L 6 SF 808/10 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 11 SF 42/09 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 808/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Fertigt ein Rechtsanwalt nur einen kurzen Schriftsatz, ist der zeitliche Umfang der tatsächlich betriebenen und objektiv erforderlichen Tätigkeit auch unter Berücksichtigung der außergerichtlichen Aktivitäten unterdurchschnittlich.

2. Ausführungen die einer Vielzahl von Verfahren ohne Individualisierung vorgetragen werden (hier: Rundungsregelung), können nur einen minimalen Aufwand verursachen.

3. Die Erfolgsaussichten der Klage sind bei der Pprüfung der Bedeutung der Sache im Festsetzungsverfahren nicht relevant.

4. Zum Umfang der anwaltlichen Tätigkeit für eine Terminsgebühr nach Nr.3106 VV RVG.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 27. April 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Nordhausen streitig (Az.: S 11 AS 2710/08). Dort wandten sich die Kläger, eine Bedarfsgemeinschaft von vier Personen, gegen den Bescheid vom 24. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2008 und begehrten die Berücksichtigung von tatsächlich angefallenen Heizkosten sowie die Rundung der gewährten Leistungen. In der 70 Minuten dauernden nichtöffentlichen Sitzung am 23. Januar 2009 verhandelte die 11. Kammer des Sozialgerichts insgesamt sechs Verfahren der Kläger (Az.: S 11 AS 2092/08, S 11 AS 2065/08, S 11 AS 2064/08, S 11 AS 2710/08, S 11 AS 2709/08), gewährte ihnen für alle Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenzahlung und ordnete den Beschwerdegegner bei. Nach der Niederschrift wies der Vorsitzende darauf hin, dass das Verfahrens Az.: S 11 2710/08 den gleichen Zeitraum betreffe wie das Verfahren Az.: S 11 AS 2092/08; er gehe von einer doppelten Rechtshängigkeit aus. Es sei unerheblich, dass verschiedene Widerspruchsbescheide vorlägen. Daraufhin nahm der Beschwerdegegner die Klage Az.: S 11 AS 2710/08 zurück.

In seiner Kostenrechnung vom 18. Februar 2009 machte er für dieses Verfahren einen Betrag von insgesamt 646,17 Euro geltend, der sich wie folgt errechnet:

Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 170,00 Euro Gebührenerhöhung Nr. 1008 VV RVG 153,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200,00 Euro Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Zwischensumme 543,00 Euro Mehrwertsteuer 103,17 Euro Gesamtbetrag 646,17 Euro

Unter dem 18. März 2009 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Zahlung von 334,99 Euro an und führte aus, bezüglich der Verfahrensgebühr sei die halbe Mittelgebühr angemessen. Die Bedeutung der Angelegenheit sei unterdurchschnittlich, "zumal der Streitgegenstand doppelt rechtsanhängig gewesen sein dürfte". Umfang und Schwierigkeit seien als unterdurchschnittlich zu werten; trotzdem habe sich der Beschwerdeführer mit dem Sachverhalt auseinander setzen müssen. Hinsichtlich der Terminsgebühr sei ebenfalls die halbe Mittelgebühr angemessen. Auf die Ausführungen zur Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger und deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei der Verfahrensgebühr werde Bezug genommen.

Auf die Erinnerung des Beschwerdegegners hat der Beschwerdeführer in seiner Erwiderung auf die Ausführungen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) verwiesen. Mit Beschluss vom 27. April 2010 hat das Sozialgericht die dem Beschwerdegegner zu erstattenden Kosten auf 646,17 Euro festgesetzt.

