Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
24
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 37/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KA 170/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 07. Oktober 2009 wird aufgehoben. Die Klagen werden abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit stehen Honorarberichtigungsbescheide der Beklagten für die Quartale IV/2000 bis II/2003. Sie hält dem Kläger insoweit noch vor, die Gebührennummern (GNR) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung (EBM) Nr. 801, 1455 und 1545 nicht richtig angewendet zur haben.
Der Kläger war vom 01. April 1991 bis 31. März 2005 als Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde zur vertragsärztlichen Versorgung in E zugelassen. Auf ein entsprechendes Anhörungsschreiben der Beklagten äußerte er sich mit Schreiben vom 12. Dezember 2001 zur GNR 801, dass er als HNO-Facharzt bei seinen Arbeiten an Kopf und Hals der Patienten auch das Fach Neurologie tangiere. Die Anatomie, Physiologie und Pathologie der Hirnnerven seien tägliches Arbeitspensum des HNO-Facharztes. Es könne zu Überschreitungen des Durchschnittswertes in der HNO-Fachgruppe kommen, da nicht alle Ärzte gleich seien. Er betreibe in seiner Praxis ein gewisses Maß an Neurootologie und setze die GNR 801 für seine Leistungen ein. Er legte auf Anforderung der Beklagten anhand einer Patientenliste seine entsprechenden Patientendokumentationen vor.
Mit Bescheid vom 04. Januar 2005 setzte die Beklagte das Honorar für das Quartal IV/2000 auf (nur noch) 23.879,74 EUR fest und forderte einen Beitrag von 3.459,04 EUR zurück. Sie korrigierte dabei die Abrechnung der GNR 801, 1410, 1455 und 1545. Bei der GNR 801 sei die Leistungslegende nicht erfüllt, da aus den Behandlungsunterlagen eine Untersuchung von mindestens drei Elementen der GNR 800 nicht ersichtlich sei. Für die GNR 1455 und 1545 seien die angegebenen Diagnosen für die Abrechnung nicht ausreichend.
Der Kläger erhob Widerspruch. Die Leistungslegende bei den einzelnen Gebührennummern sei erfüllt. Die zur GNR 1455 sei bereits in ihrem Ansatz ungenau. Eine Kaustik im Gehörgang werde mit den verschiedensten Mitteln durchgeführt. Es müssten dabei nicht nur die von der Beklagten aufgeführten chemischen Verbindungen benutzt werden, vielmehr wirkten auch Wasserstoffperoxyd und Alkohol an der relativ zarten Haut des Gehörganges wie eine Kaustik. In der Paukenhöhle sei teilweise der Einsatz stark kaustischer Mittel gefährlich, so dass man auf Mittel mit milderem kaustischem Effekt zurückgreifen müsse. Auch nach einer Entfernung eines Gehörgangfremdkörpers könne eine Kaustik erforderlich sein, wenn der reibende Fremdkörper eine Entzündung der Haut mit Granulationsbildung verursacht habe. Der Kläger erläuterte ferner seine Behandlung bei einzelnen bereits von der Beklagten aufgeführten Patienten.
Weiter setzte die Beklagte mit Bescheid vom 04. Mai 2005 die Honorarbescheide der Quartale I/2001 bis IV/2001 unter Kürzungen der gleichen GNRn neu fest und forderte insgesamt einen Betrag von 17.260,54 EUR zurück.
Mit entsprechendem Bescheid vom selben Tage forderte die Beklagte vom Kläger die Rückzahlung von 7.977,96 EUR für die Quartale I/2002 bis IV/2002.
Die Beklagte kürzte ferner mit dem dritten Bescheid vom selben Tag den Honoraranspruch für die Quartale I/2003 und II/2003 um insgesamt 3.527,61 EUR.
Die Beklagte half mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2006 dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Januar 2005 (Quartal IV/2000) hinsichtlich der GNR 1410 ab und forderte nunmehr nur noch 2.256,20 EUR zurück. Den Widerspruch wies sie im Übrigen als unbegründet zurück. Hiergegen hat sich die am 10. Februar 2006 vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhobene Klage gerichtet.
Dem gegen den Honorarberichtigungsbescheid für die Quartale I/2001 bis IV/2001 eingelegten Widerspruch hat die Beklagte in gleicher Weise mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2006 hinsichtlich der GNR 1410 abgeholfen und die Rückforderung des Honorars um 10.570,14 EUR reduziert. Den darüber hinausgehenden Widerspruch hat sie wiederum als unbegründet zurückgewiesen. Auch hiergegen hat der Kläger am 12. Mai 2006 Klage erhoben (Az.: S 1 KA 114/06).
Sie hat ferner dem gegen den Berichtigungsbescheid für die Quartale I/2002 bis IV/2002 erhobenen Widerspruch mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 12. April 2006 wiederum teilweise - in Höhe von 5.456,51 EUR - abgeholfen. Den darüber hinausgehenden Widerspruch hat sie als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger hat auch hiergegen am 12. Mai 2006 geklagt (Az SG Potsdam: S 1 KA 113/06).
Der Kläger erhob auch gegen den Berichtigungsbescheid für die Quartale I/2003 und 2/2003 Widerspruch und wiederholte sein Vorbringen. Die Beklagte hat dem Widerspruch mit dem dritten Widerspruchsbescheid vom 12. April 2006 teilweise stattgegeben. Sie hat die Rückforderung auf 2.517,44 EUR reduziert und den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger am 12. Mai 2006 Klage beim SG erhoben (Az.: S 1 KA 112/06).
Mit Beschluss vom 11. Oktober 2007 hat das SG die Verfahren S 1 KA 37/06, S 1 KA 112/06, S 1 KA 113/06 und S 1 KA 114/06 verbunden.
Der Kläger hat vorgebracht, seine Gesamtfallwerte hätten stets im unauffälligen Bereich gelegen, also im Durchschnitt der Fachgruppe. Daher hätte das Prüfverfahren ohne Kürzungsmaßnahmen beendet werden müssen. Die Plausibilitätsprüfung sei kein eigenständiges Prüfverfahren zur Honorarkürzung. Die sachlich-rechnerische Richtigstellung könne nur auf nachgewiesene Unrichtigkeiten gestützt werden. Solche gebe es hier nicht. Dass die Dokumentation des Klägers ggf. lückenhaft sei, stelle keinen Nachweis für eine Falschabrechnung dar. Die Beweislast zur Erbringung des Nachweises liege bei der Beklagten, da der Sammelerklärung eine Garantiefunktion zukomme. Im EBM selbst sei zu den GNR 801, 1455 und 1545 keine zwingende Dokumentation als Voraussetzung für eine Abrechnung vorgesehen. Dokumentationsmängel seien vergütungsrechtlich nur relevant, wenn die EBM Nummern dies zwingend vorsähen, wie beispielsweise bei der GNR 60.
Die Beklagte hat vorgebracht, die Prüfung der Honorarabrechnungen auf Plausibilität sei ein eigenständiges Prüfverfahren zur Feststellung von Abrechnungsfehlern. Die Pflicht zur Dokumentation in den Abrechnungsunterlagen ergebe sich bereits aus § 295 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Daraus ergebe sich auch die Pflicht, diese Unterlagen auf Verlangen vorzulegen. In den von ihr geprüften Behandlungsfällen zu den GNR 801, 1455 und 1445 passten die Diagnosen jeweils nicht zu den abgerechneten Leistungen, jedenfalls nicht auf der Grundlage der vom Kläger vorgelegten Dokumentation. Folge man dessen Auffassung, dass eine Dokumentation nur dann Pflicht sei, wenn sie im EBM vorgesehen sei, sei keine Kontrolle der Abrechnung möglich.
