Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 5/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 308/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit steht die Rentenversicherungspflicht der Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) im Betrieb ihres Bruders, der Beigeladenen zu 2), für die Zeit der Mitgliedschaft der Beigeladenen zu 1) bei der Beklagten. Dies ist der Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis 31. März 2003.
Die Beigeladene zu 1) ist kaufmännische Angestellte und seit 1997 Prokuristin bei der Beigeladenen zu 2), einem Unternehmen der Glas- und Gebäudereinigung. Deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war im hier streitigen Zeitraum ihr Bruder. Die Beigeladene zu 1) war für die Leitung der Bereiche Finanzen, Personal und Controlling, die Werbung, Büroleitung sowie Lohn- und Finanzbuchhaltung zuständig. Ein (schriftlicher) Arbeitsvertrag wurde nicht geschlossen. In der Verantwortung ihrs Bruders lagen im Wesentlichen die Aufgabenschwerpunkte technische Leitung und strategische Planung sowie Auftragsbeschaffung. Die Beigeladene zu 1) war in der Bestimmung ihrer Arbeitzeit, der Arbeitseinteilung und der Wahl des Arbeitsortes frei. Sie konnte Personal einstellen und entlassen. Sie erhielt trotz hohen persönlichen und zeitlichen Arbeitsaufwandes eine feste Vergütung von 3.580,00 Euro monatlich. Für das Gehalt wurden Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Es wurde als Betriebsausgabe verbucht und auf privates Girokonto überwiesen. Sie gewährte der Beigeladenen zu 2) ein Darlehen über 10.000,00 Euro.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2005 beantragte die Beigeladene zu 2) bei der Beklagten die rechtsverbindliche Beurteilung, dass die Beigeladene zu 1) nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen könne. Beigefügt war ein von beiden Beigeladenen ausgefüllter "Feststellungsbogen zur Versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen", auf den ergänzend verwiesen wird (VV der Beklagten Blatt 1ff).
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 6. April 2006 fest, dass die Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 1. April 1999 bis 31. März 2000 versicherungsfrei in allen Zweigen der Sozialversicherung sei. Beigefügt war eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach der Adressat binnen eines Monats Widerspruch einlegen könne. Die Beklagte übersandte ferner mit Schreiben vom selben Tag ihre Unterlagen an die Klägerin und bat um Prüfung und Stellungnahme, ob sich diese ihrem Ergebnis rückwirkender Sozialversicherungsfreiheit anschließe. Sie reichte auch einen Erstattungsantrag der Beigeladenen vom 2. Mai 2006 an diese weiter und teilte den Beigeladenen mit Schreiben vom 19. Mai 2006 sowie mit Schreiben vom 16. August 2006 mit, dass eine Rückantwort des zuständigen Rentenversicherungsträgers noch nicht erfolgt sei. Mit Faxschreiben vom 24. Oktober 2006 übersandte die Klägerin eine Mehrausfertigung ihrer Stellungnahme durch die bundesweite Clearingstelle vom 9. Juni 2006, wonach die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung überwögen. Die Beklagte informierte die Beigeladenen entsprechend.
Die Klägerin hat am 2. Januar 2007 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben.
Die Beklagte hat ihre Entscheidung verteidigt.
Die Beigeladenen haben vorgebracht, die Klage sei bereits unzulässig. Die Klagefrist von einem Monat sei verstrichen, jedenfalls sei das Klagerecht verwirkt.
