L 19 AS 866/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 22 AS 2619/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 866/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.05.2011 geändert. Der Klägerin wird ab dem 22.03.2011 Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren gewährt und Rechtsanwalt N, C, beigeordnet. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.05.2011 wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.
Der Kläger besitzt die deutsche und marokkanische Staatsangehörigkeit. Am 02.08.2009 heiratete er in Marokko die Klägerin, welche die marokkanische Staatsangehörigkeit besitzt. Am 11.09.2010 reiste die Klägerin in die Bundesrepublik ein. Die Stadt I erteilte ihr am 27.09.2010 eine bis zum 26.12.2010 befristete Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), wonach eine Erwerbstätigkeit jeder Art gestattet ist. Am 27.09.2010 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach §§ 27, 28 AufenthG. Am 06.12.2010 erteilte die Stadt I der Klägerin eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG wegen Familiennachzugs zum Ehegatten.

Die Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend: der Beklagte) bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 22.06.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 695,33 EUR mtl. für die Zeit vom 01.06. bis 30.11.2010.

Am 13.09.2010 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für sich und die Klägerin. Durch Bescheid vom 20.09.2010 mit der Überschrift "Änderung zum Bescheid vom 22.06.2010 über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts", adressiert an den Kläger, bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 491,16 EUR mtl. (Regelleistung 323,00 EUR + Kosten der Unterkunft 168,10 EUR) für die Zeit vom 01.10 bis 31.11.2010. Er führte aus, dass die Klägerin die ersten drei Monate keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe, da sie keine Unionsbürgerin sei. Die Klägerin werde ab dem 01.10.2010 in die Haushaltsgemeinschaft aufgenommen. Deshalb stünden dem Kläger nur noch die abgesenkte Regelleistung von 323,00 EUR und die anteiligen Kosten der Unterkunft zu.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch, der sich insbesondere gegen den Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II richtete, wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 04.10.2010 als unbegründet zurück.

Die Stadt I lehnte die Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) an die Klägerin durch Bescheid vom 08.11.2010 ab. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

Durch Bescheid vom 29.11.2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen in Höhe von 196,46 EUR für die Zeit vom 01.12 bis 12.12.2010 sowie der Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus den beiden Klägern, Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 600,17 EUR für die Zeit vom 13.12. bis 31.12.2010 und von 977,16 EUR mtl. für die Zeit vom 01.01. bis 31.05.2011. Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein und begehrten, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II nach Ablauf von drei Monaten ihres Aufenthalts im Bundesgebiet zu gewähren. Durch Abhilfebescheid vom 04.01.2011 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den 11.12 und 12.12.2010. Durch Bescheid vom 11.01.2011 führte der Beklagte das Anerkenntnis aus.

Am 08.11.2010 hat der Kläger, vertreten durch den Bevollmächtigten, Klage mit dem Begehren erhoben, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2010 zu verurteilen, seinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nach Aufnahme der Klägerin in die Bedarfsgemeinschaft unter Beachtung der Auffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Auf Anfrage des Sozialgerichts hat der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 16.12.2010 mitgeteilt, dass die Ehefrau des Klägers auch als Klägerin auftreten soll.

Die Kläger haben vorgetragen, dass der Ausschluss der Klägerin von den Leistungen nach dem SGB II nach § 7 SGB II nicht gerechtfertigt sei. Die Klägerin sei zum Zwecke der Familienzusammenführung zu ihrem Ehemann in die Bundesrepublik eingereist. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II sei nach der Gesetzesbegründung für Unionsbürger geschaffen worden. Allein diese hätten für die ersten drei Monate ihres Aufenthaltes von den Leistungen ausgeschlossen werden sollen

Durch Beschluss vom 25.01.2011 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Auf die Beschwerde des Klägers hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ihm durch Beschluss vom 30.03.2011, L 19 AS 230/11 B, Prozesskostenhilfe bewilligt.

Durch Beschluss vom 06.05.2011 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Klage habe zwar hinreichende Aussicht auf Erfolg, soweit die Klägerin Arbeitslosengeld II für den 11. und 12.12.2010 begehre. Denn sie sei lediglich für die Zeit vom 11.09 bis 10.12.2010 nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Angesichts der Tatsache, dass lediglich ein Anspruch für zwei Tage in Betracht komme, der im Vergleich zu dem geltend gemachten Anspruch von drei Monaten nicht wesentlich ins Gewicht falle, sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe untunlich.

Hiergegen haben die Kläger Beschwerde eingelegt.

Sie haben beantragt, die Stadt I beizuladen.

