S 3 KR 123/10 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Potsdam (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 123/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der Einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zur Neuversorgung vorläufig ein Hörgerät des Typs Oticon Sumo DM als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenkasse zu bewilligen.

2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:
I.

Die Antragsstellerin begehrt die Bewilligung eines Hörgerätes des Typs Oticon Sumo. die Kosten für die begehrte Versorgung übersteigen den Festbetrag.

Die Antragstellerin leidet unter angeborener Schwerhörigkeit beidseits. Die Schwerhörigkeit hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Das Ausmaß der Hörstörung ist von der behandelnden Hals-Nasen-Ohrenärztin Frau U im Befundbericht vom 11. August 2010 mit Taubheit beidseits mit verwertbaren Hörresten, Hörverlust beidseits 100 %, beschrieben worden. Außerdem leidet die Antragstellerin an einer Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits.

Frau Dr. U verordnete der Antragstellerin am 02. März 2010 eine Hörhilfe. Die Antragstellerin benutzt derzeit ihr zwölf Jahre altes Hörgerät, mit diesem ist sie nicht mehr in der Lage ein akzeptables Sprachverstehen zu erzielen. Die Antragstellerin wandte sich mit der Verordnung an die Beigeladenen. Dort wurden unterschiedliche Geräte mit ihr ausprobiert. Nach dem Anpassungsprotokoll der Beigeladenen vom 19. Mai 2010 handelte es sich um folgende Geräte: FF Messung in Zahlen UnitronNext Essential High Power Festbetragsgerät 10% Oticon Go Power Festbetragsgerät 20% Phonak Extra 411AZ Power 1.100,00 EUR 30% Oticon Sumo DM 1.380,00 EUR 50%

Allein mit dem Hörgerät des Typs Oticon Sumo DM wurde ein zufrieden stellendes Ergebnis erzielt. Die Beigeladenen geben das begehrte Hilfsmittel zum Betrag von 1.380,00 EUR - oberhalb des Festbetrages – der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Bei der Antragsgegnerin ging am 20. Mai 2010 ein Kostenvoranschlag der Beigeladenen über das begehrte Hilfsmittel sowie eine Reparaturpauschale insgesamt in Höhe von 1.574,90 EUR ein. Außerdem ging bei der Antragsgegnerin am 19. Mai 2010 ein Schreiben des Vertreters der Beigeladenen ein, in dem dieser mitteilte, dass mit den Festbeträgen und dem Gerät von Phonak kein zufrieden stellendes Ergebnis erzielt werden konnte. Das größte Problem seien die Rückkopplungen gewesen und die Kommunikation in lauter Umgebung. Mit dem begehrten Hilfsmittel konnte eine deutlich höhere Verstärkung ohne Rückkopplung erzielt werden. Dadurch habe sich auch das Sprachverstehen verbessert. Die Antragstellerin sei zufrieden mit dem Gerät und berichte von einer deutlichen Verbesserung. Da die Antragstellerin mit einem Festbetragsgerät nicht versorgbar sei, wurde um volle Kostenübernahme gebeten.

Nachdem sich die Beigeladenen an die Beklagte, mit der Bitte um Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel gewandt hatten, teilte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27. Mai 2010 mit, die Beigeladenen würden an dem Vertrag zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (BIHA) und dem Verband der angestellten Krankenkassen VdAK (nunmehr vdek) teilnehmen. In dieser vertraglichen Vereinbarung habe sich der Hörgeräteakustiker verpflichtet, den Versicherten zwei Versorgungsvorschläge mit analogen und digitalen Hörsystemen zu unterbreiten, die dem individuellen Hörverlust entsprechen der medizinischen Notwendigkeit angemessen auszugleichen und gleichzeitig aufzahlungsfrei, d. h. ohne zusätzliche Kosten zu versorgen. Nach Prüfung der Unterlagen komme sie zum Ergebnis, dass die Beigeladenen ihre vertraglichen Verpflichtungen bei der Anpassung der Hörhilfen nicht nachgekommen seien. Sie beabsichtige daher, die Beigeladene entsprechend der vertraglichen Vorgaben zu verpflichten, die Antragstellerin mit der Hörhilfe Sumo DM, die nach der bei ihr erfolgten Anpassung die Bedingung eines angemessenen Ausgleiches ihres Hörverlustes erfülle, auf zahlungsfrei zu versorgen. Diesbezüglich habe sie sich mit der Firma der Beigeladenen in Verbindung gesetzt.

