L 4 R 5395/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 181/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 5395/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger, der im Juni 2004 das 65. Lebensjahr vollendet hatte, begehrt die Zahlung seiner Regelaltersrente schon für die Monate vom 1. Juli 2004 bis 31. Januar 2009, obwohl er erst im Februar 2009 einen Rentenantrag gestellt hat.

Der am 1939 geborene Kläger ist Zimmermeister. Seit 01. Juli 1976 hat er ein Zimmereigeschäft als Gewerbe angemeldet. Nach seinen eigenen Angaben führt er seit 2004 nur noch leichtere Tätigkeiten aus. Am 27. Januar 2005 und am 27. August 2008 erlitt er Arbeitsunfälle und war im Anschluss daran jeweils arbeitsunfähig krank. Derzeit beschäftigt er - wiederum nach seinen Angaben - einen Facharbeiter und zwei Bauhelfer und außerdem für den kaufmännischen Bereich seit 1995 eine Halbtagskraft, die mit dem Steuerberater zusammen die sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten abwickelt. Unter dem 24. Oktober 1988 wurde dem Kläger ein Versicherungsverlauf erteilt. In dem dem Bescheid beigefügten Schreiben vom selben Tag teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ein Anspruch auf Zahlung einer Rente nur bestehe, wenn die Wartezeit erfüllt, der Leistungsfall eingetreten und ein Rentenantrag gestellt sei. Mit Bescheid vom 10. Februar 1998 stellte die Beklagte die vom Kläger bis 31. Dezember 1991 zurückgelegten Zeiten verbindlich fest. Insoweit heißt es in der beigefügten Rentenauskunft vom 10. Februar 1998 unter "Hinweise zum Rentenanspruch und zu den Wartezeiten", dass eine Rente nur gezahlt werde, wenn die Wartezeit, die persönlichen und die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien und ein Rentenantrag gestellt sei. U. a. sei die Wartezeit für die Regelaltersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres erfüllt. Unter dem 16. Februar 2004 unterrichtete die Beklagte den Kläger über die im Versicherungskonto gespeicherten Daten, bat um Prüfung derselben, damit die spätere Rente schnell und in richtiger Höhe festgestellt werden könne, und verwies den Kläger für weitere Auskünfte an die Regionalzentren, ihre der Beklagten - Außenstellen, die LVA-Versichertenberater und die örtlichen Versicherungsämter bzw. die Stadt- oder Gemeindeverwaltungen. Ein Rücklauf des Antwortschreibens erfolgte nicht. Des Weiteren ist im Kontospiegel der Beklagten unter dem 27. Mai 2004 ein an die Firmenanschrift des Klägers gerichtetes Schreiben nach § 115 Abs. 6 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) dokumentiert, in welchem die Beklagte den Kläger darauf hinwies, dass er wegen Vollendung des 65. Lebensjahres in Kürze voraussichtlich Anspruch auf Altersrente habe, Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur auf Antrag gewährt würden und er Altersrente nur rechtzeitig erhalten könne, wenn er die Rente bis zum 30. September 2004 beantrage, andernfalls werde die Rente ab dem Kalendermonat geleistet, in dem sie beantragt werde. Der Kläger behauptet dieses Schreiben sei ihm nicht zugegangen. Im Versicherungsverlauf der Beklagten vom 12. März 2009 sind für die Zeit vom 01. Mai 1953 bis 30. November 1972 mit Ausnahme der Zeit vom 26. Mai 1961 bis 09. Juli 1961 Pflichtbeitragszeiten, vom 01. Dezember 1972 bis 31. Dezember 1973 freiwillige Beiträge, für die Zeit vom 01. Dezember 1981 bis 17. März 1982 Pflichtbeitragszeiten wegen einer Rehabilitation und sodann vom 27. Januar 2005 bis 12. Februar 2005 und vom 11. März 2005 bis 30. September 2005 Pflichtbeitragszeiten aufgrund des Bezugs von Kranken- oder Übergangsgeld, Arbeitslosengeld oder -hilfe und vergleichbarer Leistungen eines Sozialleistungsträgers gespeichert.

