L 6 U 1496/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 1790/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1496/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Dezember 2009 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Gewährung von Verletztenrente.

Die im Jahre 1960 geborene Klägerin erlitt am 27.02.2004 auf dem Weg zur Arbeit als Verkäuferin in Vollzeit einen Verkehrsunfall, bei dem sie sich im Wesentlichen Brüche des ersten und vierten Lendenwirbelkörpers, daneben eine Distorsion der Halswirbelsäule sowie eine Prellung und Schürfung am linken Knie zuzog. Nach konservativer Behandlung der Wirbelkörperfrakturen in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Ludwigshafen teilte Prof. Dr. W. im Abschlussbericht vom 06.07.2004 mit, kernspintomographisch zeigten sich die Frakturen knöchern gut verheilt. Unfallunabhängig bestünden eine schwere Osteochondrose L5/S1 und Bandscheibendegenerationen im Bereich der gesamten Wirbelsäule. Ab dem 12.07.2004 sei die Klägerin wieder vollschichtig arbeitsfähig. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaße sei nicht verblieben. Die Wirbelsäule sei aktiv frei beweglich; relevante Wirbelkörperdeformierungen seien nicht verblieben.

Auf den von der Klägerin gestellten Rentenantrag holte die Beklagte ein Gutachten des Leiters der Sektion Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg, Prof. Dr. M., vom 04.10.2004 ein. Darin ist ausgeführt, bei der Klägerin bestünden als wesentliche Unfallfolgen Schmerzen in Ruhe und bei Belastung mit deutlichem Druck- und Klopfschmerz sowie eine leicht eingeschränkte Beweglichkeit der oberen Lendenwirbelsäule, konsolidierte Frakturen des ersten und vierten Lendenwirbelkörpers mit beginnender ventraler knöcherner Überbrückung BWK12 und LWK1 sowie deutlicher Verschmälerung des Bandscheibenfaches BWK12/LWK1 sowie Eindellung der Deckplatte LWK1 und LWK4. Schließlich sei eine unfallbedingte Schädigung der Bandscheibe BWK12/LWK1 nicht sicher auszuschließen. Die MdE werde für die Zeit vom 12.07. bis zum 27.09.2004 auf 30 vom Hundert (v. H.) und für die nachfolgende Zeit bis zur Beendigung des dritten Jahres nach dem Unfall auf 20 v. H. geschätzt.

In der daraufhin eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 30.11.2004 vertrat der Facharzt für Chirurgie Dr. Sch. die Auffassung, angesichts der im Gutachten von Prof. Dr. M. geschilderten funktionellen Befunde der Wirbelsäule sei die MdE ab dem 12.07.2004 auf 20 v. H. zu schätzen.

Mit Bescheid vom 03.05.2005 gewährte die Beklagte der Klägerin daraufhin wegen der Folgen des Arbeitsunfalles Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v. H. ab dem 12.07.2004. Als Unfallfolgen stellte sie einen knöchern fest verheilten Bruch LWK1 und 4 mit beginnender knöcherner Überbrückung zwischen BWK12 und LWK1, eine deutliche Verschmälerung des Bandscheibenfaches BWK12/LWK1 sowie einer Eindellung der Deckplatte LWK1 und LWK4, eine leichte Bewegungseinschränkung der oberen Lendenwirbelsäule, eine folgenlos verheilte Zerrung der Halswirbelsäule sowie eine mangelnde Anpassung und Gewöhnung an die Unfallfolgen fest. Unabhängig von dem Arbeitsunfall liege eine mäßige rechts-konvexe Skoliose mit Scheitelpunkt in der oberen Lendenwirbelsäule, eine schwere Osteochondrose L5/S1 sowie eine Bandscheibendegeneration der gesamten Wirbelsäule vor.

Nach Eingang eines Berichts des Arztes für Chirurgie Dr. F. vom 28.04.2005 (paravertebrale Muskulatur mäßig verspannt, Beweglichkeit der HWS insgesamt unauffällig, Nervenversorgungsstörungen nicht nachweisbar, LWS etwas druck- und klopfempfindlich, Finger-Boden-Abstand fünf cm) ließ die Beklagte die Klägerin erneut durch Prof. Dr. M. begutachten. Der Sachverständige legte im Gutachten vom 05.08.2005 dar, bei der Klägerin bestünden als Unfallfolgen unverändert weiterhin Schmerzen in Ruhe und bei Belastung der oberen Lendenwirbelsäule mit endgradig eingeschränkter Beweglichkeit, radiologisch nachweisbare konsolidierte LWK1- und LWK4-Frakturen sowie Schmerzen in der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung in die linke Schulter; die MdE schätze er auf 20 v. H.

