L 11 AS 190/11 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AS 43/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 190/11 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Keine Übernahme von Heizkkosten nach Ablauf der Heizperiode im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 09.02.2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hinsichtlich Heizmaterial als Zuschuss.

Die schwangere Antragstellerin (ASt) bezieht Alg II vom Antragsgegner (Ag). Mit Bescheid vom 08.06.2010 wurden Leistungen für die Zeit vom 01.07.2010 bis 31.12.2010 bewilligt; mit weiterem Bescheid vom 19.10.2010 ergänzend 24,77 EUR für weitere Heizkosten. Nach einem Umzug der ASt wurden ihr mit Änderungsbescheid vom 28.10.2010 unter anderem für den Monat November 2010 einmalige Heizkosten für die Ofenheizung in Höhe von 495,43 EUR bewilligt.

Dagegen wandte sich die ASt mit ihrem Widerspruch. Es seien weitere 1.065,60 EUR für Heizkosten zu bewilligen. Nachdem der Ag mit Bescheid vom 28.01.2011 weitere 66,09 EUR für Heizkosten bewilligte, wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2011 (laut Vermerk am 08.02.2011 zur Post gegeben) zurück. Ein weiterer Zuschuss für die Heizkosten könne nicht gewährt werden, da man sich bereits an einem extrem hohen Heizungsverbrauch orientiert habe. Nach Auskunft des Sozialgericht Würzburg (SG) und des Ag wurde hiergegen keine Klage erhoben.

Mit Bescheid vom 15.12.2010 bewilligte der Ag Leistungen für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011. Widerspruch wurde dagegen nicht eingelegt. Ein Antrag auf Gewährung eines Darlehens für eine zusätzliche Brennstoffbeihilfe vom 02.03.2011 lehnte der Ag mit Bescheid vom 10.03.2011 ab. Über den diesbezüglichen Widerspruch der ASt ist noch nicht entschieden.

Mit ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG hat die ASt vorgebracht, ihre Heizkosten von 8,67 EUR täglich für Holz und Briketts seien angemessen und notwendig. Die Wohnung stamme aus dem Jahr 1900 und es fehle an Isolierung. Die gewährten Leistungen für die Heizung seien verbraucht, die Wohnung könne insofern nicht mehr geheizt werden. Mangels Lagermöglichkeit habe sie Holz und Briketts nur in kleinen Mengen kaufen können. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 09.02.2011 abgelehnt. Es fehle ein Anordnungsanspruch, da nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass die Heizkosten ab November 2010 den gewährten Betrag von 561,52 EUR überstiegen hätten. Der vorgetragene Heiz- und Kostenaufwand sei nicht glaubhaft. So würden auch Belege für die Monate November, Dezember und Januar fehlen. Schließlich seien die geltend gemachten Kosten unter Berücksichtigung des bundesweiten Heizspiegels nicht mehr angemessen.

Gegen diesen Beschluss hat die ASt Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Ein Abstellen auf den bundesweiten Heizspiegel sei nicht zulässig. Braunkohlebriketts könnten wegen der Emissionswerte und dem anfallenden Abfall nicht verwendet werden. Ein Verbrauch von 20 Kilo Holzbriketts sei plausibel. Die ASt hat eine Aufstellung über die monatlichen Heizkosten und dazu Quittungen für Oktober 2010 bis Februar 2011 vorgelegt. In den Monaten November, Januar, Februar und März habe sie nur unzureichend heizen können; sie habe dies von ihrer Regelleistung zahlen müssen. Im März und April habe sie gar nicht mehr mit Holz, sondern mit Strom geheizt. Es würden noch 1.001 EUR fehlen. Das Problem würde sich in der nächsten Heizperiode wieder stellen. Die Wohnung sei dermaßen ausgekühlt, dass sich im Schlafzimmer bereits Wasserflecken und Schimmel gebildet habe. Es würden auch Schadenersatzansprüche des Vermieters drohen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der ASt ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch unbegründet.

Die ASt hat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes keinen Anspruch auf weitere Leistungen des Ag für ihre Kosten der Heizung als Zuschuss. Die Frage, ob der ASt vorläufig ein Darlehen diesbezüglich zu gewähren ist, ist nicht Gegenstand des Verfahrens, da hierüber das SG nicht entschieden hat. Ein entsprechender Antrag wurde von der ASt bei dem Ag erst nach dem Beschluss des SG gestellt. Sollte die ASt auch diesbezüglich ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in Anspruch nehmen wollen, müsste sie sich insofern zunächst erneut an das SG wenden. Die Voraussetzungen für eine zulässige Antragsänderung im Beschwerdeverfahren liegen nicht vor. Eine derartige Antragsänderung iSd § 99 Abs 1 SGG ist nur zulässig, wenn der Ag zustimmt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Beides ist nicht der Fall.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist § 86b Abs 2 Satz 2 SGG.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl.
Rn. 652).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl, § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO).

Die ASt hat für ihr Begehren, ihr weitere Heizkosten für die Heizperiode Oktober 2010 bis April 2011 zu bewilligen, weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Die ASt hat gegen die Ablehnung der Gewährung von weiteren Heizkosten als Zuschuss keine Klage erhoben, sodass der Bescheid vom 19.10.2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 28.10.2010 und 28.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2011 nach Ablauf der Klagefrist bestandskräftig geworden ist und bindend zwischen den Beteiligten regelt (§ 77 SGG), dass der ASt für die Zeit ab Oktober 2010 bis April 2011 materiell-rechtlich keine weiteren Leistungen für die Heizung als Zuschuss zustehen, womit ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist (siehe auch BayLSG, Beschluss vom 25.01.2010 - L 11 AS 786/09 B ER). Gegen den Bescheid vom 15.12.2010, mit dem die laufenden Leistungen für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.06.2011 ohne Berücksichtigung von weiteren Heizkosten bewilligt wurden, hat die ASt ebenfalls keinen Widerspruch eingelegt.

Zudem fehlt es an einem Anordnungsgrund, denn soweit der Ablehnungsbescheid bestandskräftig ist, hätte der Ag zwar von Amts wegen diesen Bescheid im Falle seiner Rechtswidrigkeit zurückzunehmen. Solange die ASt jedoch gegenüber dem Ag kein Interesse an der Korrektur der genannten Bescheide durch die Einleitung eines Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bekundet, kann sie in einem gerichtlichen Eilverfahren auch nicht die Dringlichkeit der Angelegenheit für sich in Anspruch nehmen (vgl BayLSG, aaO). Weder aus den vorgelegten Akten des Ag noch aus dem Vortrag der ASt ergibt sich insofern, dass ein entsprechender Überprüfungsantrag gestellt worden ist.

Die Beschwerde war damit ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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