Das SG hat Urteil vom 1. September 2010 den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 6. April 2006 hinsichtlich der gesetzlichen Rentenversicherung aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) in ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 2) der Versicherungspflicht im Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis 31. März 2003 unterlegen habe. Die Klage sei zulässig. Die Klagefrist sei eingehalten. Das Klagerecht nicht verwirkt. Der angefochtene Bescheid sei bereits formell rechtswidrig, weil die Klägerin nicht im Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) beteiligt worden sei. Weiter sei der Tenor der Versicherungsfreiheit in allen Zweigen der Sozialversicherung auch bei nicht abhängiger Beschäftigung zu weit gefasst. Die Beklagte könne nicht die Rentenversicherungspflicht auch aus anderen Versicherungstatbeständen als abhängiger Beschäftigung ausschließen. Entsprechendes gelte für die Unfallversicherung. § 28 h Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB IV) ermächtige die Krankenkasse als Einzugsstelle nur zur Feststellung des Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht. Eine negative Feststellung dürfe nur durch den Rentenversicherungsträger im Rahmen der Feststellung nach § 7a SGB IV erfolgen. Jedoch hätte die Beklagte Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch feststellen müssen, weil die Beigeladene abhängig beschäftigt im Betrieb ihres Bruders gewesen sei. Aufgrund eines Fehlens einer eigenen Beteiligung am Unternehmen, ihrer Vergütung mit einem festem Entgelt und dem Fehlen eines unternehmerischen Risiko sei die Beschäftigung dem Typus der abhängigen Entgeltlichen zuzuordnen, auch wenn ein schriftlicher Dienst- oder Arbeitsvertrag fehle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beigeladenen zu 1). Die Anfechtungsklage sei bereits unzulässig. Die Klägerin dürfe sich nicht auf § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) berufen. Eigentlich habe auch die Beklagte der Klägerin eine Rechtsbehelfsbelehrung erteilen müssen. Dies habe jedoch die Klägerin zu verhindern gesucht, z. B. durch ihre "Gemeinsame Verlautbarungen zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug Beteiligten Versicherungsträger" vom 29. März 2011. Die Beklagte habe diese Anweisung befolgt und auf eine Belehrung gegenüber der Klägerin verzichtet. Die Klägerin verhalte sich jedenfalls treuwidrig, wenn sie sich auf die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG berufe. Die gemeinsame Verlautbarung stelle einen Belehrungsverzicht auf den auch ein Versicherter vertrauen dürfe (Bezugnahme auf Bundessozialgericht - BSG - BSGE 91, 39, 42). Weiter ergebe sich aus der Gesamtschau alle Umstände das typische Bild eines treuwidrigen und damit rechtmissbräuchlichen Verhaltens. Die Klägerin ziele darauf ab, sich entgegen dem Recht einen Vorteil zu verschaffen. Zu Beachten sei, dass es hier um Dreipersonenverhältnis gebe. Der betroffene Versicherte werde zu einem bloßen Objekt staatlichen Handels reduziert. Die Anfechtungsklagen der Klägerin würden auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen. Es gäbe die absurde Situation, dass diese einerseits rentenversicherungspflichtig, anderseits aber nicht arbeitslosenversicherungspflichtig sein sollen. Finanzielle Entscheidungen im Hinblick auf die Altersvorsorge würden konterkariert. Die Betroffenen sehen sich massiv in Rückzahlungsforderungen durch die Behörden konfrontiert. Insoweit habe das Sozialgericht Augsburg bereits eine betroffene Einzugsstelle verurteilt, die Beiträge an den Rentenversicherungsträger zu zahlen (Bezugnahme auf SG Augsburg, Urteil vom 20.05.2009 - S 12 KR 285/06 -). Auch materiell sei das Urteil falsch. Ohne schriftlichen Arbeitsvertrag fehle es am typischen Indiz des entsprechenden äußeren Rahmens. Das Unternehmen werde gemeinsam durch das Geschwisterpaar geführt. Es gebe keinen dokumentierten Willen, die Tätigkeit im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung zu vollziehen. Dagegen spräche auch die Darlehensgewährung.
Die Berufungsklägerin hat weiter auf eine Reihe von Urteilen verschiedener Landessozialgerichte hingewiesen, bei welchen in vergleichbaren Situationen abhängige Beschäftigungen verneint worden seien (Blatt 7 des Schriftsatzes vom 24. November 2010).
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Berlin vom 1. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die anderen Beteiligten haben sich nicht geäußert.
Auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Es konnte im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Verfügung vom 18. Februar 2011/ausgeführt am 22. Februar 2011 hingewiesen worden.
Die Berufung der Beigeladenen zu 1) ist unbegründet.
Mit Recht hat das Sozialgericht die Anfechtungsklage für zulässig gehalten. Vor Erhebung der Anfechtungsklage bedurfte es keines Vorverfahrens, weil die Klägerin ein Versicherungsträger nach der Ausnahmevorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. SGG ist. Die Klägerin ist auch klagebefugt, § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Sie macht geltend, durch den Bescheid der Beklagten in eigenen Rechten verletzt zu sein. Ist der Verwaltungsakt wie hier gegenüber einem Dritten ergangen, ist eine Rechtsverletzung möglich, sofern zumindest mittelbar eigene rechtliche Interessen der Klägerin betroffen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 54 Rdnr. 14 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSGE 61, 27). Eine solche rechtliche Beschwer der Klägerin besteht hier. Die in dem Bescheid enthaltenen Feststellungen der Beklagten zur Versicherungsfreiheit haben Auswirkung auf ihre Beitragsansprüche.
