L 9 U 2713/10 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 3387/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2713/10 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15. April 2010 (S 10 U 3387/09) wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 28. März 2011 ist unzulässig.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dieser Beschwerdewert wird vorliegend nicht erreicht; der Ausnahmetatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG liegt nicht vor. Gegenstand des Klageverfahrens S 10 U 3387/09 war der Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. August 2009, mit dem die Beklagte die Höhe der zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens festgesetzt hat. Unter Zugrundelegung des klägerischen Antrags in der mündlichen Verhandlung vom 15. April 2010 ergibt sich ein vom Kläger geltend gemachter Anspruch in Höhe von 444,26 Euro. Da damit ein Wert des Beschwerdegegenstands von über 750,00 Euro nicht erreicht ist und das SG die Berufung nicht zugelassen hat, bedarf eine Berufung der Zulassung durch einen Beschluss des Landessozialgerichts (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Gemäß § 145 Abs. 1 S. 2 SGG ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung durch das SG jedoch innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen. Ausweislich des vom Bevollmächtigten des Klägers unterzeichneten und in den Akten vorliegenden Empfangsbekenntnisses ist das Urteil am 4. Mai 2010 zugestellt worden. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist per Fax am 7. Juni 2010 und damit nicht innerhalb der Monatsfrist, welche gemäß § 64 Abs. 2 S. 1 SGG am 4. Juni 2010 (Freitag) endete, beim erkennenden Gericht erhoben worden.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 SGG. Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ein Verschulden liegt dann vor, wenn der Beteiligte nicht diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist. Das Versäumnis der Verfahrensfrist muss auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein (BSG, Urteil vom 27. Mai 2008, B 2 U 5/07 R Rn 14 m.w.N. in SozR 4-1500 § 67 Nr. 7; Beschluss des BSG Großer Senat vom 10. Dezember 1974, GS 2/73 Rn 18 in SozR 1500 § 67 Nr. 1).

Der Kläger war nicht iSd. § 67 Abs. 1 SGG "ohne Verschulden" gehindert, die Nichtzulassungsbeschwerde fristgerecht einzulegen. Dabei ist das Verschulden eines Bevollmächtigten dem vertretenen Beteiligten gemäß § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG iVm. § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist (vgl BSG Beschluss v. 8. September 2010, B 14 AS 96/10 B, in Juris). Ein Verschulden liegt vor, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zuzumuten war.

Ein solches Verschulden sieht der Senat bereits darin, dass der Bevollmächtigte das von der Praktikantin geschriebene Diktat nicht konsequent auf Fehler durchgesehen und die von ihm diktierte aber falsch übertragene Faxnummer nicht kontrolliert hat. Von einer Praktikantin dürfte schlechterdings nicht erwartet werden können, dass sie dafür Sorge zu tragen hat, die auf dem angefertigten Schreiben wiedergegebene Faxnummer auch auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus sieht es der Senat als groben schuldhaften Verstoß der Sorgfaltspflicht an, einer Praktikantin zentrale Aufgaben, wie die Übertragung von fristwahrenden Schriftsätzen per Fax, ausführen und die durchgeführten Arbeitsschritte nicht von qualifiziertem Personal überwachen zu lassen oder selbst zu kontrollieren. Praktikanten werden regelmäßig nicht zur eigenverantwortlichen Erledigung der anfallenden Aufgaben herangezogen sondern sollen im Rahmen des Praktikums lediglich einen Eindruck von bestimmten Berufsbildern erlangen. Dazu sollen sie - von geschulten Mitarbeitern angeleitet - berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen erlangen, die sie im Rahmen einer Gesamtausbildung benötigen. Insoweit ist von einem Rechtsanwalt zu erwarten, dass er - wenn qualifiziertes Personal nicht oder nicht mehr anwesend ist - eine Kontrolle der aufgetragenen Tätigkeiten selbst vornimmt. Dies schließt nicht aus, die Kanzlei auch nach einem auswärtigen Termin an einem Freitagnachmittag nochmals aufzusuchen, um selbst zu kontrollieren, ob fristwahrende Schriftsätze tatsächlich auch an den richtigen Empfänger versandt worden sind. Daran ändert auch nichts, dass die Hilfskraft eingewiesen gewesen sei und bislang die ihr übertragenen Aufgaben auch sorgfältig erfüllt haben soll. Denn insoweit liegt nicht nur ein Büroversehen vor sondern die Heranziehung einer für eine solche Tätigkeit nicht ausgebildeten und auch nicht sorgfältig überwachten Hilfskraft. Dieses Organisationsverschulden muss sich der Kläger zurechnen lassen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet daher aus.

Darüber hinaus weist der Senat lediglich ergänzend darauf hin, dass die Beschwerde auch nicht begründet wäre. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung lägen auch dann nicht vor, wenn diese rechtzeitig eingegangen wäre.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Keine dieser Voraussetzungen liegt vor.

Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung erfolgt. Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (so Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 144 Rdnr. 28; vgl. dort auch § 160 Rdnr. 6 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage in diesem Sinn wirft die Streitsache nicht auf, weil die zur Klärung gestellte Frage vom Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung geklärt ist. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG (vgl. B 1 KR 13/06 R und B 1 KR 23/06 R, beide in Juris) kann eine Erledigungsgebühr für die Mitwirkung an der Erledigung eines isolierten Vorverfahrens durch Abhilfebescheid nur dann beansprucht werden, wenn der Anwalt eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruches hinausgehende besondere Tätigkeit entfaltet hat. Die Erforderlichkeit der qualifizierten erledigungsgerichteten Mitwirkung folgert die einhellige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, welche im Schrifttum weitestgehend geteilt wird, aus der Regelungssystematik, dem Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. hierzu ausführlich das Urteil des BSG vom 7. November 2006, B 1 KR 13/06 R a.a.O., ihm folgend die Entscheidungen des 9. Senats [Urteile v. 2. Oktober 2008 B 9/9a SB 3/07 R und B 9/9a SB 5/07 R], des 11a. Senats [Urteil v. 21. März 2007 B 11a AL 53/06 R] und 13. Senats [Urteil v. 5. Mai 2009, B 13 R 137/08 R und vom 9. Dezember 2010, B 13 R 63/09 R, dort auch Nachweise zum Schrifttum]. Eine grundsätzliche Bedeutung der Frage lässt sich damit nicht mehr mit einer behaupteten anderen Auslegung anderer Gebührentatbestände, die nicht das sozialgerichtliche Verfahren betreffen, begründen. Schließlich liegt es in der Natur der Sache, dass Gebührentatbestände unterschiedlicher Verfahren auch entsprechend der Systematik, dem Sinn und Zweck sowie ihrer Entstehungsgeschichte ausgelegt werden. Das Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren lässt sich in diesem Zusammenhang schon nicht mit dem sozialgerichtlichen Verfahren vergleichen.

Ob die vom Bevollmächtigten erfolgte Tätigkeit den Erfordernissen einer qualifizierten, auf Erledigung des Rechtsstreits gerichteten Mitwirkung gerecht wurde, bedurfte keiner Entscheidung des Senats, da dies Frage der tatrichterlichen Würdigung war und ist und daher im Rahmen der Entscheidung des Senats, ob die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen ist, keine Bedeutung zukommt. Der Kläger macht insoweit die (aus seiner Sicht) materielle Unrichtigkeit des Urteils des SG geltend. Dabei handelt es sich aber nicht um eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage; weshalb die Nichtzulassungsbeschwerde hierauf nicht (mit Erfolg) gestützt werden kann. Dies gilt ebenso für den Einwand, grundsätzliche Bedeutung erlange der Fall dadurch, dass die Beklagte trotz der grundsätzlichen vorherigen Möglichkeit, eine Abhilfeentscheidung vor einer weiteren Mitteilung des Bevollmächtigten zu fällen, dem Widerspruch erst nach einer solchen abgeholfen habe. Denn auch insoweit handelt es sich nicht um eine zu klärende Rechtsfrage, welche noch nicht geklärt ist. Zu beurteilen bleibt auch hier, ob ein qualifiziertes Mitwirken des Bevollmächtigten im Sinne der Nr 1005 iVm. Nr. 1002 VV-RVG vorgelegen hat oder nicht und damit lediglich die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit der Entscheidung des SG.

Darüber hinaus liegt auch eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht vor. Eine solche Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt (vgl. hierzu Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Einen solchen divergierenden Rechtssatz hat das SG im angefochtenen Urteil nicht aufgestellt.

Da letztlich ein wesentlicher Mangel des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des dritten Zulassungsgrundes nicht geltend gemacht worden ist (vgl. dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 145 Rdnr. 4), war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht gefochten werden (§ 177 SGG).

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG wird hiermit rechtskräftig (vgl. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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