S 7 KR 114/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KR 114/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig sind die im Jahr 2009 vorgenommenen nachträglichen Korrekturen von zwei Krankenhausrechnungen aus dem Jahr 2005.

Die Klägerin ist Trägerin eines zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Kran-kenversicherung zugelassenen Krankenhauses. Dort wurden die bei der Beklagten Versicherten M. L. und L. P. stationär in der Zeit vom 23.09.2005 bis zum 21.10.2005 bzw. vom 04.11.2005 bis zum 15.12.2005 behandelt. Während der Behandlung erhielten sie Thrombozytenkonzentrate. Für die Behandlung der Versicherten stellte die Klägerin der Beklagten am 14.11.2005 und 20.12.2005 Beträge von 7.985,27 Euro bzw. 34.331,17 Euro in Rechnung ("Zwischen-Rechnung"), die von der Beklagten beglichen wurden. Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten wurde nicht abgerechnet.

Am 15.10.2009 bzw. 19.10.2009 erstellte die Klägerin geänderte Abrechnungen ("End-Rechnungen") und begehrte nunmehr für die Behandlung von M. L. einen um 1.793,55 Euro erhöhten Betrag sowie für die Behandlung von L. P. einen um 3.988,31 Euro erhöhten Betrag. Neben der Gabe von Thrombozytenkonzentraten stellte sie einen "Zuschlag Verbesserung der Arbeitsbedingungen" in Rechnung. Die Beklagte zahlte – nach Rückabwicklung der ursprünglichen Zahlungen – die gleichen Beträge wie im Jahr 2005 erneut; die Differenzbeträge zu den ursprünglichen Rechnungen beglich sie nicht.

Am 18.12.2009 hat die Klägerin Klage erhoben. Ihr sei bei der ursprünglichen Abrechnung ein Fehler unterlaufen. Sie habe unzutreffend 1 Thrombozytenkonzentrat (TK) mit 1 Transfusionseinheit (TE) gleichgesetzt, also 1 TK = 1 TE. Aus diesem Grund habe sie irrtümlich die verabreichte Menge für nicht abrechnungsfähig gehalten. Die richtige Definition der Abrechnung von Thrombozytenkonzentraten im Verhältnis zu Transfusionseinheiten sei 1 TK = 4 TE gewesen. Der Fehler könne noch korrigiert werden. § 242 BGB finde keine Anwendung. Jedenfalls sei der Vortrag der Beklagten nicht geeignet, den Einwand nach Treu und Glauben zu substantiieren. Es gebe keine Anhaltspunkte, warum sich die Beklagte im berechtigten Vertrauen auf die Endgültigkeit der Rechnungen aus 2005 in schutzwürdiger Weise so eingerichtet haben soll, dass eine Nachforderung nicht mehr zugemutet werden könne. Unklar sei, in welchem Umfang ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand bei der Beklagten durch die Korrektur anfallen würde. Es sei auch nicht bekannt, ob die Beklagte gänzlich auf Rückstellungen für das Jahr 2005 verzichtet habe oder diese zwischenzeitlich aufgezehrt worden seien. Da erstmalig im Jahr 2005 die Abrechnung von Zusatzentgelten möglich gewesen sei, habe sich die Beklagte nicht darauf verlassen dürfen, dass die Klägerin eine zutreffende und endgültige Rechnung erstellt. Im Jahr 2005 habe noch keine Rechtsprechung existiert, auf die sich die Beklagte habe stützen können. Noch in seiner Entscheidung vom 28.02.2007 (B 3 KR 12/06 R) habe das BSG die vierjährige Verjährungsfrist für anwendbar erklärt. Der restliche Vergütungsanspruch sei durch die Zahlungen der zuerst abgerechneten Beträge nicht erloschen. Auch nach Rechnungsstellung sei ein Krankenhaus grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt. Nachforderungen seien nur ausnahmsweise ausgeschlossen. Die Klägerin beruft sich auf das Urteil des BSG vom 17.12.2009 (B 3 KR 12/08). Daraus sei zu folgern, dass eine Nachforderung nach Ablauf von 6 Wochen generell möglich sei, wenn der Nachforderungsbetrag erstens den Wert der Aufwandspauschale und zweitens mindes-tens 5 % des ursprünglichen Rechnungsbetrags erreiche. Dies sei der Fall. Die Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 08.09.2009 (B 1 KR 11/09 R) finde keine Anwendung, weil sie zu den Grundsätzen des Systems tagesgleicher Pflegesätze ergangen sei. Auf die Besonderheiten des DRG-Systems werde nicht eingegangen. Jedenfalls sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem DRG-System um ein lernendes Systems handele. Bekanntlich seien dabei Kodierkorrekturen angesichts der Komplexität geradezu systemimmanent. Anzuwenden sei darüber hinaus die Rechtsprechung des BGH, dass eine Nachzahlung nur dann unzumutbar sei, wenn sie eine besondere Härte darstelle. Dies ergebe sich aus dem Urteil des BGH vom 23.10.2008 (VII ZR 105/07). Es sei an der Beklagten, Umstände für eine besondere Härte darzulegen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.781,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 02.11.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Korrektur der Schlussrechnungen aus dem Jahr 2005 nach vier Jahren nicht mehr möglich sei und beruft sich auf das Urteil des BSG vom 08.09.2009 (B 1 KR 11/09 R). Es verstehe sich von selbst, dass die Beklagte rund vier Jahre nach der Rechnungslegung nicht mehr damit rechnen müsse, dass eine Korrektur erfolge. Die Feststellungen des 1. Senats zum Erfordernis der zeitnahen Nachbe-rechnung würden weiter gelten. Nicht sie sondern die Klägerin müsse darlegen, warum die Abrechnung nach dem System tagesgleicher Pflegesätze wesensverschieden zum DRG-System sein solle, so dass das Urteil des 1. Senats nicht anwendbar sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig. Denn es geht bei einer auf Zahlung der Behandlungskosten für einen Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSG SozR 4-2500 § 39 Nr. 2 mwN). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzu¬führen; die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin war fast vier Jahren nach der ersten Rechnungslegung nicht mehr zur Kor-rektur der Rechnung und Geltendmachung einer Nachforderung befugt.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten weiteren Vergütungsanspruch ist § 109 Abs. 4 SGB V in Verbindung mit § 7 Satz 1 Nr. 2 KHEntgG in der Fassung des Zweiten Fallpauschalenän¬derungsgesetzes vom 15.12.2004 (BGBl I S. 3429), den Anlagen 2 und 5 der Fallpauschalen¬vereinbarung 2005 sowie dem zwischen den Beteiligten geltenden Krankenhaus¬behandlungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V. Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist. Der Behandlungspflicht zugelassener Krankenhäuser im Sinne von § 109 Abs. 4 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in §§ 16, 17 KHG in der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenkasse und Krankenhausträger festgelegt wird (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 12/08 R, Juris Randnr. 8 mwN).

Die Kammer geht davon aus, dass die Klägerin tatsächlich in dem Umfang Thrombozytenkonzentrate den Versicherten verabreicht hat, wie von ihr in den Rechnungen vom 15.10.2009 bzw. 19.10.2009 zu Grunde gelegt. Die Abrechnung der Gabe von Thrombozytenkonzentraten erfolgte im Jahr 2005 in Transfusionseinheiten. Für die anzusetzende Anzahl der Transfusionseinheiten war maßgeblich, um welche Art von Konzentrat es sich handelte. Bei den sog. Pool-Konzentraten, die meist das Vierfache der Mindestmenge von Einzelspenderkonzentraten enthalten, entsprach die Gabe von einem (Pool-)Konzentrat vier Transfusionseinheiten. Die Abrechnung erfolgte zudem in Stufen, abhängig von der Anzahl der zugrunde zu legenden Transfusionseinheiten. Die kleinste abrechenbare Menge lag bei 16 Transfusionseinheiten (TE). Beispielsweise bei 16 TE bis unter 24 TE konnte nach der Anlage 5 zur Fallpauschalenvereinbarung 2005 als Zusatzentgelt ZE33.01 ein Betrag von 1.163,91 Euro angesetzt werden. In den hier streitigen Fällen hätte die Klägerin, da sie offenbar Pool-Konzentrate einsetzte, dies aber versehentlich bei der Ermittlung der Anzahl der Transfusionseinheiten vergaß zu berücksichtigen, das ZE33.02 mit einem Betrag von 1.743,00 Euro sowie das ZE33.06 mit einem Betrag von 3.875,90 Euro abrechnen können. Die Klägerin hat vorgetragen, dass ihr bei der Ermittlung der Transfusioneinheiten ein Fehler unterlaufen sei. Sie habe TE und TK gleichgesetzt, so dass sie in beiden Fällen wegen Nichterreichens der kleinsten abrechenbaren TE-Menge (16 TE) kein Zusatzentgelt in Rechnung stellte.

Die Kammer schließt sich der Rechtsprechung des BSG an, wonach der restliche Vergü-tungsanspruch der Klägerin nicht (schon) durch die Zahlung des zuerst abgerechneten Betrags erloschen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 12/08 R, Juris Randnr. 9; BSG, Urteil vom 08.09.2009, B 1 KR 11/09 R, Juris Randnr. 16). Die Zulässigkeit von Nachforderungen richtet sich mangels ausdrücklicher Regelungen gemäß dem über § 69 SGB V auf die Rechtsbeziehungen von Krankenhaus und Krankenkasse einwirkenden Rechtsgedanken des § 242 BGB nach Treu und Glauben (BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 12/08 R, Juris Randnr. 10; BSG, Urteil vom 08.09.2009, B 1 KR 11/09 R, Juris Randnr. 16). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammenarbeiten. Von ihnen ist die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme zu erwarten (aaO).

Der 1. Senat und der 3. Senat des BSG haben in den angesprochenen Urteilen Ausfüh-rungen dazu gemacht, wann eine Rückforderung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr möglich ist.

Der Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 08.09.2009 lag eine Endabrechnung aus Juni 2000 zugrunde, die das Krankenhaus im Juli 2002 korrigiert hatte (B 1 KR 11/09 R). Im Rahmen der stationären Behandlung war an einem Tag eine Koronar-Angiographie und am Folgetag eine Ballon-Dilatation durchgeführt worden. Das Krankenhaus hatte nur für den ersten Tag ein Sonderentgelt abgerechnet. Nachdem das BSG Ausführungen zur Anwendbarkeit der weiteren in Frage kommenden Sonderentgelte gemacht hatte (Urteil vom 21.02.2002, SozR 3-5565 § 15 Nr. 1), stellte das Krankenhaus eine neue Schlussrechnung, in der nunmehr zwei Sonderentgelte Berücksichtigung fanden. Die Klägerin machte die sich daraus ergebende Nachforderung gegenüber der Krankenkasse geltend. Der 1. Senat verneinte einen Zahlungsanspruch. Den Krankenhäusern sei bekannt, dass die Krankenkassen aufgrund des Ausgabevolumens die Höhe ihrer Beiträge – grundsätzlich bezogen auf das Kalenderjahr – kalkulieren müssen, auch wenn inzwischen seit 2009 aufgrund der Einführung des Gesundheitsfonds nur noch geringe Gestaltungsmöglichkeiten der Krankenkassen bestünden. Weil sie auf tragfähige Berechnungsgrundlagen angewiesen seien, müssten sie sich grundsätzlich auf die Schlussrechnungen eines Krankenhauses verlassen können. Das Krankenhaus verfüge für die Erteilung einer ordnungsgemäßen, verlässlichen Abrechnung – anders als die Krankenkassen – umfassend über alle Informationen, die die stationäre Behandlung der Versicherten betreffen. Es sei re-gelmäßig in der Lage, professionell korrekt abzurechnen und sich ggf. stellende Abrech-nungsprobleme zu erkennen. Ihm sei es deshalb zumutbar, bei auslegungsbedingten Abrechnungsunsicherheiten in der Schlussrechnung explizit Vorbehalte zu erklären, die den Krankenkassen den eventuell erforderlichen Rückstellungsbedarf transparent ma-chen. Die Krankenkassen dürften sich allerdings nicht ausnahmslos auf das Fehlen eines Vorbehaltes berufen. Je nach Art des Fehlers, etwa bei offensichtlichem, ins Auge springendem Korrekturbedarf zu Gunsten des Krankenhauses müsse die Krankenkasse bereit sein, den Fehler durch das Krankenhaus korrigieren zu lassen. Ein solcher offen zutage liegender Fehler lag in dem vom 1. Senat zu entscheidenden Sachverhalt nicht vor. Der Krankenkasse habe in keiner Weise aus der Abrechnung erschließen können, dass mit dem nur für einen Tag angesetzten Sonderentgelt tatsächlich an zwei Tagen erbrachte Leistungen abgerechnet werden sollten. Die korrigierende Nachforderung sei "auch nicht mehr zeitnah, insbesondere nicht innerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Beklagten" erfolgt, sondern mehr als zwei Jahre nach Abwicklung der ersten Rechnung. Eine Krankenkasse müsse es aber nicht hinnehmen, dass Krankenhäuser innerhalb der Verjährungsfristen durch Nachforderungen trotz erteilter Schlussrechnungen ihre Abrechnung nachträglich optimieren.

