Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AS 1536/11 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 378/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein ursprünglich zulässiger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann keinen Erfolg haben,
wenn feststeht, dass der Antragsteller keinen durchsetzbaren Hauptanspruch mehr besitzt.
2. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der den Erlass einer vorläufigen Regelung bis zum
bestandskräftigen Abschluss eines Verwaltungsverfahrens zum Gegenstand hatte, kann nach dem
bestandskräftigen Abschluss dieses Verwaltungsverfahrens nicht dahingehend ausgelegt oder umgedeutet
werden, dass er nunmehr den Erlass einer vorläufigen Regelung während des Überprüfungsverfahrens nach §
44 SGB X zum Gegenstand haben soll.
wenn feststeht, dass der Antragsteller keinen durchsetzbaren Hauptanspruch mehr besitzt.
2. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der den Erlass einer vorläufigen Regelung bis zum
bestandskräftigen Abschluss eines Verwaltungsverfahrens zum Gegenstand hatte, kann nach dem
bestandskräftigen Abschluss dieses Verwaltungsverfahrens nicht dahingehend ausgelegt oder umgedeutet
werden, dass er nunmehr den Erlass einer vorläufigen Regelung während des Überprüfungsverfahrens nach §
44 SGB X zum Gegenstand haben soll.
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichtes Dresden vom 15. April 2011 aufgehoben. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Instanzen sind nicht erstattungsfähig.
III. Den Antragstellern wird für das Verfahren vor dem Sächsischen Landessozialgericht ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S J S , J 6, 01099 D , als Bevollmächtigter beigeordnet. Derzeit sind weder Raten zu zahlen noch Zahlungen aus dem Vermögen zu leisten.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen eine einstweilige Anordnung, mit der zur vorläufigen Leistungsgewährung an die Antragsteller verpflichtet wurde.
Der Landkreis M , ein zugelassenen kommunalen Trägers im Sinne von § 6a des Sozialgesetzbuches Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), bewilligte den Antragstellern zuletzt mit vorläufigem Bescheid vom 20. Januar 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für Februar 2008. Die Folgeanträge für die Zeit ab März 2008 lehnte er wegen fehlender Hilfebedürftigkeit ab.
Zum 1. August 2008 wurde der Landkreis M neu gebildet (vgl. § 3 Nr. 5 i. V. m. § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Neugliederung des Gebietes der Landkreise des Freistaates Sachsen (Sächsisches Kreisgebietsneugliederungsgesetz – SächsKrGebNG) vom 29. Januar 2008 [SächsGVBl. S. 102]). Dieser ist nunmehr zugelassener kommunaler Träger (vgl. Anlage zu § 1 der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende [Kommunalträger-Zulassungsverordnung – KomtrZV] vom 24. September 2004, zuletzt geändert durch Artikel 1 Nr. 3 der Verordnung vom 1. Dezember 2010 [BGBl. I S. 1758]) und Antragsgegner im vorliegenden Rechtsstreit.
Am 10. Januar 2011 stellten die Antragsteller einen Fortzahlungsantrag.
Am 22. März 2011 haben die Antragsteller um Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht.
Mit Bescheid vom selben Tag hat der Antragsgegner den Fortzahlungsantrag abgelehnt. Hilfsweise hat er gemäß § 66 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II versagt. Die Entscheidung ist damit begründet worden, dass erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben zur Bedürftigkeit der Antragsteller bestünden.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 15. April 2011 dem Antrag der Antragsteller teilweise entsprochen hat. Es hat den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern beginnend ab dem 1. April 2011 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens aber für die Dauer von drei Monaten vorläufig monatlich Leistungen nach dem SGB II in bezifferter Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner hat hiergegen am 21. April 2011 Beschwerde eingelegt. Auf seinen Vortrag, dass der Ablehnungsbescheid bestandskräftig geworden sei, hat der Bevollmächtigte der Antragsteller im Schriftsatz vom 13. Mai 2011 erklärt, dass der Bescheid der Bedarfsgemeinschaft zugegangen sei. Er habe am 19. April 2011 auftragsgemäß ein Widerspruchsschreiben verfasst, das aber auf Grund eines kanzleiinternen Versehens die Kanzlei nicht verlassen habe. Mit Schreiben vom 13. Mai 2011 sei ein Überprüfungsantrag gemäß § 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gestellt worden. Im Schriftsatz vom 13. Mai 2011 hat der Antragstellerbevollmächtigte höchst vorsorglich gegenüber dem Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Auf Grund des Überprüfungsantrages sei über den bestandskräftigen Ablehnungsbescheid vom 22. März 2011 noch zu entscheiden, was noch nicht geschehen sei. Aus diesem Grund sei das Rechtsschutzbedürfnis noch nicht entfallen.
