S 15 U 34/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 34/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Entfernung ärztlicher Stellungnahmen aus der über ihn geführten Verwaltungsakte der Beklagten.

Der Kläger äußerte im September 1997 gegenüber der Beklagten den Verdacht, dass er an einem Krankheitsbild leide, welches womöglich durch den beruflich bedingten Kontakt mit Holzschutzmitteln verursacht worden sei. Bis April 1991 war er nämlich als Schreiner tätig. Nachdem die Beklagte Informationen über den betreffenden Arbeitsplatz und auch ärztliche Unterlagen beigezogen hatte, übersandte sie die Akte ihrem Beratungsarzt Dr. S. mit der Bitte, eine beratungsärztliche Stellungnahme abzugeben. Die daraufhin ergangene Stellungnahme des Dr. S. vom 15.03.1998 hatte folgenden Wortlaut: "Ich beziehe mich auf die Fragen in Ihrem Anschreiben vom 03.03.1998. Die Durchsicht der von Ihnen von den verschiedenen Ärzten zusammengetragenen Unterlagen ergibt weder den Anfangsverdacht für eine lösemittelinduzierte Erkrankung noch eine mögliche Atemwegserkrankung. Ein Krankheitsgeschehen, das sinnvoll in die Liste der Berufskrankheiten einzuordnen wäre, liegt nicht vor. Die Befunde ergeben auch keinen Hinweis dafür, dass eine Berufskrankheit beim Verbleib im Schreinerberuf drohen würde."

Am 25.08.1998 erließ die Beklagte einen Bescheid, in dem sie ausführte, dass die Erkrankung des Klägers keine Berufskrankheit nach der Zifferngruppe 13 noch nach irgend-einer Ziffer der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) sei. Nachdem der hiergegen eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.1998 zurückgewiesen wurde, legte der Kläger Klage zum Sozialgericht N. ein (Az.: S 15 U 364/98). In dem genannten Verfahren wurde von Amts wegen ein Gutachten des Prof. H. (Gutachten vom 09.08.1999) und ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Dr. B. (Gutachten vom 31.08.2000) eingeholt. Die Beklagte selbst legte dazu noch ein Gutachten des Prof. Dr. D. vom 07.02.2001 vor. Auch der Kläger brachte noch Stellungnahmen von Dr. M. vom 16.08.2001 und des PD Dr. B. vom 30.11.2001 zur Vorlage. Die Beklagte holte daraufhin nochmals fachkundige Beratung ein. Sie legte eine arbeitsmedizinische Beurteilung nach Aktenlage von ihrem Beratungsarzt Dr. L. vom 11.02.2002 dem Gericht vor. Nachdem im weiteren Verlauf des Verfahrens der Kläger die Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen durch die Beklagte rügte, erklärte diese gegenüber dem Gericht am 09.08.2005, dass sie das Gutachten des Prof. Dr. D. aus den Akten entfernt und vernichtet hätte. Ebenso habe sie die Stellungnahme des Dr. L. insoweit teilweise gelöscht, als darin Bezug auf das Gutachten des Prof. Dr. D. genommen wurde.

Der Kläger forderte darüber hinaus eine vollständige Löschung der Stellungnahme von Dr. L. vom 11.02.2002 und der Stellungnahme von Dr. S. vom 15.03.1998. Mit Bescheid vom 24.10.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ein solcher Anspruch auf Löschung nicht bestehe. In dem Bescheid wurde ausgeführt, dass es sich bei den genannten Stellungnahmen entgegen dem Vorbringen des Klägers um keine Gutachten im Sinne des § 200 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) handele. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2007 zurückgewiesen.

Mit seiner am 19.02.2007 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Entfernung der ärztlichen Stellungnahmen von Dr. S. und Dr. L. aus den Akten. Zur Begründung trägt er u. a. vor, dass die besagten Stellungnahmen als Gutachten im Sinne des § 200 Abs. 2 SGB VII zu qualifizieren seien. Die Beklagte hätte daher die Bestimmung des § 200 Abs. 2 SGB VII beachten müssen. Dem Kläger seien jedoch weder mehrere Gutachter benannt worden, noch habe ihn die Beklagte über sein Widerspruchsrecht informiert. Der Kläger legte hierzu auch Schreiben des Bundesversicherungsamtes und des Bundesbeauftragten für den Datenschutz vor.

Das Gericht hat die Akten aus dem Verfahren S 15 U 364/98 beigezogen.

Der Kläger beantragt:

1. Der Widerspruchsbescheid vom 19.01.2007 und der zugrunde liegende Bescheid werden aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Gutachten bzw. ärztlichen Stellungnahmen von Dr. med. S. vom 15.03.1998 sowie von Dr. med. L. vom 11.02.2002 aus den Akten zu entfernen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der notwendigen Auslagen der Klagepartei und dies auch für das Widerspruchsverfahren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten, der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte, insbesondere auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht erhobene Klage ist zulässig.

