilen des BSG angeführte Argumentation, ebenso wie ein durch eine gerichtlich Entscheidung bestätigter Verwaltungsakt erneut nach § 44 SGB X überprüft werden könne, müsse ein auf einer vergleichsweisen Regelung beruhender Bescheid überprüft werden können. Aus Sicht des Senats wird hier der Dispositionsfreiheit der Beteiligten und dem bereits oben dargelegten Charakter einer vertraglichen Regelung keine hinreichende Bedeutung beigemessen. Schließlich trägt die genannte Rechtsprechung auch nicht dem Umstand Rechnung, dass der öffentlich-rechtliche Vertrag in den §§ 53 ff. SGB X eine spezielle Regelung erfahren hat, wonach - so § 61 Satz 1 SGB X - die §§ 53 ff. den übrigen Vorschriften dieses Gesetzbuches - und damit auch § 44 SGB X - vorgehen. Da in § 59 SGB X die Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Bindungswirkung geregelt sind (hierzu nachfolgend), kann nicht auf § 44 SGB X zurückgegriffen werden. Dass im gerichtlichen Vergleich anderes geregelt werden kann (z.B. die Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Bindungswirkung) bedarf keiner weiteren Erörterung; eine solche Regelung wurde hier im gerichtlichen Vergleich vom 16.11.1999 nicht getroffen.

Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann allerdings eine Anpassung des Vertragsinhalts verlangt werden, wenn sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrags so wesentlich geändert haben, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist. Der Senat lässt offen, auf welche Art und Weise, insbesondere in welchem Verfahren eine solche Anpassung vorzunehmen wäre. Denn die Voraussetzungen dieser Regelung liegen nicht vor. Soweit die Klägerin auf die Veröffentlichungen von Müller (a.a.O.) hinweist und damit sinngemäß die Unrichtigkeit des Vergleichs geltend macht, liegt keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen vor. Unabhängig davon, dass es sich bei der Veröffentlichung von Müller um keine (tatsächlichen oder rechtlichen) Verhältnisse handelt, die den damals streitgegenständlichen Sachverhalt unmittelbar betrafen, sondern um allgemeine Ausführungen und Kundgabe bestimmter Auffassungen im Zusammenhang mit der Einstufung in Qualifikationsgruppen, kann hier von einer wesentlichen Änderung bereits deswegen nicht ausgegangen werden, als die Veröffentlichungen bereits im Jahr 1995 und damit vor dem Vergleichsschluss erfolgten. Die von der Klägerin behauptete, jedoch nicht näher dargelegte Änderung der Rechtsprechung im Jahr 2003 ist für den Senat - was eine Relevanz für die hier vorzunehmende Bewertung der hinsichtlich der streitigen Zeiten vorliegenden Unterlagen und Angaben der Klägerin anbelangt - nicht ersichtlich. Vielmehr ist auch nach der aktuellen Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, dass die in Arbeitsbüchern angegebenen Lohnkategorien nur eine indizielle Wirkung für die Qualifikationsgruppeneinstufung haben (Urteil vom 17.03.2010, L 10 R 4909/08). Zwischen dem Hinweis der Klägerin auf ihre gesundheitliche Entwicklung und dem im Jahr 1999 geschlossenen Vergleich besteht kein sachlicher Zusammenhang. Der Gesundheitszustand der Klägerin könnte allenfalls im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit eines Festhaltens am Vertrag eine Rolle spielen; eine solche Prüfung setzt indessen das Vorliegen einer wesentlichen Änderung voraus.

Die Klägerin kann sich von dem Vergleichsvertrag auch nicht durch einseitige Erklärung lösen. Ein Kündigungsrecht sieht § 59 Abs. 1 Satz 2 SGB X nur für die Behörde und nur unter bestimmten Voraussetzungen vor.