Am 25. Februar 2009 beantragte der Kläger Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 01. Juli 2004. Er gab an, dass ihm nicht bekannt gewesen sei, dass die Rente nur auf Antrag gezahlt werde. Einen entsprechenden Hinweis durch die Beklagte habe er nicht erhalten. Mit Rentenbescheid vom 12. März 2009 gewährte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab 01. Februar 2009 in Höhe eines monatlichen Zahlbetrags von EUR 416,38. Sie führte aus, die Anspruchsvoraussetzungen für die Regelaltersrente seien ab 28. Juni 2004 erfüllt. Geleistet werde die Rente ab dem Antragsmonat, weil der Antrag erst nach Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt worden sei, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien. Dem beantragten Rentenbeginn könne nicht entsprochen werden, da der Kläger mit in Kopie beigefügtem Schreiben vom 27. Mai 2004 darüber informiert worden sei, dass ein Rentenbeginn zum 01. Juli 2004 nur dann möglich sei, wenn ein formeller Rentenantrag bis 30. Juni 2004 gestellt worden wäre. Nach diesem Zeitpunkt werde die Rente ab dem Kalendermonat geleistet, in dem sie beantragt werde.

Der Kläger erhob Widerspruch und begehrte weiterhin die Gewährung von Rente ab 01. Juli 2004. Er trug vor, er habe nicht gewusst, dass er Rentenansprüche verliere, wenn er nicht spätestens zum 30. Juni 2004 einen Rentenantrag stelle. Er sei weder davon ausgegangen, dass ihm überhaupt ein Rentenanspruch zustehe, noch dass er hierfür irgendwelche Anträge stellen müsse. Hierauf sei er erst bei einem Gespräch über Altersversorgung, bei dem ihm geraten worden sei, er solle doch einmal einen Rentenantrag stellen, aufmerksam geworden. Die Rentenauskunft vom 10. Februar 1998 habe er zwar erhalten. Abgesehen davon, dass dieses Schreiben schon keine Belehrung darüber enthalte, dass ein Antrag bis zu einem gewissen Zeitpunkt zu stellen sei, um keine Ansprüche zu verlieren, sei ihm dieses Schreiben aber auch mehr als sechs Jahre vor einem möglichen Rentenbeginn zugegangen. Zum Zeitpunkt des möglichen Rentenbeginns habe er an den Inhalt dieses Schreiben keinerlei Erinnerung mehr gehabt. An den Zugang eines weiteren Schreibens/Bescheids vom 24. Oktober 1988 habe er keine Erinnerung und auch das Schreiben vom 27. Mai 2004 sei ihm nicht zugegangen. Wäre er zeitnah zum Rentenbeginn auf die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Antragstellung hingewiesen worden, so hätte er selbstverständlich zeitnah den Rentenantrag gestellt. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2009 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Eine Pflichtverletzung ihrerseits liege nicht vor. Auch wenn der Nachweis, dass dem Kläger das Schreiben vom 27. Mai 2004 zugegangen sei, nicht erbracht werden könne, liege nicht automatisch eine Verletzung der Hinweispflicht mit den Folgen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vor. Die Entstehung eines solchen Anspruchs sei abhängig von der Frage, ob die Pflichtverletzung ursächlich für das Versäumnis der rechtzeitigen Rentenantragstellung gewesen sei. Aufgrund der mehrfach erteilten Bescheide und der darin enthaltenen Hinweise sei davon auszugehen, dass der Kläger auch ohne das Hinweisschreiben, dessen Zugang er bestreite, über die Möglichkeit einer erforderlichen Rentenantragstellung informiert gewesen sei. Auch mit Bescheid vom 10. Februar 1998, dessen Erhalt der Kläger bestätige, sei auf die Notwendigkeit der Rentenantragstellung hingewiesen worden. Für eine rückwirkende Rentengewährung im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bleibe kein Raum.

