L 27 P 107/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 11 P 50/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 107/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. Juli 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe I.

Bei dem 1941 geborenen Kläger bestehen nach einer Kinderlähmung seit 1942 eine Lähmung am rechten Bein mit Muskelschwund, eine Beinverkürzung und eine Wirbelsäulenverkrümmung. Im Januar 2004 erlitt er bei einem Sturz einen Oberschenkenbruch, der operativ versorgt wurde. Bis zum 10. März 2004 unterzog er sich einer Reha-Behandlung.

Der Kläger beantragte am 1. Juni 2004 bei der Beklagten Pflegegeld. Diese holte daraufhin das MDK-Gutachten der Pflegefachkraft B vom 19. Oktober 2004 ein, die eine erhebliche Pflegebedürftigkeit verneinte: Der tägliche Hilfebedarf in der Grundpflege betrage 11 Minuten, der Zeitbedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung umfasse 45 Minuten pro Tag. Dem Gutachten folgend lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 28. Oktober 2004 ab. Auf den Widerspruch des Klägers veranlasste die Beklagte eine weitere Begutachtung durch den MDK. Die Pflegefachkraft Z ermittelte im Gutachten vom 16. August 2005 einen Zeitaufwand in der Grundpflege von 23 Minuten pro Tag. Unter Bezugnahme auf die Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2005 zurück.

Mit der bei dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte das Gutachten der Diplom-Pflegepädagogin L vom 24. September 2007 eingeholt, die für den Zeitraum von 2004 bis 2006 einen täglichen Zeitaufwand für die Grundpflege von 38 Minuten und für die hauswirtschaftlichen Verrichtungen von 53 Minuten ermittelt hat. Im Einzelnen betrage der Zeitbedarf im Bereich der

Körperpflege: 1 x täglich Teilübernahme bei der Teilwäsche des Oberkörpers 5 min./Tag 1 x täglich Teilübernahme bei der Teilwäsche des Unterkörpers 5 min./Tag 1 x wöchentlich Teilübernahme beim Baden 3 min./Tag 2 x täglich Teilübernahme bei der Zahnpflege 1 min./Tag 1 x täglich Teilübernahme beim Rasieren 1 min./Tag 2 x täglich Unterstützung beim Richten der Bekleidung 1 min./Tag 1 x täglich Vollübernahme Wechsel/Entleerung Urinbeutel/Toilettenstuhl 2 min./Tag

Ernährung: 1 x täglich Teilübernahme bei der mundgerechten Zubereitung 6 min./Tag

Mobilität: 1 x täglich Teilhilfe beim Aufstehen/Zubettgehen 2 min./Tag 1 x täglich Teilhilfe beim Ankleiden 5 min./Tag 1 x täglich Teilhilfe beim Entkleiden 3 min./Tag 3 x täglich Teilhilfe beim Gehen 3 min./Tag 1 x wöchentlich Teilhilfe beim Wannentransfer oder alternativ 1 x wöchentlich Teilhilfe beim Treppensteigen zur Nutzung der Dusche 1 min./Tag.

Die Sachverständige hat ferner festgestellt, dass der Hilfebedarf in der Grundpflege sich durch die erfolgreichen Reha-Maßnahmen und die physiotherapeutische Unterstützung ab 2007 auf 4 Minuten täglich reduziert habe

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Juli 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass der Kläger nicht erheblich pflegebedürftig sei. Zutreffend habe die Gutachterin unter Würdigung der Ressourcen des Klägers und Beachtung seiner eigenen Erklärungen zur Pflegesituation für den Zeitraum von 2004 bis 2006 den täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege bei der Körperpflege mit 18 Minuten, bei der Ernährung mit 6 Minuten und bei der Mobilität mit 14 Minuten, also insgesamt mit 38 Minuten, festgestellt.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Arztes Dr. Sch vom 9. April 2010 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 6. August 2010 und vom 2. November 2010. Der Sachverständige hat eine erhebliche Pflegebedürftigkeit des Klägers verneint, da der tägliche Hilfebedarf in der Grundpflege bei der Körperpflege 16 Minuten, bei der Ernährung 6 Minuten und bei der Mobilität 8 Minuten, also insgesamt 30 Minuten, betrage.

Der Kläger hält auch diese gutachterlichen Feststellungen nicht für überzeugend. Er sei vom 10. März 2004 bis April 2007 pflegebedürftig gewesen. Unter Berücksichtigung des Zeitaufwands seiner Pflegeperson bei Arztbesuchen und physiotherapeutischen Behandlungen betrage der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege 52 Minuten täglich.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. Juli 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2005 zu verpflichten, ihm Pflegegeld der Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 9. Juli 2008 abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

Voraussetzung ist nach § 37 Abs. 1 SGB XI u.a., dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und mindestens der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, hat hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten zu betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.

Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass sein Grundpflegebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt mehr als 45 Minuten betrug. Dies hat das Sozialgericht unter Verwertung der im Verwaltungs- und im Klageverfahren erhobenen ärztlichen Feststellungen überzeugend dargelegt. Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils vom 9. Juli 2008 wird nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen.

Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren und die weiteren medizinischen Ermittlungen des Senats rechtfertigen keine abweichende Entscheidung: In Übereinstimmung mit sämtlichen im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Gutachten hat der Arzt Dr. Sch in seinem durch den Senat eingeholten Gutachten vom 9. April 2010 nachvollziehbar dargelegt, dass der Hilfebedarf des Klägers in der Grundpflege 45 Minuten täglich nicht übersteigt.

Der berücksichtigungsfähige Zeitaufwand für die Leistungen der Grundpflege wird entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht durch dessen Besuche bei Ärzten und Physiotherapeuten angehoben. Die Hilfe bei der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung ist nur dann zu berücksichtigen, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden. Als Maßnahme der Grundpflege anerkannt ist demgemäß die Hilfe durch Begleitung bei Arztbesuchen, wenn sie durchschnittlich wenigstens einmal wöchentlich anfallen. Die gleiche Voraussetzung gilt für die Begleitung zur Physiotherapie, wenn die Behandlung nicht nur die Stärkung oder Verbesserung der Fähigkeit zu eigenständiger Lebensführung dient, sondern auch zur Behebung oder Besserung einer Krankheit führen soll (vgl. Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 28. Mai 2003, B 3 P 6/02 R, SozR 4-3300 § 15 Nr. 1). Hilfen, die nicht regelmäßig mindestens einmal pro Woche anfallen, zählen hierbei nicht zum berücksichtigungsfähigen Pflegeaufwand (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 1999, B 3 P 13/98 R, SozR 3-3300, § 14 Nr. 11). Den eigenen Angaben des Klägers, wonach er im Jahr 2005 in 23 Fällen einen Arzt und in 18 Fällen einen Physiotherapeuten sowie im Jahr 2006 in 21 Fällen einen Arzt und in 46 Fällen einen Physiotherapeuten aufsuchte, lässt sich der erforderliche Wochenrhythmus nicht entnehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
Saved