Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 6128/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1180/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Februar 2009 abgeändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 08. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2007 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, das gesundheitliche Merkmal (Merkzeichen) "H" ab dem 01. Januar 2009 bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin die Voraussetzungen zur Feststellung des gesundheitlichen Merkmals Hilflosigkeit (Merkzeichen "H") vorliegen.
Die 2007 geborene Klägerin leidet an einer klassischen Galaktosämie. Am 13.08.2007 beantragte sie, vertreten durch ihre Mutter S. M., unter Beifügung eines Behandlungsberichts von Dr. L., Universitätsklinikum H., Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, vom 14.06.2007, ihre Anerkennung als Schwerbehinderte.
Mit Bescheid vom 08.10.2007 stellte der Beklagte einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit 13.08.2007 fest. Gesundheitliche Merkmale (Merkzeichen) als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen im Sinne des § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) könnten, da die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliege, nicht festgestellt werden.
Hiergegen legte die Klägerin am 23.10.2007 Widerspruch ein mit dem Antrag, das Merkzeichen "H" festzustellen. Für ihre Schwester L., die ebenso seit Geburt an Galaktosämie leide, sei das Merkzeichen "H" und ein GdB von 30 bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres bescheinigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, zwar hätten die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 1996 bei der Erkrankung eines Kindes an Galaktosämie automatisch die Zuerkennung des Merkzeichens "H" vorgesehen. In den nunmehr gültigen AHP 2004 sei hingegen dieser Passus gestrichen worden. Die Zuerkennung des Merkzeichens "H" sei nunmehr davon abhängig, ob der Umfang des tatsächlichen Hilfebedarfs im Vergleich zu einem gleichaltrigen gesunden Kind erheblich sei. Deshalb sei maßgeblich, wie die weitere Entwicklung in den nächsten zwei Jahren verlaufen werde. Es sei deshalb ein Nachuntersuchungstermin auf Januar 2009 festgelegt worden.
Hiergegen hat die Klägerin am 21.12.2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das SG hat Beweis erhoben durch Anhörung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen und durch die Einholung eines Gutachtens durch Prof. Dr. K., Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Städtischen Klinikum K ...
Dr. S., Facharzt für Orthopädie, hat unter dem 30.01.2008 mitgeteilt, inwieweit sich die nichtorthopädische Diagnose einer Galaktosämie auf den Hilfebedarf auswirke, sei durch ihn nicht beurteilbar. Der Augenarzt Dr. S. hat unter dem 05.02.2008 angegeben, bei der einmaligen Untersuchung am 16.03.2007 habe er einen altersentsprechenden Normalbefund erhoben. Oberarzt Dr. L. hat unter dem 08.02.2008 mitgeteilt, die Klägerin befinde sich seit Geburt in seiner ambulanten Dauerbehandlung. Sie leide an einer klassischen Galaktosämie. Sie bedürfe deshalb einer ständigen Beaufsichtigung bei der Nahrungsaufnahme. Im Alter von einem Jahr und einer altersgemäßen Uneinsichtigkeit gegenüber dem Verbot gewisser Nahrungsmittel bedürfe es einer ständigen Überwachung und Versorgung, um die strikte Diät einzuhalten. Die Diagnose einer klassischen Galaktosämie hat auch der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Dr. B. in seiner schriftlichen Zeugenaussage von 25.02.2008 gestellt. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.07.2008 hat Dr. B. die Auffassung vertreten, der pflegerische Aufwand bei der Klägerin gehe nicht erheblich über den eines gesunden gleichaltrigen Kindes hinaus. Da es sich vorliegend bereits um das zweite Kind der Eltern mit dieser Erkrankung handle, hätten diese bereits Erfahrung in der Ernährung bezüglich der Galaktosämie. Weiter vorgelegt wurde ein Auszug aus der Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 08. und 09.11.2000. Darin wird ausgeführt, die in Nr. 22 Abs. 4 Buchst. 1 AHP genannten Stoffwechselkrankheiten (u.a. Galaktosämie) sollten nach Auffassung der Sachverständigen gestrichen werden. Bei der Galaktosämie ergebe sich Hilflosigkeit unabhängig von der Art der Diätdurchführung aus dem Ausmaß der geistigen Behinderung (Nr. 22 Abs. 4 Buchst. a AHP).