Gegen den ihm am 5. Juli 2010 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 12. Juli 2010 Beschwerde eingelegt und zur Begründung auf seine Erinnerungserwiderung und die Ausführungen der UKB verwiesen. Auf richterliche Aufforderung zur Konkretisierung hat er angegeben, in der Entscheidung des Sozialgerichts sei die doppelte Rechtshängigkeit unbeachtet geblieben. Im Übrigen folge er der Rechtsauffassung im Beschluss der Vorinstanz.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 17. April 2010 aufzuheben und die Vergütung des Beschwerdegegners auf 334,99 Euro festzusetzen.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor, die Bedeutung der Angelegenheit sei für die Kläger weit überdurchschnittlich gewesen sei, weil es um deren soziokulturelles Existenzminimum nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gegangen sei. Auch sei von einer durchschnittlichen Schwierigkeit auszugehen. Es sei nicht einzusehen, dass die Verfahrens- und Terminsgebühr entsprechend dem Hinweis des Senatsvorsitzenden gekürzt würden, weil er in der Klageschrift bzw. im Termin auf sachfremde Erwägungen verzichtet habe. Dies diene der Entlastung der Justiz.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 8. September 2010) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt. Der Vorsitzende hat das Verfahren mit Beschluss vom heutigen Tage dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.

II.

Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 26. Januar 2009 - Az.: L 6 B 256/08 SF; 16. Januar 2009 - Az.: L 6 B 255/08 SF, 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF) und zulässig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro und sie ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist der §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt worden.

Die Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Die Kläger, denen PKH gewährt wurde, waren kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. § 183 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG).

Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF, 19. Juni 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF und 14. März 2001 - Az.: L 6 B 3/01 SF; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73a Rdnr. 13 f.; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010 Rdnr. 12). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006 – Az.: L 1 B 320/05 SF SK, nach juris); dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

Hier übersteigen die beantragten Gebühren in Höhe von 543,00 Euro zwar die tatsächlich zustehenden Gebühren in Höhe von 460,70 Euro, allerdings nicht um 20 v.H. Die Festsetzung in verminderter Höhe scheidet damit im vorliegenden Fall aus. Anhaltspunkte, dass der Beschwerdegegner eine Ermessensentscheidung nicht getroffen hat (dann würde die Toleranzgrenze nicht gelten), liegen nicht vor.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer ausschließlich gegen die Gebührenhöhe der Nummern 3103 VV RVG und 3106 VV RVG mit der Begründung, in dem Beschluss des Sozialgerichts sei die doppelte Rechtshängigkeit nicht beachtet worden. Daher überprüft der Senat ausschließlich diese Ansätze. Er hat keinen Anhalt für eine weitergehende Prüfung.

Der Beitragsrahmen der Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG beträgt 20,00 bis 320,00 Euro. Hier wäre eine Kürzung der Mittelgebühr (170,00 Euro) um 10 v.H. (= 153,00 Euro) wegen des unterdurchschnittlichen Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit angebracht gewesen.

Der zeitliche Umfang der tatsächlich betriebenen und objektiv erforderlichen anwaltlichen Tätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R, nach juris) war entgegen der Ansicht der Vorinstanz durchaus unterdurchschnittlich. Der Beschwerdeführer fertigte lediglich einen Schriftsatz, schilderte auf ca. 3/4 Blatt kurz den Sachverhalt und begründete das Begehren der Kläger. Damit lag selbst bei Berücksichtigung der notwendigen außergerichtlichen Tätigkeit durch Besprechung und Beratung der Kläger, Lesen der Verwaltungsentscheidung, Aktenstudium, Anfertigen von Notizen, Rechtsprechungs- und Literaturrecherche kein durchschnittlicher Aufwand im Vergleich zu anderen sozialgerichtlichen Verfahren vor. Soweit er sich auf ¼ Blatt zusätzlich formelhaft und ohne Bezug zum anhängigen Verfahren gegen die Rundungsregelung wendet, handelt es sich offensichtlich um Ausführungen, die in einer Vielzahl von Verfahren ohne Individualisierung vorgetragen werden. Sie können nur einen minimalen Aufwand verursachen und führen nicht zu einer wesentlichen Erhöhung des Aufwands.

An der Sache vorbei gehen die Ausführungen des Beschwerdegegners, er könne nicht dafür bestraft werden, weil er auf sachfremde Ausführungen verzichtet habe. Berücksichtigt werden kann nach § 14 RVG nur der tatsächliche, nicht aber ein fiktiver Aufwand. Sachfremde Ausführungen wären zudem objektiv nicht erforderlich gewesen.

