L 26 AS 160/11 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 204 AS 36591/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 AS 160/11 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2011 aufgehoben. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin Prozesskostenhilfe ohne Bestimmung einer Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt H W, M, beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die form- und fristgerecht (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) erhobene Beschwerde des Klägers gegen die Ablehnung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren ist zulässig und begründet. Ihm ist für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin PKH unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, denn die Rechtsverfolgung hat für die Zeit ab 2. Dezember 2010 (Eingang der Klage und des Antrags auf Gewährung von PKH bei dem Sozialgericht) hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist auch nicht mutwillig (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Der Beklagte bewilligte dem Kläger und seiner mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehefrau mit Bescheid vom 6. Mai 2010 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 29. März 2010 bis 30. Juni 2010, und zwar 135,82 EUR für die Zeit vom 29. bis 31. März 2010 sowie monatlich 1358,20 EUR für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 2010. Nach Anhörung vom 9. Juni 2010 nahm der Beklagte mit Bescheid vom 13. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. November 2010 gegenüber dem Kläger die Entscheidung vom 6. Mai 2010 für die Zeit vom 29. bis 31. März 2010 teilweise in Höhe von 56,58 EUR zurück und erklärte die Aufrechnung der Forderung gegen dem Kläger zustehende laufende Leistungen. Der Kläger und seine Ehefrau hätten während des genannten Zeitraums Einkommen aus einer Beschäftigung bei Teilhabe durch I e.V. erzielt. Außerdem habe der Kläger Einkommen aus einer Beschäftigung bei der M GmbH erzielt. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass die Bewilligung fehlerhaft gewesen sei (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -).

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss ist PKH nicht bereits deshalb zu versagen, weil der Rechtsstreit eine wirtschaftliche Bedeutung im Bagatellbereich habe (vgl. zB LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 16. April 2009, L 15 SO 52/09 B PKH, vom 30. März 2009, L 25 B 2135/08 AS PKH, vom 16. November 2008, L 29 B 1644/08 AS PKH, vom 14. Mai 2007, L 10 B 217/07 AS PKH, alle veröffentlicht in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de) und ein bemittelter Kläger bei vernunftgeleiteter Abwägung des Streitwerts der durchzusetzenden Rechtsposition von 56,58 EUR mit dem Kostenrisiko von der Beauftragung eines Rechtsanwalts Abstand nehmen würde. Eine derartige ausschließliche Betrachtung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko bei der Beurteilung der Erforderlichkeit einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2011, 1 BvR 1737/10, noch nicht veröffentlicht; vorhergehend LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juni 2010, L 5 AS 610/10 B PKH, juris; Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 4. März 2010, S 39 AS 21029/09, nicht veröffentlicht). Dem Unbemittelten ist auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt dann beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Die Erforderlichkeit iS des § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte (st. Rspr. des BVerfG, zB Beschlüsse vom 6. Mai 2009, 1 BvR 439/08, juris, vom 24. März 2011, aaO). Hiernach ist nicht auszuschließen, dass auch ein bemittelter Beteiligter im Hinblick auf die besondere Prozesssituation einen Rechtsanwalt beauftragt hätte, zumal der Beklagte auch gegenüber der Ehefrau des Klägers mit Bescheid vom 13. August 2010 die Leistungsgewährung für die Zeit vom 29. bis 31. März 2010 aufgehoben und die Aufrechnung der Forderung erklärt sowie gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau mit weiteren Bescheiden vom 13. August 2010 die Leistungsgewährung für den (anschließenden) Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2010 aufgehoben und die Aufrechnung der Forderung in Höhe von jeweils 2037,30 EUR erklärt hat.

Der Senat erwägt, Verfahren zukünftig an das Sozialgericht zurückzuverweisen, wenn dies die Ablehnung von PKH weiterhin allein auf das Unterschreiten eines bestimmten Streitwertes stützt. Die Zurückverweisung ist ausnahmsweise auch in Beschwerdeverfahren gemäß § 202 SGG iVm § 572 Abs. 3 ZPO zulässig (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Juni 2008, L 19 B 851/08 AS PKH, juris).

Die Rechtsverfolgung hat für die Zeit ab 2. Dezember 2010 auch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, beurteilt das Gericht ohne abschließende tatsächliche oder rechtliche Würdigung des Streitstoffs. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob der Kläger eine reale Chance zum Obsiegen hat. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2003, 1 BvR 1152/02 = SozR 4-1500 § 73a Nr. 1). Die PKH darf allerdings bei einer "nur entfernten Erfolgschance" verweigert werden.

Gemessen an diesen Maßstäben hat die Anfechtungsklage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. November 2010 die im Rahmen der Bewilligung von PKH erforderliche und hinreichende reale Chance zum Obsiegen. Zwar hat der Kläger weder seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. August 2010 noch (bislang) seine Klage begründet. Bei der im PKH-Beschwerdeverfahren nur gebotenen summarischen Prüfung erscheint gleichwohl noch nicht hinreichend von Amts wegen (§§ 103, 106 SGG) aufgeklärt, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit ab 29. März 2010 nach §§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in der bis 31. März 2011 geltenden Fassung, 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch erfüllt sind, insbesondere der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 6. Mai 2010 kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Für die Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist von einem subjektiven Maßstab auszugehen, das Maß der Fahrlässigkeit ist insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R = SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).

Der bedürftige Kläger bezieht bis laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Bescheid vom 15. Dezember 2010 über die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2011) und verfügt über kein im Rahmen des § 115 ZPO einzusetzendes Einkommen oder Vermögen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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