L 7 AS 1816/11 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 AS 1653/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1816/11 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 6. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Recht abgelehnt.

Hinsichtlich der Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld II für März 2011 ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG - mittlerweile - der Klage gegen den Bescheid vom 4. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2011 statthaft. Denn nach § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt oder zurücknimmt, keine aufschiebende Wirkung. Für die Zeit ab dem 1. April 2011, für die eine Leistungsbewilligung noch nicht vorlag, ist hingegen, wie vom SG auch insoweit zutreffend erkannt, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG richtige Rechtsschutzform.

§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gibt selbst keinen Maßstab vor, wann die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Diese Lücke ist durch eine analoge Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen. Das Gericht nimmt also eine eigenständige Abwägung der Beteiligteninteressen vor. Es wägt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug und das private Aufschubinteresse ab. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sollen keine Positionen eingeräumt werden, die im Hauptsacheverfahren erkennbar nicht standhalten. Bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Bescheide ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs die Anordnung hingegen abzulehnen. Bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 SGG, in denen wie hier der Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, den abstrakten öffentlichen Interessen den Vorrang einzuräumen, zu beachten. In analoger Anwendung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG sind Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zugunsten des Antragstellers nur zu berücksichtigen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen, der Erfolg in der Hauptsache also überwiegend wahrscheinlich ist (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Juli 2006 - L 13 AS 1709/06 ER-B - (juris)). Wegen des grundrechtlichen Gewichts der Leistungen nach dem SGB II, die die Menschenwürde des Empfängers sichern sollen, muss hier im Rahmen der Abwägungsentscheidung die gesetzgeberische Wertung für die sofortige Vollziehbarkeit im Einzelfall zurücktreten, auch wenn keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (Senatsbeschluss vom 16. April 2008 - L 7 AS 1398/08 ER-B - (juris); Bundesverfassungsgericht NVwZ 2005, 927 zum Maßstab bei der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG). Dabei kommt es darauf an, ob die Leistung vollständig oder zu einem erheblichen Teil entzogen wird oder nur geringfügige Einschränkungen vorgenommen werden (Senatsbeschlüsse vom 16. April 2008, a.a.O., sowie vom 8. April 2008 - L 7 AS 1161/08 ER-B). Entgegen der Auffassung des SG genügt daher im vorliegenden Fall eine lediglich summarische Prüfung nicht, da das Existenzminimum gewährleistende Grundsicherungsleistungen vollständig aufgehoben bzw. abgelehnt wurden. Der Senat hat daher keine nur summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorgenommen, sondern eine abschließende wie in einem Hauptsacheverfahren. Dieser Maßstab gilt in gleicher Weise für die Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG.

Auch unter Beachtung dieser Maßstäbe hat das SG einen materiell-rechtlichen Anspruch der Antragstellerin auf die begehrten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zu Recht verneint und - für März 2011 - darüber hinaus die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 23. August 2010 bejaht. Der Senat nimmt nach eigener Prüfung auf die ausführlichen und zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen lediglich auszuführen, dass nach Überzeugung des Senats eine Abtretung der Forderung der Antragstellerin aus dem Bausparvertrag an ihre Schwester nicht erfolgt ist. Nach den Auslegungsgrundsätzen der §§ 133 und 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften; Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann der Vereinbarung vom 1./3. Juli 2002 auch unter der Berücksichtigung, dass diese von rechtlichen Laien formuliert wurde, nicht entnommen werden, dass die Forderung aus dem Bausparvertrag bereits von der Antragstellerin auf deren Schwester übergehen sollte. Der Wortlaut bietet an keiner Stelle den Hinweis, dass das Recht übergehen oder übertragen werden sollte, dass also eine Änderung der Rechtspositionen bereits vorgenommen werden sollte. Vielmehr lässt die gewählte Formulierung einer "Verpflichtung", den Bausparvertrag als Sicherheitsleistung "vorzuhalten", gerade erkennen, dass der Status quo hinsichtlich der Inhaberschaft des Rechts erhalten bleiben sollte. Nur wer etwas innehat, kann es vorhalten. Die Formulierung lässt sich nur so verstehen, dass die Antragstellerin sich verpflichtete, das ihr nach wie vor zustehende Recht nicht zu veräußern oder anderweitig einzusetzen. Die Antragstellerin konnte also nach der erkennbaren Vorstellung der Vertragsparteien über das Recht/die Forderung verfügen, verpflichtete sich aber dazu, dies nicht zu tun, "durfte" es also im Verhältnis zu ihrer Schwester nicht. Dazu passt - aus Laiensicht - auch die Übergabe der Bausparurkunde an die Schwester. Dass dies dem Willen der Vertragsparteien entsprach, zeigt die weitere Vereinbarung, dass im Falle der Nichtrückzahlung der "Darlehenssumme" zum 31. Dezember 2012 erst noch eine "Umschreibung" des Bausparvertrags auf die Schwester erfolgen sollte. Diese Formulierung zeigt deutlich, wie die Beteiligten der Abrede sich einen Rechtsübergang vorgestellt haben. Der abweichenden Auslegung, die seitens der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren vertreten wird, vermag sich der Senat daher nicht anzuschließen. Die lediglich schuldrechtliche Sicherungsabrede steht jedoch, wie das SG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, rechtlich der tatsächlichen Verwertungsmöglichkeit der Forderung durch die Antragstellerin nicht entgegen. Schließlich bestehen hinsichtlich der Rücknahmevoraussetzungen des § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch keine Zweifel, da die Antragstellerin den Anspruch aus dem Bausparvertrag zu keinem Zeitpunkt angegeben hatte. Auch insoweit wird auf die Ausführungen des SG Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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