Gleichzeitig wandte die Antragsgegnerin sich mit Schreiben vom 27. Mai 2010 an die Beigeladenen und verwies sie auf § 3 Abs. 1 des Vertrages zur Komplettversorgung mit Hörsystemen (im folgenden BIHA-Vertrag genannt) und schlug vor, dass das Gerät Sumo DM zum Vertragspreis an die Versicherte abgegeben werde und dass die Beigeladene auf die Aufzahlung verzichte. Die Antragstellerin erhob Widerspruch am 07. Juni 2010 und legte zur Begründung dar, die Beigeladenen hätten sich große Mühe mit der Anpassung eines passenden Hörgerätes für sie gegeben. Für sie kam eigentlich ein nur Hörgerät in Frage, zu dem sie sage, das könnte es sein. Sie wolle entsprechend dem medizinischen Stand optimal versorgt werden. Das bedeute für sie eine bestmögliche Ausgleichung an das Hörvermögen gesunder Menschen. Sie berufe sich auch auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 17. Dezember 2009, in dem das BSG entschieden habe, dass die Krankenkassen bei hochgradig schwerhörigen Menschen nicht mehr auf die unzureichende Versorgung mit Festbetragsgeräten verweisen könnten.

Am 17. Juni 2010 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf vorläufige Versorgung mit dem Hörgerät des Typs Oticon Sumo DM vor dem Sozialgericht Potsdam. Zur Begründung legte die Antragstellerin dar, sie sei nur unzureichend mit dem von ihr genutzten Hörgerät versorgt. Aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit verfüge sie auch nicht über die notwendigen finanziellen Mittel um den über den Festbetrag hinaus gehenden Teilbetrag des Kaufpreises zu verauslagen und ihn dann später im Wege der Kostenerstattung zurück zu erlangen. Außerdem sei sie, da sie derzeit arbeitslos sei, dringend auf die Hörgeräte angewiesen, um ihre Chancen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, zu verbessern. Nur das begehrte Hilfsmittel ermögliche es ihr Stimmen zu folgen und Telefonate durchzuführen. Das begehrte Hilfsmittel stehe ihr im Rahmen des Behinderungsausgleiches gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu. Angemessener Ausgleich könne bei ihr nur durch das begehrte Hörgerät erfolgen, dass über eine Störgeräteunterdrückung, eine automatische Lautstärkeanpassung und ein zufrieden stellendes Sprachverstehen verfüge. Die Geräte, die der Hörgeräteakustiker aufschlagsfrei angeboten habe, erfüllten diese Anforderungen nicht. Sie stellten keine ausreichende Versorgung bei ihrer Behinderung dar. Auch dass der Preis über dem einschlägigen Festbetrag liege, stünde dem Anspruch nicht entgegen. Denn das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 zum AZ: B 3 KR 20/08 R entschieden, dass ein über den Festbetrag hinausgehender gesetzlicher Leistungsanspruch bestehen könnte. Der Anordnungsgrund folge daraus, dass sie zur Zeit nicht ausreichend mit Hörhilfen versorgt sei, ein Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache sei ihr daher nicht zuzumuten.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der Einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr zur Neuversorgung vorläufig ein Hörgerät des Typs Oticon Sumo DM als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung zu bewilligen. Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie legt dar, sie habe sich an den Leistungserbringer gewandt und ihn damit konfrontiert, dass dieser seiner vertraglichen Verpflichtung nicht nachgekommen sei. Er müsse das begehrte Hörgerät Sumo DM zum Festbetragspreis abgeben. Im Übrigen habe der Leistungserbringer auch den BIHA-Vertrag nicht eingehalten. Eine Eilbedürftigkeit sei nicht erkennbar. Es sei nicht ersichtlich wieso die Antragstellerin ohne Einstweilige Anordnung unzumutbare Nachteile befürchten müsse. Sie sei viel mehr im Sinne der Antragstellerin bemüht eine entsprechende Lösung zu finden. Im besten Falle werde der Leistungserbringer das Hörgerät zum Festbetrag abgeben und auf eine weitere Rechnung verzichten. Die Antragsgegnerin hat eine Stellungnahme von Frau D S zur beantragten Hörgeräteversorgung oberhalb der Vertragspreise eingereicht, wegen des Inhalts auf Bl. 28 der Gerichtsakte Bezug genommen wird.