Die Klage ist auch fristgemäß erhoben. Die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG beginnt gemäß § 66 Abs. 1 SGG nur dann zu laufen, wenn der "Beteiligte" über den Rechtsbehelf schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Die Klägerin ist auch als Versicherungsträger Beteiligte im Sinne dieser Vorschrift. Das ergibt sich aus § 69 Nr. 1 SGG, wonach (alle) Kläger Beteiligte sind. Statt der Monatsfrist war deshalb gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG die Frist von einem Jahr seit Bekanntgabe des Verwaltungsaktes maßgebend. Der angegriffene Bescheid datiert vom 6. April 2006, die Klage wurde am 2. Januar 2007 und damit innerhalb der Jahresfrist erhoben.
Anhaltspunkte für eine Verwirkung des Klagerechts sind nicht ersichtlich. Soweit die Beigeladene zu 1) darauf hinweisen lässt, dass die Klägerin in den "Gemeinsamen Verlautbarungen der Versicherungsträger" auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtet habe, übersieht sie, dass darin keinesfalls schon ein Verzicht auf die Ausübung des Klagerechts gesehen werden kann. Nach allgemeinen Grundsätzen setzt die Verwirkung ein Zeit- und Umstandsmoment voraus; ein Recht ist verwirkt, wenn es über längere Zeit nicht ausgeübt wurde und der Verpflichtete sich aufgrund besondere Umstände darauf einrichten durfte, dass von ihm auch in der Zukunft kein Gebrauch mehr gemacht werden wird. Der Senat hält - mit dem LSG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 17. Februar 2011 - L 5 KR 9/10 - Rdnr. 30 [zit. nach juris]) - schon für fraglich, ob für die Verwirkung eines Klagerechts ein kürzerer Zeitraum als ein Jahr ausreichen kann. Jedenfalls aber ist ein Verzicht auf eine Rechtsmittelbelehrung kein Umstand, der Anlass für die berechtigte Erwartung gibt, dass ein Klagerecht nicht oder doch nur innerhalb eines Monats nach Kenntnisnahme von einem Bescheid ausgeübt werde. Denn soweit § 36 des Sozialgesetzbuchs, Zehntes Buch - SGB X - für Verwaltungsakte eine Rechtsmittelbelehrung vorschreibt, handelt es sich um zwingendes Recht, auf das nicht einseitig oder einverständlich wirksam verzichtet werden könnte (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O., Rdnr. 31). Aus den gemeinsamen Verlautbarungen der Versicherungsträger ergibt sich daher nicht die rechtlich wirksame Fiktion erteilter Rechtmittelbelehrungen. Zwar kann für die Klägerin davon ausgegangen werden, dass ihr die Rechtsschutzmöglichkeiten auch ohne formale Belehrung bekannt waren. Insoweit gilt aber der Rechtssatz, dass es für die vom Gesetz an eine unterbliebene oder fehlerhafte Rechtmittelbelehrung geknüpften Folgen nicht darauf ankommt, ob der Berechtigte tatsächlich positive Kenntnis von seinem Klagerecht gehabt hat (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 66 Rdnr. 12). Im Übrigen hat die Beklagte selbst das in den Absprachen der Spitzenverbände vorgesehene Verfahren nicht eingehalten, sie hat nämlich gerade keine Abstimmung der Standpunkte der beteiligten Sozialversicherungsträger herbeigeführt, ehe sie über die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) entschieden hat. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht ersichtlicht, dass sich aus den Absprachen der Spitzenverbände einseitig eine Verschlechterung der Rechtsschutzmöglichkeit zu Lasten der Rentenversicherung ergeben könnte (BSG, Beschluss v. 17. März 2011 - B 12 KR 66/10 B -). Das Urteil des BSG vom 25.03.2003 (B 1 KR 36/01 R - BSGE 91, 39) ist nicht einschlägig. Hätten die Beigeladenen die "gemeinsame Verlautbarungen zur Behandlung von Beitragsbescheide durch die am gemeinsamen Beitragseinzug Beteiligten Versicherungsträger vom 29. März 2001" gekannt, hätten sie von vornherein gewusst, dass der Bescheid der Beklagten mangels Rechtsbehelfsbelehrung an die Klägerin von dieser binnen eines Jahres nach Bekanntgabe noch angefochten werden konnte.