Prof. Dr. K. hat im Gutachten vom 26.01.2009 - nach Auswertung der Akten, aber ohne die Klägerin gutachterlich untersucht zu haben - ausgeführt, diese sei als hilflos einzustufen, da sie infolge der klassischen Galaktosämie der ständigen Beaufsichtigung bei der Nahrungsaufnahme bedürfe. Zwar werde die Hilfe nicht dauernd geleistet, es sei jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich. Diese sei im Alter von nunmehr 24 Monaten und bei der speziellen, sehr schwierig zu befolgenden Diät und des ständigen Bedarfes der Rücksprache im Kindergarten oder sonstigen betreuenden Institutionen erforderlich.
Mit Urteil vom 18.02.2009 hat das SG den Bescheid des L. K. vom 08.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des R. S. - L. - vom 29.11.2007 abgeändert und den Beklagten verurteilt, das gesundheitliche Merkmal (Merkzeichen "H") ab Antragstellung festzustellen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist die Verpflichtung des Beklagten, das Merkzeichen H festzustellen, "bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres" erfolgt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es mache sich die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. im Gutachten vom 26.01.2009 zu eigen. Danach bedürfe die Überwachung und Versorgung der Nahrungsaufnahme der Klägerin auch und gerade außerhalb von den geregelten Mahlzeiten der ständigen Überwachung durch ihre Eltern und außerfamiliäre Betreuungspersonen. Dies bedinge einen im Verhältnis zur Betreuung gesunder Kinder wesentlich erhöhten Zeitaufwand. Unbeachtlich sei, dass in Nr. 22 Abs. 4 Buchst. i) AHP 2004 die Galaktosämie nicht mehr aufgezählt sei. Die Situation der an Galaktosämie erkrankten Klägerin unterscheide sich nicht von derjenigen von an Phenylketonurie erkrankten Kindern, denen weiterhin das Merkzeichen H zuzuerkennen sei. In beiden Fällen gehe es darum, durch strenge diätetische Maßnahmen u.a. eine geistige Entwicklungsstörung zu verhindern. Unbeachtlich sei schließlich auch die Tatsache, dass auch die Schwester der Klägerin an Galaktosämie erkrankt sei. Nicht nachvollziehbar sei soweit, wie dieser Umstand die Pflege und Überwachung der Klägerin vereinfachen und erleichtern solle.
Gegen das am 02.03.2009 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 12.03.2009 Berufung eingelegt mit der Begründung, die Zuerkennung des Merkzeichens "H" sei abgelehnt worden, weil eine Beurteilung der geistigen Entwicklung der Klägerin erst nach Vollendung des zweiten Lebensjahres möglich sei. Da eine entsprechende Behandlung der Galaktosämie eingeleitet worden sei, seien die Aussichten gut, dass eine geistige Behinderung ausbleibe. Der pflegerische Aufwand gehe nicht erheblich über den eines gesunden gleichaltrigen Kindes hinaus. Das von Prof. Dr. K. erstattete Gutachten nach Aktenlage könne nicht zugrunde gelegt werden, da eine konkrete Einzelfallprüfung nicht stattgefunden habe. Bei der Art der Diätdurchführung bei Galaktosämie könne nicht davon ausgegangen werden, dass die diätetischen Maßnahmen einen Zeitaufwand von wenigstens zwei Stunden über den normalen Betreuungsaufwand für ein gesundes gleichaltriges Kind hinaus bedingten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Februar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend hat sie ein von Prof. Dr. R., Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Krankenhaus M.-H., für das Bayerische LSG (L 15 SB 76/04) am 09.08.2005 erstattetes Gutachten und ein von der Fachärztin für Kinderheilkunde Dr. K.-H. am 07.02.2008 für das LSG Rheinland-Pfalz (L 6 SB 209/06) erstattetes Gutachten vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.
Dr. R., Bundesministerium für Arbeit und Soziales, hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, von der Sitzung des ärztlichen Sachverständigenrats vom 08. und 09.11.2000 existiere lediglich das Ergebnisprotokoll. Weitere Unterlagen über den Hilfebedarf von an Galaktosämie erkrankten Kindern lägen dort nicht vor.
Im Erörterungstermin vom 11.11.2009 hat die Mutter der Klägerin deren Hilfebedarf geschildert. Insoweit wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nur insoweit begründet, als der Beklagte verpflichtet worden ist, dass gesundheitliche Merkmal (Merkzeichen "H") bereits für die Zeit vor dem 01.01.2009 festzustellen. Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet.
Gemäß § 33 b Abs. 6 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) in der seit dem 16.12.2004 geltenden Fassung ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG).
Nicht erforderlich ist das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft. § 33 b EStG stellt hinsichtlich der steuerrechtlichen Förderung bei der Hilflosigkeit nicht allein auf das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Mindest-GdB von 50 ab, sondern gewährt "behinderten Menschen" eine steuerrechtliche Förderung (LSG Sachsen, Urteil vom 20.09.2010 - L 6 SB 20/09 - in juris).
Bei den gemäß § 33b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XI -) erfassten Bereiche der Körperpflege, Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der sog. Grundpflege zusammengefasst. Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zur Interaktion). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (BSG, Urteil vom 12.02.2003 - B 9 SB 1/02 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 1).
Hinsichtlich des Ausmaßes des in § 33b EStG angesprochenen Hilfebedarfs geht das BSG in der angeführten Entscheidung davon aus, die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" könne regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handle, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machten. Die Beurteilungen der Erheblichkeit orientiere sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen könne. In der Regel sei dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen. Sachgerecht sei es, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie aufgrund des täglichen Zeitaufwands für die erforderlichen Betreuungsleistungen zu beurteilen. Nicht hilflos sei, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen sei. Daraus ergebe sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen sei. Vielmehr sei - für sich genommen - als hinreichend erheblich ein täglicher Zeitaufwand von mindestens zwei Stunden anzusehen. Als Orientierungspunkte hierbei seien die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zu nutzen. Im Rahmen des § 33b EStG sei zusätzlich noch der Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation und - ebenfalls anders als grundsätzlich in der Pflegeversicherung - die Bereiche Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksichtigen. Da im Hinblick auf den insoweit erweiterten Maßstab bei der Prüfung von Hilflosigkeit leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht werde als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, sei von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen, was dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspreche (§ 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IX]).
Um den individuellen Verhältnissen des Beschädigten hinreichend Rechnung tragen zu können, sei es weiter geboten, bei der Beurteilung von Hilflosigkeit nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen. Vielmehr komme dabei auch weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere ihrem wirtschaftlichen Wert, Bedeutung zu. Dieser Wert werde wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen mitbestimmt, bei denen fremde Hilfe erforderlich sei. Denn eine Hilfsperson könne regelmäßig nur für zusammenhängende Zeitabschnitte, nicht jedoch für einzelne Handreichungen herangezogen bzw. beschäftigt werden. Dieser Umstand rechtfertige es, Hilflosigkeit im hier geforderten Sinne bereits bei einem täglichen Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden dann anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen bzw. ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch sei. Diesen Beurteilungsmaßstab hält auch der Senat für zutreffend.
Nach Nr. 22 Abs. 1 AHP 2008 gehört auch die Anleitung zu den o.a. Verrichtungen und die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung (z.B. durch Anleitung im Gebrauch der Gliedmaßen und durch Hilfen zum Erfassen der Umwelt und zum Erlernen der Sprache) sowie die notwendige Überwachung zu den Hilfeleistungen, die für die Beurteilung der Hilflosigkeit von Bedeutung sind (vgl. auch Teil A Nr. 5 a der Anlage zur Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 [BGBl I S. 2412]).
Unter Anlegung dieser Maßstäbe erfüllt die Klägerin zumindest ab Vollendung des zweiten Lebensjahres die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "H". Der Senat legt seiner Beurteilung die eingeholten Auskünfte der behandelnden Ärzte und den von der Mutter der Klägerin geschilderten Tagesablauf zugrunde, so dass es hierzu der weiteren Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nicht bedarf. Denn die Erkrankung der Klägerin an einer klassischen Form der Galaktosämie steht fest. Bei dem zu ermittelnden Betreuungs- und Überwachungsaufwand handelt es sich nicht um eine medizinische Fragestellung, die nur von einem Sachverständigen auf medizinischem Fachgebiet beurteilt werden könnte. Eine Begutachtung auf medizinischem Gebiet ist auch nicht erforderlich, um festzustellen, ob bei der Klägerin eine geistige Behinderung oder sonstige körperliche Beeinträchtigung bereits eingetreten ist. Denn der zu beurteilende Zeitaufwand ist gerade deshalb erforderlich, um einer geistigen Behinderung der Klägerin vorzubeugen. Insoweit ist gerade umgekehrt eine "normale" Entwicklung der Klägerin ein starkes Indiz für einen hohen Betreuungsaufwand.
