L 6 VG 1149/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 VG 1789/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 1149/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Grundrente wegen der Folgen eines tätlichen Angriffs.

Der 1953 geborene, aus R. stammende und seit 1991 in Deutschland lebende Kläger wurde am 19.09.1999 gegen 1:20 Uhr bei einem Kontrollgang auf dem Parkplatz der von ihm damals betriebenen Diskothek von einem Gast niedergestochen. Dabei erlitt er eine circa 15 cm lange im Fettgewebe endende Schnitt-/Stichwunde im linken Mittel- beziehungsweise Unterbauch in der Nähe des Nabels. Der Kläger wurde in lebensbedrohlichem Zustand (telefonische Auskunft des diensthabenden Oberarztes gegenüber der Kriminalpolizei am 19.09.1999) in die Chirurgische Abteilung des Kreiskrankenhauses S. eingeliefert. Dort erfolgte beim Kläger im Rahmen der bis zum 23.09.1999 dauernden stationären Behandlung eine Wundversorgung der Schnittwunde im linken Mittel- und Unterbauch (Durchgangsarztbericht vom 24.09.1999, Arztbrief vom 15.10.1999).

Der Kläger gab seine Diskothek im Jahr 2000 auf. Sein Versuch, in den Jahren 2000/2001 ein Speiselokal zu betreiben, scheiterte. Seit dem Jahr 2005 betreibt er eine Kneipe. Psychiatrische Behandlungen führte der Kläger nur sporadisch durch. Während er seit Oktober 1999 in längeren Abständen vom Neurologen und Psychiater Dr. W. gesehen wurde, fanden zwischen Juni und November 2002 bei der Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin N.-M. sieben probatorische Sitzungen statt.

Der Kläger beantragte am 11.10.1999 beim ehemaligen Versorgungsamt R. die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Am 22.10.1999 stellte sich der Kläger erstmals wegen Schlafstörungen, einer depressiven Verstimmung, zeitweiligen Arbeitsstörungen und Angstzuständen bei Dr. W. vor, der ihn in der Folge nur in längeren Abständen sah und medikamentös behandelte (Befundberichte vom 19.10.2002, 08.02.2003 und 28.03.2003, sachverständige Zeugenauskunft vom 05.04.2004). Beim Kläger erfolgte im Rahmen der stationären Behandlung in der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses S. vom 09.03.2000 bis zum 13.03.2000 eine diagnostische Laparoskopie und ein Bruchpfortenverschluss (Bericht vom 20.03.2000). Vom 20.11.2000 bis zum 18.12.2000 absolvierte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Federseeklinik, Abteilung Orthopädie, Bad B. (Entlassungsbericht vom 22.01.2001). Nach versorgungsbehördlicher Einholung des über den Kläger von der A. - Die Gesundheitskasse - Sigmaringen geführten Vorerkrankungsverzeichnisses und Beiziehung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten sowie der Akten der die Schädigungsfolgen als Folgen eines Arbeitsunfall beurteilenden Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststättenwesen schlug die Versorgungsärztin Köpf in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.12.2000 die Anerkennung einer Narbe im Bereich des linken Mittel- und Unterbauchs als Schädigungsfolge vor und schloss, da die Bauchhöhle nicht geöffnet sei, Verwachsungsbeschwerden aus. Mit Erstanerkennungsbescheid vom 22.12.2000 stellte das Versorgungsamt als Schädigungsfolge eine Narbe im Bereich des linken Mittel- und Unterbauchs fest, führte aus, für diese Schädigungsfolgen bestehe ein Anspruch auf Heilbehandlung, und lehnte Grundrente ab, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nicht mindestens 25 vom Hundert (v. H.) betrage.

Ab 13.06.2002 wurde der Kläger durch die Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin N.-M., die eine posttraumatische Belastungsstörung und eine schwere reaktive depressive Entwicklung diagnostizierte, behandelt (Befundbericht vom 05.12.2002, sachverständige Zeugenauskunft vom 26.04.2004). Der Kläger beantragte am 17.07.2002 die Überprüfung des Bescheides vom 22.12.2000 und führte zur Begründung aus, er sei mit den psychischen Folgen der Tat nicht fertig geworden und insoweit immer noch in psychiatrischer Behandlung.