Im konkreten Fall ist zudem nicht ersichtlich, dass aus der Aufhebung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Rentenversicherungspflicht für die Beigeladene zu 1) ein unzumutbarer Nachteil entstehen ist oder entstanden sein könnte. Es fehlt an einer Vertrauensbetätigung, welche weitere Voraussetzung für die Annahme einer Verwirkung wäre (ständige Rechtsprechung des Senats).
Die Klage ist auch begründet. Der hinsichtlich der Feststellung der Rentenversicherungsfreiheit angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig, er verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht in der Rentenversicherung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung bestimmt sich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild, das sich zwar nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt, zu denen aber auch die rechtlich relevanten Umstände zählen, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 -).
Auszugehen für die Beurteilung einer Beschäftigung ist zunächst vom Vertragsverhältnis der Beteiligten, wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung geht zwar der nur formellen Vereinbarung vor. Aus der Nichtausübung eines Rechts sind aber solange keine Schlüsse zu ziehen, wie die Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Bei den tatsächlichen Verhältnissen ist daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht zu berücksichtigen (BSG-Urteile vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 8. Dezember 1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45, vgl. insgesamt BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 0/04 R - Juris).
Diese Grundsätze gelten auch bei einer Tätigkeit in dem Betrieb eines Familienangehörigen. Auch hier ist die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, einer Mitunternehmerschaft oder einer nur familienhaften Mitarbeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R - USK 2002 - 42). Indessen ist nach der zu Familiengesellschaften mbH ergangenen Rechtssprechung des BSG bei Mitarbeit eines Familienangehörigen trotz fehlender Beteiligung am Gesellschaftskapital eine selbständige Tätigkeit anzunehmen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird, oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn jemand - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund von verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 Rar 25/86; Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R).
Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist das SG zutreffend von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ausgegangen. Auf dessen Darlegungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Es hat insbesondere richtig angenommen, dass zwischen den Beteiligten ein gelebtes Arbeitsverhältnis besteht und die Beigeladene zu 1) nicht aufgrund eines Gesellschaftsvertrages im Unternehmen ihres Bruders gearbeitet hat. Zu Recht hat das SG auch ihre Darlehensgewährung nicht als so gewichtiges Unternehmerrisiko angesehen, dass insgesamt von selbständiger Tätigkeit ausgegangen werden kann. Ganz allgemein ist die Gewährung von Darlehen bzw. Sicherheiten unter Familienangehörigen mit der Gewährung eines Darlehens oder einer Sicherheit durch einen fremden Arbeitnehmer, der nicht Angehöriger des Unternehmensinhabers ist, nicht gleichsetzbar. Familienmitglieder haben in der Regel ein gesteigertes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens, ohne dass hieraus ein wesentliches Unternehmerrisiko folgt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2010 -L 11 KR 2460/09- juris).
Auch die Feststellungsklage hat Erfolg.
Das Feststellungsbegehren stellt sich als zulässige Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG dar (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. bereits Urteil des Senats vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 -). § 55 SGG bestimmt im Gegensatz zu § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung und § 41 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung nicht ausdrücklich, dass eine Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder dies hätte können. Soweit der so genannte Subsidiaritätsgrundsatz ungeachtet dessen auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, handelt es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Feststellungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses. An einem solchen fehlt es, wenn es eine effektivere Klagemöglichkeit gibt oder das Feststellungsurteil den Rechtsstreit noch nicht abschließend erledigen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006 - B 10 LW 4/05 R - mit weiteren Nachweisen). Hier führt die Anfechtungsklage nur zur Aufhebung der eine Versicherungspflicht verneinenden Bescheide der Beklagten und nicht umgekehrt zur Feststellung der Rentenversicherungspflicht. Die Beklagte könnte sich der Klägerin gegenüber rein formal auf den Standpunkt stellen, dass zwar der die Beigeladenen aus deren Sicht begünstigender Bescheid der Beklagten als Einzugsstelle aufgehoben worden sei, die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen jedoch falsch und unverbindlich seien. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass entsprechender Bescheide gegen die Einzugsstellen wäre weiter kein einfacherer Weg als die Feststellungsklage (ebenso BSG, Urteil vom 1. September 2005 - B 3 KR 3/04 R -). Zur Begründetheit kann auf oben verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt für das Berufungsverfahren aus § 193 SGG, da die Beigeladene zu 1) Berufungsklägerin ist und zum Personenteil des § 183 SGG gehört. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich. Es gilt auch im hiesigen Verfahren nicht um die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45, 49 SGB X wie in dem von der Beigeladenen zu 1) herangezogenen Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17.02.2011.