Hiergegen erhob der Kläger am 15. Januar 2010 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG). Unter Bezugnahme auf seinen bisherigen Vortrag führte er ergänzend aus, dass er das Schreiben vom 24. Oktober 1988 nicht erhalten habe. Angesichts des Alters des Schreibens habe dies aber ohnehin keine Wirkungen entfalten können. Die Anfrage des SG im Hinblick auf seine selbstständige Tätigkeit beantwortete er, da er Angaben hierzu für nicht entscheidungsrelevant hielt, nicht.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 15. Oktober 2010 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente ab dem 01. Juli 2004. Auch wenn davon auszugehen sein sollte, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger die Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI nicht erfüllt habe, stehe damit nicht fest, dass der Kläger im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen wäre, als habe er rechtzeitig die Regelaltersrente beantragt. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setze die Kausalität der Pflichtverletzung zum eingetretenen sozialrechtlichen Schaden voraus, konkret, dass der Kläger dann, wenn er den Hinweis erhalten hätte, rechtzeitig den Antrag gestellt hätte. Insoweit trage der Kläger die negative Feststellungslast. Sei der Kläger auch ohne Hinweisschreiben über die Möglichkeit einer entsprechenden Rentenantragstellung informiert gewesen, spreche dies nicht dafür, dass er auf ein Hinweisschreiben den Rentenantrag tatsächlich gestellt hätte. An diesem Maßstab orientiert seien die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht erfüllt. Der Kläger habe zum Einen ein Schreiben erhalten, aus dem das Antragserfordernis für den Erhalt einer Rente hervorgehe. Berücksichtige man weiter den Bildungs- und Kenntnisstand des Klägers als selbstständiger Zimmermeister mit eigenem Betrieb, der als solcher regelmäßig Umgang mit Sozialversicherungsträgern haben dürfte, und eine verspätete Antragstellung von weit über vier Jahren, so lasse sich das Kausalitätserfordernis des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht erschließen. Die vom Kläger zu beweisenden Voraussetzungen seien nicht nachgewiesen.

Gegen den am 22. Oktober 2010 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22. November 2010 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung. Die möglichen sozialrechtlichen Sachkenntnisse seien völlig unabhängig davon, ob er zur Zeit sein Gewerbe noch ausübe und ob er anderweitige selbstständige Tätigkeiten verrichtet habe. Natürlich habe er gewusst, dass er grundsätzlich einen Antrag stellen müsse, um Rente zu erhalten. Nicht gewusst habe er aber und dies hätte er auch als Selbstständiger nicht wissen können oder müssen, dass ihm die Rentenansprüche verlustig gehen, wenn er den Rentenantrag nicht zeitnah stelle. Dies sei aufgrund der Tatsache, dass die Rentenansprüche aus selbst erwirtschafteten Vorausleistungen beruhten, auch keinesfalls naheliegend. Genau aus diesem Grunde habe die Beklagte bestimmte Aufklärungs- und Informationspflichten. Diesen sei sie hier nicht nachgekommen. Hätte er gewusst, dass er nur bei einer zeitnahen Beantragung seiner Altersrente diese auf Dauer nicht verliere, so hätte er auch die Rente zeitnah beantragt. Er habe gedacht, dass es auf den Zeitpunkt der Antragstellung nicht ankomme. Da er das Geld zunächst nicht benötigt habe, habe er gedacht "lass es auf der Bank liegen" (Anführungszeichen im Original). Seine kaufmännische Tätigkeit im Betrieb beschränke sich darauf, handwerkliche Angebote zu schreiben. In sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten kenne er sich nicht aus.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Oktober 2010 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 12. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2009 abzuändern und ihm Regelaltersrente ab 01. Juli 2004 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist unter Bezugnahme auf ein Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. November 2009 (S 24 AS 2559/07) ergänzend darauf hin, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht dazu diene, den Versicherten oder Leistungsempfänger von der eigenverantwortlichen Wahrnehmung seiner eigenen Angelegenheiten respektive von der eigenüblichen Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten frei zu stellen. Diese eigenübliche Sorgfaltspflicht in eigenen Angelegenheiten habe der Kläger nicht wahrgenommen. Aus der Rentenauskunft vom 10. Februar 1998 habe er eindeutig erkennen können, dass er einen Anspruch auf die Regelaltersrente mit 65 Jahren habe. Auf Seite 2 stehe auch ausdrücklich, dass eine Rente u.a. nur gezahlt werde, wenn ein Rentenantrag gestellt sei. Circa vier Monate vor Erreichung der Altersgrenze sei der Kläger am 16. Februar 2004 auch wegen Mitwirkung bei der Klärung seines Versicherungskontos angeschrieben worden. Es finde sich in diesem Schreiben auch der Hinweis darauf, dass seine Antwort benötigt werde, um die spätere Rente schnell und in richtiger Höhe feststellen zu können. Es seien auch die Stellen angeführt, bei denen er sich hätte melden können. Der ursprüngliche Vortrag des Klägers, er sei davon ausgegangen, ihm stehe ein Rentenanspruch nicht zu, widerspreche seiner nunmehrigen Aussage, dass er das Geld zunächst nicht benötigt habe und es deshalb auf der Bank habe liegen lassen. Unverständlich sei insoweit auch, weshalb der Kläger, wenn er sämtliche sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten von seinem Steuerberater habe abwickeln lassen, diesen nicht gefragt habe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akten des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 15. Oktober 2010 ist nicht zu beanstanden. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 12. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2009 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung der Regelaltersrente ab 01. Juli 2004.

Versicherte hatten nach § 35 SGB VI in der vom 01. Januar 2002 bis 31. Dezember 2007 geltenden und für einen Rentenanspruch ab 01. Juli 2004 noch maßgebenden Fassung des Gesetzes Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie 1. das 65. Lebensjahr vollendet und 2. die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, an dem die Rente beantragt wird.

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben besteht ein Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente erst ab 01. Februar 2009. Zwar hatte er das 65. Lebensjahr bereits am 28. Juni 2004 vollendet. Er hatte zu diesem Zeitpunkt auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren mit Beitragszeiten und Ersatzzeiten erfüllt. Einen Rentenantrag hat er jedoch erst am 25. Februar 2009 und damit nicht bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren, nämlich dem 30. September 2004, gestellt. Damit wird die Rente gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erst von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wurde, dies ist hier der 01. Februar 2009.

Der Kläger kann abweichend hiervon auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als hätte er bis spätestens 30. September 2004 und damit rechtzeitig die Regelaltersrente beantragt.

Voraussetzung für das Eingreifen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zu Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch SGB I -), verletzt hat, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht und dass der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (vgl. z.B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 63/06 R - = SozR 4-1200 § 14 Nr. 10).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs abgesehen davon, dass auch insoweit die Nachleistung in analoger Anwendung des § 44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf vier Jahre rückwirkend begrenzt sein dürfte (so BSG, Urteil vom 14. Februar 2001 - B 9 V 9/00 R - in SozR 3-1200 § 14 Nr. 31; Urteil vom 27. März 2007 - B 13 R 58/06 R - = SozR 4-1300 § 44 Nr. 9; a.A. Urteil vom 26. Juni 2007 B 4 R 19/07 R - = SozR 4-1300 § 44 Nr. 12), so dass für die Zeit vom 01. Juli 2004 bis 31. Dezember 2004 auch unter Zugrundelegung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Anspruch des Klägers bestehen dürfte, vorliegend nicht erfüllt.

Zwar dürfte die Beklagte hier ihre Hinweispflicht verletzt haben. Denn nach § 115 Abs. 6 SGB VI sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. In gemeinsamen Richtlinien der Träger der Rentenversicherung kann nach § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen solche Hinweise erfolgen sollen. Nach § 1 dieser Richtlinien (abgedruckt in Kasseler Kommentar-Kater, § 115 SGB VI Rn. 27) werden Versicherte, die ausweislich ihres Versicherungskontos die allgemeine Wartezeit erfüllten und eine Rente der Rentenversicherung weder bezogen noch beantragt hatten, spätestens im Monat der Vollendung des 65. Lebensjahres darauf hingewiesen, dass sie Regelaltersrente rechtzeitig erhalten können, wenn sie diese bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragen, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Da bei Unkenntnis und Nichtbeachtung der Frist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, der endgültige Verlust des Anspruchs auf Rente für den zurückliegenden Zeitraum droht, muss der Hinweis des Versicherungsträgers auch eine Mitteilung dieser Frist umfassen (Pflüger in jurisPK-SGB VI § 115 RdNr. 138 mit weiterem Nachweis). Dem folgend hat die Beklagte im Falle des Klägers eine entsprechende Hinweispflicht angenommen, sie hat an den Kläger unter dem 27. Mai 2004, einen Monat vor seinem 65. Geburtstag, ein entsprechendes Hinweisschreiben abgeschickt. Der Zugang dieses Schreibens lässt sich nicht feststellen. Denn der Kläger hat den Zugang dieses Schreibens bestritten. Dieses bloße Bestreiten genügt, um der Beklagten den Nachweis aufzuerlegen, dass das Hinweisschreiben zugegangen ist. Ein substantiiertes Bestreiten kann insoweit nicht verlangt werden, denn damit würde man dem Adressaten eines Schreibens etwas ihm tatsächlich Unmögliches zumuten, nämlich etwas Konkretes dafür darzulegen, dass etwas nicht geschehen ist. Wer einen Brief nicht erhält, hat keinerlei Möglichkeit, über das Bestreiten des Zugangs hinaus darzutun, dass er ihn nicht erhalten habe. Die Beklagte kann sich insoweit auch nicht auf eine Zugangsvermutung oder einen Anscheinsbeweis, dass dieser Brief dem Kläger zugegangen ist, berufen, denn es besteht keine Vermutung für den Zugang eines mit einfachem Brief übersandten Schreibens. Es obliegt der Beklagten nachzuweisen, dass und wann das Schreiben vom 27. Mai 2004 dem Kläger zugegangen ist. Dies gelingt der Beklagten, nachdem sie über keine Nachweise hinsichtlich der Zustellung des Briefs verfügt, nicht. Die Nichtaufklärbarkeit geht, nachdem sie insoweit die Beweislast trägt, zu ihren Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 - B 13 R 4/06 R - = SozR 4-2600 § 115 Nr. 2).

Die Beklagte dürfte ihrer Hinweispflicht auch nicht durch die Bescheide bzw. Schreiben vom 24. Oktober 1988, 10. Februar 1998 und 16. Februar 2004 nachgekommen sein. Abgesehen davon, dass der Kläger auch den Zugang des Schreibens vom 24. Oktober 1988 bestreitet und insoweit auf die obigen Ausführungen Bezug genommen wird, fehlt in diesen Bescheiden und Schreiben jeweils der Hinweis auf die Frist des § 99 SGB VI, womit der Hinweis unvollständig sein dürfte.

Letztendlich kann jedoch offen bleiben, ob die Beklagte eine Pflichtverletzung begangen hat, denn der Herstellungsanspruch scheitert daran, dass zwischen der Pflichtverletzung der Beklagten und dem Nachteil des Klägers kein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ein solcher ursächlicher Zusammenhang liegt nur dann vor, wenn der Kläger dann, wenn er den Hinweis erhalten hätte, rechtzeitig den Rentenantrag gestellt hätte. Insoweit trägt der Kläger die Beweislast (BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 a.a.O.). Dieser Nachweis gelingt dem Kläger nicht. Es kann unter Berücksichtigung der Information durch die Beklagte mit Schreiben vom 14. Februar 2004, des Kenntnisstandes des Klägers als selbständiger Zimmermeister, der möglichen steuerrechtlichen Folgen einer Rentenzahlung und der durch die spätere Antragstellung höheren Rente nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger im Jahr 2004 nicht zunächst bewusst auf die Rentenzahlung verzichten wollte und sich bewusst zur Nichtantragstellung entschieden hat. Dass dies nicht so war, hat der Kläger nicht nachgewiesen. Damit war die Verletzung der Hinweispflicht durch die Beklagte nicht zumindest gleichwertige Bedingung für die unterlassene Antragstellung. Zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden des Klägers besteht kein ursächlicher Zusammenhang.