Der Antragsgegner beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichtes Dresden vom 15. April 2011 (S 20 AS 1536/11 ER) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen. Hilfsweise, deren Auszahlung von der vorherigen Absicherung der Rückzahlung durch Bestellung eines Grundpfandrechts an der eigengenutzten Immobilie der Antragsteller abhängig zu machen.
Die Antragsteller, die in der Sache keinen Antrag gestellt haben, beantragen,
ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu gewähren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des Sozialgerichtes Dresden vom 15. April 2011 ist aufzuheben, weil es keinen durchsetzbaren Hauptanspruch mehr gibt, hinsichtlich dessen eine vorläufige Regelung im vorliegenden Verfahren getroffen werden könnte (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 12. Februar 2008 – L 3 B 595/07 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 18 ff.; SächsLSG, Beschluss vom 25. August 2008 – L 3 B 317/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 17 ff.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Juni 2010 – L 5 AS 94/10 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 24 ff.).
Die Antragsteller begehren vom Antragsgegner in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Hierauf gerichteter vorläufiger Rechtsschutz kann mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erlangt werden. Danach ist eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Ein wesentlicher Nachteil kann vorliegend aber nicht mehr abgewandt werden, weil die Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid vom 22. März 2011 nach eigenen Angaben nicht gemäß § 87 Abs. 1 SGG innerhalb eines Monats nach dessen Bekanntgabe Widerspruch eingelegt haben. Der Bescheid, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfbelehrung versehen war, ist folglich gemäß § 77 SGG für die Beteiligten, das heißt für die Antragsteller und den Antragsgegner, bindend geworden.
Der erkennende Senat hat bereits früher darauf hingewiesen, dass es allgemeine Auffassung ist, dass ein ursprünglich zulässiger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben kann, wenn feststeht, dass der Antragsteller keinen durchsetzbaren Hauptanspruch, hier den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, mehr besitzt. Rechtsdogmatisch wird zum Teil der Eilantrag als nach Antragstellung unzulässig geworden angesehen, weil kein Rechtsschutzinteresse, das heißt ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten gerichtlichen Entscheidung, mehr für vorläufigen Rechtsschutz bestehe (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren [5. Aufl., 2008], Rdnr. 98, m. w. N.), oder weil der Antrag unstatthaft geworden sei (vgl. LSG Saarland, Beschluss vom 11. August 2005 – L 9 B 4/05 AS – JURIS-Dokument Rdnr. 24; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [20. Erg.-Lfg., Mai 2010], § 123 Rdnr. 102; vgl. auch: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 86b Rdnr. 26d; BayLSG, Beschluss vom 23. September 2010 – L 7 AS 651/10 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 18). Zum Teil wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen des nunmehr fehlenden Anordnungsgrundes – wohl als unbegründet – abgelehnt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Februar 2006 – L 19 B 112/05 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 5; BayLSG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – L 11 AS 796/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 14). Schließlich wird dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch ohne nähere dogmatische Einordnung der Erfolg versagt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. März 2006 – L 5 B 56/06 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 3).
Es kann dahingestellt bleiben, welcher Auffassung zu folgen ist, weil alle Ansätze zu demselben Ergebnis führen, nämlich zur Erfolglosigkeit des Begehrens auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 12. Februar 2008 – L 3 B 595/07 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 19; SächsLSG, Beschluss vom 25. August 2008 – L 3 B 317/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 19).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der den Erlass einer vorläufigen Regelung bis zum bestandskräftigen Abschluss des mit dem Antrag vom 10. Januar 2011 eingeleiteten Verwaltungsverfahrens zum Gegenstand hatte, kann nicht dahingehend ausgelegt oder umgedeutet werden, dass er nunmehr den Erlass einer vorläufigen Regelung während des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X zum Gegenstand haben soll. Denn eine einstweilige Anordnung dient dazu, das jeweilige Hauptsacheverfahren zu flankieren. Ein anderer Anspruch als der im jeweiligen Hauptsacheverfahren verfolgte kann deshalb mit einer einmal beantragten einstweiligen Anordnung nicht gesichert werden (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren [5. Aufl., 2008], Rdnr. 230). Auch eine Regelungsanordnung kann nach dem Wortlaut von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG nur "in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis" ergehen. Der Anspruch auf Überprüfung nach § 44 SGB X ist aber ein vom Gesetzgeber geschaffener, im Vergleich zum ursprünglichen Leistungsanspruch eigenständiger Anspruch mit weiteren, eigenständigen formellen und materiellen Tatbestandsvoraussetzungen. Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz in Bezug auf das Verfahren nach § 44 SGB X kann deshalb nur im Rahmen eines neuen Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erlangt werden (vgl. bereits SächsLSG, Beschluss vom 25. August 2008 – L 3 B 317/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 20).
Entsprechendes gilt in Bezug auf den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Ein Wiedereinsetzungsantrag als solcher durchbricht oder suspendiert noch nicht die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes. Die Bestandkraft wird erst mit der Entscheidung, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird, beseitigt.
Nur ergänzend wird angemerkt, dass nach Aktenlage Zweifel bestehen, ob die Antragsteller derzeit einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand haben. Zwar lässt sich nach den vorliegenden Unterlagen und Stellungnahmen nicht beurteilen, ob der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (vgl. § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X) gestellt worden ist. Jedoch sind die Tatsachen zur Begründung des Antrages bislang nur behauptet und nicht, wie in § 27 Abs. 2 Satz 2 SGB X gefordert, bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner ist allerdings nicht gehindert, über den verspäteten Widerspruch auch ohne Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in der Sache zu entscheiden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 67 SGG Rdnr. 13).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
3. Den Antragstellern ist für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten ab Antragstellung zu bewilligen, weil sie die Kosten des Verfahrens nicht aufbringen können (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 des Zivilprozessordnung [ZPO]). Dies ergibt sich glaubhaft aus deren Erklärungen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
Eine Prüfung der Erfolgsaussichten hat zu unterbleiben, wenn – wie hier – der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Dr. Scheer Höhl Atanassov
II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Instanzen sind nicht erstattungsfähig.
III. Den Antragstellern wird für das Verfahren vor dem Sächsischen Landessozialgericht ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S J S , J 6, 01099 D , als Bevollmächtigter beigeordnet. Derzeit sind weder Raten zu zahlen noch Zahlungen aus dem Vermögen zu leisten.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen eine einstweilige Anordnung, mit der zur vorläufigen Leistungsgewährung an die Antragsteller verpflichtet wurde.
Der Landkreis M , ein zugelassenen kommunalen Trägers im Sinne von § 6a des Sozialgesetzbuches Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), bewilligte den Antragstellern zuletzt mit vorläufigem Bescheid vom 20. Januar 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für Februar 2008. Die Folgeanträge für die Zeit ab März 2008 lehnte er wegen fehlender Hilfebedürftigkeit ab.
Zum 1. August 2008 wurde der Landkreis M neu gebildet (vgl. § 3 Nr. 5 i. V. m. § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Neugliederung des Gebietes der Landkreise des Freistaates Sachsen (Sächsisches Kreisgebietsneugliederungsgesetz – SächsKrGebNG) vom 29. Januar 2008 [SächsGVBl. S. 102]). Dieser ist nunmehr zugelassener kommunaler Träger (vgl. Anlage zu § 1 der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende [Kommunalträger-Zulassungsverordnung – KomtrZV] vom 24. September 2004, zuletzt geändert durch Artikel 1 Nr. 3 der Verordnung vom 1. Dezember 2010 [BGBl. I S. 1758]) und Antragsgegner im vorliegenden Rechtsstreit.
Am 10. Januar 2011 stellten die Antragsteller einen Fortzahlungsantrag.
Am 22. März 2011 haben die Antragsteller um Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht.
Mit Bescheid vom selben Tag hat der Antragsgegner den Fortzahlungsantrag abgelehnt. Hilfsweise hat er gemäß § 66 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II versagt. Die Entscheidung ist damit begründet worden, dass erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben zur Bedürftigkeit der Antragsteller bestünden.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 15. April 2011 dem Antrag der Antragsteller teilweise entsprochen hat. Es hat den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern beginnend ab dem 1. April 2011 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens aber für die Dauer von drei Monaten vorläufig monatlich Leistungen nach dem SGB II in bezifferter Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner hat hiergegen am 21. April 2011 Beschwerde eingelegt. Auf seinen Vortrag, dass der Ablehnungsbescheid bestandskräftig geworden sei, hat der Bevollmächtigte der Antragsteller im Schriftsatz vom 13. Mai 2011 erklärt, dass der Bescheid der Bedarfsgemeinschaft zugegangen sei. Er habe am 19. April 2011 auftragsgemäß ein Widerspruchsschreiben verfasst, das aber auf Grund eines kanzleiinternen Versehens die Kanzlei nicht verlassen habe. Mit Schreiben vom 13. Mai 2011 sei ein Überprüfungsantrag gemäß § 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gestellt worden. Im Schriftsatz vom 13. Mai 2011 hat der Antragstellerbevollmächtigte höchst vorsorglich gegenüber dem Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Auf Grund des Überprüfungsantrages sei über den bestandskräftigen Ablehnungsbescheid vom 22. März 2011 noch zu entscheiden, was noch nicht geschehen sei. Aus diesem Grund sei das Rechtsschutzbedürfnis noch nicht entfallen.
Der Antragsgegner beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichtes Dresden vom 15. April 2011 (S 20 AS 1536/11 ER) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen. Hilfsweise, deren Auszahlung von der vorherigen Absicherung der Rückzahlung durch Bestellung eines Grundpfandrechts an der eigengenutzten Immobilie der Antragsteller abhängig zu machen.
Die Antragsteller, die in der Sache keinen Antrag gestellt haben, beantragen,
ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu gewähren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des Sozialgerichtes Dresden vom 15. April 2011 ist aufzuheben, weil es keinen durchsetzbaren Hauptanspruch mehr gibt, hinsichtlich dessen eine vorläufige Regelung im vorliegenden Verfahren getroffen werden könnte (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 12. Februar 2008 – L 3 B 595/07 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 18 ff.; SächsLSG, Beschluss vom 25. August 2008 – L 3 B 317/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 17 ff.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Juni 2010 – L 5 AS 94/10 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 24 ff.).
Die Antragsteller begehren vom Antragsgegner in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Hierauf gerichteter vorläufiger Rechtsschutz kann mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erlangt werden. Danach ist eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Ein wesentlicher Nachteil kann vorliegend aber nicht mehr abgewandt werden, weil die Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid vom 22. März 2011 nach eigenen Angaben nicht gemäß § 87 Abs. 1 SGG innerhalb eines Monats nach dessen Bekanntgabe Widerspruch eingelegt haben. Der Bescheid, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfbelehrung versehen war, ist folglich gemäß § 77 SGG für die Beteiligten, das heißt für die Antragsteller und den Antragsgegner, bindend geworden.
Der erkennende Senat hat bereits früher darauf hingewiesen, dass es allgemeine Auffassung ist, dass ein ursprünglich zulässiger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben kann, wenn feststeht, dass der Antragsteller keinen durchsetzbaren Hauptanspruch, hier den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, mehr besitzt. Rechtsdogmatisch wird zum Teil der Eilantrag als nach Antragstellung unzulässig geworden angesehen, weil kein Rechtsschutzinteresse, das heißt ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten gerichtlichen Entscheidung, mehr für vorläufigen Rechtsschutz bestehe (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren [5. Aufl., 2008], Rdnr. 98, m. w. N.), oder weil der Antrag unstatthaft geworden sei (vgl. LSG Saarland, Beschluss vom 11. August 2005 – L 9 B 4/05 AS – JURIS-Dokument Rdnr. 24; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [20. Erg.-Lfg., Mai 2010], § 123 Rdnr. 102; vgl. auch: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 86b Rdnr. 26d; BayLSG, Beschluss vom 23. September 2010 – L 7 AS 651/10 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 18). Zum Teil wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen des nunmehr fehlenden Anordnungsgrundes – wohl als unbegründet – abgelehnt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Februar 2006 – L 19 B 112/05 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 5; BayLSG, Beschluss vom 25. Januar 2010 – L 11 AS 796/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 14). Schließlich wird dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch ohne nähere dogmatische Einordnung der Erfolg versagt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. März 2006 – L 5 B 56/06 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 3).
Es kann dahingestellt bleiben, welcher Auffassung zu folgen ist, weil alle Ansätze zu demselben Ergebnis führen, nämlich zur Erfolglosigkeit des Begehrens auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 12. Februar 2008 – L 3 B 595/07 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 19; SächsLSG, Beschluss vom 25. August 2008 – L 3 B 317/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 19).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der den Erlass einer vorläufigen Regelung bis zum bestandskräftigen Abschluss des mit dem Antrag vom 10. Januar 2011 eingeleiteten Verwaltungsverfahrens zum Gegenstand hatte, kann nicht dahingehend ausgelegt oder umgedeutet werden, dass er nunmehr den Erlass einer vorläufigen Regelung während des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X zum Gegenstand haben soll. Denn eine einstweilige Anordnung dient dazu, das jeweilige Hauptsacheverfahren zu flankieren. Ein anderer Anspruch als der im jeweiligen Hauptsacheverfahren verfolgte kann deshalb mit einer einmal beantragten einstweiligen Anordnung nicht gesichert werden (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren [5. Aufl., 2008], Rdnr. 230). Auch eine Regelungsanordnung kann nach dem Wortlaut von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG nur "in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis" ergehen. Der Anspruch auf Überprüfung nach § 44 SGB X ist aber ein vom Gesetzgeber geschaffener, im Vergleich zum ursprünglichen Leistungsanspruch eigenständiger Anspruch mit weiteren, eigenständigen formellen und materiellen Tatbestandsvoraussetzungen. Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz in Bezug auf das Verfahren nach § 44 SGB X kann deshalb nur im Rahmen eines neuen Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erlangt werden (vgl. bereits SächsLSG, Beschluss vom 25. August 2008 – L 3 B 317/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 20).
Entsprechendes gilt in Bezug auf den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Ein Wiedereinsetzungsantrag als solcher durchbricht oder suspendiert noch nicht die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes. Die Bestandkraft wird erst mit der Entscheidung, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird, beseitigt.
Nur ergänzend wird angemerkt, dass nach Aktenlage Zweifel bestehen, ob die Antragsteller derzeit einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand haben. Zwar lässt sich nach den vorliegenden Unterlagen und Stellungnahmen nicht beurteilen, ob der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (vgl. § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB X) gestellt worden ist. Jedoch sind die Tatsachen zur Begründung des Antrages bislang nur behauptet und nicht, wie in § 27 Abs. 2 Satz 2 SGB X gefordert, bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner ist allerdings nicht gehindert, über den verspäteten Widerspruch auch ohne Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in der Sache zu entscheiden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 67 SGG Rdnr. 13).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
3. Den Antragstellern ist für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten ab Antragstellung zu bewilligen, weil sie die Kosten des Verfahrens nicht aufbringen können (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 des Zivilprozessordnung [ZPO]). Dies ergibt sich glaubhaft aus deren Erklärungen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
Eine Prüfung der Erfolgsaussichten hat zu unterbleiben, wenn – wie hier – der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Dr. Scheer Höhl Atanassov
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