Das Versorgungsamt zog den Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. W. vom 23.10.1999 (anhaltende Insomnie mit Alpträumen als posttraumatische Belastungsreaktion) sowie den Entlassungsbericht des Dr. H., Federseeklinik, Abteilung Orthopädie, Bad B., vom 22.01.2001 (rechts-betonte Lumboischialgie bei Bandscheibenvorfall L4/5 sowie rezidivierende Iliosacralgelenks-Blockierung, Hyperlipidemie, Hyperurikämie, Adipositas; guter Schlaf; ferner wurde über eine posttraumatische Epilepsie einer Schwester berichtet) bei und holte den Befundbericht der Orthopäden Dres. R. und L. vom 04.10.2002 (chronisches Lumbalsyndrom bei Wurzelreiz L5 rechts) ein.

Der Kläger legte die Bescheinigungen des Dr. W. vom 26.09.2002 (anhaltende massive Schlafstörungen mit Alpträumen als posttraumatische Belastungsreaktion auf die Gewalttat; erstmalige Vorstellung am 22.10.1999 und seitdem quartalsmäßige Vorstellungen sowie medikamentöse Behandlung) und der Ärztin N.-M. vom 04.10.2002 (posttraumatische Belastungsstörung und schwere reaktive depressive Entwicklung) vor. Am 11.11.2002 stellte sich der Kläger letztmals bei der Ärztin N.-M. vor (Befundbericht vom 05.12.2002, sachverständige Zeugenauskunft vom 26.04.2004).

Vom 30.04.2003 bis zum 11.06.2003 absolvierte der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Schlossklinik, Rehabilitationsklinik für Neurologie und Psychosomatik, Bad B. (Entlassungsbericht vom 18.06.2003).

Das Versorgungsamt zog die Schwerbehindertenakte, insbesondere den Befundbericht des Dr. W. vom 28.03.2003, die Akte der Berufsgenossenschaft, insbesondere die Befundberichte des Dr. W. vom 19.10.2002 und der Ärztin N.-M. vom 05.12.2002, die beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. vom 13.01.2003, den Befundbericht des Dr. W. vom 08.02.2003 sowie die beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 29.08.2003, und über die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg den Entlassungsbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. K., Chefarzt an der Schlossklinik, Rehabilitationsklinik für Neurologie und Psychosomatik, Bad B., vom 18.06.2003 bei.

Dr. W. beschrieb eine anhaltende Insomnie mit Alpträumen als Teilsymptome einer leichtergradigen posttraumatischen Belastungsstörung und führte aus, die beim Kläger angelegte Disposition für Angst- und Panikzustände sei durch das Unfallereignis ausgelöst worden. Die Ärztin N.-M. berichtete über die durchgeführte tiefenpsychologische Betreuung des Klägers. Dr. Sch. führte aus, nach der Aktenlage sei eine posttraumatische Belastungsreaktion unwahrscheinlich, sehr viel wahrscheinlicher sei eine Auslösung der psychischen Auffälligkeiten durch unfallfremde Faktoren. Der Kläger habe erst nahezu drei Jahre nach dem Schädigungsereignis eine psychotherapeutische Behandlung begonnen. Dieser Auffassung schloss sich Dr. W. an. Dr. K. beschrieb insbesondere eine Angststörung, Schmerzen, einen gestörten Nachtschlaf mit Alpträumen und Schweißausbrüchen sowie seit vier Jahren zunehmende phobische Ängste vor Menschen, engen Räumen und Behörden und führte aus, belastende "live-events" aus der früheren Zeit in R. könnten Basis für die Angststörung sein, die durch die nachfolgende Körperverletzung psychopathologisch entgleist sei. Aus psychotherapeutischer Sicht liege keine MdE vor (Auskunft an das Sozialgericht Konstanz vom 16.04.2004). Dr. G. gelangte zu der Einschätzung, es bestehe keine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß, was sich aus der geringen psychischen Beeinträchtigung und der Tatsache ergebe, dass eine Kausalität zwischen dem Ereignis und der Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung eher fraglich und wohl eher im Sinne einer Gelegenheitsursache zu werten sei.