Das SG hat den Klagen mit Urteil vom 07. Oktober 2009 stattgegeben. Die Beklagte habe die ursprünglichen Honorarbescheide nicht berichtigen können, da zur Überzeugung der fachkundig besetzten Kammer davon auszugehen sei, dass der Kläger die abgerechneten Leistungen vollständig und entsprechend den angeführten Diagnosen erbracht habe. So sehe die Kammer die Erfüllung der Leistungslegende der GNR 801 - insbesondere Untersuchung von drei der in Nr. 800 benannten Nerven - als gegeben an. Diese GNR verlange nicht, dass sich aus der Dokumentation zwingend ergebe, welche Nerven tatsächlich untersucht worden seien. Eine Dokumentationspflicht in diesem Sinne sei nicht vorgesehen. Alleine der Umstand, dass in der Abrechnung nicht im Einzelnen der Ablauf der Untersuchung zu dieser GNR dokumentiert sei, berechtige die Beklagte nicht zu einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung. Die Kammer folge der Auffassung des Klägers, dass bei nicht im EBM zu einer GNR vorgesehener Dokumentationspflicht im Einzelnen diese auch nicht detailliert erfolgen müssten. Vielmehr genüge es dann, wenn sich im Übrigen, beispielsweise aus der Diagnose in den Behandlungsunterlagen, die medizinisch indizierte Untersuchung nachvollziehen lasse. Dies sei im Falle des Klägers zu bejahen. Aus § 57 Abs. 1 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) ergäbe sich nicht, dass der Arzt bei Angabe der GNR aus dem EBM in den Behandlungsunterlagen diese noch im Einzelnen beschreiben müsse. Eine solche Verpflichtung könne sich alleine aus der Leistungslegende der GNR im EBM ergeben. Dies sei jedoch hier nicht der Fall. Auch zu den GNR1545 und 1455 sehe die Kammer nach Durchsicht der einzelnen Behandlungsfälle die Leistungen als kompatibel zu den angegebenen Diagnosen an. Bei der GNR 1455 sehe es die Kammer nicht als fehlerhaft an, wenn bei einer beidseitigen rezidivierenden Epistaxis (=Nasenbluten) diese GNR abgerechnet werde. In diesem Fall könne sich sehr wohl eine Sondierung und/oder Bougierung einer Stirnhöhle vom Naseninneren aus als notwendig erweisen und ggf. sogar eine Spülung im Anschluss dessen. Bei der GNR 1545 ergebe sich bereits aus der Beschreibung im EBM, dass hier entweder die Spaltung von Furunkeln im äußeren Gehörgang oder die Kaustik im Gehörgang und/oder in der Paukenhöhle in der Leistungslegende enthalten sei. Die Abrechnung dieser GNR bei einem Hörsturz sei für die Kammer durchaus nachvollziehbar und gerechtfertigt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten: Eine vollständige Leistungserbringung der GNR 801 setze voraus, dass mindestens drei der aufgeführten Untersuchungselemente der GNR 800 EBM untersucht worden seien. Rechtsirrig gehe hingegen das SG davon aus, es reiche die Untersuchung von drei der in Nr. 800 benannten Nerven. Es seien nicht nur drei Hirnnerven, sondern drei der Untersuchungselemente zu überprüfen. Der Kläger habe bislang immer dargelegt, die Hirnnerven untersucht zu haben. Er habe indessen an keiner Stelle beschrieben, in welcher Form er zwei weitere notwendige Elemente untersucht habe. Die Beklagte habe auch angesichts der angeforderten Patientendokumente nicht klären können, welche Leistungen der Kläger tatsächlich vorgenommen habe. Es seien gravierende Überschreitungen des Umfangs der Abrechnung der Leistung der GNR 800 im Vergleich zur Fachgruppe festzustellen (auf die Tabelle 2 im Schriftsatz der Beklagten vom 30. März 2010 - wird ergänzend Bezug genommen). Es fänden sich auf den einzelnen Abrechnungsscheinen (Beispielsfälle) Diagnosen, die nicht auf eine Leistung der GNR 801 hinwiesen (auf die Tabelle 3 des genannten Schriftsatzes wird ergänzend verwiesen). Bei all diesen angegebenen Diagnosen sei zwar zweifelsfrei die Untersuchung der Hirnnerven erforderlich, nicht jedoch die Untersuchung weiterer zweier Elemente der GNR 800. Es sei maximal die Leistung der mittlerweile entfallenen GNR 63 erfüllt worden, die in die Ordinationsgebühr eingegangen sei. In weiteren Fällen seien die Untersuchungsbefunde nicht dokumentiert (Tabelle 4). Dem SG sei zwar zuzustimmen, dass die Leistungslegende der GNR 801 eine Dokumentation nicht zwingend vorschreibe. Hieraus folge jedoch nicht im Umkehrschluss, dass abgerechnete, jedoch in der Patientendokumentation nicht niedergelegte Leistungen stets zu vergüten seien. Der überaus hohe Überschreitungswert im Vergleich zur Fachgruppe, der nicht auf eine GNR 801 hinweisenden Diagnosen in Abrechnungsscheinen und die Aussagen des Klägers zur Art und Weise seiner durchgeführten Untersuchungen hätten Zweifel an der vollständigen Erbringung begründet. Derartige Zweifel könnten nur anhand der Patientendokumentation aufgeklärt werden. Deshalb schrieben BMV-Ä bzw. Ersatzkassenvertrag (EKV) verbindlich vor, die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlungen in geeigneter Weise zu dokumentieren. Entgegen der Rechtsauffassung des SG sei der Kläger dieser Dokumentationspflicht nicht nachgekommen. Die Befunde seiner Untersuchungen der drei aufgeführten Elemente seien in der Patientendokumentation nicht aufzufinden. Der Kläger habe zwar wiederholt vorgetragen, die eingesehene Patientendokumentation sei nicht vollständig, eine Vervollständigung sei aber bis heute nicht erfolgt. Es sei daher für die Beklagte in keiner Weise nachvollziehbar, woraus das SG die vollständige Leistungserbringung gefolgert habe. Für eine solche positive Annahme käme alleine die angegebene Diagnose auf dem Abrechnungsschein in Betracht. Es sei zwar richtig, dass es für den Fall des Fehlens einer Dokumentationspflicht in der Leistungslegende des EBM genüge, wenn sich im Übrigen bzw. aus der Diagnose in den Behandlungsunterlagen die medizinisch indizierte Untersuchung nachvollziehen lasse. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Der Kläger habe ferner die GNR 1455 EBM a. F. überdurchschnittlich abgerechnet (auf die Tabelle 5 des Berufungsbegründungsschriftsatzes wird ergänzend verwiesen). Auch hier wiesen die auf den Behandlungsscheinen angegebenen Diagnosen nicht auf Leistungen des Sondierens bzw. Bougierens hin (auf die Tabelle 6 wird ergänzend verwiesen). Die Behauptung des Klägers, bei Verdacht einer Blutung aus den Atemwegen (Nasennebenhöhlen) müsse die Stirnhöhle sondiert werden, sei für die Beklagte nicht nachvollziehbar. Ein regelmäßiges Sondieren der Stirnhöhle sei fachlich nicht nachvollziehbar. Eine solche Behandlung sähen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie nicht vor (AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 017/041 - Leitlinie Epistaxis). Empfohlen werde dort zur Diagnose die Veranlassung einer Röntgenuntersuchung oder einer Computertomografie. Die vom Kläger in seiner Stellungnahme vom 09. April 2005 gegebene Erläuterung deute darauf hin, dass die Leistungslegende auch nicht erfüllt worden und eine Analogabrechnung von Leistungen erfolgt sei, die seit dem 01. Januar 1996 nicht mehr gesondert abrechnungsfähig gewesen seien. Seit diesem Zeitpunkt sei die Stillung von Nasenbluten durch Ätzung und/oder Tamponade und/oder Kauterisation gemäß Anhang zum EBM a. F. mit der Vergütung der GNR 1 EBM abgegolten. Der Kläger habe schließlich auch die Abrechnung der GNR 1545 im Vergleich zur Fachgruppe erheblich überschritten (auf die Tabelle 8 wird ergänzend verwiesen). Auch hier könne in der überwiegenden Anzahl der Abrechnungen aus der Diagnose nicht geschlussfolgert werden, dass die entsprechende Leistung erbracht worden sei. Das