Zu berücksichtigen ist zunächst der Mehraufwand bei der Nahrungszubereitung für die Klägerin. Hierbei kann nicht auf fertige Lebensmittel zurückgegriffen werden, da nicht sichergestellt werden kann, dass diese laktose- und galaktosefrei sind. Die Mutter der Klägerin muss deshalb jeweils 10 km zurückzulegen, um laktosefreie Wurst bei einem Metzger bzw. geeignete Backwaren in einer Bäckerei zu kaufen. Ein weiterer Zeitaufwand entsteht beim Einkaufen der sonstigen Lebensmittel, wo jeweils überprüft werden muss, ob sich die Rezeptur der jeweiligen Produkte geändert hat. Auch muss die jeweilige Deklaration der Nahrungsmittel auf die Bestandteile Laktose bzw. Galaktose untersucht werden. Ein erhöhter Zeitaufwand bei der Zubereitung der Speisen besteht auch insoweit, als die Klägerin keine Mahlzeiten oder Speisen zu sich nehmen kann, die außer Haus angeboten werden. So müssen für sie bei jeder Reise, beim Essen bei Dritten (z.B. bei Geburtstagen oder Besuchen) und beim Besuch des Kindergartens jeweils alle Speisen vollständig selbst zubereitet werden.
Über den Aufwand für die Zubereitung der Speisen hinaus ist der Betreuungsaufwand zu berücksichtigen, damit die Klägerin nicht laktose- oder galaktosehaltige Produkte zu sich nimmt. Dies gilt zum einen zunächst im elterlichen Haushalt, wo die für den Verzehr der Eltern bestimmten laktosehaltigen Produkte jeweils gesondert und vom Zugriff der Klägerin gesichert aufbewahrt werden müssen. Dies gilt in noch höherem Maße, wenn sich die Klägerin außerhalb des elterlichen Hauses im Kreis von Freunden bzw. im Kindergarten aufhält und dort in Kontakt mit laktosehaltigen Produkten kommt. Ein zusätzlicher Zeitaufwand entsteht dadurch, dass die Klägerin angeleitet werden muss zu lernen, welche Lebensmittel für sie geeignet sind und welche nicht. Schließlich ist der durch die vermehrten Klinik- und Arzttermine bedingte Mehraufwand zu berücksichtigen. Dies rechtfertigt es, bei der Klägerin ab Vollendung des zweiten Lebensjahres von einem gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern signifikant erhöhten Hilfe- und Betreuungsbedarf auszugehen, welcher die zeitliche Grenze für die Zuerkennung des Merkzeichens "H" überschreitet.
Das vom SG in der mündlichen Verhandlung am 18.02.2009 verkündete Urteil lautete u.a., das gesundheitliche Merkmal (Merkzeichen) H zugunsten der Klägerin ab Antragstellung bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres festzustellen. Das schriftlich niedergelegte Urteil enthält diese zeitliche Einschränkung nicht. In den Urteilsgründen hat das SG wiederum ausgeführt, die Klägerin sei frühestens ab dem 14. Lebensjahr in der Lage, die nicht einfache Diät selbständig und eigenverantwortlich durchzuführen. Damit liegt eine offensichtliche Unrichtigkeit des Urteils vor, die gem. § 138 SGG zu berichtigen ist. Die Beseitigung offenbarer Unrichtigkeiten eines angefochtenen Urteils kann auch durch das Rechtsmittelgericht erfolgen (BSG SozR 1500 § 138 Nr. 3).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass die Berufung der Beklagten nur in ganz geringem Umfang erfolgreich war.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Der Bescheid des Beklagten vom 08. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2007 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, das gesundheitliche Merkmal (Merkzeichen) "H" ab dem 01. Januar 2009 bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin die Voraussetzungen zur Feststellung des gesundheitlichen Merkmals Hilflosigkeit (Merkzeichen "H") vorliegen.