Sodann zogen das Versorgungsamt und das später zuständig gewordene Landratsamt Sigmaringen über die Berufsgenossenschaft die im Rahmen des auf die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gerichteten, beim Sozialgericht Konstanz unter dem Aktenzeichen S 6 U 424/04 und beim Landessozialgericht Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen L 10 U 5126/05 geführten Klage- und Berufungsverfahren angefallenen Akten, insbesondere die sachverständigen Zeugenauskünfte des Dr. W. vom 05.04.2004, des Dr. K. vom 16.04.2004 sowie der Ärztin N.-M. vom 26.04.2004, das auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholte Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. Dipl.-Psych. K.-H. vom 02.05.2005, die beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 03.06.2005, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 26.10.2005, den Entlassungsbericht des Dr. G., Gesundheitspark Bad K., vom 26.04.2006, die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 28.06.2006 und das Urteil des Landessozialgerichts vom 22.02.2007 bei.

Dr. W., bei dem der Kläger sich erstmals am 22.06.1995, dann regelmäßig ab 22.10.1999 vorstellte, beschrieb eine Angst sowie eine Depression und ging von einer kontinuierlichen Verschlechterung der gesundheitlichen Verfassung und insbesondere vermehrten depressiven Phasen aus. Dr. K. berichtete, die Angststörung mit depressiven Anteilen sei durch das Heilverfahren deutlich verbessert worden, aus psychotherapeutischer Sicht bestehe keine MdE. Die Ärztin N.-M. beschrieb eine posttraumatische Belastungsstörung, in deren Rahmen es typischerweise zu einer anhaltenden Verschlechterung der Stimmungslage, einem Verlust von sozialer Kompetenz und nachhaltiger Einschränkung der Fähigkeit komme, und führte aus, eine aktive psychologisch fundierte Einzeltherapie sei nicht durchgeführt worden. Aufgrund von sieben probatorischen Sitzungen sei eine fundierte Einzeltherapie von der Krankenkasse bewilligt worden, die der Kläger aber nicht wahrgenommen habe. Sie habe ihn nur von Juni bis November 2002 behandelt. Dr. Dipl.-Psych. K.-H. gelangte zu der Einschätzung, die jetzt noch vorliegenden psychischen Störungen seien nur noch zu einem geringen Teil mit dem Unfallereignis in Verbindung zu bringen. Die vom Kläger geschilderten Alpträume mit Verfolgungsängsten seien wahrscheinlich persistierende Restsymptome der posttraumatischen Belastungsstörung. Nicht im Zusammenhang mit der Gewalttat stehe die kernspintomographisch festgestellte Hirnatrophie, deren Wertigkeit für das gesamte Zustandsbild allerdings nicht eindeutig einzuschätzen sei. Im Vordergrund stehe zudem ein anhaltendes ängstlich-depressives Zustandsbild, das durch die Gewalttat zwar ausgelöst, dann jedoch im Wesentlichen durch unfallfremde Faktoren unterhalten worden sei. Dr. H. sah keinen Vollbeweis für eine posttraumatische Belastungsstörung. Das Sozialgericht verurteilte die Berufsgenossenschaft, dem Kläger Rente nach einer MdE um 20 v. H. vom 12.10.1999 bis zum 30.09.2000 zu gewähren. Dr. G. beschrieb neben orthopädischen Erkrankungen eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Störung und äußerte den Verdacht auf ein Schlafapnoe-Syndrom. Dr. H. führte aus, hieraus ergäben sich keine Hinweise für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das Landessozialgericht wies die Berufung des Klägers auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 25 v. H. über den 30.09.2000 hinaus, zurück.

Ferner wurde der Befundbericht des Dr. M., Leitender Arzt der Neurologischen und Psychiatrischen Abteilung des Kreiskrankenhauses S., vom 03.05.2002 (sensibles Wurzelkompressionssyndrom L5 rechts bei mediolateralem Bandscheibenvorfall L4/5 rechts) beigezogen.