Die Antragstellerin hat ergänzend vorgetragen, die Verhandlungen der Antragsgegnerin mit dem Leistungserbringer seien für ihren Versorgungsanspruch unbeachtlich. Es stehe nicht in ihrem Ermessen, es sei auch keine Frage der Kulanz, ob das im Antrag bezeichnete Hörgerät geleistet werde. Außerdem zeigte die Ausführung der Antragsgegnerin, dass diese die Entscheidung des Bundessozialgerichtes verkenne. Würde sie diese anwenden, würde sie den Leistungserbringer für das im Antrag bezeichnete Hörgerät 1.380,00 EUR zahlen und nicht darauf beharren, dass das Gerät gegen Erhalt des Festbetrages abgegeben werde.

Mit Beschluss vom 13. Juli 2010 sind die Beigeladenen in den Rechtstreit beigeladen worden.

Außerdem hat das Gericht einen Befundbericht der behandelnden Ärztin, Frau K U (Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde) vom 11. August 2010 angefordert. Wegen des Inhalts des Befundberichtes wird auf Bl. 93 – 94 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Beigeladene hat mitgeteilt, die Beigeladene habe sich zur Abgabe des begehrten Hilfsmittels bereit erklärt, jedoch die Bereitschaft davon abhängig gemacht, dass der Betrag von 1.380,00 EUR gezahlt werde. Zur Zahlung des Betrages sei die Antragsgegnerin verpflichtet. Etwas anderes folge auch nicht aus den Vereinbarungen zwischen der Antragsgegnerin und der Innung der Beigeladenen. Mit den Beteiligten ist am 17. August 2010 ein Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt worden. Wegen des Termins wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegen hat und Gegenstand der Erörterung und Entscheidung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig. Die Antragsgegnerin hat mit dem Bescheid vom 27. Mai 2010 gegenüber der Klägerin zwar mitgeteilt, dass die Beigeladenen ihr das begehrte Hilfsmittel zuzahlungsfrei zur Verfügung zu stellen haben, gleichzeitig hat sie aber damit abgelehnt, die Versicherte zuzahlungsfrei mit dem begehrten Hilfsmittel zu versorgen. Damit liegt in dem Bescheid vom 27. Mai 2010 auch eine Teilablehnung des begehrten Hilfsmittels, soweit seine Kosten oberhalb des Festsetzungsbetrages für Hörhilfen in der gesetzlichen Krankenversicherung liegen. Der Antrag ist auch begründet.

Ist – wie hier – eine begehrte Leistung (noch) nicht zuerkannt worden, setzt eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 916 Zivilprozessordnung [ZPO]; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit feststellbar sind (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 917, 918 ZPO; Anordnungsgrund).

Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund bestehen. Die Antragsgegnerin ist im Wege der Sachleistung verpflichtet, der Versicherten das begehrte Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen und dafür eine entsprechende vorläufige Bewilligung vorzunehmen. Dabei ist es unerheblich, dass nicht schon ein Kostenerstattungsanspruch und ein Kostenerstattungsbegehren im Sinne des § 13 Abs. 3 SGB V vorliegt.

Denn die Antragsstellerin hat einen Anspruch auf vorläufige Versorgung mit der begehrten Hörhilfe. Versicherte haben nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung unter anderem mit Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (2. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (3. Alternative), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Leistungsbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen die Leistungen nach § 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkasse nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V; s. stellvertretend BSG, Urteil vom 16. September 2004 – B 3 KR 19/03 R).