Tatbestand:
Im Streit steht die Rentenversicherungspflicht der Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) im Betrieb ihres Bruders, der Beigeladenen zu 2), für die Zeit der Mitgliedschaft der Beigeladenen zu 1) bei der Beklagten. Dies ist der Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis 31. März 2003.
Die Beigeladene zu 1) ist kaufmännische Angestellte und seit 1997 Prokuristin bei der Beigeladenen zu 2), einem Unternehmen der Glas- und Gebäudereinigung. Deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war im hier streitigen Zeitraum ihr Bruder. Die Beigeladene zu 1) war für die Leitung der Bereiche Finanzen, Personal und Controlling, die Werbung, Büroleitung sowie Lohn- und Finanzbuchhaltung zuständig. Ein (schriftlicher) Arbeitsvertrag wurde nicht geschlossen. In der Verantwortung ihrs Bruders lagen im Wesentlichen die Aufgabenschwerpunkte technische Leitung und strategische Planung sowie Auftragsbeschaffung. Die Beigeladene zu 1) war in der Bestimmung ihrer Arbeitzeit, der Arbeitseinteilung und der Wahl des Arbeitsortes frei. Sie konnte Personal einstellen und entlassen. Sie erhielt trotz hohen persönlichen und zeitlichen Arbeitsaufwandes eine feste Vergütung von 3.580,00 Euro monatlich. Für das Gehalt wurden Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Es wurde als Betriebsausgabe verbucht und auf privates Girokonto überwiesen. Sie gewährte der Beigeladenen zu 2) ein Darlehen über 10.000,00 Euro.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2005 beantragte die Beigeladene zu 2) bei der Beklagten die rechtsverbindliche Beurteilung, dass die Beigeladene zu 1) nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen könne. Beigefügt war ein von beiden Beigeladenen ausgefüllter "Feststellungsbogen zur Versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen", auf den ergänzend verwiesen wird (VV der Beklagten Blatt 1ff).
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 6. April 2006 fest, dass die Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 1. April 1999 bis 31. März 2000 versicherungsfrei in allen Zweigen der Sozialversicherung sei. Beigefügt war eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach der Adressat binnen eines Monats Widerspruch einlegen könne. Die Beklagte übersandte ferner mit Schreiben vom selben Tag ihre Unterlagen an die Klägerin und bat um Prüfung und Stellungnahme, ob sich diese ihrem Ergebnis rückwirkender Sozialversicherungsfreiheit anschließe. Sie reichte auch einen Erstattungsantrag der Beigeladenen vom 2. Mai 2006 an diese weiter und teilte den Beigeladenen mit Schreiben vom 19. Mai 2006 sowie mit Schreiben vom 16. August 2006 mit, dass eine Rückantwort des zuständigen Rentenversicherungsträgers noch nicht erfolgt sei. Mit Faxschreiben vom 24. Oktober 2006 übersandte die Klägerin eine Mehrausfertigung ihrer Stellungnahme durch die bundesweite Clearingstelle vom 9. Juni 2006, wonach die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung überwögen. Die Beklagte informierte die Beigeladenen entsprechend.
Die Klägerin hat am 2. Januar 2007 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben.
Die Beklagte hat ihre Entscheidung verteidigt.
Die Beigeladenen haben vorgebracht, die Klage sei bereits unzulässig. Die Klagefrist von einem Monat sei verstrichen, jedenfalls sei das Klagerecht verwirkt.