Hinsichtlich der angegriffenen Heizkosten war die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit - gerade noch durchschnittlich, hinsichtlich der Rundungsregelung deutlich unterdurchschnittlich. Nachdem sich der Beschwerdeführer hierzu inhaltlich nicht geäußert hat, besteht keine Notwendigkeit für weitere Ausführungen.

Die Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger lag erheblich über dem Durchschnitt. Relevant ist die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für sie, nicht aber für die Allgemeinheit (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R, nach juris). Erhöhend ist insbesondere zu berücksichtigen, wenn Leistungen nach dem SGB II das soziokulturelle Existenzminimum sichern. Das ist hier der Fall, denn die Klage richtete sich in der Hauptsache gegen die Kürzung der Stromkosten. Dem steht nicht die ebenfalls geltend gemachte aber nicht bezifferte angebliche unterlassene Rundung im Cent-Bereich entgegen, die nur eine minimale Bedeutung haben kann. Das zusätzliche Begehren mindert die Bedeutung nicht insgesamt. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kommt es bei der Bedeutung nicht auf die vom Sozialgericht angenommene doppelte Rechtshängigkeit an. Die Erfolgsaussichten der Klage sind im Festsetzungsverfahren nicht relevant. Diese sind vielmehr vorab im Rahmen der Prüfung der PKH bei der Erfolgsaussicht der Klage (§ 114 der Zivilprozessordnung - ZPO) zu prüfen. Insofern hätte es sich bei seiner Rechtsansicht der Vorinstanz aufdrängen müssen, die Gewährung der PKH für die unzulässige Klage mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen. Der Senat ist jedoch - wie die UKB - an die erfolgte Gewährung gebunden.

Die weit unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger werden durch die überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit kompensiert. Ein besonderes Haftungsrisiko ist nicht ersichtlich.

Bei der getrennt zu prüfende Terminsgebühr (vgl. Senatsbeschluss vom 3. April 2009 - Az.: L 6 B 261/08 SF m.w.N.) beträgt der Beitragsrahmen nach Nr. 3106 VV RVG 20,00 bis 380,00 Euro. Die von der Vorinstanz angesetzte Mittelgebühr (200,00 Euro) ist deutlich zu hoch angesetzt; hier kommen allenfalls 150,00 Euro in Betracht. Der Umfang der Tätigkeit war unterdurchschnittlich. Im 70 Minuten dauernden Termin wurden neben dem Hauptsacheverfahren fünf weitere Verfahren behandelt. Auch kann nach der Niederschrift der Zeitaufwand des Beschwerdegegners für das Verfahren Az.: S 11 AS 2710/08 nur mäßig gewesen sein, denn es wurde nur die Frage der doppelten Rechtshängigkeit angesprochen und dann die Klage zurückgenommen. Auch hier geht die Ansicht des Beschwerdegegners fehl, es dürfe keine Kürzung erfolgen, weil er sich auf den Kern der Sache konzentriert habe. Damit gibt er selbst zu, dass tatsächlich kein höherer Aufwand vorlag. Seine Ansicht würde zu dem Ergebnis führen, dass seine Gebühr entgegen dem Gesetz fiktiv und damit unzulässig errechnet würde. Auf die Behauptung, seine Arbeitsweise diene der Entlastung der Justiz, kommt es in diesem Zusammenhang offensichtlich nicht an.

Bezüglich der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Sache, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und das Haftungsrisiko wird auf die Ausführungen zur Verfahrensgebühr verwiesen.

Zusätzlich zu erstatten sind die die Pauschalen für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VV RVG) in Höhe von 20,00 Euro, und die Umsatzsteuer auf die Vergütung (Nr. 7008 VV RVG).

Damit errechnen sich die eigentlich zustehenden Gebühren wie folgt:

Nr. 3103 VV RVG 153,00 Euro Gebührenerhöhung Nr. 1008 VV RVG 137,70 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 150,00 Euro Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Zwischensumme 460,70 Euro Mehrwertsteuer 87,53 Euro Gesamtbetrag 548,23 Euro

Da die Toleranzgrenze nicht überschritten ist, sind dem Beschwerdegegner 646,17 Euro zu erstatten.

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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