L 2 U 26/11 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 U 5004/09
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 26/11 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur teilweisen Übernahme der Kosten eines Gutachtens bei Abklärung konträrer Untersuchungsbefunde.
I. In Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Regensburg vom 23. November 2010 wird ein Drittel der Kosten für das Gutachten des Dr. U. H. vom 18. März 2010 auf die Staatskasse übernommen.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 23. November 2010 zurückgewiesen.

III. Dem Beschwerdeführer wird 1/6 der außergerichtlichen Kosten in dem Beschwerdeverfahren erstattet.



Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) wendet sich gegen die Ablehnung des Antrags auf Übernahme der durch die Beauftragung des Dr. H. und Dr. D. entstandenen Kosten auf die Staatskasse.
Der Kläger und Bf. begehrte in dem Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg zunächst die Gewährung einer höheren Verletztenrente (Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - mindestens 70 v.H. statt 60 v.H.) wegen Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2000. Mit Bescheid vom 29. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2009 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie, Dr. K., vom 20. August 2009 eingeholt, der gegenüber den Verhältnissen, wie sie dem Bescheid vom 12. Januar 2004 zugrunde lagen, keine Änderung im Sinne einer Verschlimmerung feststellen konnte. Durch den Unfall sei es primär zu einer rechtsseitigen Patellafraktur mit Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndroms und einer ängstlich depressiven Entwicklung gekommen. Die bisherige Einschätzung einer MdE von 30 bzw. 40 v.H. auf psychiatrischem Fachgebiet sei allerdings zu hoch; die MdE sei auf diesem Fachgebiet lediglich mit 10 v.H. anzusetzen.
Der ebenfalls vom Sozialgericht beauftragte Orthopäde Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 19. August 2009 ebenfalls keine wesentlichen Verschlimmerung feststellen können. Unter Einbezug des Gutachtens des Dr. K. sei es damit auch insgesamt nicht zu einer Verschlimmerung der Unfallfolgen gekommen.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 2009 hat die Beklagte die Rente ab 1. November 2009 her-abgesetzt und nach einer MdE von 30 v.H. neu festgestellt. Gemäß der Rechtsbehelfsbelehrung wurde dieser Bescheid gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Streitverfahrens.
Der gemäß § 109 SGG gehörte Chirurg Dr. H. ist in dem Gutachten vom 18. März 2010 ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass aus unfallchirurgischer Sicht von einer MdE von 30 v.H. auszugehen sei. Es habe sich keine Verschlimmerung eingestellt. Anders als die Vorgutachter Dr. K. und Dr. F. wies er auf eine mäßiggradige Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks sowie eine erhebliche Bewegungseinschränkung des rechten Sprunggelenks hin. Die Festsetzung der MdE auf 30 v.H. sei als deutlich zu gering anzusehen.
Der ebenfalls gemäß § 109 SGG beauftragte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. konnte in seinem Gutachten vom 2. August 2010 ebenfalls keine wesentliche Änderung feststellen. Es sei allerdings auch keine Verbesserung eingetreten.
Die Beklagte hat sich nach einem gerichtlichen Hinweis mit Schriftsatz vom 20. September 2010 bereit erklärt, den Bescheid vom 20. Oktober 2009 aufzuheben und weiterhin eine Rente nach einer MdE um 60 v.H. zu gewähren. Der Bf. hat den Vergleich angenommen. Mit Schriftsatz vom 15. November 2010 hat er die Übernahme der Kosten der beiden Gutachten auf die Staatskasse beantragt.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 23. November 2010 abgelehnt. Die Gutachten hätten lediglich die von Amts wegen eingeholten Gutachten des Dr. F. und Dr. K. bestätigt.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Beschwerde hat der Bf. vorgebracht, dass die beiden Gutachten eine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts erbracht hätten und auch entscheidungserheblich gewesen seien. Beide Gutachten seien über die von Amts wegen eingeholten Vorgutachten hinausgegangen und seien Grundlage des geschlossenen Vergleichs gewesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und zum Teil begründet. Ein Drittel der Kosten für das Gutachten des Dr. H. ist auf die Staatskasse zu übernehmen.

Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Kosten einer Begutachtung nach § 109 SGG von dem Antragsteller zu tragen sind, steht im Ermessen des Gerichts. Die Ermessensentscheidung ist im Beschwerdeverfahren beschränkt darauf nachprüfbar, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens richtig bestimmt und eingehalten sind.