In der daraufhin eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Sch. ist ausgeführt, angesichts der gut ausgeprägten seitengleichen Muskulatur und der annähernd freien Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule sei die MdE auf 10 v. H. zu schätzen. Im Rahmen der daraufhin wegen der beabsichtigten Rentenentziehung durchgeführten Anhörung trug die Klägerin vor, ihr Zustand habe sich seit der ersten Begutachtung durch Prof. Dr. M. nicht wesentlich gebessert. Sie habe häufig Schmerzen und sei dadurch bei der Arbeit und im Privatleben eingeschränkt. Darüber hinaus habe sie den Unfall immer noch vor Augen und daher nicht nur beim Führen eines Kraftfahrzeuges, sondern auch als Beifahrer immer ein ungutes Gefühl.

Mit Bescheid vom 12.10.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente auf unbestimmte Zeit ab und entzog die der Klägerin als vorläufige Entschädigung gewährte Rente ab dem 01.11.2005. Zur Begründung ist ausgeführt, die Folgen des Arbeitsunfalles rechtfertigten entgegen der Einschätzung des Sachverständigen lediglich eine MdE um 10 v. H. Hinsichtlich der dieser Einschätzung zugrunde gelegten Unfallfolgen werden im Wesentlichen die im Bescheid vom 03.05.2005 als solche anerkannten Gesundheitsstörungen wiederholt, dabei allerdings eine nunmehr knöcherne Überbrückung zwischen BWK12 und LWK1 sowie eine endgradige Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule anerkannt.

Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin vor, ihre von der Wirbelsäule ausgehenden schmerzhaften Funktionseinschränkungen rechtfertigten eine MdE um 20 v. H.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung heißt es, die Entscheidung über die Gewährung von Rente auf unbestimmte Zeit sei auf der Grundlage einer Neueinschätzung der MdE zu treffen, für die es auf eine Änderung der Verhältnisse nicht ankomme. Die bei der Klägerin noch bestehenden Unfallfolgen rechtfertigten aber lediglich eine MdE um 10 v. H. Denn als Folge der unfallbedingt erlittenen Wirbelkörperverletzungen seien keine bedeutsameren funktionellen Beeinträchtigungen der Lendenwirbelsäulenbeweglichkeit verblieben.

Am 07.06.2006 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage der Allgemeinmedizinerin Dr. Röhrig vom 06.08.2007 eingeholt. Darin ist ausgeführt, bei der Klägerin habe bereits im Jahre 2002 ein akuter Schiefhals vorgelegen. Nach dem Arbeitsunfall im Februar 2004 hätten kontinuierliche Rückenschmerzen ohne Besserungstendenz bestanden. Darüber hinaus seien sich verschlimmernde Angstzustände aufgetreten. Ihren schriftlichen Angaben beigefügt hat die genannte Ärztin ihren Befundbericht vom 06.09.2005 (Zustand nach LWK1- und LWK4-Fraktur, noch immer persistierende Rückenschmerzen, ausgeprägte reaktive Depression nach Trauma) sowie den Reha-Entlassungsbericht der Pf.-Klinik vom 02.03.2006 (pseudoradikuläres Lumbalsyndrom links bei Zustand nach stabiler LWK1- und LWK4-Fraktur [02/2004], Cervicobrachialsyndrom links und spezifische isolierte Phobie bei Fahrten mit dem PKW [ohne psychotherapeutische Behandlung]).

Auf Anforderung des Sozialgerichts hat der Leiter der Gutachtenambulanz der Orthopädischen Universitätsklinik H., Prof. Dr. C., am 07.01.2008 ein orthopädisches Sachverständigengutachten erstattet. In der Anamnese heißt es, die Klägerin habe angegeben, vor dem Unfall keinerlei Beschwerden im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule gehabt zu haben. Sie habe zwischenzeitlich aufgrund eingetretener Angstzustände beim Autofahren ein Fahrtraining durchgeführt. Nunmehr bestünden noch intermittierend Beschwerden im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, teilweise ausstrahlend ins gesamte linke Bein mit Kribbelparästhesien und Kälteempfindungen auch der linken Fußsohle. Beim Liegen träten teilweise massive Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule auf, die auch in den Bauch und die Unterleibsregion ausstrahlten. Neurologische Ausfälle anderer Art bestünden nicht. Die Beschwerden schränkten sportliche Aktivitäten ein und träten teilweise auch während der Arbeit auf, sodass diese unterbrochen werden müsse. Als unfallbedingte Gesundheitsstörungen hat der Sachverständige einen Status nach Deckplatten-Impressionsfraktur des vierten Lendenwirbelkörpers ohne nennenswerte Verformung und funktionell weitgehend kompensiert sowie eine Deck- und Bodenplattensprengungsfraktur des ersten Lendenwirbelkörpers ohne Hinterkantenbeteiligung mit geringfügiger Verformung des Wirbelkörpers und Schädigung des Bandscheibenfaches Th12/L1 mit anteiliger Bewegungseinschränkung diagnostiziert. Unfallunabhängig bestehe eine schwere Osteochondrose L5/S1 sowie eine leichte bis mittelschwere Unkovertebralarthrose im Bereich der mittleren und unteren Halswirbelsäule. Bei der klinischen Untersuchung habe sich eine weitgehend unauffällige Funktion der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne Hinweise auf eine Instabilität oder neurologische Ausfälle gezeigt. Die MdE für die fest verheilte Fraktur L1 schätze er angesichts einer bestehenden Ankylose und Hypomobilität im Segment Th12/S1 nach dem Segmentprinzip von Weber und Wimmer auf 10,8 (3,6 x 3), diejenige für den ohne wesentliche Verformung verheilten Bruch L4 auf 4,5 (4,5 x 1). Die Summe betrage mithin 15,3, was aufgerundet eine MdE um 20 v. H. ergebe.

Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. Kopp vom 28.05.2008 vorgelegt. Darin bezweifelt der Beratungsarzt das Bestehen einer Ankylose oder Hypomobilität im Wirbelsäulensegment Th12/L1 der Klägerin. Ausgehend von einem daher in die Beurteilung einzustellenden einfachen Segmentwert von 3,6 ergebe sich eine Summe von 8,1 und mithin aufgerundet eine MdE um 10 v. H. Im Übersendungsschreiben der Beklagten vom 04.06.2008 ist darüber hinaus ausgeführt, selbst unter Zugrundelegung des von Prof. Dr. C. errechneten Wertes von 15,3 sei diese nicht auf eine MdE um 20 v. H. aufzurunden, sondern auf eine MdE um 15 v. H. abzurunden.

In seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 11.09.2008 hat Prof. Dr. C. an seiner Einschätzung festgehalten. Eine Ankylose oder Hypomogilität im Segment Th12/L1 sei angenommen worden, da eine Höhenminderung in diesem Zwischenwirbelraum bestehe. Derartige Veränderungen seien bei degenerativen Veränderungen festzustellen sei, die mit einer entsprechenden Reduktion der Beweglichkeit einhergingen.

Mit Urteil vom 08.12.2009 hat das Sozialgericht die angegriffenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 01.11.2005 Rente in Höhe von 20 v. H. der Vollrente auf unbestimmte Zeit zu gewähren. Unter Zugrundelegung der übereinstimmenden Bewertung der Unfallfolgen durch Prof. Dr. M. und Prof. Dr. C. stehe der Klägerin ein Anspruch auf Rente nach einer MdE um 20 v. H. zu. Insbesondere habe der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. C. die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule unter Berücksichtigung des Segmentprinzips zutreffend bewertet. Die Berücksichtigung einer Ankylose bzw. einer Hypomobilität im Segment Th12/L1 sei dabei gerechtfertigt. Zu berücksichtigen sei insoweit auch die schmerzhafte Einschränkung der Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule. Die Aufrundung des errechneten Wertes auf eine MdE um 20 v. H. sei nicht zu beanstanden.

Gegen das am 05.03.2010 zur Post gegebene Urteil hat die Beklagte am 29.03.2010 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, bei zutreffender Anwendung des Segmentprinzips ergebe sich für die Klägerin keine MdE um 20 v. H.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Dezember 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die bei ihr vorliegenden Unfallfolgen an der Wirbelsäule rechtfertigten eine MdE um 20 v. H. Dies ergebe sich nicht nur aus der nach ihrer Einschätzung zutreffenden Berechnung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. C., sondern auch aus der Einschätzung von Prof. Dr. M ...

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Mannheim sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet im erklärten Einverständnis der Beteiligten sowie in Anwendung des ihm danach gesetzlich eingeräumten Ermessens ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Dies gilt unabhängig von der Frage, ob der Klägerin das erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht nur für die erhobene Anfechtungsklage, sondern auch für die damit kombinierte Leistungsklage zur Seite steht, obschon sie ihr Rechtsschutzziel - die bloße Weitergewährung von Verletztenrente als Dauerrente über den 31.10.2005 hinaus - auch mit einer reinen Anfechtungsklage erreichen könnte, nachdem im Falle der Aufhebung des Entziehungsbescheides die vorläufige Entschädigung wegen Ablaufs des Dreijahreszeitraums nach Eintritt des Versicherungsfalls gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Siebten Buches des Sozialgesetzbuch (SGB VII) als Rente auf unbestimmte Zeit weiter geleistet werden müsste (so unter Hinweis auf eine - allerdings durch die Anfechtungsklage ebenfalls zu beseitigende - Beschwer infolge einer ausdrücklichen behördlichen Ablehnung der Gewährung von Verletztenrente auf Dauer offenbar BSG, Urteil vom 05.02.2008 - B 2 U 6/07 R - zit. nach juris).

In der Sache zu Unrecht hat nämlich das Sozialgericht den Bescheid vom 12.10.2005 und den Widerspruchsbescheid vom 10.05.2006 aufgehoben und die Beklagte ab dem 01.11.2005 zur Gewährung von Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 v. H. verurteilt. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Denn sie hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 27.02.2004 über den 31.10.2005 hinaus.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger erstrebte Leistung ist § 56 SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind dabei nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1), den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich für die Klägerin in Ermangelung eines Stützrententatbestandes kein Rentenanspruch. Denn die durch den Arbeitsunfall vom 27.02.2004 verursachten Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigen keine MdE um mindestens 20 v. H.

Maßgeblich für die MdE-Beurteilung sind vorliegend die Folgen der verheilten Brüche der Wirbelkörper L1 und L4. Die Halswirbelsäulenproblematik der Klägerin hat der Sachverständige Professor Dr. Carstens (vgl. hierzu das Gutachten vom 07.01.2008) im Gegensatz zu Prof. Dr. M. (vgl. hierzu das Gutachten vom 05.08.2005) zutreffend als unfallunabhängig angesehen, nachdem sich die von ihm diagnostizierte Unkovertebralarthrose beginnend bereits am Unfalltage röntgenologisch nachweisen lässt und die behandelnde Allgemeinmedizinerin Dr. Röhrig von Gesundheitsstörungen der Halswirbelsäule bereits im Jahre 2002 (akuter Schiefhals) berichtet hat (vgl. hierzu die schriftliche sachverständige Zeugenaussage vom 06.08.2007). Hier erhebliche psychische Unfallfolgen macht die Klägerin nicht geltend; derartiges liegt im Ergebnis auch nicht vor. Die Angstzustände der Klägerin (vgl. auch hierzu die schriftliche sachverständige Zeugenaussage vom 06.08.2007 sowie den Befundbericht vom 06.09.2005) beschränkten sich nach ihren eigenen Angaben gegenüber der Beklagten (vgl. das Schreiben vom 01.10.2005) sowie den behandelnden Ärzten der Pf.-Klinik (vgl. den Reha-Entlassungsbericht vom 02.03.2006) auf das Autofahren und ein dabei auftretendes "ungutes Gefühl", das sie allerdings nicht vom Autofahren abhielt (vgl. auch hierzu das Schreiben vom 01.10.2005). Nachdem sie insoweit keine fachärztliche Hilfe in Anspruch genommen, sondern zur Beseitigung ihrer Ängste lediglich ein Fahrtraining durchgeführt hat (vgl. hierzu das Gutachten von Prof. Dr. C. vom 07.01.2008), ergibt sich insoweit keine MdE.

Als danach für die MdE-Bewertung wesentliche Unfallfolgen bestehen bei der Klägerin knöchern gut verheilte und stabil konsolidierte (vgl. den Abschlussbericht von Prof. Dr. W. vom 06.07.2004, die Gutachten Prof. Dr. M. vom 04.10.2004 und vom 05.08.2005 und das Gutachten von Prof. Dr. C. vom 07.01.2008) Frakturen der Wirbelkörper L1 und L4. Insoweit liegt nach dem Gutachten von Prof. Dr. C. lediglich mit Blick auf die Fraktur L1 eine Bandscheibenbeteiligung Th12/1 mit anteiliger Bewegungseinschränkung vor. Dabei bestand nach dem genannten Gutachten ebenso wie bereits im Rahmen der Untersuchung durch Prof. Dr. M. (vgl. Gutachten vom 05.08.2005) insgesamt bei der klinischen Untersuchung eine weitgehend unauffällige Funktion der Lendenwirbelsäule mit im Wesentlichen altersentsprechend freier Beweglichkeit ohne Hinweise auf neurologische Ausfälle.

