L 6 SF 277/11 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 15 SF 1116/06 R
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 277/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 9. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

In dem Klageverfahren M. G .../. Deutsche Rentenversicherung Bund (Az.: S 15 R 396/05) änderte die Vorsitzende der 15. Kammer des Sozialgerichts Meiningen unter dem 20. Juni 2005 die Beweisanordnung vom 24. Mai 2005 dergestalt ab, dass sie den Beschwerdeführer, Facharzt für Neurologie, mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aufgrund ambulanter Untersuchung beauftragte. Übersandt wurden ihm 590 Blatt Akten.

Der Beschwerdeführer fertigte unter dem 17. März 2006 sein Gutachten aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 30. Januar 2006 auf insgesamt 13 Blatt. In seiner Kostenrechnung vom 28. März 2006 machte er insgesamt 1.433,18 Euro geltend (14 Stunden Zeitaufwand zu einem Stundensatz von 85,00 Euro, Schreibauslagen 45,50 Euro, Mehrwertsteuer 197,68 Euro). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 1 des Kostenhefts verwiesen. Mit Verfügung vom 19. Mai 2006 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Vergütung wie folgt auf 997,02 Euro: 14 Stunden zu einem Stundensatz von 60,00 Euro (Honorargruppe M2) 840,00 Euro Schreibauslagen für ca. 26.000 Anschläge 19,50 Euro 16 v.H. Mehrwertsteuer 137,52 Euro Gesamtbetrag 997,02 Euro

Am 13. Juni 2006 hat sich der Beschwerdeführer gegen die Zuordnung des Gutachtens in die Honorargruppe M2 gewandt und die richterliche Festsetzung beantragt. Er habe sich mit erheblich widersprechenden Gutachten anderer Kollegen auseinandergesetzt, diese interpretiert und neu bewertet.

Mit Beschluss vom 9. Dezember 2010 hat das Sozialgericht die Vergütung auf 997,02 festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, grundsätzlich seien Gutachten in Rentenstreitverfahren nach der Honorargruppe M2 mit einem Stundensatz von 60,00 Euro zu entschädigen. Ein Ausnahmefall, wie beim Beschluss des erkennenden Senats vom 3. November 2008 - Az.: L 6 SF 48/08, habe hier nicht vorgelegen. Es habe sich um ein typisches neurologisches Gutachten ohne Kausalzusammenhänge zur Einschätzung der Erwerbsfähigkeit gehandelt.

Gegen den Beschluss hat der Beschwerdeführer am 9. Februar 2011 Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, die lange Bearbeitungszeit seiner Erinnerung sei ihm unverständlich. Für die Erstellung seines Gutachtens habe er sich mit mehreren fachfremden und zwei neurologischen Gutachten auseinandersetzen müssen, was eine erhebliche gedankliche Arbeit mit vielseitigen und vielschichtigen Überlegungen erfordert habe. Er habe nachgewiesen, dass die Beurteilung eines MRT-Befunds durch einen Vorgutachter nicht richtig gewesen sei und anhand von Indizien nachgewiesen, dass der Kläger mehr und schwerer arbeite als er angegeben habe. Seine kurz, einfach und verständlich dargestellten Ausführungen hätten dem Sozialgericht optimale Vorlagen für seine Entscheidung geboten.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Meiningen vom 9. Dezember 2010 und die Festsetzung im Beschluss vom 19. Mai 2006 aufzuheben und die Vergütung für das Gutachten vom 17. März 2006 auf 1.433,18 Euro festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen der UKB und die Begründung im Beschluss des Sozialgerichts Meiningen.

Dias Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 28. Februar 2011 und sie dem erkennenden Senat vorgelegt.

II.

Die Beschwerde gegen einen im Erinnerungsverfahren ergangenen Beschluss ist nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und –entschädigungsgesetz – JVEG -) bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen statthaft (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. u.a. Beschlüsse vom 15. März 2010 - Az.: L 6 B 209/09 SF und 24. August 2009 - Az.: L 6 B 248/08 SF; ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 3. September 2009 - Az.: L 6 R 303/09 B, nach juris). Sie ist hier auch zulässig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro. Zur Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass die Rechtsmittelbelehrung im Beschluss des Sozialgerichts fehlerhaft ist; eine Fristenregelung für die Beschwerde existiert in § 4 Abs. 4 JVEG nicht.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Der Senat hatte keine Entscheidung über die von dem Beschwerdeführer gerügte Verfahrensdauer des Erinnerungsverfahrens zu treffen. Die Verärgerung des Beschwerdeführers kann er allerdings nachvollziehen.

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie der Beschwerdeführer aufgegriffen hat (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 21. Dezember 2006 – Az.: L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f., 4. April 2005 – Az.: L 6 SF 83/05 in MedSach 2005, 137 ff., 27. Januar 2005 – Az.: L 6 SF 745/04, 17. Mai 2004 – Az.: L 6 SF 732/03, 1. August 2003 – Az.: L 6 SF 220/03 in MedSach 2004, 102 f; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. Oktober 2005 – Az.: 1 B 97.1352, nach juris).

Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbs. 1).

Das Honorar des Sachverständigen errechnet sich nach den §§ 9 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Es kommt nicht darauf an, wie viele Stunden tatsächlich aufgewendet wurden, sondern welcher Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität erforderlich ist (vgl. u.a. BGH; Beschluss vom 16. Dezember 2003 – Az.: X ZR 206/98, nach juris; Senatsbeschluss vom 15. März 2010, a.a.O., m.w.N.; Hartmann in Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 8 JVEG Rdnr. 35). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006, a.a.O., LSG Baden-Württemberg vom 22. September 2004 – Az.: L 12 RJ 3686/04 KO-A, nach juris). Werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v.H. überschritten (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006, a.a.O.) oder bietet die Kostenrechnung keinen Anhalt für einen realistischen Ansatz (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2007 - Az.: L 6 B 172/07 SF), ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen.

Die Aufteilung der Sachverständigenleistung erfolgt entsprechend dem Thüringer "Merkblatt über die Entschädigung von medizinischen Sachverständigen" grundsätzlich in fünf Bereichen: a) Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten, b) Erhebung der Vorgeschichte, c) notwendige Untersuchungen, d) Abfassung der Beurteilung, e) Diktat sowie Durchsicht des Gutachtens.

Für das Gutachten vom 17. März 2006 war angesichts der dem Beschwerdeführer übersandten Unterlagen und unter Berücksichtigung der üblichen Erfahrungswerte nach der Senatsrechtsprechung der beantragte Zeitaufwand von 14 Stunden erforderlich. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Die Schreibauslagen werden nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 JVEG ersetzt. Danach wird für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens 0,75 Euro je angefangene 1.000 Anschläge gezahlt. Bei ca. 26.0000 Anschlägen errechnet sich eine Erstattung von 19,50 Euro.

Die Vergütung ist nach der Honorargruppe M2 (60,00 Euro) zu berechnen (§ 9 Abs. 1 JVEG). Sie wird wie folgt definiert: Beschreibende (Ist-Zustands-)Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, z.B. Gutachten in Verfahren nach dem SchwbG oder zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität. Die Honorargruppe M3 erfordert Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad. Als Beispiel werden Begutachtungen spezieller Kausalitätszusammenhänge und/oder differentialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilungen der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen genannt und 16 Beispielsfälle aufgeführt.

In den Beispielen beider Honorargruppen sind Gutachten zur Überprüfung der Erwerbsfähigkeit nicht enthalten. Deshalb erfolgt die Zuordnung nach billigem Ermessen (§ 9 Abs. 1 S. 3 2. Halbs. JVEG). Zustandsgutachten wie bei dieser Feststellung werden nach der ganz h.M. im Regelfall in die Honorargruppe M2 eingeordnet (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. August 2008 - Az.: L 6 SF 36/08 m.w.N.; 19. Dezember 2007 – Az.: L 6 B 172/07 SF, 21. Dezember 2006 Az.: L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f. und 4. April 2005 - Az.: L 6 SF 83/05 in MedSach 2005, 137f.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 23. September 2009 - Az.: L 15 SF 188/09; Hessisches LSG, Beschluss vom 11. April 2005 – Az.: L 2/9 SF 82/04, beide nach juris; Reyels in jurisPR-SozR 18/2010 Anm. 6). Es sind typische in Sozialgerichtsverfahren eingeholte Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit (vgl. Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 872).

Nach dem Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 22. September 2004 (Az.: L 12 RJ 3686/04 KO-A; nach juris), dem sich der bereits Senat angeschlossen hat (vgl. Beschluss vom 21. März 2010, a.a.O.), erfordern Gutachten der Honorargruppe M3 dagegen umfassende und vielseitige bzw. vielschichtige Überlegungen; die Schwierigkeiten können mit den diagnostischen oder ätiologischen Fragen zusammenhängen. Auch andere Gründe sind denkbar, z.B. eine Vielzahl unklarer oder widerspruchsvoller Befunde oder anamnestischer Angaben. Im vorliegenden Fall sind dafür allerdings keine ausreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Die in sozialgerichtlichen Verfahren übliche Auseinandersetzung mit einschlägigen Vorgutachten begründet allein grundsätzlich keinen hohen Schwierigkeitsgrad (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Mai 2009 - Az.: L 6 SF 35/08 und 27. August 2008 - Az.: L 6 SF 36/08). Die (unzweifelhafte) Qualität eines Gutachtens ist von dem beauftragenden Gericht bzw. dem Berufungsgericht bei seiner Entscheidung zu bewerten; im Kostenfestsetzungsverfahren hat dies nicht zu erfolgen. Insofern kommt es an dieser Stelle nicht darauf an, ob das Gutachten dem beauftragenden Sozialgericht eine gute (oder sogar optimale) Grundlage für eine Entscheidung bot.

Es ist nicht ersichtlich, dass differentialdiagnostische Überlegungen mit hohem Schwierigkeitsgehalt angestellt werden mussten (vgl. Senatsbeschluss vom 15. März 2010, a.a.O.) und das Gutachten hinsichtlich Schwierigkeiten und Aufwand ein "normales" Zustandsgutachten deutlich übersteigt. Zu Recht weist die Vorinstanz darauf hin, dass für das Gutachten interdisziplinäre Fragestellungen keine Rolle spielten. Zusätzlich zu erstatten ist die Umsatzsteuer.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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