Sie erweist sich jedoch als unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 24.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2007 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Löschung der in den Verwaltungsakten der Beklagten enthaltenen ärztlichen Stellungnahme von Dr. S. vom 15.03.1998 sowie der Stellungnahme des Dr. L. vom 11.02.2002, welche im gerichtlichen Verfahren eingeholt und Bestandteil der Gerichtsakten wurde.

Ein Löschungsanspruch nach § 84 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) besteht nicht. Entsprechend dieser Vorschrift sind Sozialdaten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Eine solche unzulässige Speicherung von Sozialdaten liegt hier jedoch nicht vor. Nach Ansicht des Gerichts ist hier nämlich die Vorschrift des § 200 Abs. 2 SGB VII von der Beklagten nicht verletzt worden. Bei den Äußerungen von Dr. S. und Dr. L. handelt es sich nicht um Gutachten im Sinne dieser Vorschrift.

Gemäß den grundlegenden Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 05.02.2008 (Az.: B 2 U 8/07 R und B 2 U 10/07 R) ist der Begriff des Gutachtens in § 200 Abs. 2 SGB VII eng auszulegen. Demnach liegt ein Gutachten in diesem Sinne vor, wenn ein solches angefordert oder ausweislich seiner Selbstbezeichnung erstellt und übersandt oder abgerechnet wurde. Unabhängig von dieser rein äußerlichen Bezeichnung ist zur weiteren Unterscheidung vom Bezugspunkt der schriftlichen Äußerung des Sachverständigen auszugehen: Enthält sie vornehmlich eine eigenständige Bewertung der verfahrensentscheidenden Tatsachenfragen, ist es ein Gutachten. Wird hingegen im Wesentlichen die Schlüssigkeit, Überzeugungskraft oder Beurteilungsgrundlage anderer Beurteilungen überprüft, liegt lediglich eine beratende Stellungnahme vor (vgl. BSG, a. a. O.).

Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte kann die Stellungnahme des Dr. S. vom 15.03.1998 bereits nach seinem äußeren Erscheinungsbild nicht als ein Gutachten im Sinne des § 200 Abs. 2 SGB VII angesehen werden. Die besagte Stellungnahme besteht aus lediglich sieben Zeilen, in denen mitgeteilt wird, dass sich aus den zusammengetragenen Unterlagen kein Krankheitsgeschehen ersehen lasse, welches sinnvoll in die Liste der Berufskrankheiten einzuordnen wäre. Nach Ansicht des Gerichts erfüllt diese kurze Stellungnahme nicht einmal die Minimalanforderungen an ein Gutachten.

Zwar ist die Stellungnahme des Dr. L. vom 11.02.2002 ungleich umfangreicher, dennoch stellt auch sie kein Gutachten im Sinne des § 200 Abs. 2 SGB VII dar. Entsprechend den Kriterien des Bundessozialgerichts setzt sich Dr. L. im Wesentlichen mit der Schlüssigkeit und Überzeugungskraft der vorliegenden Beurteilungen von Prof. H., Dr. B., Dr. M. und PD Dr. B. auseinander, so dass hier von einer beratungsärztlichen Stellungnahme im klassischen Sinne auszugehen ist.

Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass ein Verstoß gegen das Widerspruchsrecht nach § 200 Abs. 2 SGB VII i. V. m. § 76 Abs. 2 SGB X bereits deshalb nicht in Betracht kommt, weil hier keine Übermittlung von Sozialdaten an Dritte im Sinne des § 67 Abs. 6

Nr. 3 und Abs. 10 SGB X vorliegt. Sowohl Dr. Sültz als auch Dr. L. waren als vertraglich gebundene Beratungsärzte der Beklagten nicht "Dritte" im Sinne der Vorschrift des § 67 SGB X. Das Bundessozialgericht hat in den genannten Urteilen vom 05.02.2008 ausgeführt, dass es den Unfallversicherungsträgern auch für die Bearbeitung eines Gerichtsverfahrens gestattet ist, Hilfe sog. Beratungsärzte in Anspruch zu nehmen. Diese Beratungsmöglichkeit ist nicht nur auf Ärzte, die in einem Beschäftigungsverhältnis bei dem jeweiligen Unfallversicherungsträger stehen, beschränkt. Auch andere Ärzte können durch den Abschluss entsprechender Dienst- oder Beratungsverträge höherer Art zu sog. Beratungsärzten werden, die dann als Teil des Unfallversicherungsträgers tätig werden (vgl. BSG, a. a. O.). Diese Beratungsärzte sind dann eben nicht mehr als "Dritte" im Sinne des § 67 SGB X anzusehen. So auch im Falle der hier tätig gewordenen Dr. S. und Dr. L.

Nach alledem ist festzuhalten, dass sich das Tätigwerden von Dr. S. und Dr. L. im Rahmen der Vorgaben des Urteils des Bundessozialgerichts vom 05.02.2008 bewegte. Die Vorschrift des § 200 Abs. 2 SGB VII wurde durch die Beklagte nicht verletzt. Dem Kläger steht daher der begehrte Löschungsanspruch nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zu.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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