Auch ein Widerruf ist der Klägerin nicht möglich. Nach § 46 Abs. 1 zweiter Halbsatz Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) kann ein Verzicht auf Ansprüche auf Sozialleistungen jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Der Senat kann offen lassen, inwieweit diese Regelung auf gerichtliche Vergleiche, die typischerweise nach dem Willen der Beteiligten gerade bei streitigen Leistungsansprüchen auch den Rechtszustand für die Zukunft verbindlich regeln sollen (etwa indem die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit für eine Verletztenrente einvernehmlich festgelegt wird), Anwendung findet und wenn ja, inwieweit dann der Vertrag insgesamt betroffen wird (weil nun durch den Widerruf die Geschäftsgrundlage für das Nachgeben des Leistungsträgers entfällt, s. auch § 139 BGB) und wie sich dies dann auf Verwaltungsakte auswirkt, die auf dem Vergleich beruhen (etwa über § 48 SGB X). Denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind jedenfalls nicht erfüllt. Das Nachgeben der Klägerin stellt sich nach Auffassung des Senats nicht als Verzicht auf eine Sozialleistung (hier Altersrente für Frauen) dar, auch nicht als teilweiser Verzicht (noch höhere Rente). Denn die Beteiligten einigten sich im Vergleichsvertrag nicht auf konkrete Ansprüche, sondern - wie bereits ausgeführt - auf die Bewertung von tatsächlichen Umständen. Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 15.10.1985 (a.a.O., juris Rdnrn. 13, 14) folgt nichts anderes; dort enthielt der Vergleich - zusätzlich zu der Einigung über Tatsachen der Rentenberechnung - einen ausdrücklich erklärten Verzicht. Der Senat lässt es allerdings offen, ob eine solche ausdrückliche Verzichtserklärung, wenn sich die eigentliche vergleichsweise Einigung auf reine Tatsachen und deren Bewertung bezieht, überhaupt als Verzicht i.S. des § 46 Abs. 1 SGB I (nämlich bezogen auf Leistungsansprüche) zu verstehen wäre. Das BSG hat in der genannten Entscheidung auch in Erwägung gezogen, dass eine solche Verzichtserklärung keine inhaltliche Wirkung haben könnte. Soweit es darauf aufbauend aber geschlossen hat, die ursprünglich angefochtene und der vergleichsweisen Regelung zu Grunde liegende Rentenbewilligung sei dann weiterhin nach § 44 SGB X zu überprüfen (ähnlich der vom BSG mit Urteil vom 23.06.1983, 2 RU 2/82 entschiedene Fall der Entziehung einer Rente mit vergleichsweiser Regelung einer befristeten Weitergewährung: für die Zeit nach Ablauf der Weitergewährung soll Bestandskraft des Rentenentziehungsbescheides eingetreten sein - juris Rdnr. 14 -), trägt es nach Auffassung des Senats der Absicht der Beteiligten beim Vergleichsabschluss, die Streitfrage endgültig und verbindlich zu regeln und somit dem bereits dargestellten Vorrang der vertraglichen Regelung (vgl. § 61 SGB X), nicht Rechnung. Denn im Grunde tritt die vergleichsweise Regelung somit inhaltlich an die Stelle des zuvor angefochtenen Verwaltungsaktes, sodass für eine Anwendung des § 44 SGB X auf den ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt kein Raum mehr bleibt. Im Übrigen liegt der vorliegende Fall gegenüber jenem im Urteil des BSG vom 15.10.1985 schon deshalb anders, weil hier die ursprüngliche Rentenbewilligung mit Bescheid vom 14.03.1997 - wie eingangs ausgeführt - durch den Bescheid vom 05.01.2000 ersetzt wurde und keine Wirkung mehr entfaltet, also auch nicht Gegenstand einer (weiteren) Prüfung nach § 44 SGB X sein kann.

Die Beklagte hat sich in den angefochtenen Bescheiden somit zu Recht auf die Bindungswirkung des Vergleichs berufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die im Bescheid vom 14.01.2008 erfolgte teilweise Stattgabe des Antrages nach § 44 SGB X ist schon vor der Einlegung der Berufung erfolgt und rechtfertigt schon deshalb keine anteilige Kostentragung im Berufungsverfahren.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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