Die 2007 geborene Klägerin leidet an einer klassischen Galaktosämie. Am 13.08.2007 beantragte sie, vertreten durch ihre Mutter S. M., unter Beifügung eines Behandlungsberichts von Dr. L., Universitätsklinikum H., Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, vom 14.06.2007, ihre Anerkennung als Schwerbehinderte.
Mit Bescheid vom 08.10.2007 stellte der Beklagte einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit 13.08.2007 fest. Gesundheitliche Merkmale (Merkzeichen) als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen im Sinne des § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) könnten, da die Schwerbehinderteneigenschaft nicht vorliege, nicht festgestellt werden.
Hiergegen legte die Klägerin am 23.10.2007 Widerspruch ein mit dem Antrag, das Merkzeichen "H" festzustellen. Für ihre Schwester L., die ebenso seit Geburt an Galaktosämie leide, sei das Merkzeichen "H" und ein GdB von 30 bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres bescheinigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2007 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, zwar hätten die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 1996 bei der Erkrankung eines Kindes an Galaktosämie automatisch die Zuerkennung des Merkzeichens "H" vorgesehen. In den nunmehr gültigen AHP 2004 sei hingegen dieser Passus gestrichen worden. Die Zuerkennung des Merkzeichens "H" sei nunmehr davon abhängig, ob der Umfang des tatsächlichen Hilfebedarfs im Vergleich zu einem gleichaltrigen gesunden Kind erheblich sei. Deshalb sei maßgeblich, wie die weitere Entwicklung in den nächsten zwei Jahren verlaufen werde. Es sei deshalb ein Nachuntersuchungstermin auf Januar 2009 festgelegt worden.
Hiergegen hat die Klägerin am 21.12.2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Das SG hat Beweis erhoben durch Anhörung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen und durch die Einholung eines Gutachtens durch Prof. Dr. K., Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Städtischen Klinikum K ...
Dr. S., Facharzt für Orthopädie, hat unter dem 30.01.2008 mitgeteilt, inwieweit sich die nichtorthopädische Diagnose einer Galaktosämie auf den Hilfebedarf auswirke, sei durch ihn nicht beurteilbar. Der Augenarzt Dr. S. hat unter dem 05.02.2008 angegeben, bei der einmaligen Untersuchung am 16.03.2007 habe er einen altersentsprechenden Normalbefund erhoben. Oberarzt Dr. L. hat unter dem 08.02.2008 mitgeteilt, die Klägerin befinde sich seit Geburt in seiner ambulanten Dauerbehandlung. Sie leide an einer klassischen Galaktosämie. Sie bedürfe deshalb einer ständigen Beaufsichtigung bei der Nahrungsaufnahme. Im Alter von einem Jahr und einer altersgemäßen Uneinsichtigkeit gegenüber dem Verbot gewisser Nahrungsmittel bedürfe es einer ständigen Überwachung und Versorgung, um die strikte Diät einzuhalten. Die Diagnose einer klassischen Galaktosämie hat auch der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Dr. B. in seiner schriftlichen Zeugenaussage von 25.02.2008 gestellt. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.07.2008 hat Dr. B. die Auffassung vertreten, der pflegerische Aufwand bei der Klägerin gehe nicht erheblich über den eines gesunden gleichaltrigen Kindes hinaus. Da es sich vorliegend bereits um das zweite Kind der Eltern mit dieser Erkrankung handle, hätten diese bereits Erfahrung in der Ernährung bezüglich der Galaktosämie. Weiter vorgelegt wurde ein Auszug aus der Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 08. und 09.11.2000. Darin wird ausgeführt, die in Nr. 22 Abs. 4 Buchst. 1 AHP genannten Stoffwechselkrankheiten (u.a. Galaktosämie) sollten nach Auffassung der Sachverständigen gestrichen werden. Bei der Galaktosämie ergebe sich Hilflosigkeit unabhängig von der Art der Diätdurchführung aus dem Ausmaß der geistigen Behinderung (Nr. 22 Abs. 4 Buchst. a AHP).