SG hätte auch nicht darauf abstellen dürfen, dass der Kläger stattdessen die GNR 1543 EBM a. F. hätte abrechnen können. Vertragsärzte hätten die tatsächlich erbrachten Leistungen abzurechnen. Auch die Einlassungen des Klägers selbst rechtfertigten den Schluss einer fehlerhaften Abrechnung. So habe er selbst ausgeführt: "Auch Wasserstoffperoxyd und Alkohol wirken an der relativ zarten und wenn kranken Haut des Gehörgangs wie eine Kaustik". Die Leistungslegende verlange jedoch eine Kaustik, d. h. eine Gewebezerstörung durch Brenn- oder Ätzmittel. Wasserstoffperoxyd und Alkohol seien keine Brenn- und Ätzmittel. So sei Wasserstoffperoxyd ein starkes Oxydations- und deshalb ein Desinfektionsmittel. Dementsprechend fänden sich in den Patientendokumentationen keine Angaben zu verwendeten Brenn- oder Ätzmitteln. Stattdessen sei von Wasserstoffperoxydwäsche, Cerumenentfernungen und Spülungen die Rede. Die in den bundesmantelvertraglichen Regelungen festgelegte vertragsärztliche Dokumentationspflicht sei kein Selbstzweck, sondern diene in erster Linie der Überprüfbarkeit der vertragsärztlichen Abrechnungen, welche ansonsten alleine auf dem Vertrauensprinzip basierten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen könnten ihrem Auftrag der Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnungen nicht nachkommen, wenn es im Belieben der Vertragsärzte stünde, ihre Leistungen zu dokumentieren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 07. Oktober 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil. Der Beklagten sei der erforderliche Nachweis der Unrichtigkeit der Abrechnungen nicht gelungen. Sie habe den erforderlichen Beweis nicht erbracht. Das SG habe wohl nur versehentlich hinsichtlich der GNR 800 von drei Hirnnerven geschrieben. Der Kläger habe jedenfalls immer vorgetragen, stets die Hirnnerven mit der bewirkten Motorik und Sensibilität geprüft zu haben. Er habe jedoch in den von der Beklagten dargestellten Fällen in der Tabelle 3 nicht mehr als die Diagnose Hörverlust dokumentieren müssen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung könne einem Vertragsarzt nicht aufgelastet werden. Er habe die ihm obliegenden Dokumentationspflichten nach § 57 Abs. 1 BMV-Ä erfüllt. Es genüge, wenn sich aus der Diagnose in den Behandlungsunterlagen die medizinisch indizierte Untersuchung nachvollziehen lasse. Die GNR 801 setze - gerade anders als die GNR 800 - keine Dokumentation voraus. Ganz allgemein müsse der Normalbefund nie ganz oder teilweise dokumentiert werden. Bei der GNR 1455 EBM a. F. gehe es nicht um das Stillen der Blutung bei einfachem Nasenbluten, sondern um die Sondierung oder Bougierung einer Stirnhöhle vom Naseninneren aus. Dies stelle einen anderen medizinischen Aufwand dar. Es werde (nochmals) darauf hingewiesen, dass Wasserstoffperoxyd gemäß Gefahrstoffkennzeichnung als ätzend gekennzeichnet sei. Der Kläger hat ergänzend auf das Urteil des BSG vom 30. Juni 2009 (B 1 KR 5/09 R) verwiesen. Auch danach bestimmten nicht die Leitlinien der Medizinischen Fachgesellschaften den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Dies gilt zunächst, soweit es die Honorarkürzungen bezüglich der Leistungen nach den GNR 801 sowie 1455 betrifft.
Die Berechtigung der Beklagten, die Honorarabrechnungen der Vertragsärzte auf sachliche und rechnerische Richtigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls die Honorarabrechnung zu berichtigen, ergab sich aus § 45 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä in der seit 1. Januar 1995 geltenden und § 34 Abs. 4 Satz 2 EKV-Ä in der seit 1. Juli 1994 geltenden Fassung, die auf der Grundlage des § 83 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - (in der Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I 2477) vereinbart, dann auf der Grundlage des § 83 Abs. 1 SGB V (in der Fassung Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992, BGBl. I 2266) geändert worden sind. Nach den im Primär- und Ersatzkassenbereich im Wesentlichen gleich lautenden Regelungen obliegt den Kassenärztlichen Vereinigungen die Prüfung der von den Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen ihrer vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Die Vorschriften gestatten es der Beklagten, dem Kläger aufgrund nicht ordnungsgemäßer Honorarabrechnung zu Unrecht erteilte Honorarbescheide ohne Beachtung weiterer Voraussetzungen aufzuheben und den materiell-rechtlich richtigen Zustand herzustellen. Die Plausibilitätskontrolle ist dabei kein eigenständiges Prüfverfahren neben der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der sachlich-rechnerischen Richtigstellung nach § 106 SGB V, sondern dient der Aufdeckung von Abrechnungsfehlern und unwirtschaftlicher Leistungserbringung (vgl. BSG SozR 3-2500 § 83 Nr. 1).
Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung erstreckt sich auf die Frage, ob die abgerechneten Leistungen ordnungsgemäß - somit ohne Verstoß gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes - erbracht worden sind. Solche Verstöße können z. B. darin liegen, dass die Leistungen überhaupt nicht, nicht in vollem Umfang, ohne die zur Leistungserbringung erforderliche spezielle Genehmigung oder unter Überschreitung des Fachgebietes erbracht worden sind (vgl. BSG SozR 3-2500 § 75 Nr. 10 m.w.N.). Nur die in Plausibilitätskontrollen tatsächlich aufgedeckten und somit vorliegenden Abrechnungsfehler berechtigen die Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung zu deren Berichtigung und damit letztlich zu Honorarkürzungen (ebenso - weitgehend wörtlich übernommen - bereits LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.10.2007 - L 7 KA 56/03 - juris Rdnr. 20 bis 22).
Maßgeblich ist hier der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung. Dessen GNRn - sofern ihre Erfüllung hier streitig ist - sind wie folgt definiert:
GNR 801: Klinisch-neurologische Basisdiagnostik mit Untersuchung von mindestens drei der in Nr. 800 aufgeführten Elemente des vollständigen neurologischen Status oder gezielte neurologische Überprüfung des Verlaufs einer Erkrankung des zentralen oder peripheren Nervensystems oder einer systematischen Muskelerkrankung.
GNR 1455: Sondierung und/oder Bougierung einer Stirnhöhle vom Naseninnenraum aus, ggf. einschließlich Spülung und/oder Einbringung von Medikamenten.
GNR 1545: Spaltung von Furunkeln im äußeren Gehörgang oder Kaustik im Gehörgang und/oder in der Paukenhöhle.
Die GNR 801 EBM a. F. setzt nach dem Wortlaut in der 1. Alternative, die hier einzig in Betracht kommt, voraus, dass mindestens drei der in Nr. 800 aufgeführten Elemente des vollständigen neurologischen Status durchgeführt wurden.
Die in der Leistungslegende der GNR 800 aufgeführten Untersuchungselemente lauten wie folgt:
- Hirnnerven, - Reflexe, - Motorik, - Sensibilität, - Koordination, - Extrapyramidales System, - Vegetativum und, Hirnversorgende Gefäße.
Die einzelnen Elemente der GNR 800 EBM a. F. sind wie folgt beschrieben:
1. Element: Hirnnerven
I. N. olfacorius (Prüfung des Geruchssinnsvermögens (Bestandteil des Anh. EBM)
II. N. opticus-,
III. N. oculomotorius-)
IV. N. trochlearis-,
V. N. trigeminus (Überprüfung der Sensibilität mit Untersuchungsnadel bzw. Auslösen des Kornealreflexes/Überprüfung der Motorik, z. B. durch Zähne zusammenbeißen lassen)
VI. N. abducens-
VII. N. facialis (Beobachtung, ob eine halbseitige Schwäche vorliegt, der Sprache und der Mimik, verstrichene Nasolabialfalte usw.)