Die Übernahme der für ein Gutachten nach § 109 SGG verauslagten Kosten auf die Staatskasse im Wege einer "anderen Entscheidung" ist gerechtfertigt, wenn das Gutachten die Aufklärung objektiv gefördert hat und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung gewonnen hat bzw. hätte. Dabei spielt weder der Ausgang des Verfahrens noch die Frage eine Rolle, ob das Gutachten die Erledigung des Rechtsstreits ohne Urteil gefördert und damit dem Rechtsfrieden gedient hat. Entscheidend ist vielmehr, ob durch das Gutachten beispielsweise neue beweiserhebliche Gesichtspunkte zu Tage getreten sind oder die Leistungsbeurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Prozessbeteiligten überzeugendere Grundlage gestellt wurde.

Diese Voraussetzungen liegen zum Teil bei dem Gutachten des Dr. H., nicht jedoch bei dem des Dr. D. vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2010 gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist. Dieser Bescheid führte zur Herabsetzung der Verletztenrente und zu einer Feststellung einer MdE ab 1. November 2009 in Höhe von nur mehr 30 v.H. statt bislang 60 v.H ... Der Bescheid ändert die vorangegangenen Bescheide, insbesondere den Rentenbescheid vom 12. Januar 2004, ab.

Der Absenkungsbescheid stützt sich inhaltlich vor allem auf das Gutachten des Dr. K., der in seinem Gutachten vom 20. August 2009 die bisherige MdE-Bewertung auf psychiatrischem Fachgebiet als "deutlich zu hoch" einstufte und die MdE auf lediglich 10 v.H. einschätzte. Er kritisierte allerdings dabei allein die bisherigen Begutachtungen, da aus seiner Sicht nur von einer leichten unfallbedingten psychischen Störung auszugehen sei. Allerdings hat auch er festgestellt, dass eine Verschlimmerung nicht eingetreten ist. Zutreffend hatte das Sozialgericht die Beklagte darauf hingewiesen, dass diesem Gutachten keine nach Erlass des Bescheides vom 12. Januar 2004 eingetretene Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse zu entnehmen ist. Damit ergibt sich bereits aus rechtlicher Sicht, dass die von Dr. K. vertretene MdE-Bewertung nicht zu einer Herabsetzung der Rente führen kann. Insoweit fehlt es an der für § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) notwendigen nachträglichen wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen. Es ist damit für die im Rahmen des § 109 SGG maßgeblichen Frage, ob die Gutachten neue beweiserheblichen Gesichtspunkte hervorgebracht haben, nicht von Bedeutung, dass Dr. D. - in nachvollziehbarer Weise - darlegt, warum eine MdE von 30 v.H. auf psychiatrischem Fachgebiet durchgehend angemessen erscheint.

Soweit sich Dr. H. mit den Gutachten des Dr. F. und Dr. K. im Hinblick auf die Bewegungseinschränkungen im rechten Kniegelenk und rechten Sprunggelenk auseinandersetzt, bestätigt er das Ergebnis der Gutachten des Dr. E. und Dr. B., die dem Rentenbescheid vom 12. Januar 2004 zugrunde lagen, mit dem die Beklagte wegen der Folgen einer Patellatrümmerfraktur rechts, einer Sprunggelenkesfraktur rechts und eines dabei begleitenden erheblichen Schmerzsyndroms eine MdE um 60 v.H. gewährt. Zu der hier maßgebenden Frage, ob auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet eine Verschlimmerung oder Verbesserung eingetreten ist, findet sich in dem Gutachten keine gegenüber Dr. F. abweichende Beurteilung. Differenzen bestehen beim Untersuchungsbefund zur Beweglichkeit des rechten Sprunggelenks. Im Ergebnis stellte Dr. F. ausdrücklich fest, dass keine Verschlimmerung eingetreten ist; es findet sich aber im Rahmen der Bewertung keine Aussage, dass auf orthopädischem Fachgebiet eine wesentliche Verbesserung eingetreten sei.

Allerdings setzt sich Dr. H. mit den konträren Untersuchungsbefunden eingehend auseinander, so dass insoweit ein neuer beweiserheblicher Gesichtspunkte für das Fehlen einer tatsächlichen Verbesserung und damit einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 SGB X vorgebracht wird. Da insoweit die Leistungsbeurteilung auf eine breitere Grundlage gestellt wurde, ist eine teilweise Übernahme der Kosten für dieses Gutachten angebracht, die der Senat mit einer Quote von einem Drittel der Gutachtenskosten bewertet.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar und ergeht kostenfrei (§ 183 SGG).
Rechtskraft
Aus
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