Ein Anspruch auf die begehrte Versorgung besteht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Alternative 3 SGB V, denn das begehrte Hilfsmittel ist vorläufig erforderlich, um das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs zu erfüllen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, (elementare) Körperpflegen, selbstständige Wohnen sowie Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Ebenso gehört dazu das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Denn die notwendige medizinische Versorgung ist grundlegende Voraussetzung, um die elementaren Bedürfnisse des täglichen Lebens befriedigen zu können (s. BSG a.a.O. unter Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 3, dort m.w.Nachw.).

Die Antragstellerin kann, gemessen an diesen Maßstäben, zum Ausgleich der bei ihr bestehenden Hörbehinderung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung Hörgeräte beanspruchen, die über eine Störgeräuschunterdrückung und eine automatische Lautstärkeanpassung verfügen. Das dürfte zwischen den Beteiligten nicht streitig sein, denn die Antragsgegnerin geht auch davon aus, dass nur das begehrte Hilfsmittel des Typs Opticon Sumo DM für die Versorgung der Antragsstellerin notwendig ist. Sie hat dies durch ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren, dass sie gegen die Beigeladene führt und das zum Aktenzeichen S 7 KR 159/10 ER erfasst ist aus sicht der erkennenden Kammer hinlänglich verdeutlicht.

Die Geräte, die die Beigeladene eigenanteilsfrei angeboten hat, erfüllen nicht die für die Antragsstellerin notwendigen Anforderungen an die Hörgeräte. Deshalb stellen sie keine ausreichende Versorgung im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V für die bei der Antragstellerin bestehenden Behinderung dar.

Denn die Antragstellerin hat der im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes für das Gericht glaubwürdig und nachvollziehbar geschildert, dass sie nur mit dem begehrten Hilfsmittel eine ausreichende Korrektur ihres bestehenden erheblichen Hörverlustes erzielen kann. Das ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig. Insbesondere ist sie nur mit dem begehrten Hilfsmittel zweckmäßig und ausreichend versorgt, da sie nur mit dem begehrten Hilfsmittel eine Verbesserung des Hörvermögens um 50 % erreichte. Mit den anderen angebotenen Geräten wurde nur eine Verbesserung von 10 %, 20 % bzw. 30 % erzielt (Protokoll der Hörgeräteanpassung vom 15. Mai 2010).

Im vorliegenden Fall reicht ein Gerät das zum Festbetrag abgegeben wird gerade objektiv nicht aus, um die Behinderung der Antragstellerin ausreichend zweckmäßig auszugleichen. Mit den Hörgeräten zum Festbetrag Unitron Next Essential High Power und Oticon Go Power wurde nur eine Besserung von 10 bzw. 20 % erzielt. Die Antragsgegnerin ist dem entsprechenden Protokoll der Hörgeräteanpassung auch nicht entgegen getreten. Vielmehr hatte sie sogar die Beigeladene aufgefordert, die Versicherte mit dem begehrten Hilfsmittel zu versorgen.

Die Antragsgegnerin kann der Antragstellerin nicht entgegen halten, dass die Beigeladene das begehrte Hilfsmittel zum Festbetrag ausgeben muss.

Denn diese Regelung besteht im Rahmen des Vertragsverhältnisses zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen, jedoch nicht im Verhältnis zwischen der versicherten Antragstellerin und der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin ist im Wege des Sachleistungsprinzips verpflichtet, die Antragstellerin ausreichend medizinisch zu versorgen, entsprechend muss sie die begehrte Versorgung zumindest vorläufig bewilligen. Der Verweis darauf, dass die Beigeladene das begehrte Gerät zum Festbetrag ausgeben muss, tangiert das Sachleistungsprinzip nicht.

Denn auch das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 (AZ: B 3 KR 20/08 R) dargetan, dass soweit der Festbetrag für einen Behinderungsausgleich objektiv nicht ausreicht, dieser Umstand bei der Verpflichtung der Krankenkasse zur – von Zuzahlungen abgesehenen – kostenfreien Versorgung der Versicherten führt (Rd. 8.).

Das BSG hat weiter dargelegt, dass maßgebend für die gerichtliche Beurteilung des Festbetrages in tatsächlicher Hinsicht der Versorgungsbedarf ist, wie er von dem zu entscheidenden Einzelfall ausgehend für jeden Betroffenen in vergleichbarer Lage allgemein besteht (Rd. 11). Auch in dem vom BSG vorliegenden, wie im hiesigen Fall, ist die Gruppe von Schwersthörgeschädigten mit einem beidseitigen Hörverlust von nahezu 100 % zu beurteilen gewesen.