Unter Berücksichtigung der insoweit vorliegenden Erfahrungswerte auf chirurgisch-orthopädischem Gebiet (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Nr. 8.3.2.8 S. 442) ist der isolierte Wirbelkörperbruch L4 mit einer MdE unter 10 v. H. und der mit einer Bandscheibenbeteiligung einhergehende stabile Wirbelkörperbruch L1 gleichfalls mit einer MdE unter 10 v. H. zu bewerten. Hieraus ergibt sich auch unter Berücksichtigung der im von Prof. Dr. M. erhobenen Befund festgestellten leichten Schmerzhaftigkeit zusammengerechnet keine MdE um 20 v. H. Denn die üblicherweise vorhandenen Schmerzen sind in den Erfahrungswerten bereits berücksichtigt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Nr. 5.5.10 S. 221).

Legt man der Bewertung wie Prof. Dr. C. und diesem folgend auch das Sozialgericht das sogenannte Segmentprinzip zu Grunde, ergibt sich nichts anderes.

Mit Hilfe des Segmentprinzips werden in Analogie zur Begutachtung peripherer Gelenkschäden Schäden am Bewegungssegment und segmentale Beweglichkeit berücksichtigt. Entsprechend seiner funktionellen Bedeutung hat jedes Bewegungssegment der Wirbelsäule einen Segmentwert. Dieser beträgt - soweit hier entscheidungserheblich - für das Segment Th12/L1 3,6 und für das Segment L3/4 4,5. Bei stabil ausgeheilten Frakturen ohne Deformierung kommen die einfachen Segmentwerte als Prozentsätze zur Anwendung. Bei zwei betroffenen Segmenten sind die entsprechenden Segmentwerte zu addieren. Bei segmentaler Ankylose oder Hypomobilität (knöcherne Versteifung bzw. Bewegungseinschränkung) ist der Segmentwert zu verdreifachen (vgl. zu alledem Schönberger-Mehrtens-Valentin a.a.O., Nr. 8.3.2.8 S. 443).

Ausgehend hiervon kommt es nicht darauf an, ob bei der Klägerin eine Ankylose oder Hypomobilität im Segment Th12/L1 vorliegt.

Geht man neben dem unstreitig in die Beurteilung einzustellenden einfachen Segmentwert von 4,5 für das Segment L3/4 von einer fehlenden Ankylose oder Hypomobilität im Segment Th 12/1 und damit insoweit - wie Dr. Kopp in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.05.2008 - vom einfachen Segmentwert von 3,6 aus, so ergibt sich in der Summe einen Wert von 8,1, aufgerundet also eine MdE um 10 v. H.

Folgt man demgegenüber der Einschätzung von Prof. Dr. C., bei der Klägerin bestehe eine Ankylose oder Hypomobilität - wofür manches spricht, nachdem Prof. Dr. M. im Gutachten vom 04.10.2004 eine beginnende knöcherne Überbrückung zwischen BWK12 und LWK1 diagnostiziert und die Beklagte im Bescheid vom 12.10.2005 eine solche knöcherne Überbrückung sogar ohne Einschränkung anerkannt hat, was eine knöcherne Versteifung bzw. Bewegungseinschränkung nahelegt - so ist der Segmentwert von 3,6 für Segment Th 12/1 auf 10,8 zu verdreifachen. Unter Berücksichtigung des Segments L3/4 mit einem Wert von 4,5 ergibt sich daraus in der Summe - wie von Prof. Dr. C. dargelegt - ein Wert von 15,3. Dieser Wert ist allerdings - anders als von Prof. Dr. C. angenommen - nicht auf 20 v. H. aufzurunden. Denn angesichts des Umstandes, dass bei der Berechnung der MdE Abstufungen in Fünferschritten zulässig sind (vgl. Franke/Molkenthien, SGB VII, 2. Aufl. 2007, Rdnr. 13 zu § 56), sind auch die errechneten Endwerte auf die nächste 5-v.-H.-Stufe auf- oder abzurunden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Nr. 8.3.2.8 S. 443 unten). Damit ergibt sich vorliegend eine MdE um 15 v. H. Für die Schmerzen der Klägerin gilt das oben Ausgeführte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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