Seit November 2005 betreibt der Kläger wieder eine Kneipe. Aus einem im Frühjahr 2006 durchgeführten Reha-Verfahren wurde er für diese Tätigkeit als vollschichtig leistungsfähig entlassen (Entlassungsbericht des Gesundheitspark Bad K.).

Dr. Sch. führte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.10.2007 aus, als Schädigungsfolgen für die Zeit vom 19.09.1999 bis zum 30.09.2000 seien eine Narbe im Bereich des linken Mittel- und Unterbauchs sowie psychoreaktive Störungen feststellbar. Die MdE liege unter 25 v. H. Mit Bescheid vom 09.11.2007 änderte das Landratsamt den Bescheid vom 22.12.2000 ab und anerkannte als Schädigungsfolgen zusätzlich psychoreaktive Störungen für die Zeit vom 19.09.1999 bis zum 30.09.2000. Es führte aus, wegen der Schädigungsfolgen bestehe Anspruch auf Heilbehandlung, und lehnte die Gewährung von Grundrente ab, da die MdE nicht mindestens 25 v. H. betrage.

Hiergegen legte der Kläger am 11.12.2007 Widerspruch ein. Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den nicht begründeten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2008 aus den Gründen der Ausgangsentscheidung zurück.

Der Kläger erhob am 18.06.2008 Klage beim Sozialgericht Konstanz. Er legte die Bescheinigung des Dr. W. vom 20.01.2009 (Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung, nunmehr zusehends kognitive Leistungsminderung) vor.

Mit Urteil vom 22.01.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es folgte dabei dem Gutachten der Dr. Dipl.-Psych. K.-H ... Diese habe zutreffend und nachvollziehbar den Schluss gezogen, dass das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht erreicht werde. Es fehlten beispielsweise die typischen und äußerst belastenden Nachhallphänomene. Eine länger dauernde Extrembelastung sei mit der kurzzeitigen Lebensbedrohung durch den Messerstich nicht gegeben. Im Hinblick auf den eher mäßigen Ausprägungsgrad der Initialsymptome sei ein rasches Abklingen der posttraumatischen Störung zu erwarten gewesen. Es sei daher davon auszugehen, dass unfallfremde Faktoren die Störung weiter unterhielten.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 12.02.2009 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Kläger am 11.03.2009 Berufung eingelegt. Der Kläger hat ausgeführt, er sei erst durch die Gewalttat ängstlich und depressiv geworden. Auch hätten sich insoweit die weiteren psychischen Einschränkungen, insbesondere auch die auf Grund seines Rückzugs eingetretene familiäre Problematik, entwickelt. Insbesondere seien seine Potenzprobleme auf die Gewalttat zurückzuführen. Die Schädigungsfolgen seien nicht abgeklungen. Der Kläger hat den Arztbrief des Prof. Dr. O., Leiter der Hochschulambulanz an der Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums U., vom 24.06.2009 (stationäre Behandlung vom 01.04.2009 bis zum 29.04.2009; leichte kognitive Einschränkungen, Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung) vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Januar 2009 aufzuheben, den Bescheid des Landratsamts Sigmaringen vom 9. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 15. Mai 2008 abzuändern sowie den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid des Versorgungsamts Ravensburg vom 22. Dezember 2000 zurückzunehmen und ihm Grundrente zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das Gutachten des Dr. N., Chefarzt der Neurologischen Abteilung des Krankenhauses R., vom 18.05.2010 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die ängstlich-depressive Symptomatik des Klägers sei mit Wahrscheinlichkeit in wesentlicher Weise durch die Gewalttat verursacht. Dabei seien die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung erfüllt. Funktionell äußere sich diese psychische Störung in einem ängstlichen Vermeidungsverhalten in Form einer Kontaktvermeidung, insbesondere mit jüngeren Menschen und ausländischen Mitbürgern, und einer Vermeidung von Menschenansammlungen, einer depressiven Stimmungslage, einer vermehrten Reizbarkeit und Konzentrationsstörungen. Für zuvor bestehende angriffsunabhängige psychische Gesundheitsstörungen gebe es keinerlei Hinweise. Die psychischen Traumafolgen gingen mit einer deutlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einher. Eine wesentliche Besserung im zeitlichen Verlauf liege nicht vor. Sowohl die Ehekonflikte als auch die erfolglose berufliche Entwicklung seien Folge und nicht Ursache der psychischen Situation. Der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) betrage ab der Gewalttat 30.