Das SG hat Urteil vom 1. September 2010 den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 6. April 2006 hinsichtlich der gesetzlichen Rentenversicherung aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) in ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 2) der Versicherungspflicht im Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis 31. März 2003 unterlegen habe. Die Klage sei zulässig. Die Klagefrist sei eingehalten. Das Klagerecht nicht verwirkt. Der angefochtene Bescheid sei bereits formell rechtswidrig, weil die Klägerin nicht im Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) beteiligt worden sei. Weiter sei der Tenor der Versicherungsfreiheit in allen Zweigen der Sozialversicherung auch bei nicht abhängiger Beschäftigung zu weit gefasst. Die Beklagte könne nicht die Rentenversicherungspflicht auch aus anderen Versicherungstatbeständen als abhängiger Beschäftigung ausschließen. Entsprechendes gelte für die Unfallversicherung. § 28 h Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB IV) ermächtige die Krankenkasse als Einzugsstelle nur zur Feststellung des Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht. Eine negative Feststellung dürfe nur durch den Rentenversicherungsträger im Rahmen der Feststellung nach § 7a SGB IV erfolgen. Jedoch hätte die Beklagte Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch feststellen müssen, weil die Beigeladene abhängig beschäftigt im Betrieb ihres Bruders gewesen sei. Aufgrund eines Fehlens einer eigenen Beteiligung am Unternehmen, ihrer Vergütung mit einem festem Entgelt und dem Fehlen eines unternehmerischen Risiko sei die Beschäftigung dem Typus der abhängigen Entgeltlichen zuzuordnen, auch wenn ein schriftlicher Dienst- oder Arbeitsvertrag fehle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beigeladenen zu 1). Die Anfechtungsklage sei bereits unzulässig. Die Klägerin dürfe sich nicht auf § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) berufen. Eigentlich habe auch die Beklagte der Klägerin eine Rechtsbehelfsbelehrung erteilen müssen. Dies habe jedoch die Klägerin zu verhindern gesucht, z. B. durch ihre "Gemeinsame Verlautbarungen zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug Beteiligten Versicherungsträger" vom 29. März 2011. Die Beklagte habe diese Anweisung befolgt und auf eine Belehrung gegenüber der Klägerin verzichtet. Die Klägerin verhalte sich jedenfalls treuwidrig, wenn sie sich auf die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG berufe. Die gemeinsame Verlautbarung stelle einen Belehrungsverzicht auf den auch ein Versicherter vertrauen dürfe (Bezugnahme auf Bundessozialgericht - BSG - BSGE 91, 39, 42). Weiter ergebe sich aus der Gesamtschau alle Umstände das typische Bild eines treuwidrigen und damit rechtmissbräuchlichen Verhaltens. Die Klägerin ziele darauf ab, sich entgegen dem Recht einen Vorteil zu verschaffen. Zu Beachten sei, dass es hier um Dreipersonenverhältnis gebe. Der betroffene Versicherte werde zu einem bloßen Objekt staatlichen Handels reduziert. Die Anfechtungsklagen der Klägerin würden auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen. Es gäbe die absurde Situation, dass diese einerseits rentenversicherungspflichtig, anderseits aber nicht arbeitslosenversicherungspflichtig sein sollen. Finanzielle Entscheidungen im Hinblick auf die Altersvorsorge würden konterkariert. Die Betroffenen sehen sich massiv in Rückzahlungsforderungen durch die Behörden konfrontiert. Insoweit habe das Sozialgericht Augsburg bereits eine betroffene Einzugsstelle verurteilt, die Beiträge an den Rentenversicherungsträger zu zahlen (Bezugnahme auf SG Augsburg, Urteil vom 20.05.2009 - S 12 KR 285/06 -). Auch materiell sei das Urteil falsch. Ohne schriftlichen Arbeitsvertrag fehle es am typischen Indiz des entsprechenden äußeren Rahmens. Das Unternehmen werde gemeinsam durch das Geschwisterpaar geführt. Es gebe keinen dokumentierten Willen, die Tätigkeit im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung zu vollziehen. Dagegen spräche auch die Darlehensgewährung.
Die Berufungsklägerin hat weiter auf eine Reihe von Urteilen verschiedener Landessozialgerichte hingewiesen, bei welchen in vergleichbaren Situationen abhängige Beschäftigungen verneint worden seien (Blatt 7 des Schriftsatzes vom 24. November 2010).
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Berlin vom 1. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die anderen Beteiligten haben sich nicht geäußert.
Auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Es konnte im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Verfügung vom 18. Februar 2011/ausgeführt am 22. Februar 2011 hingewiesen worden.
Die Berufung der Beigeladenen zu 1) ist unbegründet.
Mit Recht hat das Sozialgericht die Anfechtungsklage für zulässig gehalten. Vor Erhebung der Anfechtungsklage bedurfte es keines Vorverfahrens, weil die Klägerin ein Versicherungsträger nach der Ausnahmevorschrift des § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. SGG ist. Die Klägerin ist auch klagebefugt, § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Sie macht geltend, durch den Bescheid der Beklagten in eigenen Rechten verletzt zu sein. Ist der Verwaltungsakt wie hier gegenüber einem Dritten ergangen, ist eine Rechtsverletzung möglich, sofern zumindest mittelbar eigene rechtliche Interessen der Klägerin betroffen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 54 Rdnr. 14 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSGE 61, 27). Eine solche rechtliche Beschwer der Klägerin besteht hier. Die in dem Bescheid enthaltenen Feststellungen der Beklagten zur Versicherungsfreiheit haben Auswirkung auf ihre Beitragsansprüche.