VIII. N. vestibulocochlearis (Gleichgewicht) und N. acusticus (Hörvermögen) oder zusammengefasst, des N. statoacusticus.
- (II, III, IV und VI sind Teil des visuellen Systems)
2. Element: Reflexstatus
Überprüfung der Nervenbahnen (mit Hilfe der Muskel-dehnungsreflexe) an den Armen und an den Beinen.
3. Element: Motorik
Prüfung der Motorik (setzt Entkleidung des Patienten an Schultergürtel und n den Extremitäten voraus, damit Seiten-vergleiche in Bezug auf Muskeln erfolgen kann oder eventuelle unwillkürliche Bewegungen festgestellt werden können).
4. Element: Sensibilität
Orientierende Untersuchung mit einer Nadelspitze im Gesicht, am Rumpf und den Extremitäten. Prüfung, ob der Patient an allen Stellen die gleiche Empfindung besitzt (stumpf oder spitz). Prüfung des Tastsinns (bei geschlossenen Augen) bzw. Prüfung des kalt/warm Empfindens.
5. Element: Koordination
Prüfung der Bewegungskoordination (Stehen, Gehen). In diesen Prüfbereich fallen auch der Finger-Nasen-Versuch und der Knie-Hacken-Versuch.
6. Element: Extrapyramidales System:
Feststellung von Störungen des Muskeltonus und der Bewegungsabläufe, wie z. B. Muskelsteife oder Muskelzittern, Störungen der Mimik, Gangstörungen.
7. Element: Vegetativum
Such autonomes Nervensystem genannt (Gesamtheit der dem Einfluss des Willens und dem Bewusstsein primär nicht untergeordneten Nerven und Ganglienzellen, die der Regelung der Vitalfunktionen dienen). Prüfung, ob eine orthostatische Hypotonie vorliegt, ob beim Pressversuch die bradycard/tachycard (langsam/schnell) Reaktion ausbleibt, ob die Schweißsekretion gestört ist. Befragung nach Symptomen des Magen-Darm-Traktes, der Blase und nach Sexualstörungen.
8. Element: Hirnversorgende Gefäße
Abhören der Gefäße, insbesondere die A. carotis mit dem Stethoskop. Untersuchung der Temporalarterien zum Ausschluss einer Arthritis (Entzündung) palpatorisch (mit den Fingern) auf Vergrößerungen oder Verhärtungen.
Die GNR 801 beinhaltet demnach die klinisch-neurologische Basisdiagnostik mit Untersuchung von mindestens drei der in Nr. 800 aufgeführten Elemente des vollständigen neurologischen Status. Der vollständige neurologische Status nach Nr. 800 bezieht sich auf den gesamten Körper, wie sich aus dem Wort "vollständig" ergibt. Es müssen also beispielsweise vollständig die Reflexe oder die Motorik untersucht werden (vgl. Kölner Kommentar zum EBM - 2. Auflage, Stand: Januar 1996, Nr. 800, Seite 389 f.) Der Kläger gibt selbst nicht vor, eine solche umfassende Untersuchung anderer Elemente als der Hirnnerven vollständig durchgeführt zu haben. So reicht es hier nicht aus, bei einem hörgeschädigten Patienten fortgeschrittenen Alters das Zittern der Hände (Motorik) zu prüfen, um die Frage abzuklären, welches Hörgerät dieser Patient mit diesen Händen noch bedienen könne (so das vom Kläger im Erörterungstermin am 07. März 2011 gewählte Beispiel). Ob und in welchem Umfang eine vollständige Erhebung der Elemente hätte dokumentiert sein müssen, kann dahingestellt bleiben
Die Berufung hat auch Erfolg, soweit es die GNR 1455 EBM a. F. betrifft.
Der Senat folgt der Beklagten in deren fachkundigen Äußerung, dass eine Sondierung der Stirnhöhle bei Nasenbluten nicht aus sich selbst heraus verständlich ist. Unter Sondierung versteht man das Einführen eines stab- oder röhrenförmigen, starren oder elastischen Instrumentes in natürliche Hohlorgane zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken bzw. zum Spüren, Austasten, Auffüllen oder Entleeren von pathologischen Hohlräumen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch). Bougierung ist das Aufdehnen und Weiten von Verengungen mit stabförmigen Instrumenten verschiedener Dicke (Pschyrembel, a. a. O.). Es fehlen nachvollziehbare Angaben, nach was der Kläger jeweils gesucht haben will. Der Kläger trägt eine Darlegungslast, da die Sondierung der Stirnhöhle bei Nasenbluten nicht leitliniengerecht ist und es auch eine bloße Behauptung des Klägers darstellt, dies sei medizinischer Standard. Aus dem von ihm angeführten Urteil des BSG vom 30.06.2009 (B 1 KR 5/09 R) kann er nichts für sich herleiten. Dort hat das Bundesgericht einem Versicherten einen Anspruch auf eine den einschlägigen Leitlinien entsprechende Behandlung im sogenannten Off-label-use versagt. Nach § 57 Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 34 Abs. 10 EKV gehört es auch ohne ausdrückliches Erwähnen einer Dokumentation in einer GNR zu den Aufzeichnungspflichten als Teil der ärztlichen Leistungsverpflichtung, den Befund und die Behandlungsmaßnahmen festzuhalten. Soweit der Kläger die Behandlung des Nasenblutens nicht auf die Stillung desselben beschränkt hat, sondern der Auffassung war, die Stirnhöhle untersuchen zu müssen, ist "Nasenbluten" nicht die zu dokumentierende Diagnose, also der Befund, gewesen. Lediglich die Suche nach der Ursache kann Grund für eine Sondierung oder eine Bougierung gewesen sein. Insoweit fehlt hier jeweils ein Verdachtsbefund.
Zuletzt bleiben die Klagen auch erfolglos, soweit die Beklagte auch die Abrechnung der GNR 1545 bemängelt hat. Hier wirft die Beklagte dem Kläger zur Überzeugung des Senats zu Recht vor, jeweils keine Kaustiken vorgenommen zu haben, weil der Kläger eine für eine solche Maßnahme ungeeignete Flüssigkeit verwendet hat.
Die Durchführung der ärztlichen Dienstleistung an sich (Einträufeln und Wirkenlassen der Flüssigkeit) steht zwar außer Streit. Der Vorgang stellt aber keine Kaustik dar. Diese ist nämlich keine Spülung und kein vorsichtiges Entfernen oberster Hautschichten oder ähnliches, sondern der recht massive Vorgang einer Gewebezerstörung (vgl. Pschyrembel: Kaustik= Ätzung =Gewebezerstörung durch Brenn- oder Ätzmittel; Wikipedia: Gewebezerstörung durch die Anwendung von Hitze, Kälte oder Ätzmittel).
Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf die - allgemeinkundige -Tatsache stützen, dass Wasserstoffperoxyd eine schwache Säure darstellt. Die pure Flüssigkeit ist ätzend im Sinne der EU-Gefahrstoffkennzeichnung. Der Kläger hat aber ausweislich seiner Dokumentation kein höher konzentriertes Wasserstoffperoxyd verwendet, sondern den Stoff in der Form als zugelassenes Medikament (3%-Lösung), in welchem diese Flüssigkeit zum Desinfizieren, Spülen und Reinigen als Arzneimittel verwendet werden darf. Zutreffend verweist die Beklagte darauf hin, dass der Kläger selbst nicht von Ätzungen bzw. Kaustiken ausgeht, sondern nur dokumentiert, Wasserstoffperoxidwäschen, Cerumenentfernungen (Cerumen = Ohrenschmalz) und Spülungen vorgenommen zu haben. Dies beschreibt andere Vorgänge. Auch die eigenen Einlassung, Wasserstoffperoxyd und Alkohol wirkten an der zarten und kranken Haut wie eine Kaustik zeigt deutlich, dass der Kläger unter Kaustik selbst keine Gewebezerstörungen verstanden hat, sondern eine Spülung mit allenfalls subtilem mechanischem Effekt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Im Streit stehen Honorarberichtigungsbescheide der Beklagten für die Quartale IV/2000 bis II/2003. Sie hält dem Kläger insoweit noch vor, die Gebührennummern (GNR) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung (EBM) Nr. 801, 1455 und 1545 nicht richtig angewendet zur haben.