Der Versorgungsarzt D. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.11.2010 ausgeführt, Dr. Dipl.-Psych. K.-H. habe in ihrem Gutachten ausführlich die wesentlichen schädigungsunabhängigen Faktoren beschrieben und gegenüber schädigungsbedingten Einwirkungen abgegrenzt. Auch wenn man bedenke, dass seit der Gewalttat nunmehr schon über elf Jahre vergangen seien, erscheine es unplausibel, dass nunmehr alle psychischen Beeinträchtigungen ausschließlich Folge der Gewalttat sein sollten. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass schädigungsunabhängige Faktoren die psychische Störung weiter unterhielten. Auch sei nicht sicher erwiesen, dass in zeitlicher Nähe zum Tatzeitpunkt überhaupt eine posttraumatische Belastungsstörung vorgelegen habe. Aber selbst wenn dies vorübergehend der Fall gewesen sein sollte, seien angesichts zahlreicher schädigungsunabhängiger Faktoren die beim Kläger vorliegenden psychischen Störungen nicht überwiegend als Schädigungsfolge anzusehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Senatsakten, der Akten des Sozialgerichts, der Akten des Beklagten, der beigezogenen, unter dem Aktenzeichen S 6 U 424/04 geführten Akten des Sozialgerichts und unter dem Aktenzeichen L 10 U 5126/05 geführten Akten des Landessozialgerichts sowie der ebenfalls beigezogenen Schwerbehindertenakten des Landratsamts verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine über die mit Bescheid vom 09.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2008 verfügte hinausgehende Rücknahme des Bescheides vom 22.12.2000 und demgemäß auch nicht auf Gewährung von Grundrente.

Dabei ist es unbeachtlich, dass dem Kläger Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt worden war. Zum Einen rechtfertigt bereits eine MdE um 20 v. H. die Gewährung einer solchen Rente, während die Bewilligung einer Grundrente einen GdS von 25 voraussetzt. Zum anderen würde nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) der Anspruch auf Versorgungsbezüge nur in Höhe der Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung, die ihrerseits wegen § 3 Abs. 4 Opferentschädigungsgesetz (OEG) nicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) ausgeschlossen sind, und damit vorliegend allenfalls für die Zeit von 12.10.1999 bis 30.09.2000 ruhen.

Verfahrensrechtlich richtet sich das Begehren des Klägers auf Überprüfung des Bescheides vom 22.12.2000 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Materiellrechtlich richtet sich das Begehren des Klägers nach § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit §§ 30 und 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem GdS ab 30 (§ 31 Abs. 1 BVG). Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).

Zwar orientiert sich der Senat bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, grundsätzlich an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV). Der Grundsatz, dass in Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der zu überprüfenden Entscheidung (Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, Rz. 29) zu Grunde zu legen ist, gilt aber auch für die Beurteilung der Frage, ob die VG beziehungsweise welche Fassung der AHP anzuwenden ist. Mithin sind vorliegend die im Zeitpunkt des Bescheides vom 22.12.2000 geltenden AHP 1996 zu Grunde zu legen.

Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (AHP 1996 Nr. 16 Satz 1; jetzt VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (AHP 1996 Nr. 36 Abs. 2 Satz 1; jetzt VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).

Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (AHP 1996 Nr. 37 Abs. 1; jetzt VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (AHP 1996 Nr. 37 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1; jetzt VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (AHP 1996 Nr. 37 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1; jetzt VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (AHP 1996 Nr. 37 Abs. 4 Sätze 1 bis 3; jetzt VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).

Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (AHP 1996 Nr. 38 Abs. 1 Sätze 1 und 2; jetzt VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (AHP 1996 Nr. 38 Abs. 2 Satz 1; jetzt VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (AHP 1996 Nr. 38 Abs. 4 Sätze 1 und 2; jetzt VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).

Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass mit Bescheid vom 22.12.2000, soweit er nicht mit Bescheid vom 09.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2008 zurückgenommen worden ist, das Recht nicht zu Lasten des Klägers unrichtig angewandt und von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Der Kläger hat mithin keinen Anspruch auf eine darüber hinaus gehende Rücknahme dieses Bescheides und auch nicht auf Gewährung von Grundrente.

Weder liegt beim Kläger eine über die Dauer von einem Jahr nach der Gewalttat fortdauernde posttraumatische Belastungsstörung im Vollbild oder eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vor, noch bedingen die jetzt noch vorhandenen Restsymptome der posttraumatischen Belastungsstörung einen GdS von mehr als 20, noch ist die darüber hinaus gehende depressive Störung und Angststörung des Klägers ursächlich auf die erlittene Gewalttat zurückzuführen.

Zur Beurteilung der Frage, ob beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger über den 30.09.2000 hinaus an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten hat beziehungsweise leidet.

Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.

Nach ICD-10 F 43.1 gelten folgende Grundsätze: Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.

Nach DSM-IV-TR 309.81 gelten folgende Grundsätze: Das Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2). Charakteristische Symptome, die aus der Konfrontation mit der extrem traumatischen Situation resultieren, sind das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederholten und aufdringlichen Erinnerungen an das Ereignis (Kriterium B1), von wiederkehrenden, quälenden Träumen, in denen das Erlebnis nachgespielt wird oder in anderer Form auftritt (Kriterium B2), von Erleben von oft als "flashbacks" bezeichneten dissoziativen Zuständen, während derer einzelne Bestandteile des Ereignisses wieder erlebt werden (Kriterium B3) oder, wenn die Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie an Aspekte des traumatischen Ereignisses erinnern oder die diese symbolisieren, in Form von intensiver psychischer Belastung (Kriterium B4) oder physiologischer Reaktionen (Kriterium B5). Charakteristische Symptome sind auch die andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, und eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität in der Form, dass die Person im Allgemeinen versucht, Gedanken, Gefühle oder Gespräche über das traumatische Ereignis (Kriterium C1) und Aktivitäten, Situationen oder Personen, die die Erinnerung an das Ereignis wachrufen (Kriterium C2) absichtlich zu vermeiden, wobei die Vermeidung des Erinnerns die Unfähigkeit mit einschließen kann, sich an einen wichtigen Aspekt des traumatischen Ereignisses zu erinnern (Kriterium C3), oder in Form von verminderter Reaktionsbereitschaft auf die Umwelt, welche üblicherweise sehr bald nach dem traumatischen Erlebnis eintritt (Kriterium C4), eines Gefühls der Isolierung und Entfremdung von Anderen (Kriterium C5) oder einer deutlich reduzierten Fähigkeit, Gefühle zu empfinden (Kriterium C6) oder in der Form, dass betroffene Personen das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft haben (Kriterium C7). Charakteristische Symptome sind auch anhaltende Symptome erhöhten Arousals in Form von Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, die durch wiederholte Albträume, in denen das traumatische Erlebnis wieder erlebt wird, hervorgerufen werden können (Kriterium D1), Hypervigilanz (Kriterium D4) und übertriebener Schreckreaktion (Kriterium D5), wobei manche Personen über Reizbarkeit oder Wutausbrüche (Kriterium D2) oder Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder Aufgaben zu vollenden (Kriterium D3), berichten. Das vollständige Symptombild muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium E) und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium F). Traumatische Erfahrungen, die direkt erlebt wurden, umfassen insbesondere kriegerische Auseinandersetzungen, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folterung, Kriegsgefangenschaft, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Symptome drei Monate oder länger andauern) und der posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders dann, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sowie der umfangreichen medizinischen Unterlagen ist der Senat nicht davon überzeugt, dass beim Kläger über den 30.09.2000 hinaus noch eine posttraumatische Belastungsstörung im Vollbild vorlag beziehungsweise vorliegt. Vielmehr leidet der Kläger seither allenfalls an Restsymptomen der durchgemachten posttraumatischen Belastungsstörung.