Die Klage ist auch fristgemäß erhoben. Die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG beginnt gemäß § 66 Abs. 1 SGG nur dann zu laufen, wenn der "Beteiligte" über den Rechtsbehelf schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Die Klägerin ist auch als Versicherungsträger Beteiligte im Sinne dieser Vorschrift. Das ergibt sich aus § 69 Nr. 1 SGG, wonach (alle) Kläger Beteiligte sind. Statt der Monatsfrist war deshalb gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG die Frist von einem Jahr seit Bekanntgabe des Verwaltungsaktes maßgebend. Der angegriffene Bescheid datiert vom 6. April 2006, die Klage wurde am 2. Januar 2007 und damit innerhalb der Jahresfrist erhoben.
Anhaltspunkte für eine Verwirkung des Klagerechts sind nicht ersichtlich. Soweit die Beigeladene zu 1) darauf hinweisen lässt, dass die Klägerin in den "Gemeinsamen Verlautbarungen der Versicherungsträger" auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtet habe, übersieht sie, dass darin keinesfalls schon ein Verzicht auf die Ausübung des Klagerechts gesehen werden kann. Nach allgemeinen Grundsätzen setzt die Verwirkung ein Zeit- und Umstandsmoment voraus; ein Recht ist verwirkt, wenn es über längere Zeit nicht ausgeübt wurde und der Verpflichtete sich aufgrund besondere Umstände darauf einrichten durfte, dass von ihm auch in der Zukunft kein Gebrauch mehr gemacht werden wird. Der Senat hält - mit dem LSG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 17. Februar 2011 - L 5 KR 9/10 - Rdnr. 30 [zit. nach juris]) - schon für fraglich, ob für die Verwirkung eines Klagerechts ein kürzerer Zeitraum als ein Jahr ausreichen kann. Jedenfalls aber ist ein Verzicht auf eine Rechtsmittelbelehrung kein Umstand, der Anlass für die berechtigte Erwartung gibt, dass ein Klagerecht nicht oder doch nur innerhalb eines Monats nach Kenntnisnahme von einem Bescheid ausgeübt werde. Denn soweit § 36 des Sozialgesetzbuchs, Zehntes Buch - SGB X - für Verwaltungsakte eine Rechtsmittelbelehrung vorschreibt, handelt es sich um zwingendes Recht, auf das nicht einseitig oder einverständlich wirksam verzichtet werden könnte (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O., Rdnr. 31). Aus den gemeinsamen Verlautbarungen der Versicherungsträger ergibt sich daher nicht die rechtlich wirksame Fiktion erteilter Rechtmittelbelehrungen. Zwar kann für die Klägerin davon ausgegangen werden, dass ihr die Rechtsschutzmöglichkeiten auch ohne formale Belehrung bekannt waren. Insoweit gilt aber der Rechtssatz, dass es für die vom Gesetz an eine unterbliebene oder fehlerhafte Rechtmittelbelehrung geknüpften Folgen nicht darauf ankommt, ob der Berechtigte tatsächlich positive Kenntnis von seinem Klagerecht gehabt hat (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 66 Rdnr. 12). Im Übrigen hat die Beklagte selbst das in den Absprachen der Spitzenverbände vorgesehene Verfahren nicht eingehalten, sie hat nämlich gerade keine Abstimmung der Standpunkte der beteiligten Sozialversicherungsträger herbeigeführt, ehe sie über die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) entschieden hat. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht ersichtlicht, dass sich aus den Absprachen der Spitzenverbände einseitig eine Verschlechterung der Rechtsschutzmöglichkeit zu Lasten der Rentenversicherung ergeben könnte (BSG, Beschluss v. 17. März 2011 - B 12 KR 66/10 B -). Das Urteil des BSG vom 25.03.2003 (B 1 KR 36/01 R - BSGE 91, 39) ist nicht einschlägig. Hätten die Beigeladenen die "gemeinsame Verlautbarungen zur Behandlung von Beitragsbescheide durch die am gemeinsamen Beitragseinzug Beteiligten Versicherungsträger vom 29. März 2001" gekannt, hätten sie von vornherein gewusst, dass der Bescheid der Beklagten mangels Rechtsbehelfsbelehrung an die Klägerin von dieser binnen eines Jahres nach Bekanntgabe noch angefochten werden konnte.
Im konkreten Fall ist zudem nicht ersichtlich, dass aus der Aufhebung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Rentenversicherungspflicht für die Beigeladene zu 1) ein unzumutbarer Nachteil entstehen ist oder entstanden sein könnte. Es fehlt an einer Vertrauensbetätigung, welche weitere Voraussetzung für die Annahme einer Verwirkung wäre (ständige Rechtsprechung des Senats).