Der Kläger war vom 01. April 1991 bis 31. März 2005 als Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde zur vertragsärztlichen Versorgung in E zugelassen. Auf ein entsprechendes Anhörungsschreiben der Beklagten äußerte er sich mit Schreiben vom 12. Dezember 2001 zur GNR 801, dass er als HNO-Facharzt bei seinen Arbeiten an Kopf und Hals der Patienten auch das Fach Neurologie tangiere. Die Anatomie, Physiologie und Pathologie der Hirnnerven seien tägliches Arbeitspensum des HNO-Facharztes. Es könne zu Überschreitungen des Durchschnittswertes in der HNO-Fachgruppe kommen, da nicht alle Ärzte gleich seien. Er betreibe in seiner Praxis ein gewisses Maß an Neurootologie und setze die GNR 801 für seine Leistungen ein. Er legte auf Anforderung der Beklagten anhand einer Patientenliste seine entsprechenden Patientendokumentationen vor.
Mit Bescheid vom 04. Januar 2005 setzte die Beklagte das Honorar für das Quartal IV/2000 auf (nur noch) 23.879,74 EUR fest und forderte einen Beitrag von 3.459,04 EUR zurück. Sie korrigierte dabei die Abrechnung der GNR 801, 1410, 1455 und 1545. Bei der GNR 801 sei die Leistungslegende nicht erfüllt, da aus den Behandlungsunterlagen eine Untersuchung von mindestens drei Elementen der GNR 800 nicht ersichtlich sei. Für die GNR 1455 und 1545 seien die angegebenen Diagnosen für die Abrechnung nicht ausreichend.
Der Kläger erhob Widerspruch. Die Leistungslegende bei den einzelnen Gebührennummern sei erfüllt. Die zur GNR 1455 sei bereits in ihrem Ansatz ungenau. Eine Kaustik im Gehörgang werde mit den verschiedensten Mitteln durchgeführt. Es müssten dabei nicht nur die von der Beklagten aufgeführten chemischen Verbindungen benutzt werden, vielmehr wirkten auch Wasserstoffperoxyd und Alkohol an der relativ zarten Haut des Gehörganges wie eine Kaustik. In der Paukenhöhle sei teilweise der Einsatz stark kaustischer Mittel gefährlich, so dass man auf Mittel mit milderem kaustischem Effekt zurückgreifen müsse. Auch nach einer Entfernung eines Gehörgangfremdkörpers könne eine Kaustik erforderlich sein, wenn der reibende Fremdkörper eine Entzündung der Haut mit Granulationsbildung verursacht habe. Der Kläger erläuterte ferner seine Behandlung bei einzelnen bereits von der Beklagten aufgeführten Patienten.
Weiter setzte die Beklagte mit Bescheid vom 04. Mai 2005 die Honorarbescheide der Quartale I/2001 bis IV/2001 unter Kürzungen der gleichen GNRn neu fest und forderte insgesamt einen Betrag von 17.260,54 EUR zurück.
Mit entsprechendem Bescheid vom selben Tage forderte die Beklagte vom Kläger die Rückzahlung von 7.977,96 EUR für die Quartale I/2002 bis IV/2002.
Die Beklagte kürzte ferner mit dem dritten Bescheid vom selben Tag den Honoraranspruch für die Quartale I/2003 und II/2003 um insgesamt 3.527,61 EUR.
Die Beklagte half mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2006 dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Januar 2005 (Quartal IV/2000) hinsichtlich der GNR 1410 ab und forderte nunmehr nur noch 2.256,20 EUR zurück. Den Widerspruch wies sie im Übrigen als unbegründet zurück. Hiergegen hat sich die am 10. Februar 2006 vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhobene Klage gerichtet.
Dem gegen den Honorarberichtigungsbescheid für die Quartale I/2001 bis IV/2001 eingelegten Widerspruch hat die Beklagte in gleicher Weise mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2006 hinsichtlich der GNR 1410 abgeholfen und die Rückforderung des Honorars um 10.570,14 EUR reduziert. Den darüber hinausgehenden Widerspruch hat sie wiederum als unbegründet zurückgewiesen. Auch hiergegen hat der Kläger am 12. Mai 2006 Klage erhoben (Az.: S 1 KA 114/06).
Sie hat ferner dem gegen den Berichtigungsbescheid für die Quartale I/2002 bis IV/2002 erhobenen Widerspruch mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 12. April 2006 wiederum teilweise - in Höhe von 5.456,51 EUR - abgeholfen. Den darüber hinausgehenden Widerspruch hat sie als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger hat auch hiergegen am 12. Mai 2006 geklagt (Az SG Potsdam: S 1 KA 113/06).
Der Kläger erhob auch gegen den Berichtigungsbescheid für die Quartale I/2003 und 2/2003 Widerspruch und wiederholte sein Vorbringen. Die Beklagte hat dem Widerspruch mit dem dritten Widerspruchsbescheid vom 12. April 2006 teilweise stattgegeben. Sie hat die Rückforderung auf 2.517,44 EUR reduziert und den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat der Kläger am 12. Mai 2006 Klage beim SG erhoben (Az.: S 1 KA 112/06).
Mit Beschluss vom 11. Oktober 2007 hat das SG die Verfahren S 1 KA 37/06, S 1 KA 112/06, S 1 KA 113/06 und S 1 KA 114/06 verbunden.
Der Kläger hat vorgebracht, seine Gesamtfallwerte hätten stets im unauffälligen Bereich gelegen, also im Durchschnitt der Fachgruppe. Daher hätte das Prüfverfahren ohne Kürzungsmaßnahmen beendet werden müssen. Die Plausibilitätsprüfung sei kein eigenständiges Prüfverfahren zur Honorarkürzung. Die sachlich-rechnerische Richtigstellung könne nur auf nachgewiesene Unrichtigkeiten gestützt werden. Solche gebe es hier nicht. Dass die Dokumentation des Klägers ggf. lückenhaft sei, stelle keinen Nachweis für eine Falschabrechnung dar. Die Beweislast zur Erbringung des Nachweises liege bei der Beklagten, da der Sammelerklärung eine Garantiefunktion zukomme. Im EBM selbst sei zu den GNR 801, 1455 und 1545 keine zwingende Dokumentation als Voraussetzung für eine Abrechnung vorgesehen. Dokumentationsmängel seien vergütungsrechtlich nur relevant, wenn die EBM Nummern dies zwingend vorsähen, wie beispielsweise bei der GNR 60.
Die Beklagte hat vorgebracht, die Prüfung der Honorarabrechnungen auf Plausibilität sei ein eigenständiges Prüfverfahren zur Feststellung von Abrechnungsfehlern. Die Pflicht zur Dokumentation in den Abrechnungsunterlagen ergebe sich bereits aus § 295 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Daraus ergebe sich auch die Pflicht, diese Unterlagen auf Verlangen vorzulegen. In den von ihr geprüften Behandlungsfällen zu den GNR 801, 1455 und 1445 passten die Diagnosen jeweils nicht zu den abgerechneten Leistungen, jedenfalls nicht auf der Grundlage der vom Kläger vorgelegten Dokumentation. Folge man dessen Auffassung, dass eine Dokumentation nur dann Pflicht sei, wenn sie im EBM vorgesehen sei, sei keine Kontrolle der Abrechnung möglich.