II.
Die Beschwerde der Klägerin ist begründet (A.). Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig (B.)

A. Die Beschwerde der Klägerin ist begründet.

Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114, 115 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint

Die von der Klägerin erhobene Klage bietet zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife am 22.03.2011 hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Danach muss Prozesskostenhilfe nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen aber ohne Schwierigkeit beantwortet werden kann (BVerfG Beschlüsse vom 19.07.2010 - 1 BvR 1873/09 - und vom 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07 - mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Durch den angefochtenen Bescheid vom 20.09.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2010 hat der Beklagte nicht nur den Bewilligungsbescheid vom 28.05.2010 zu Ungunsten des Klägers für die Zeit vom 01.10 bis 31.11.2010 abgeändert, also mit Wirkung für die Zukunft zum Nachteil des Klägers teilweise aufgehoben, sondern auch den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II vom 13.09.2010 für den Zeitraum vom 13.09. bis 31.11.2010 abgelehnt. Insoweit ist die von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und (Bescheidungs)Leistungsklage zulässig und möglicherweise begründet. Denn es ist offen, ob der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II zu Ungunsten der Klägerin eingreift. Die Rechtsfrage, ob die Bestimmung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II im Fall des Zuzugs eines ausländischen Ehepartners zu seinem deutschen Ehegatten in die Bundesrepublik Deutschland einen Leistungsanspruch des ausländischen Ehepartners für die ersten drei Monate seines Aufenthalts ausschließt, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt und kann auch nicht angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen, insbesondere unter Berücksichtung des sich aus Art. 6 Grundgesetz ergebenden Schutzes des Interesses eines deutschen Ehepartners, seine Ehe als eine Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner im Bundesgebiet fortzusetzen (BVerfG Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 = BVerfG 51, 386), ohne Schwierigkeit beantwortet werden (den Leistungsausschluss befürwortend: SG Stuttgart Beschluss vom 24.03.2011 - S 24 AS 1359/11 ER - m.w.N.; den Leistungsausschluss verneinend: SG Berlin Urteil vom 18.04.2011 - S 201 AS 45186/09 - m.w.N.). Diese Rechtsfrage ist auch entscheidungserheblich, da nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage die Klägerin die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II mindestens ab dem 27.09.2010, dem Zeitpunkt der Erteilung eine bis zum 26.12.2010 befristete Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG mit der Gestattung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit jeder Art, erfüllt.

Klarstellend weist der Senat daraufhin, dass der Bescheid vom 29.11.2010 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 04.01.2011, wovon das Sozialgericht in den Gründen anscheinend ausgegangen ist, nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist. Der Bescheid vom 29.11.2010 ersetzt weder den angefochtenen Bescheid vom 20.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2010 noch ändert er ihn ab. Denn der Bescheid vom 29.11.2010 trifft keine Regelung mit unmittelbarer Außenwirkung i.S.v. § 31 SGB X für den von vom Bescheid vom 20.09.2010 erfassten Bewilligungszeitraum vom 01.06 bis 30.11.2010, sondern regelt ausschließlich die Ansprüche der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II für den nachfolgenden Bewilligungszeitraum vom 01.12.2010 bis 31.05.2011. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werden Folgebescheide, soweit mit ihnen für anschließende Zeiträume weitere Leistungen bewilligt worden sind, nicht nach § 96 SGG Gegenstand eines Klageverfahrens, das davor liegende Bewilligungszeiträume betrifft. Die Ausdehnung des Klagegegenstandes auf Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume kommt bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II regelmäßig nicht in Betracht (vgl. BSG Urteil vom 13.05.2009 - B 4 AS 39/08 R - m.w.N.).

In Hinblick auf die ungeklärten Rechtsfragen hinsichtlich des Leistungsanspruchs der Klägerin bietet das Klagebegehren der Klägerin hinreichende Erfolgsaussicht.

Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, so dass ihr - ratenfrei - Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist (§ 73a SGG i.V.m. § 115 ZPO).

B. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig.

Der Kläger ist durch den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.05.2011 nicht beschwert. Ihm wurde durch den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30.03.2011, L 19 AS 230/11 B, Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren bewilligt. Das Sozialgericht Gelsenkirchen hat keine Entscheidung über die dem Kläger bewilligte Prozesskostenhilfe in dem Beschluss vom 06.05.2011 getroffen, sondern ausweislich des Tenors des Beschlusses nur über den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe befunden.

Damit ist die Beschwerde des Klägers nach § 202 SGG i.V.m. § 572 Abs. 2 S. 2 Zivilprozessordnung als unzulässig zu verwerfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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