Insoweit ist zu beachten, dass der Kläger nach seinem nunmehrigen Vortrag wusste, dass er Rente nur auf Antrag erhält. Er bestreitet auch nicht den Zugang des Schreibens vom 16. Februar 2004, mit dem er vier Monate vor seinem 65. Geburtstag zwar nicht auf die Frist des § 99 SGB VI, aber auf seine Mitwirkungspflicht bei der Klärung des Versicherungsverlaufs hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht wurde, dass seine Prüfung des Versicherungsverlaufs erforderlich sei, damit die spätere Rente nunmehr schnell und in richtiger Höhe festgestellt werden könne. Auch die Beratungsstellen wurden explizit aufgezählt. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Kläger Zimmermeister ist und seit 1976 ein Gewerbe als Zimmermeister angemeldet hat und ausübt. Zur Ausbildung eines Handwerksmeisters gehört auch der sozialversicherungsrechtliche Bereich. Der Kläger beschäftigt auch bis heute noch vier Mitarbeiter, so dass ihm, auch wenn die Meldung an die Sozialversicherungsträger durch seine kaufmännische Angestellte und den Steuerberater erfolgt, bekannt ist, dass Arbeitnehmer mit einem bestimmten Lebensalter (im Jahr 2004 noch spätestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres) Altersrente erhalten. Er unterliegt mit seinem Unternehmen auch der Steuerpflicht. Gespräche bezüglich der Altersversorgung hat er nach seinem Vortrag erst kurz vor Rentenantragstellung im Februar 2009 geführt. Nicht außer Acht gelassen werden darf darüber hinaus, dass § 77 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI eine Erhöhung des Zugangsfaktors für jeden Kalendermonat nach Erreichen der Regelaltersgrenze und Nichtinanspruchnahme der Rente vorsieht. Dies führte beim Kläger zu einer Erhöhung des Zugangsfaktors auf 1,275 (Anlage 6 des Rentenbescheids vom 12. März 2009). Angesichts dessen kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Kläger auf ein Hinweisschreiben der Beklagten auch bezüglich der Frist des § 99 SGB VI, zumal die Folgen der verspäteten Antragstellung bereits seit 1992 in § 99 SGB VI festgelegt und bei den Versicherten weithin bekannt sind (BSG, Urteil vom 06. März 2003 - B 4 RA 38/02 R - = SozR 4-2600 § 115 Nr. 1), rechtzeitig den Rentenantrag gestellt hätte. Der höhere Zugangsfaktor führt zu einer deutlichen Erhöhung der Rente. Mit dem Zugangsfaktor von 1,275 erhöhten sich die Entgeltpunkte von 13,6848 auf 17,4481. Bei 13,6848 Entgeltpunkten, die bei einem Zugangsfaktor von 1,0 nur zu berücksichtigen wären, ergäbe sich bei dem Rentenwert von EUR 26,56 eine monatliche Rente in Höhe von EUR 363,47 statt EUR 463,38.

Der Kläger hat zu den Gründen der Stellung des Rentenantrags erst im Februar 2009 lediglich vorgetragen, dass, wenn er ordnungsgemäß auf die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Antragstellung und die Notwendigkeit einer Antragstellung überhaupt hingewiesen worden wäre, er selbstverständlich zeitnah auch den Rentenantrag gestellt hätte. Allein mit diesem pauschalen Vortrag ist indessen nicht belegt, dass der Kläger bei rechtzeitiger Beratung tatsächlich zeitnah den Rentenantrag gestellt hätte und die Verletzung der Hinweispflicht wesentliche, d.h. zumindest gleichwertige Bedingung für die unterlassene Antragstellung war. Gründe für die verspätete Antragstellung könnten auch sozialversicherungsrechtliche und steuerrechtliche Belange und die Tatsache, dass er das Geld zu diesem Zeitpunkt nicht benötigte, gewesen sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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