Das SG hat den Klagen mit Urteil vom 07. Oktober 2009 stattgegeben. Die Beklagte habe die ursprünglichen Honorarbescheide nicht berichtigen können, da zur Überzeugung der fachkundig besetzten Kammer davon auszugehen sei, dass der Kläger die abgerechneten Leistungen vollständig und entsprechend den angeführten Diagnosen erbracht habe. So sehe die Kammer die Erfüllung der Leistungslegende der GNR 801 - insbesondere Untersuchung von drei der in Nr. 800 benannten Nerven - als gegeben an. Diese GNR verlange nicht, dass sich aus der Dokumentation zwingend ergebe, welche Nerven tatsächlich untersucht worden seien. Eine Dokumentationspflicht in diesem Sinne sei nicht vorgesehen. Alleine der Umstand, dass in der Abrechnung nicht im Einzelnen der Ablauf der Untersuchung zu dieser GNR dokumentiert sei, berechtige die Beklagte nicht zu einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung. Die Kammer folge der Auffassung des Klägers, dass bei nicht im EBM zu einer GNR vorgesehener Dokumentationspflicht im Einzelnen diese auch nicht detailliert erfolgen müssten. Vielmehr genüge es dann, wenn sich im Übrigen, beispielsweise aus der Diagnose in den Behandlungsunterlagen, die medizinisch indizierte Untersuchung nachvollziehen lasse. Dies sei im Falle des Klägers zu bejahen. Aus § 57 Abs. 1 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) ergäbe sich nicht, dass der Arzt bei Angabe der GNR aus dem EBM in den Behandlungsunterlagen diese noch im Einzelnen beschreiben müsse. Eine solche Verpflichtung könne sich alleine aus der Leistungslegende der GNR im EBM ergeben. Dies sei jedoch hier nicht der Fall. Auch zu den GNR1545 und 1455 sehe die Kammer nach Durchsicht der einzelnen Behandlungsfälle die Leistungen als kompatibel zu den angegebenen Diagnosen an. Bei der GNR 1455 sehe es die Kammer nicht als fehlerhaft an, wenn bei einer beidseitigen rezidivierenden Epistaxis (=Nasenbluten) diese GNR abgerechnet werde. In diesem Fall könne sich sehr wohl eine Sondierung und/oder Bougierung einer Stirnhöhle vom Naseninneren aus als notwendig erweisen und ggf. sogar eine Spülung im Anschluss dessen. Bei der GNR 1545 ergebe sich bereits aus der Beschreibung im EBM, dass hier entweder die Spaltung von Furunkeln im äußeren Gehörgang oder die Kaustik im Gehörgang und/oder in der Paukenhöhle in der Leistungslegende enthalten sei. Die Abrechnung dieser GNR bei einem Hörsturz sei für die Kammer durchaus nachvollziehbar und gerechtfertigt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten: Eine vollständige Leistungserbringung der GNR 801 setze voraus, dass mindestens drei der aufgeführten Untersuchungselemente der GNR 800 EBM untersucht worden seien. Rechtsirrig gehe hingegen das SG davon aus, es reiche die Untersuchung von drei der in Nr. 800 benannten Nerven. Es seien nicht nur drei Hirnnerven, sondern drei der Untersuchungselemente zu überprüfen. Der Kläger habe bislang immer dargelegt, die Hirnnerven untersucht zu haben. Er habe indessen an keiner Stelle beschrieben, in welcher Form er zwei weitere notwendige Elemente untersucht habe. Die Beklagte habe auch angesichts der angeforderten Patientendokumente nicht klären können, welche Leistungen der Kläger tatsächlich vorgenommen habe. Es seien gravierende Überschreitungen des Umfangs der Abrechnung der Leistung der GNR 800 im Vergleich zur Fachgruppe festzustellen (auf die Tabelle 2 im Schriftsatz der Beklagten vom 30. März 2010 - wird ergänzend Bezug genommen). Es fänden sich auf den einzelnen Abrechnungsscheinen (Beispielsfälle) Diagnosen, die nicht auf eine Leistung der GNR 801 hinwiesen (auf die Tabelle 3 des genannten Schriftsatzes wird ergänzend verwiesen). Bei all diesen angegebenen Diagnosen sei zwar zweifelsfrei die Untersuchung der Hirnnerven erforderlich, nicht jedoch die Untersuchung weiterer zweier Elemente der GNR 800. Es sei maximal die Leistung der mittlerweile entfallenen GNR 63 erfüllt worden, die in die Ordinationsgebühr eingegangen sei. In weiteren Fällen seien die Untersuchungsbefunde nicht dokumentiert (Tabelle 4). Dem SG sei zwar zuzustimmen, dass die Leistungslegende der GNR 801 eine Dokumentation nicht zwingend vorschreibe. Hieraus folge jedoch nicht im Umkehrschluss, dass abgerechnete, jedoch in der Patientendokumentation nicht niedergelegte Leistungen stets zu vergüten seien. Der überaus hohe Überschreitungswert im Vergleich zur Fachgruppe, der nicht auf eine GNR 801 hinweisenden Diagnosen in Abrechnungsscheinen und die Aussagen des Klägers zur Art und Weise seiner durchgeführten Untersuchungen hätten Zweifel an der vollständigen Erbringung begründet. Derartige Zweifel könnten nur anhand der Patientendokumentation aufgeklärt werden. Deshalb schrieben BMV-Ä bzw. Ersatzkassenvertrag (EKV) verbindlich vor, die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlungen in geeigneter Weise zu dokumentieren. Entgegen der Rechtsauffassung des SG sei der Kläger dieser Dokumentationspflicht nicht nachgekommen. Die Befunde seiner Untersuchungen der drei aufgeführten Elemente seien in der Patientendokumentation nicht aufzufinden. Der Kläger habe zwar wiederholt vorgetragen, die eingesehene Patientendokumentation sei nicht vollständig, eine Vervollständigung sei aber bis heute nicht erfolgt. Es sei daher für die Beklagte in keiner Weise nachvollziehbar, woraus das SG die vollständige Leistungserbringung gefolgert habe. Für eine solche positive Annahme käme alleine die angegebene Diagnose auf dem Abrechnungsschein in Betracht. Es sei zwar richtig, dass es für den Fall des Fehlens einer Dokumentationspflicht in der Leistungslegende des EBM genüge, wenn sich im Übrigen bzw. aus der Diagnose in den Behandlungsunterlagen die medizinisch indizierte Untersuchung nachvollziehen lasse. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Der Kläger habe ferner die GNR 1455 EBM a. F. überdurchschnittlich abgerechnet (auf die Tabelle 5 des Berufungsbegründungsschriftsatzes wird ergänzend verwiesen). Auch hier wiesen die auf den Behandlungsscheinen angegebenen Diagnosen nicht auf Leistungen des Sondierens bzw. Bougierens hin (auf die Tabelle 6 wird ergänzend verwiesen). Die Behauptung des Klägers, bei Verdacht einer Blutung aus den Atemwegen (Nasennebenhöhlen) müsse die Stirnhöhle sondiert werden, sei für die Beklagte nicht nachvollziehbar. Ein regelmäßiges Sondieren der Stirnhöhle sei fachlich nicht nachvollziehbar. Eine solche Behandlung sähen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie nicht vor (AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 017/041 - Leitlinie Epistaxis). Empfohlen werde dort zur Diagnose die Veranlassung einer Röntgenuntersuchung oder einer Computertomografie. Die vom Kläger in seiner Stellungnahme vom 09. April 2005 gegebene Erläuterung deute darauf hin, dass die Leistungslegende auch nicht erfüllt worden und eine Analogabrechnung von Leistungen erfolgt sei, die seit dem 01. Januar 1996 nicht mehr gesondert abrechnungsfähig gewesen seien. Seit diesem Zeitpunkt sei die Stillung von Nasenbluten durch Ätzung und/oder Tamponade und/oder Kauterisation gemäß Anhang zum EBM a. F. mit der Vergütung der GNR 1 EBM abgegolten. Der Kläger habe schließlich auch die Abrechnung der GNR 1545 im Vergleich zur Fachgruppe erheblich überschritten (auf die Tabelle 8 wird ergänzend verwiesen). Auch hier könne in der überwiegenden Anzahl der Abrechnungen aus der Diagnose nicht geschlussfolgert werden, dass die entsprechende Leistung erbracht worden sei. Das SG hätte auch nicht darauf abstellen dürfen, dass der Kläger stattdessen die GNR 1543 EBM a. F. hätte abrechnen können. Vertragsärzte hätten die tatsächlich erbrachten Leistungen abzurechnen. Auch die Einlassungen des Klägers selbst rechtfertigten den Schluss einer fehlerhaften Abrechnung. So habe er selbst ausgeführt: "Auch Wasserstoffperoxyd und Alkohol wirken an der relativ zarten und wenn kranken Haut des Gehörgangs wie eine Kaustik". Die Leistungslegende verlange jedoch eine Kaustik, d. h. eine Gewebezerstörung durch Brenn- oder Ätzmittel. Wasserstoffperoxyd und Alkohol seien keine Brenn- und Ätzmittel. So sei Wasserstoffperoxyd ein starkes Oxydations- und deshalb ein Desinfektionsmittel. Dementsprechend fänden sich in den Patientendokumentationen keine Angaben zu verwendeten Brenn- oder Ätzmitteln. Stattdessen sei von Wasserstoffperoxydwäsche, Cerumenentfernungen und Spülungen die Rede. Die in den bundesmantelvertraglichen Regelungen festgelegte vertragsärztliche Dokumentationspflicht sei kein Selbstzweck, sondern diene in erster Linie der Überprüfbarkeit der vertragsärztlichen Abrechnungen, welche ansonsten alleine auf dem Vertrauensprinzip basierten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen könnten ihrem Auftrag der Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnungen nicht nachkommen, wenn es im Belieben der Vertragsärzte stünde, ihre Leistungen zu dokumentieren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 07. Oktober 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil. Der Beklagten sei der erforderliche Nachweis der Unrichtigkeit der Abrechnungen nicht gelungen. Sie habe den erforderlichen Beweis nicht erbracht. Das SG habe wohl nur versehentlich hinsichtlich der GNR 800 von drei Hirnnerven geschrieben. Der Kläger habe jedenfalls immer vorgetragen, stets die Hirnnerven mit der bewirkten Motorik und Sensibilität geprüft zu haben. Er habe jedoch in den von der Beklagten dargestellten Fällen in der Tabelle 3 nicht mehr als die Diagnose Hörverlust dokumentieren müssen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung könne einem Vertragsarzt nicht aufgelastet werden. Er habe die ihm obliegenden Dokumentationspflichten nach § 57 Abs. 1 BMV-Ä erfüllt. Es genüge, wenn sich aus der Diagnose in den Behandlungsunterlagen die medizinisch indizierte Untersuchung nachvollziehen lasse. Die GNR 801 setze - gerade anders als die GNR 800 - keine Dokumentation voraus. Ganz allgemein müsse der Normalbefund nie ganz oder teilweise dokumentiert werden. Bei der GNR 1455 EBM a. F. gehe es nicht um das Stillen der Blutung bei einfachem Nasenbluten, sondern um die Sondierung oder Bougierung einer Stirnhöhle vom Naseninneren aus. Dies stelle einen anderen medizinischen Aufwand dar. Es werde (nochmals) darauf hingewiesen, dass Wasserstoffperoxyd gemäß Gefahrstoffkennzeichnung als ätzend gekennzeichnet sei. Der Kläger hat ergänzend auf das Urteil des BSG vom 30. Juni 2009 (B 1 KR 5/09 R) verwiesen. Auch danach bestimmten nicht die Leitlinien der Medizinischen Fachgesellschaften den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Dies gilt zunächst, soweit es die Honorarkürzungen bezüglich der Leistungen nach den GNR 801 sowie 1455 betrifft.
Die Berechtigung der Beklagten, die Honorarabrechnungen der Vertragsärzte auf sachliche und rechnerische Richtigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls die Honorarabrechnung zu berichtigen, ergab sich aus § 45 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä in der seit 1. Januar 1995 geltenden und § 34 Abs. 4 Satz 2 EKV-Ä in der seit 1. Juli 1994 geltenden Fassung, die auf der Grundlage des § 83 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V - (in der Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I 2477) vereinbart, dann auf der Grundlage des § 83 Abs. 1 SGB V (in der Fassung Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992, BGBl. I 2266) geändert worden sind. Nach den im Primär- und Ersatzkassenbereich im Wesentlichen gleich lautenden Regelungen obliegt den Kassenärztlichen Vereinigungen die Prüfung der von den Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen ihrer vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Die Vorschriften gestatten es der Beklagten, dem Kläger aufgrund nicht ordnungsgemäßer Honorarabrechnung zu Unrecht erteilte Honorarbescheide ohne Beachtung weiterer Voraussetzungen aufzuheben und den materiell-rechtlich richtigen Zustand herzustellen. Die Plausibilitätskontrolle ist dabei kein eigenständiges Prüfverfahren neben der Wirtschaftlichkeitsprüfung und der sachlich-rechnerischen Richtigstellung nach § 106 SGB V, sondern dient der Aufdeckung von Abrechnungsfehlern und unwirtschaftlicher Leistungserbringung (vgl. BSG SozR 3-2500 § 83 Nr. 1).
Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung erstreckt sich auf die Frage, ob die abgerechneten Leistungen ordnungsgemäß - somit ohne Verstoß gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes - erbracht worden sind. Solche Verstöße können z. B. darin liegen, dass die Leistungen überhaupt nicht, nicht in vollem Umfang, ohne die zur Leistungserbringung erforderliche spezielle Genehmigung oder unter Überschreitung des Fachgebietes erbracht worden sind (vgl. BSG SozR 3-2500 § 75 Nr. 10 m.w.N.). Nur die in Plausibilitätskontrollen tatsächlich aufgedeckten und somit vorliegenden Abrechnungsfehler berechtigen die Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung zu deren Berichtigung und damit letztlich zu Honorarkürzungen (ebenso - weitgehend wörtlich übernommen - bereits LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.10.2007 - L 7 KA 56/03 - juris Rdnr. 20 bis 22).
Maßgeblich ist hier der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung. Dessen GNRn - sofern ihre Erfüllung hier streitig ist - sind wie folgt definiert:
GNR 801: Klinisch-neurologische Basisdiagnostik mit Untersuchung von mindestens drei der in Nr. 800 aufgeführten Elemente des vollständigen neurologischen Status oder gezielte neurologische Überprüfung des Verlaufs einer Erkrankung des zentralen oder peripheren Nervensystems oder einer systematischen Muskelerkrankung.
GNR 1455: Sondierung und/oder Bougierung einer Stirnhöhle vom Naseninnenraum aus, ggf. einschließlich Spülung und/oder Einbringung von Medikamenten.
GNR 1545: Spaltung von Furunkeln im äußeren Gehörgang oder Kaustik im Gehörgang und/oder in der Paukenhöhle.
Die GNR 801 EBM a. F. setzt nach dem Wortlaut in der 1. Alternative, die hier einzig in Betracht kommt, voraus, dass mindestens drei der in Nr. 800 aufgeführten Elemente des vollständigen neurologischen Status durchgeführt wurden.
Die in der Leistungslegende der GNR 800 aufgeführten Untersuchungselemente lauten wie folgt:
- Hirnnerven, - Reflexe, - Motorik, - Sensibilität, - Koordination, - Extrapyramidales System, - Vegetativum und, Hirnversorgende Gefäße.
Die einzelnen Elemente der GNR 800 EBM a. F. sind wie folgt beschrieben:
1. Element: Hirnnerven
I. N. olfacorius (Prüfung des Geruchssinnsvermögens (Bestandteil des Anh. EBM)
II. N. opticus-,
III. N. oculomotorius-)
IV. N. trochlearis-,
V. N. trigeminus (Überprüfung der Sensibilität mit Untersuchungsnadel bzw. Auslösen des Kornealreflexes/Überprüfung der Motorik, z. B. durch Zähne zusammenbeißen lassen)
VI. N. abducens-
VII. N. facialis (Beobachtung, ob eine halbseitige Schwäche vorliegt, der Sprache und der Mimik, verstrichene Nasolabialfalte usw.)
VIII. N. vestibulocochlearis (Gleichgewicht) und N. acusticus (Hörvermögen) oder zusammengefasst, des N. statoacusticus.
- (II, III, IV und VI sind Teil des visuellen Systems)
2. Element: Reflexstatus
Überprüfung der Nervenbahnen (mit Hilfe der Muskel-dehnungsreflexe) an den Armen und an den Beinen.
3. Element: Motorik
Prüfung der Motorik (setzt Entkleidung des Patienten an Schultergürtel und n den Extremitäten voraus, damit Seiten-vergleiche in Bezug auf Muskeln erfolgen kann oder eventuelle unwillkürliche Bewegungen festgestellt werden können).
4. Element: Sensibilität
Orientierende Untersuchung mit einer Nadelspitze im Gesicht, am Rumpf und den Extremitäten. Prüfung, ob der Patient an allen Stellen die gleiche Empfindung besitzt (stumpf oder spitz). Prüfung des Tastsinns (bei geschlossenen Augen) bzw. Prüfung des kalt/warm Empfindens.
5. Element: Koordination
Prüfung der Bewegungskoordination (Stehen, Gehen). In diesen Prüfbereich fallen auch der Finger-Nasen-Versuch und der Knie-Hacken-Versuch.
6. Element: Extrapyramidales System:
Feststellung von Störungen des Muskeltonus und der Bewegungsabläufe, wie z. B. Muskelsteife oder Muskelzittern, Störungen der Mimik, Gangstörungen.
7. Element: Vegetativum
Such autonomes Nervensystem genannt (Gesamtheit der dem Einfluss des Willens und dem Bewusstsein primär nicht untergeordneten Nerven und Ganglienzellen, die der Regelung der Vitalfunktionen dienen). Prüfung, ob eine orthostatische Hypotonie vorliegt, ob beim Pressversuch die bradycard/tachycard (langsam/schnell) Reaktion ausbleibt, ob die Schweißsekretion gestört ist. Befragung nach Symptomen des Magen-Darm-Traktes, der Blase und nach Sexualstörungen.
8. Element: Hirnversorgende Gefäße
Abhören der Gefäße, insbesondere die A. carotis mit dem Stethoskop. Untersuchung der Temporalarterien zum Ausschluss einer Arthritis (Entzündung) palpatorisch (mit den Fingern) auf Vergrößerungen oder Verhärtungen.
Die GNR 801 beinhaltet demnach die klinisch-neurologische Basisdiagnostik mit Untersuchung von mindestens drei der in Nr. 800 aufgeführten Elemente des vollständigen neurologischen Status. Der vollständige neurologische Status nach Nr. 800 bezieht sich auf den gesamten Körper, wie sich aus dem Wort "vollständig" ergibt. Es müssen also beispielsweise vollständig die Reflexe oder die Motorik untersucht werden (vgl. Kölner Kommentar zum EBM - 2. Auflage, Stand: Januar 1996, Nr. 800, Seite 389 f.) Der Kläger gibt selbst nicht vor, eine solche umfassende Untersuchung anderer Elemente als der Hirnnerven vollständig durchgeführt zu haben. So reicht es hier nicht aus, bei einem hörgeschädigten Patienten fortgeschrittenen Alters das Zittern der Hände (Motorik) zu prüfen, um die Frage abzuklären, welches Hörgerät dieser Patient mit diesen Händen noch bedienen könne (so das vom Kläger im Erörterungstermin am 07. März 2011 gewählte Beispiel). Ob und in welchem Umfang eine vollständige Erhebung der Elemente hätte dokumentiert sein müssen, kann dahingestellt bleiben
Die Berufung hat auch Erfolg, soweit es die GNR 1455 EBM a. F. betrifft.
Der Senat folgt der Beklagten in deren fachkundigen Äußerung, dass eine Sondierung der Stirnhöhle bei Nasenbluten nicht aus sich selbst heraus verständlich ist. Unter Sondierung versteht man das Einführen eines stab- oder röhrenförmigen, starren oder elastischen Instrumentes in natürliche Hohlorgane zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken bzw. zum Spüren, Austasten, Auffüllen oder Entleeren von pathologischen Hohlräumen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch). Bougierung ist das Aufdehnen und Weiten von Verengungen mit stabförmigen Instrumenten verschiedener Dicke (Pschyrembel, a. a. O.). Es fehlen nachvollziehbare Angaben, nach was der Kläger jeweils gesucht haben will. Der Kläger trägt eine Darlegungslast, da die Sondierung der Stirnhöhle bei Nasenbluten nicht leitliniengerecht ist und es auch eine bloße Behauptung des Klägers darstellt, dies sei medizinischer Standard. Aus dem von ihm angeführten Urteil des BSG vom 30.06.2009 (B 1 KR 5/09 R) kann er nichts für sich herleiten. Dort hat das Bundesgericht einem Versicherten einen Anspruch auf eine den einschlägigen Leitlinien entsprechende Behandlung im sogenannten Off-label-use versagt. Nach § 57 Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 34 Abs. 10 EKV gehört es auch ohne ausdrückliches Erwähnen einer Dokumentation in einer GNR zu den Aufzeichnungspflichten als Teil der ärztlichen Leistungsverpflichtung, den Befund und die Behandlungsmaßnahmen festzuhalten. Soweit der Kläger die Behandlung des Nasenblutens nicht auf die Stillung desselben beschränkt hat, sondern der Auffassung war, die Stirnhöhle untersuchen zu müssen, ist "Nasenbluten" nicht die zu dokumentierende Diagnose, also der Befund, gewesen. Lediglich die Suche nach der Ursache kann Grund für eine Sondierung oder eine Bougierung gewesen sein. Insoweit fehlt hier jeweils ein Verdachtsbefund.
Zuletzt bleiben die Klagen auch erfolglos, soweit die Beklagte auch die Abrechnung der GNR 1545 bemängelt hat. Hier wirft die Beklagte dem Kläger zur Überzeugung des Senats zu Recht vor, jeweils keine Kaustiken vorgenommen zu haben, weil der Kläger eine für eine solche Maßnahme ungeeignete Flüssigkeit verwendet hat.
Die Durchführung der ärztlichen Dienstleistung an sich (Einträufeln und Wirkenlassen der Flüssigkeit) steht zwar außer Streit. Der Vorgang stellt aber keine Kaustik dar. Diese ist nämlich keine Spülung und kein vorsichtiges Entfernen oberster Hautschichten oder ähnliches, sondern der recht massive Vorgang einer Gewebezerstörung (vgl. Pschyrembel: Kaustik= Ätzung =Gewebezerstörung durch Brenn- oder Ätzmittel; Wikipedia: Gewebezerstörung durch die Anwendung von Hitze, Kälte oder Ätzmittel).
Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf die - allgemeinkundige -Tatsache stützen, dass Wasserstoffperoxyd eine schwache Säure darstellt. Die pure Flüssigkeit ist ätzend im Sinne der EU-Gefahrstoffkennzeichnung. Der Kläger hat aber ausweislich seiner Dokumentation kein höher konzentriertes Wasserstoffperoxyd verwendet, sondern den Stoff in der Form als zugelassenes Medikament (3%-Lösung), in welchem diese Flüssigkeit zum Desinfizieren, Spülen und Reinigen als Arzneimittel verwendet werden darf. Zutreffend verweist die Beklagte darauf hin, dass der Kläger selbst nicht von Ätzungen bzw. Kaustiken ausgeht, sondern nur dokumentiert, Wasserstoffperoxidwäschen, Cerumenentfernungen (Cerumen = Ohrenschmalz) und Spülungen vorgenommen zu haben. Dies beschreibt andere Vorgänge. Auch die eigenen Einlassung, Wasserstoffperoxyd und Alkohol wirkten an der zarten und kranken Haut wie eine Kaustik zeigt deutlich, dass der Kläger unter Kaustik selbst keine Gewebezerstörungen verstanden hat, sondern eine Spülung mit allenfalls subtilem mechanischem Effekt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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