Bei der Antragstellerin würde aber die Versorgung mit einem Festbetragsgerät hinter der Möglichkeit zurückstehen, die nach dem Stand der Hörgerätetechnik zum jetzigen Zeitpunkt besteht und Menschen mit hochgradiger Behinderung wesentliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben bietet.

Die Antragstellerin hat im Termin zur Erörterung glaubwürdig dargelegt, dass sie nur mit dem begehrten Hilfsmittel eine ausreichende Sprachverständigung mit ausreichender Störgeräuscheunterdrückung und mit dem fast vollständigen Fehlen von Rückkopplungen erzielen kann. Sie muss sich nicht darauf verweisen lassen, auf die Nutzung dieser technischen Vorteile zu verzichten. Die Antragsgegnerin hat in dessen nicht dargetan, dass eine andere Versorgung im Falle der Antragstellerin in Betracht käme und sie auch mit einem Gerät zum Festbetrag – das eben gerade nicht gezeigt oder aufgezeigt wurde – versorgt werden kann.

Sie kann der Antragstellerin auch nicht entgegenhalten, dass sie den Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen geschlossen habe. Sie verkennt, dass die Antragstellerin gesetzliche Leistungsansprüche nicht gegen Leistungserbringer hat, sondern gegen sie als die Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung. Es kann folglich nur Aufgabe der Antragsgegnerin sein, bei den Leistungserbringern oder der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker als Vertragspartnerin darauf hinzuwirken, dass Hörhilfen zum Festbetrag vorgehalten werden, welche auch die bei der Antragstellerin vorliegende Behinderung ausgleichen. Die Antragstellerin ist lediglich verpflichtet, sich das benötigte Hilfsmittel bei zugelassenen Leistungserbringern oder Hilfsmittel-Lieferanten auszusuchen und um die entsprechende Genehmigung bei der Antragsstellerin nachzusuchen (§ 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V, s. dazu BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 1). Dies hat die Antragsstellerin getan.

Die Antragsgegnerin kann die Antragsstellerin aus diesem Grund auch nicht darauf verweisen, erst den den Festbetrag überschießenden Betrag vorzufinanzieren und letztlich einen Anspruch auf Kostenerstattung geltend zu machen, denn der Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung richtet sich grundsätzlich auf das Sachleistungsprinzip und die Kostenerstattung findet nur im Ausnahmefall des § 13 Abs. 3 SGB V statt.

Die Antragsgegnerin muss der Antragsstellerin daher eine vorläufige Bewilligung über die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel ohne Begrenzung auf den Festbetrag bewilligen. Ob sie dafür das begehrte Hilfsmittel gegenüber der Beigeladenen unter Vorbehalt zahlt oder ob die Beigeladenen dazu im gerichtlichen Verfahren verpflichtet werden tangiert den Anspruch der Antragsstellerin gegenüber der Antragsgegnerin nicht.

Auch ein Anordnungsgrund ist hier gegeben, die Antragstellerin ist zur Zeit mit zwölf Jahre alten Hörgeräten versorgt, mit denen sie bei Gesprächen mit Unbekannten kein ausreichendes Hörverstehen mehr hat, außerdem kann sie mit diesen Hörgeräten keine Telefonate führen. Ein Zuwarten auf eine gerichtliche Entscheidung ist ihr nicht zuzumuten. Ebenfalls ist es ihr nicht zuzumuten ausschließlich über einen Gebärdendolmetscher zu kommunizieren oder andere Personen für sie telefonieren zu lassen.

Dies gilt umso mehr als die Antragstellerin bemüht ist sich wieder ins Arbeitsleben einzugliedern, wofür sie sich gegebenenfalls auch telefonisch bewerben und vorstellen muss und auch in Bewerbungssituationen auf eine ausreichende Versorgung mit Hörhilfen angewiesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in analoger Anwendung und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.
Rechtskraft
Aus
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