Bei der Gewalttat handelte es sich zwar um eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit des Klägers, so dass das Kriterium A1 erfüllt ist. Auch kann unterstellt werden, dass der Kläger auf dieses Erlebnis mit intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagiert hat und damit auch das Kriterium A2 gegeben ist. Gegen das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung im Vollbild spricht aber nach Überzeugung des Senats der Umstand, dass sich im Rahmen der anlässlich der Begutachtung durch Dr. Dipl.-Psych. K.-H. erfolgten Exploration jedenfalls die oben dargestellten B- und C-Kriterien nicht mehr haben feststellen lassen. Der Kläger hat nicht über anhaltendes Wiedererleben, "flashbacks", dissoziative Zustände, intensive traumabedingte psychische Belastungen oder physiologische Reaktionen berichtet. Er hat zwar ausgeführt, es komme immer wieder zu Alpträumen, in denen vor allem Verfolgungssituationen eine Rolle spielten, beziehungsweise zu "blöden" Träumen. Vom Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung ist aber insgesamt nicht auszugehen. Denn auch gegenüber Dr. N. hat er lediglich über Schlafstörungen mit Alpträumen, das Meiden von Menschenansammlungen und Ausländern, die Furcht vor einem Auftauchen des Täters und lebensmüde Phasen berichtet. Insbesondere fehlt es an der für das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung charakteristischen andauernden Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind. So betreibt der Kläger nach eigenen Angaben seit November 2005 wieder eine Kneipe, also einen Betrieb, der demjenigen, im Rahmen dessen es zu der Gewalttat gekommen ist, in seiner Art durchaus ähnlich ist. Ferner fehlt es, was Dr. Dipl.-Psych. K.-H. anschaulich geschildert hat, an den sonst sehr typischen Nachhallphänomenen mit affektiv sehr negativ besetzten, sich willkürlich auch tagsüber wieder aufdrängenden Bildern und Eindrücken des schädigenden Ereignisses. Der Senat folgt nach alledem nicht der Einschätzung von Dr. G. im Entlassungsbericht vom 26.04.2006, des Prof. Dr. O. in seinem Arztbrief vom 24.06.2009 und des Dr. N. in seinem Gutachten vom 18.05.2010. Dres. G. und N. haben ihre Diagnose eines posttraumatischen Belastungssyndroms nicht durch entsprechende Befunde untermauert. Ferner hat Prof. Dr. O. lediglich den Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung geäußert. Dieser Verdacht hat sich angesichts der Aktenlage aber nicht bestätigt.

Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass der Kläger an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung litt beziehungsweise leidet.

Bei der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 62.0. Eine entsprechende Kodierung im DSM-IV-TR ist nicht erfolgt. Im DSM-IV-TR sind diverse Arten von Persönlichkeitsstörungen, allerdings nicht eine solche nach Extrembelastung, definiert. Im DSM-IV-TR 301.9 ist die "nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung" beschrieben. Hierzu wird ausgeführt, es sei auch die Vergabe einer spezifischen Diagnose nach ICD-10 F 61 oder 62 zu erwägen (Saß, Wittchen, Zaudig, Houben; Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR, S. 35 und 265).

Nach ICD-10 F 62.0 gelten folgende Grundsätze: Eine andauernde, wenigstens über zwei Jahre bestehende Persönlichkeitsänderung kann einer Belastung katastrophalen Ausmaßes - wie beispielsweise andauerndes Ausgesetztsein lebensbedrohlicher Situationen, etwa als Opfer von Terrorismus, andauernder Gefangenschaft mit unmittelbarer Todesgefahr, Folter, Katastrophen oder Konzentrationslagererfahrungen - folgen. Die Belastung muss so extrem sein, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tief greifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht in Erwägung gezogen werden muss. Die Störung ist durch eine feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt, durch sozialen Rückzug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein und Entfremdungsgefühl, gekennzeichnet. Eine posttraumatische Belastungsstörung kann dieser Form der Persönlichkeitsänderung vorausgegangen sein.

Unter Berücksichtigung dessen ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass beim Kläger eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorlag beziehungsweise vorliegt. Bei der Gewalttat handelte es sich nämlich nicht um eine Belastung katastrophalen Ausmaßes im Sinne einer andauernden Extrembelastung. Auch dies hat Dr. Dipl.-Psych. K.-H. zutreffend dargelegt.

Die Restsymptome der ehemals vorhandenen posttraumatschen Belastungsstörung, also die Schlafstörungen mit Alpträumen, das Meiden von Menschenansammlungen und Ausländern, die Furcht vor einem Auftauchen des Täters und die lebensmüden Phasen, bedingen nach Einschätzung des Senats allenfalls einen GdS von 0 bis 20 rechtfertigende leichtere psychovegetative Störungen, aber noch nicht einen GdS von 30 bis 40 rechtfertigende stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (VG, Teil B, Nr. 3.7), zumal der Kläger immerhin in der Lage ist, eine Kneipe zu führen und eine richtungsführende Behandlung nicht durchführt.

Es spricht auch nicht mehr dafür als dagegen und es ist mithin nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die von Dr. Dipl.-Psych. K.-H. beim Kläger diagnostizierte depressive Störung und Angststörung ursächlich auf die von ihm erlittene Gewalttat zurückzuführen ist.

Auch insoweit folgt der Senat dem Gutachten der Dr. Dipl.-Psych. K.-H ... Sie hat zutreffend dargelegt, dass im Hinblick auf den eher mäßigen Ausprägungsgrad der Initialsymptome ein rasches Abklingen der im Jahr nach der Gewalttat noch vorhandenen posttraumatischen Belastungsstörung im weiteren Verlauf mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre und, da dies nicht der Fall gewesen ist, angenommen werden muss, dass das vorliegende Störungsbild durch unfallfremde Faktoren unterhalten wird. Als unfallfremde Faktoren kommen dabei nach dem Gutachten der Dr. Dipl.-Psych. K.-H. die aus der vormaligen Behandlung wegen Spannungskopfschmerzen bei Übergewicht hergeleiteten vorbestehenden Überlastungserscheinungen und psychischen Momente des Übergewichts, die Stirnhirnatrophie, die ehelichen Schwierigkeiten und die Existenzängste wegen Kinderlosigkeit und der wirtschaftlich risikobehafteten Situation als selbständiger Gastronom in Betracht. Des Weiteren spricht gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der depressiven Störung und Angststörung des Klägers und der Gewalttat, dass die in der Federseeklinik Bad B. tätigen Ärzte im Herbst 2000 keine auffällige psychische Situation des Klägers beschrieben haben und die ambulante psychotherapeutische Therapie bei der Ärztin N.-M. nach bereits 7 Sitzungen durch den Kläger nicht mehr weiter verfolgt wurde. Demgegenüber folgt der Senat nicht der Einschätzung des Dr. N. in seinem Gutachten vom 18.05.2010. Insbesondere erscheint es im Hinblick auf die nach Ablauf eines Jahres seit der Gewalttat dokumentierten spärlichen Befunde und darauf, dass inzwischen 11 Jahre seit der Gewalttat vergangen sind, worauf der Versorgungsarzt D. am 02.11.2010 zu Recht hingewiesen hat, unplausibel, dass nunmehr alle psychischen Beeinträchtigungen ausschließlich schädigungsbedingt sein sollen.

Mithin hat der Kläger keinen Anspruch auf eine über die mit Bescheid vom 09.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2008 verfügte hinausgehende Rücknahme des Bescheides vom 22.12.2000 und demgemäß auch nicht auf Gewährung von Grundrente, weshalb das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Zwar geht der Senat vorliegend davon aus, dass im Bescheid vom 09.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2008 als Schädigungsfolge bis zum 30.09.2000 statt bloßer psychoreaktiver Störungen eine posttraumatische Belastungsstörung zu bezeichnen gewesen wäre. Vorliegend ist aber zwischen den Beteiligten nicht die Bezeichnung der Schädigungsfolgen, sondern die Gewährung von Grundrente streitig. Eine Verurteilung des Beklagten zur Abänderung des Bescheides vom 09.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2008 wegen der Bezeichnung der Schädigungsfolgen war daher vorliegend nicht angezeigt.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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