Die Klage ist auch begründet. Der hinsichtlich der Feststellung der Rentenversicherungsfreiheit angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig, er verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht in der Rentenversicherung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung bestimmt sich nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild, das sich zwar nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt, zu denen aber auch die rechtlich relevanten Umstände zählen, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 -).
Auszugehen für die Beurteilung einer Beschäftigung ist zunächst vom Vertragsverhältnis der Beteiligten, wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung geht zwar der nur formellen Vereinbarung vor. Aus der Nichtausübung eines Rechts sind aber solange keine Schlüsse zu ziehen, wie die Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Bei den tatsächlichen Verhältnissen ist daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht zu berücksichtigen (BSG-Urteile vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 8. Dezember 1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45, vgl. insgesamt BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 0/04 R - Juris).
Diese Grundsätze gelten auch bei einer Tätigkeit in dem Betrieb eines Familienangehörigen. Auch hier ist die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, einer Mitunternehmerschaft oder einer nur familienhaften Mitarbeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R - USK 2002 - 42). Indessen ist nach der zu Familiengesellschaften mbH ergangenen Rechtssprechung des BSG bei Mitarbeit eines Familienangehörigen trotz fehlender Beteiligung am Gesellschaftskapital eine selbständige Tätigkeit anzunehmen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird, oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn jemand - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund von verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 Rar 25/86; Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R).
Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist das SG zutreffend von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ausgegangen. Auf dessen Darlegungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Es hat insbesondere richtig angenommen, dass zwischen den Beteiligten ein gelebtes Arbeitsverhältnis besteht und die Beigeladene zu 1) nicht aufgrund eines Gesellschaftsvertrages im Unternehmen ihres Bruders gearbeitet hat. Zu Recht hat das SG auch ihre Darlehensgewährung nicht als so gewichtiges Unternehmerrisiko angesehen, dass insgesamt von selbständiger Tätigkeit ausgegangen werden kann. Ganz allgemein ist die Gewährung von Darlehen bzw. Sicherheiten unter Familienangehörigen mit der Gewährung eines Darlehens oder einer Sicherheit durch einen fremden Arbeitnehmer, der nicht Angehöriger des Unternehmensinhabers ist, nicht gleichsetzbar. Familienmitglieder haben in der Regel ein gesteigertes Interesse am wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens, ohne dass hieraus ein wesentliches Unternehmerrisiko folgt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2010 -L 11 KR 2460/09- juris).
Auch die Feststellungsklage hat Erfolg.
Das Feststellungsbegehren stellt sich als zulässige Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG dar (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. bereits Urteil des Senats vom 13. März 2009 - L 1 KR 555/07 -). § 55 SGG bestimmt im Gegensatz zu § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung und § 41 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung nicht ausdrücklich, dass eine Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder dies hätte können. Soweit der so genannte Subsidiaritätsgrundsatz ungeachtet dessen auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, handelt es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Feststellungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses. An einem solchen fehlt es, wenn es eine effektivere Klagemöglichkeit gibt oder das Feststellungsurteil den Rechtsstreit noch nicht abschließend erledigen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006 - B 10 LW 4/05 R - mit weiteren Nachweisen). Hier führt die Anfechtungsklage nur zur Aufhebung der eine Versicherungspflicht verneinenden Bescheide der Beklagten und nicht umgekehrt zur Feststellung der Rentenversicherungspflicht. Die Beklagte könnte sich der Klägerin gegenüber rein formal auf den Standpunkt stellen, dass zwar der die Beigeladenen aus deren Sicht begünstigender Bescheid der Beklagten als Einzugsstelle aufgehoben worden sei, die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen jedoch falsch und unverbindlich seien. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass entsprechender Bescheide gegen die Einzugsstellen wäre weiter kein einfacherer Weg als die Feststellungsklage (ebenso BSG, Urteil vom 1. September 2005 - B 3 KR 3/04 R -). Zur Begründetheit kann auf oben verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt für das Berufungsverfahren aus § 193 SGG, da die Beigeladene zu 1) Berufungsklägerin ist und zum Personenteil des § 183 SGG gehört. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich. Es gilt auch im hiesigen Verfahren nicht um die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nach § 45, 49 SGB X wie in dem von der Beigeladenen zu 1) herangezogenen Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17.02.2011.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved