L 10 AL 78/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 128/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 78/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Höhe des Insolvenzgeldes bei Tilgungsbestimmung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber
I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.02.2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 15.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2007 und der Bescheid vom 17.03.2008 werden abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weiteres Insolvenzgeld in Höhe von 2.095,00 EUR netto monatlich zu zahlen.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers und des Beigeladenen zu zahlen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des Insolvenzgeldes.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 17.10.2006 die Bewilligung von Insolvenzgeld. Das Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers sei am 01.10.2006 eröffnet worden. Er machte unter Vorlage von Unterlagen aus seinem arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen seinen vormaligen Arbeitgeber geltend, für Mai und Juni 2005 seien Gehaltsansprüche noch offen. Im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Vergleiches vom 14.11.2005 seien offene Arbeitsentgeltansprüche für den Zeitraum vom 15.12.2004 bis 30.06.2005 in Höhe von 6.180,59 EUR (netto - Ziffer 1 des Vergleiches) abgegolten worden. Zudem sei eine Urlaubs- und Überstundenabgeltung in Höhe von 7.443,28 EUR (brutto - Ziffer 2 des Vergleiches) vereinbart gewesen.

Der Beigeladene (Beig.) bescheinigte mit der Insolvenzgeldbescheinigung die für Mai 2005 (3.028,37 EUR) und Juni 2005 (3.070,93 EUR) noch ausstehenden Ansprüche auf Arbeitsentgelt (6.099,30 EUR), wobei von den Bezügen für Mai 2005 bereits gezahltes Arbeitsentgelt in Höhe von 2.500.- EUR abzusetzen sei. In den Monaten Januar und Februar 2006 sowie von April bis Juni 2006 habe der Kläger monatliche Arbeitentgeltzahlungen von 500.- EUR brutto ( 419.- EUR netto) erhalten.

Hierauf bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 15.11.2006 Insolvenzgeld für Mai 2005 in Höhe 528,37 EUR sowie für Juni 2005 in Höhe von 3.070,93 EUR.

Mit einem Widerspruch machte der Kläger geltend die Arbeitsentgeltforderung in Höhe von 6.180,59 EUR sei im arbeitsgerichtlichen Vergleich als Nettolohnforderung vereinbart, wohingegen die Überstunden und Urlaubsabgeltung als Bruttozahlungen erfolgen sollten. Das geschuldete Arbeitsentgelt sei bereits abgerechnet gewesen, so dass die nachfolgenden Abrechnungen (500.- brutto/ 419.- netto) sowie die damit in Zusammenhang stehenden Zahlungen auf die Überstunden und Urlaubsabgeltung zu beziehen seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die vom Kläger geltend gemachten Zahlungen seien mit keiner Tilgungsbestimmung versehen gewesen. Nach der gesetzlichen Regelung § 366 Abs 2 Alt. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei die älteste Forderung zu tilgen, d.h. die Arbeitentgeltforderung, weil die Urlaubsabgeltung und die Überstunden erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig gewesen seien.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Die Tilgungsbestimmung sei eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die auch konkludent abgegeben werden könne. Maßgeblich sei der objektive Empfängerhorizont. Nachdem das Arbeitsentgelt (Ziffer 1 des Vergleiches) bereits abgerechnet gewesen seien, seien die 5 Gehaltsabrechnungen (Januar, Februar, April, Mai und Juni 2006) als Tilgungsbestimmung in Bezug auf die bis dahin nicht abgerechneten Ansprüche zu verstehen. Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 20.02.2008 zur Zahlung von 405.- EUR verpflichtet, weil nicht der Bruttobetrag von 2.500.- EUR ,sondern lediglich das gezahlte Nettoentgelt von 2.095.- EUR (= 5 x 419.- EUR) in Abzug zu bringen sei. Im Übrigen sei die Berechnung des Insolvenzverwalters, über die sich die Beklagte nicht hinwegsetzen könne, nicht zu beanstanden. Eine Tilgungsbestimmung sei nicht zu erkennen; im übrigen sei die Auffassung der Beklagten in Bezug auf die Anwendung des § 366 Abs 2 BGB nicht zu beanstanden.

Mit der zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegten Berufung hat der Kläger zudem vorgetragen, das SG habe die Frage der Tilgungsbestimmung nicht geprüft und im weiteren die Vorschrift des § 366 Abs 2 BGB in unzutreffender Weise angewandt. Bei Beachtung der gesetzlich vorgegebenen Tilgungsreihenfolge sei vor der Frage des Alters der Forderung, die geringere Sicherung des Gläubigers zu beachten; angesichts der Insolvenzgeldsicherung sei die Urlaubsabgeltung und die nicht gesicherte Überstundenvergütung vorrangig zu berücksichtigen gewesen. Zudem treffe die Beklagte die Beweislast für die Reihenfolge der Tilgung.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.02.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2007 und des Bescheides vom 17.03.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger weiteres Insolvenzgeld in Höhe von 2.095 EUR netto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Ausführungen zur Tilgungsbestimmung seien nicht überzeugend. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen keine Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Abrechnungen ausgewiesen seien. Hinsichtlich der Sicherheit der Forderung sei auf den Zahlungszeitpunkt abzustellen; insoweit spreche nichts für einen vermuteten Parteiwillen, die im Insolvenzfall sicherere Forderung nachrangig tilgen zu wollen. Es sei auch zweifelhaft, ob die Insolvenzsicherung eine solche Sicherung darstellen könne. Zuletzt entspräche diese Sichtweise nicht den Interessen der Insolvenzgeldsicherung.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und in der Sache begründet. Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs 2 SGG).

Das Urteil des Sozialgerichtes Nürnberg vom 20.02.2008 ist abzuändern, denn der Kläger hat einen weiteren Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe von 2.095.- EUR. Der Bescheid der Beklagten vom 15.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 14.02.2007 ist insgesamt rechtswidrig, soweit die Beklagte Zahlungen des Arbeitgebers im Zeitraum von Januar 2006 bis einschließlich Juni 2006 als Zahlungen zur Erfüllung des Arbeitentgeltanspruches angesehen hat, der durch das Insolvenzgeld gesichert ist. Der Kläger ist durch die Entscheidung der Beklagten in seinen Rechten verletzt, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG.

Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben (§ 183 Abs 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Dritte Buch - SGB III).

Vorliegend ist zwischen den Beteiligten die Höhe des Arbeitsentgeltanspruches von 6.099,30 EUR im Insolvenzgeldzeitraum (01.05.2005 bis 30.06.2005) unstreitig. Die Beklagte hat diesem Zusammenhang jedoch zu Unrecht das vom Arbeitgeber in den Monaten Januar 2006 bis Juni 2006 gezahlte Entgelt von 2.095.- EUR netto (= 5 x 419.- EUR) als Zahlungen auf die noch offenen Arbeitsentgeltansprüche für den Zeitraum Mai und Juni 2005 qualifiziert. Der Arbeitsentgeltanspruch des Klägers in Höhe von 6.099,30 EUR ist nicht durch Erfüllung (§ 362 Abs 1 BGB) teilweise erloschen, denn die Zahlungen des Arbeitgebers in den Monaten Januar 2006 bis Juni 2006 sind nach den mit diesen Zahlungen verbundenen Tilgungsbestimmungen als Leistungen auf die noch offenen Forderungen des Klägers zur Abgeltung der Überstunden und des Urlaubes - wie in Ziffer 2. des arbeitsgerichtlichen Vergleiches vom 14.11.2005 vereinbart - zu verstehen. Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt (§ 366 Abs 1 BGB). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist vorliegend nicht auf die gesetzliche Reihenfolge des § 366 Abs 2 BGB abzustellen, denn diese greift erst, wenn eine Tilgungsbestimmung nicht festzustellen ist. Vorliegend hat der Arbeitgeber des Klägers zwar nicht ausdrücklich die Forderung bezeichnet, auf die die Zahlungen in den Monaten Januar bis Juni 2006 erfolgen sollten, denn die Entgeltabrechnungen beziehen sich lediglich auf einen "Lohn/ Gehaltsrückstand" der sich nach dem Wortlaut sowohl auf das Arbeitsentgelt, als auch auf die im Vergleich vom 14.11.2005 geregelte Überstundenvergütung beziehen kann. Eine Tilgungsbestimmung kann als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung jedoch auch stillschweigend abgegeben werden (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, 69. Aufl., §366 Rn. 4a mwN) und deren objektiver Erklärungswert ist - gegebenenfalls - zu ermitteln, ehe auf die gesetzliche Tilgungsreihenfolge abgestellt werden kann.

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die Zahlungen in den Monaten Januar 2006 bis Juni 2006 für einen verständigen Zahlungsempfänger in keine Beziehung zu dem geschuldeten Arbeitentgelt gebracht werden konnten, das nach dem arbeitgerichtlichen Vergleich vom 14.11.2005 netto geschuldet war und bereits am 31.05.2005 (für Mai 2005) und am 04.07.2005 (für Juni 2005) im Rahmen der Gehaltsbescheinigungen abgerechnet war.

In einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit dem Zahlungen (jeweils 419.- EUR netto aus 500.- EUR brutto) hat der Arbeitgeber des Klägers weitere Entgeltabrechnungen in Bezug auf diese Auszahlungen erstellt, die hinsichtlich des Arbeitsentgeltes nicht mehr benötigt worden wären, so dass sich im Ergebnis die Zahlungen aus Sicht eines objektiven Empfängers allein auf die Urlaubsabgeltung oder die Überstundenvergütung beziehen konnten. Allein diese waren brutto geschuldet und noch nicht im Rahmen einer Entgeltbescheinigung abgerechnet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass der Arbeitgeber eine andere Tilgungsbestimmung vornehmen wollte oder er sich über den Inhalt der Tilgungsbestimmung geirrt hätte, so dass im Ergebnis der insolvenzgeldgeschützte Arbeitsentgeltanspruch des Klägers durch die Zahlungen noch nicht erloschen war und der Kläger einen weitergehenden Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe von 2.095.- EUR (= 5 x 419.- EUR) hat. Dem steht auch nicht die Insolvenzgeldbescheinigung des Beig. entgegen, denn diese entfaltet mangels konstituierender Wirkung keine Bindungswirkung für die Beklagte oder die Gerichte (vgl. LAG München, Urteil vom 21.12.1988 - 7 Sa 637/88 - NZA 89, 320). Die Insolvenzgeldbescheinigung vermittelt der Beklagten lediglich einen Kenntnisstand über offene Gehaltsansprüche. Ebenso wenig wie einem Arbeitgeber obliegt es nicht dem Insolvenzverwalter, abschließend und bindend für die Beteiligten über streitige Arbeitsentgeltansprüche zu entscheiden. Dies ist allein Aufgabe der Gerichte.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt aus dem Unterliegen der Beklagten.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Absatz 2 Nr.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved