L 14 KR 506/00

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 KR 1354/99
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 14 KR 506/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 14/02 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Über das 25. Lebensjahr hinaus besteht nur Anspruch auf Familienversicherung nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 2. Halbsatz SGB V, wenn die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht des Kindes unterbrochen oder verzögert worden ist.

Die Vorschrift ist nicht ergänzend dahin auszulegen, dass die Verlängerung auch für die Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres im Sinne des FÖJG gelten soll.

Revision anhängig beim BSG unter Az.: B 12 KR 14/02 R
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 9. März 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten wegen der Verlängerung der Familienversicherung für die Beigeladene um die Zeit der Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres.

Die 1974 geborene Beigeladene ist die Tochter der Klägerin und war über diese bisher bei der Beklagten im Rahmen der Familienversicherung pflichtversichert. In der Zeit vom 1. September 1993 bis 21. Juli 1994 leistete sie ein freiwilliges ökologisches Jahr; in diesem Zeitraum war sie über den Träger krankenversichert. Danach setzte sie ihre Berufsausbildung mit Aufnahme des Studiums fort. Anfang des Jahres 1999 informierte die Beklagte die Klägerin darüber, dass mit der Vollendung des 25. Lebensjahres der Tochter am 22. Februar 1999 die Familienversicherung auslaufe. Mit Schriftsatz vom 16. Februar 1999 beantragte die Klägerin deshalb die Verlängerung der Familienversicherung um den Zeitraum der Ableistung des freiwilligen ökologischen Jahres. Mit Bescheid vom 23. Februar 1999 wies die Beklagte diesen Antrag zurück und fügte zur Begründung eine Kopie des Gesetzestextes bei. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit einem am 12. März 1999 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, Sinn und Zweck des freiwilligen sozialen Jahres, dem das freiwillige ökologische Jahr gleichgestellt sei, rechtfertigten es, den Schutzzweck des § 10 Abs. 2 Ziff. 3 SGB V auch auf den Dienst nach diesem Gesetz auszudehnen. Eine verfassungskonforme Auslegung könne deswegen nur zu dem Ergebnis führen, dass auch die Zeit der Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres als Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht anzusehen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1999 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, eine Verlängerung der Familienversicherung nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V über das 25. Lebensjahr hinaus sei bei Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres nicht möglich. Mit der Änderung des § 10 Abs. 2 Nr. 3 SGB V habe der Gesetzgeber lediglich ergänzend bestimmt, dass die Familienversicherung für Kinder bis zum 25. Lebensjahr auch bei Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres bestehen solle. Der 2. Halbsatz, der die Verlängerung der Familienversicherung in Zusammenhang mit der Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht zulasse, sei unverändert geblieben. Bei der Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres handele es sich jedoch nicht um eine gesetzliche Dienstpflicht, wie sie z.B. das Wehrpflichtgesetz bzw. das Zivildienstgesetz bestimme.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 16. August 1999 beim Sozialgericht Darmstadt Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es sei zwar richtig, dass zur Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres keine Dienstpflicht bestehe; wenn man ein solches Jahr ableiste, sei dies sicherlich eine freiwillige Entscheidung. Wenn man sich jedoch dazu entschlossen habe, regele das Gesetz auch die daraus resultierenden Dienstpflichten. Es erscheine deshalb in verfassungskonformer Auslegung, insbesondere unter Berücksichtigung des besonderen Schutzes von Ehe und Familie, mit dem Gesetz nicht vereinbar, dass bei Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres im Gegensatz zur Ableistung des Wehrdienstes die Verlängerung des Familienversicherungsschutzes ausgeschlossen sei.

Mit Urteil vom 9. März 2000 hat das Sozialgericht Darmstadt die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, die Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung werde in § 10 SGB V geregelt. Eine Verlängerung dieser Familienversicherung über das 25. Lebensjahr hinaus regele insbesondere § 10 Abs. 2 Nr. 3 2. Halbsatz SGB V. Nach dieser Vorschrift könne sich der Zeitraum nicht um die Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres verlängern. Sowohl systematische Gründe wie auch der Wortlaut des Gesetzes widersprächen insofern der Auffassung der Klägerin. Die Regelung im 1. Halbsatz der Vorschrift über das freiwillige ökologische Jahr würde insofern keinen Sinn machen, wenn der Gesetzgeber diesen Dienst einer gesetzlichen Dienstpflicht gleichstellen wolle. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung im 1. Halbsatz der Vorschrift ausschließlich geregelt, dass das freiwillige ökologische Jahr einer Schul- oder Berufsausbildung für die Dauer der Familienversicherung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gleichgestellt werde. Für den Zeitraum nach Vollendung des 25. Lebensjahres sei ein freiwilliges ökologisches Jahr nicht unter den Begriff einer gesetzlichen Dienstpflicht subsumierbar. Allein schon das Begriffspaar "freiwillig" und "gesetzliche Dienstpflicht" offenbare den Unterschied. Nach einhelliger Auffassung würden zu der sogenannten gesetzlichen Dienstpflicht in diesem Sinne nur der Wehr- und Zivildienst bzw. die hierfür abgeleisteten Ersatzdienste wie Entwicklungshilfe und polizeilicher Vollzugsdienst gezählt. Der grundsätzliche Unterschied zum freiwilligen ökologischen Jahr liege darin, dass sich den genannten gesetzlichen Dienstpflichten niemand entziehen könne ohne staatliche Sanktionen auszulösen. Dem stehe die Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres nicht gleich, Verstöße gegen Artikel 6 des Grundgesetzes seien nicht erkennbar. Die Klägerin verkenne insoweit, dass der Gesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum zur Regelung sozialer Vergünstigungen im Bereich der Familie habe. Abschließend hat das Sozialgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Berufung gegen dieses Urteil sei zulässig, da die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorliegend gegeben seien.

Gegen das vom Sozialgericht am 27. März 2000 zur Post aufgelieferte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 13. April 2000 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung. Sie ist der Ansicht, der Rechtsauffassung des Sozialgerichts sei nicht zu folgen, denn dann hätte es der Regelung des § 10 Abs. 2 Ziff. 3 SGB V nicht bedurft. Diese Auslegung der gesetzlichen Vorschrift widerspreche dem Ziel, das der Gesetzgeber im Auge hatte, als er die Familienversicherung auf diejenigen erstreckt hat, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr ableisten.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 9. März 2000 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 14. Juli 1999 festzustellen, dass sich die Familienversicherung der Beigeladenen über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus für den Zeitraum des abgeleisteten freiwilligen ökologischen Jahres verlängert.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angegriffenen Entscheidungen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Beratungen des Senats am 28. Februar 2002 gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben hierzu übereinstimmend ihr Einverständnis erklärt (§§ 153 Abs. 1 und 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden und an sich statthaft (§§ 151 Abs. 1, 143, 144 SGG). Zwar betrifft die Berufung nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, denn das von der Beigeladenen abgeleistete freiwillige ökologische Jahr dauerte nur ca. 11 Monate. Nur um eine Verlängerung der Familienversicherung um diesen Zeitraum wird vorliegend gestritten. Allerdings handelt es sich hier nur mittelbar um eine Geldleistung, primär streiten die Beteiligten um das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses. Diese Streitigkeiten werden von der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 SGG nicht erfasst (vgl. Peters - Sautter - Wolff; Kommentar zum SGG, § 144 Rd.-Ziff. 50; Kummer in NZS 1993, 288), sodass es für die Zulässigkeit der Berufung der Klägerin keiner ausdrücklichen Zulassung, wie sie das SG Darmstadt in seinen Entscheidungsgründen getroffen hat, bedurfte.

Auch ist die Klägerin aktiv legitimiert, diesen Anspruch geltend zu machen; sie hat mit der Anfechtungs- und Feststellungsklage die richtige Klageart gewählt. Es besteht für sie ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob eine gesetzliche Krankenversicherung als Familienversicherung weiterbesteht (vgl. BSGE 72, 292 - SozR 3 - 2500 § 10 Nr. 2; BSG, Urt. vom 29. Juni 1993 - 12 RK 13/93 - zuletzt und insbesondere auch nochmals zur Aktivlegitimation: BSG, Urt. vom 29. September 1994 - 12 RK 67/93 - SozR 3 - 7140 § 90 Nr. 1).

Sachlich ist die Berufung jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Darmstadt mit Urteil vom 9. März 2000 die Klage abgewiesen, denn es besteht kein Anspruch auf Verlängerung der Familienversicherung der Beigeladenen über das 25. Lebensjahr hinaus.

Anspruchsgrundlage für die Aufnahme einer (kostenfreien) Familienversicherung im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung ist § 10 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Dabei regelt § 10 Abs. 2 Nr. 3 1. Halbsatz, dass bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres Kinder versichert sind, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden oder ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres leisten. Über das 25. Lebensjahr hinaus besteht jedoch nur noch Anspruch auf Familienversicherung nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 2. Halbsatz SGB V, wenn die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht des Kindes unterbrochen oder verzögert worden ist. Für eine Familienversicherung nach Vollendung des 25. Lebensjahres wird nach dem Wortlaut der Vorschrift also darauf abgestellt, ob sich die Ausbildung durch eine "gesetzliche Dienstpflicht" verzögert hat. Wie das Sozialgericht richtig ausgeführt hat, ergibt sich schon unter Gegenüberstellung der Begriffe "freiwilliges ökologisches Jahr" und "gesetzliche Dienstpflicht", dass die Ableistung des zuerst genannten hierunter nicht subsumierbar ist (vgl. Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 10 SGB V Rdnr. 45).

Deutlicher wird dieser Unterschied zwischen einem freiwillig abzuleistenden ökologischen Jahr und einer gesetzlichen Dienstpflicht noch im Vergleich der hierzu in Bezug genommenen Vorschriften. So regelt § 1 Abs. 1 Wehrpflichtgesetz (i.d.F. v. 14.07.1994, BGBI. 1, S. 1505) unter welchen Tatbestandsvoraussetzungen Deutsche zum Wehrdienst herangezogen werden. Es bedarf hierzu keinerlei freiwilliger Erklärung des Wehrdienstpflichtigen, vielmehr hat er den Wehrdienst abzuleisten, wenn er die dort genannten Voraussetzungen erfüllt. Dasselbe gilt für den Zivildienst nach dem Zivildienstgesetz (i.d.F. v. 28.09.1994, BGBl. I, S. 2812). Auch hier handelt es sich um einen Dienst auf Grund einer gesetzlichen Pflicht, wie z.B. im Umkehrschluss aus § 8 Zivildienstgesetz zu folgern ist. Danach wird zum Zivildienst nur derjenige nicht herangezogen, der nicht zivildienstfähig ist. Bei Dienstfähigkeit und berechtigter Verweigerung des Wehrdienstes besteht jedoch Zivildienstpflicht. Im Gegensatz hierzu bestimmt das Gesetz zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres (FÖJG) vom 17.12.1993 (BGBl. I, S. 2118) in keinster Weise eine Dienstpflicht; mit dem Gesetz wird die Durchführung eines freiwilligen ökologischen Jahres nur vom Gesetzgeber unterstützt. So regelt § 1 FÖJG unter welchen Voraussetzungen dieses gefördert wird. Schon diese Gegenüberstellung zeigt auf, dass ein Unterschied zwischen gesetzlicher Dienstpflicht und freiwilliger Ableistung eines ökologischen Jahres besteht.

§ 10 Abs. 2 Nr. 3 2. Halbsatz SGB V ist auch nicht ergänzend dahin auszulegen, dass die Verlängerung auch für die Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres im Sinne des FÖJG gelten soll. Insoweit hat der Gesetzgeber die Regelung weder ungenau formuliert, noch eine entsprechende Aufnahme im 2. Halbsatz vergessen. Ganz bewusst wird in der Begründung zum Gesetzentwurf nämlich ausgeführt, mit der Neuregelung werde festgelegt, dass die Versicherung von Kindern in der Familienversicherung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres bestehen solle, wenn diese ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr leisten (vgl. BR-Drucks. 2/93, S. 39). Dem Gesetzgeber war bei dieser Entscheidung auch bewusst, dass eine Verlängerung der Familienversicherung über das 25. Lebensjahr hinaus bei Ableistung eines freiwilligen ökologischen Jahres nicht möglich ist. Im Gesetzgebungsverfahren im Deutschen Bundestag hatte die Fraktion der SPD einen entsprechenden Änderungsantrag gestellt, wonach sich bei Ableistung dieses Dienstes dies auf die Dauer der Familienkrankenversicherung auswirken sollte (vgl. BT-Drucks. 12/4470); dieser Änderungsantrag ist jedoch auf Grund der Beratungen des Ausschusses für Frauen und Jugend abgelehnt worden (vgl. BT-Drucks. 12/5339, S. 5). Der Gesetzgeber war sich somit bei Kodifizierung durchaus bewusst, dass durch seine Regelung eine Verlängerung der Familienversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung über das 25. Lebensjahr hinaus nicht eintritt. Eine derartige Regelung steht, wie das Sozialgericht Darmstadt zu Recht ausgeführt hat, im gesetzgeberischen Ermessen. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Artikel 6 Grundgesetz (GG), liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat und bisher hierzu keine Entscheidung des Bundessozialgerichts ergangen ist.
Rechtskraft
Aus
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