Prof. Dr. K. hat im Gutachten vom 26.01.2009 - nach Auswertung der Akten, aber ohne die Klägerin gutachterlich untersucht zu haben - ausgeführt, diese sei als hilflos einzustufen, da sie infolge der klassischen Galaktosämie der ständigen Beaufsichtigung bei der Nahrungsaufnahme bedürfe. Zwar werde die Hilfe nicht dauernd geleistet, es sei jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich. Diese sei im Alter von nunmehr 24 Monaten und bei der speziellen, sehr schwierig zu befolgenden Diät und des ständigen Bedarfes der Rücksprache im Kindergarten oder sonstigen betreuenden Institutionen erforderlich.
Mit Urteil vom 18.02.2009 hat das SG den Bescheid des L. K. vom 08.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des R. S. - L. - vom 29.11.2007 abgeändert und den Beklagten verurteilt, das gesundheitliche Merkmal (Merkzeichen "H") ab Antragstellung festzustellen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist die Verpflichtung des Beklagten, das Merkzeichen H festzustellen, "bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres" erfolgt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es mache sich die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. im Gutachten vom 26.01.2009 zu eigen. Danach bedürfe die Überwachung und Versorgung der Nahrungsaufnahme der Klägerin auch und gerade außerhalb von den geregelten Mahlzeiten der ständigen Überwachung durch ihre Eltern und außerfamiliäre Betreuungspersonen. Dies bedinge einen im Verhältnis zur Betreuung gesunder Kinder wesentlich erhöhten Zeitaufwand. Unbeachtlich sei, dass in Nr. 22 Abs. 4 Buchst. i) AHP 2004 die Galaktosämie nicht mehr aufgezählt sei. Die Situation der an Galaktosämie erkrankten Klägerin unterscheide sich nicht von derjenigen von an Phenylketonurie erkrankten Kindern, denen weiterhin das Merkzeichen H zuzuerkennen sei. In beiden Fällen gehe es darum, durch strenge diätetische Maßnahmen u.a. eine geistige Entwicklungsstörung zu verhindern. Unbeachtlich sei schließlich auch die Tatsache, dass auch die Schwester der Klägerin an Galaktosämie erkrankt sei. Nicht nachvollziehbar sei soweit, wie dieser Umstand die Pflege und Überwachung der Klägerin vereinfachen und erleichtern solle.
Gegen das am 02.03.2009 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 12.03.2009 Berufung eingelegt mit der Begründung, die Zuerkennung des Merkzeichens "H" sei abgelehnt worden, weil eine Beurteilung der geistigen Entwicklung der Klägerin erst nach Vollendung des zweiten Lebensjahres möglich sei. Da eine entsprechende Behandlung der Galaktosämie eingeleitet worden sei, seien die Aussichten gut, dass eine geistige Behinderung ausbleibe. Der pflegerische Aufwand gehe nicht erheblich über den eines gesunden gleichaltrigen Kindes hinaus. Das von Prof. Dr. K. erstattete Gutachten nach Aktenlage könne nicht zugrunde gelegt werden, da eine konkrete Einzelfallprüfung nicht stattgefunden habe. Bei der Art der Diätdurchführung bei Galaktosämie könne nicht davon ausgegangen werden, dass die diätetischen Maßnahmen einen Zeitaufwand von wenigstens zwei Stunden über den normalen Betreuungsaufwand für ein gesundes gleichaltriges Kind hinaus bedingten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Februar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend hat sie ein von Prof. Dr. R., Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Krankenhaus M.-H., für das Bayerische LSG (L 15 SB 76/04) am 09.08.2005 erstattetes Gutachten und ein von der Fachärztin für Kinderheilkunde Dr. K.-H. am 07.02.2008 für das LSG Rheinland-Pfalz (L 6 SB 209/06) erstattetes Gutachten vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.
Dr. R., Bundesministerium für Arbeit und Soziales, hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, von der Sitzung des ärztlichen Sachverständigenrats vom 08. und 09.11.2000 existiere lediglich das Ergebnisprotokoll. Weitere Unterlagen über den Hilfebedarf von an Galaktosämie erkrankten Kindern lägen dort nicht vor.
Im Erörterungstermin vom 11.11.2009 hat die Mutter der Klägerin deren Hilfebedarf geschildert. Insoweit wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nur insoweit begründet, als der Beklagte verpflichtet worden ist, dass gesundheitliche Merkmal (Merkzeichen "H") bereits für die Zeit vor dem 01.01.2009 festzustellen. Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet.
Gemäß § 33 b Abs. 6 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) in der seit dem 16.12.2004 geltenden Fassung ist eine Person hilflos, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder Anleitung zu den in Satz 3 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33 b Abs. 6 Satz 3 EStG).
Nicht erforderlich ist das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft. § 33 b EStG stellt hinsichtlich der steuerrechtlichen Förderung bei der Hilflosigkeit nicht allein auf das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Mindest-GdB von 50 ab, sondern gewährt "behinderten Menschen" eine steuerrechtliche Förderung (LSG Sachsen, Urteil vom 20.09.2010 - L 6 SB 20/09 - in juris).
Bei den gemäß § 33b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XI -) erfassten Bereiche der Körperpflege, Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der sog. Grundpflege zusammengefasst. Hinzu kommen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Maßnahmen zur psychischen Erholung, geistigen Anregung und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zur Interaktion). Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (BSG, Urteil vom 12.02.2003 - B 9 SB 1/02 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 1).
Hinsichtlich des Ausmaßes des in § 33b EStG angesprochenen Hilfebedarfs geht das BSG in der angeführten Entscheidung davon aus, die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" könne regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handle, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machten. Die Beurteilungen der Erheblichkeit orientiere sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen könne. In der Regel sei dabei auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen. Sachgerecht sei es, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie aufgrund des täglichen Zeitaufwands für die erforderlichen Betreuungsleistungen zu beurteilen. Nicht hilflos sei, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen sei. Daraus ergebe sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen sei. Vielmehr sei - für sich genommen - als hinreichend erheblich ein täglicher Zeitaufwand von mindestens zwei Stunden anzusehen. Als Orientierungspunkte hierbei seien die zeitlichen Grenzwerte der sozialen Pflegeversicherung zu nutzen. Im Rahmen des § 33b EStG sei zusätzlich noch der Bereich der geistigen Anregung und Kommunikation und - ebenfalls anders als grundsätzlich in der Pflegeversicherung - die Bereiche Anleitung, Überwachung und Bereitschaft zu berücksichtigen. Da im Hinblick auf den insoweit erweiterten Maßstab bei der Prüfung von Hilflosigkeit leichter ein größerer Zeitaufwand für fremde Betreuungsleistungen erreicht werde als im Bereich der Grundpflege bei der Pflegeversicherung, sei von einer Zwei-Stunden-Grenze auszugehen, was dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspreche (§ 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IX]).
Um den individuellen Verhältnissen des Beschädigten hinreichend Rechnung tragen zu können, sei es weiter geboten, bei der Beurteilung von Hilflosigkeit nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen. Vielmehr komme dabei auch weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere ihrem wirtschaftlichen Wert, Bedeutung zu. Dieser Wert werde wesentlich durch die Zahl und die zeitliche Verteilung der Verrichtungen mitbestimmt, bei denen fremde Hilfe erforderlich sei. Denn eine Hilfsperson könne regelmäßig nur für zusammenhängende Zeitabschnitte, nicht jedoch für einzelne Handreichungen herangezogen bzw. beschäftigt werden. Dieser Umstand rechtfertige es, Hilflosigkeit im hier geforderten Sinne bereits bei einem täglichen Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden dann anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen bzw. ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch sei. Diesen Beurteilungsmaßstab hält auch der Senat für zutreffend.
Nach Nr. 22 Abs. 1 AHP 2008 gehört auch die Anleitung zu den o.a. Verrichtungen und die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung (z.B. durch Anleitung im Gebrauch der Gliedmaßen und durch Hilfen zum Erfassen der Umwelt und zum Erlernen der Sprache) sowie die notwendige Überwachung zu den Hilfeleistungen, die für die Beurteilung der Hilflosigkeit von Bedeutung sind (vgl. auch Teil A Nr. 5 a der Anlage zur Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 [BGBl I S. 2412]).
Unter Anlegung dieser Maßstäbe erfüllt die Klägerin zumindest ab Vollendung des zweiten Lebensjahres die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "H". Der Senat legt seiner Beurteilung die eingeholten Auskünfte der behandelnden Ärzte und den von der Mutter der Klägerin geschilderten Tagesablauf zugrunde, so dass es hierzu der weiteren Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nicht bedarf. Denn die Erkrankung der Klägerin an einer klassischen Form der Galaktosämie steht fest. Bei dem zu ermittelnden Betreuungs- und Überwachungsaufwand handelt es sich nicht um eine medizinische Fragestellung, die nur von einem Sachverständigen auf medizinischem Fachgebiet beurteilt werden könnte. Eine Begutachtung auf medizinischem Gebiet ist auch nicht erforderlich, um festzustellen, ob bei der Klägerin eine geistige Behinderung oder sonstige körperliche Beeinträchtigung bereits eingetreten ist. Denn der zu beurteilende Zeitaufwand ist gerade deshalb erforderlich, um einer geistigen Behinderung der Klägerin vorzubeugen. Insoweit ist gerade umgekehrt eine "normale" Entwicklung der Klägerin ein starkes Indiz für einen hohen Betreuungsaufwand.
Zu berücksichtigen ist zunächst der Mehraufwand bei der Nahrungszubereitung für die Klägerin. Hierbei kann nicht auf fertige Lebensmittel zurückgegriffen werden, da nicht sichergestellt werden kann, dass diese laktose- und galaktosefrei sind. Die Mutter der Klägerin muss deshalb jeweils 10 km zurückzulegen, um laktosefreie Wurst bei einem Metzger bzw. geeignete Backwaren in einer Bäckerei zu kaufen. Ein weiterer Zeitaufwand entsteht beim Einkaufen der sonstigen Lebensmittel, wo jeweils überprüft werden muss, ob sich die Rezeptur der jeweiligen Produkte geändert hat. Auch muss die jeweilige Deklaration der Nahrungsmittel auf die Bestandteile Laktose bzw. Galaktose untersucht werden. Ein erhöhter Zeitaufwand bei der Zubereitung der Speisen besteht auch insoweit, als die Klägerin keine Mahlzeiten oder Speisen zu sich nehmen kann, die außer Haus angeboten werden. So müssen für sie bei jeder Reise, beim Essen bei Dritten (z.B. bei Geburtstagen oder Besuchen) und beim Besuch des Kindergartens jeweils alle Speisen vollständig selbst zubereitet werden.
Über den Aufwand für die Zubereitung der Speisen hinaus ist der Betreuungsaufwand zu berücksichtigen, damit die Klägerin nicht laktose- oder galaktosehaltige Produkte zu sich nimmt. Dies gilt zum einen zunächst im elterlichen Haushalt, wo die für den Verzehr der Eltern bestimmten laktosehaltigen Produkte jeweils gesondert und vom Zugriff der Klägerin gesichert aufbewahrt werden müssen. Dies gilt in noch höherem Maße, wenn sich die Klägerin außerhalb des elterlichen Hauses im Kreis von Freunden bzw. im Kindergarten aufhält und dort in Kontakt mit laktosehaltigen Produkten kommt. Ein zusätzlicher Zeitaufwand entsteht dadurch, dass die Klägerin angeleitet werden muss zu lernen, welche Lebensmittel für sie geeignet sind und welche nicht. Schließlich ist der durch die vermehrten Klinik- und Arzttermine bedingte Mehraufwand zu berücksichtigen. Dies rechtfertigt es, bei der Klägerin ab Vollendung des zweiten Lebensjahres von einem gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern signifikant erhöhten Hilfe- und Betreuungsbedarf auszugehen, welcher die zeitliche Grenze für die Zuerkennung des Merkzeichens "H" überschreitet.
Das vom SG in der mündlichen Verhandlung am 18.02.2009 verkündete Urteil lautete u.a., das gesundheitliche Merkmal (Merkzeichen) H zugunsten der Klägerin ab Antragstellung bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres festzustellen. Das schriftlich niedergelegte Urteil enthält diese zeitliche Einschränkung nicht. In den Urteilsgründen hat das SG wiederum ausgeführt, die Klägerin sei frühestens ab dem 14. Lebensjahr in der Lage, die nicht einfache Diät selbständig und eigenverantwortlich durchzuführen. Damit liegt eine offensichtliche Unrichtigkeit des Urteils vor, die gem. § 138 SGG zu berichtigen ist. Die Beseitigung offenbarer Unrichtigkeiten eines angefochtenen Urteils kann auch durch das Rechtsmittelgericht erfolgen (BSG SozR 1500 § 138 Nr. 3).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass die Berufung der Beklagten nur in ganz geringem Umfang erfolgreich war.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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