Kurze Zeit später entschied der 3. Senat des BSG am 17.12.2009 einen Nachforderungs-fall aus dem Jahr 2006, also unter Geltung des DRG-Systems (B 3 KR 12/08 R). Es ging um eine drei Monate nach der (ersten) Schlussrechnung erfolgte Nachberechnung in Höhe von 58,06 Euro. Bei der Darstellung der Rechtsgedanken, die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben für beide Seiten herzuleiten sind, bezog sich der Senat zunächst auf eine eigene Entscheidung, in der er einen Einwendungsausschluss auf Seiten der Krankenkassen gesehen hatte, wenn sie das zur Klärung erforderliche Verfahren nicht rechtzeitig eingeleitet haben (BSG, SozR 3-2500 § 112 Nr. 2). Umgekehrt habe – so führt der 3. Senat weiter aus – der 1. Senat entschieden, dass ein Krankenhaus nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der Korrektur einer fehlerhaften Abrechnung gehindert sein könne, wenn sie mehr als zwei Jahre nach Rechnungsstellung und damit außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse vorgenommen werde und dafür keine besondere Rechtfertigung bestehe. Zutreffend habe der 1. Senat darauf hingewiesen, dass die dauerhaften Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichten und diese Sonderbeziehung die Befugnis zur nachträglichen Rechnungskorrektur begrenze. Diesem Ansatz folge auch der 3. Senat. Desweiteren führt er aus, dass die Korrektur dann nicht mehr zulässig sei, wenn das Interesse des Krankenhauses am Ausgleich seines Rechnungsfehlbetrages weniger schutzwürdig sei als das Interesse der Krankenkasse an der Vermeidung eines Zusatzaufwandes für die erneute Rechnungsprüfung. Das betreffe regelmäßig jedenfalls solche Nachforderungen, durch deren Prüfung bei der Krankenkasse ein hoher Verwaltungsaufwand anfalle, der den mit der Korrektur begehrten Betrag übersteige, oder dessen Wert im Verhältnis zum ur-sprünglichen Rechnungsbetrag nur von untergeordneter Bedeutung sei. Hiervon gehe der Senat nach dem Prinzip der Waffengleichheit aus, wenn eine Frist von 6 Wochen verstrichen sei und die nachgeforderte Summe entweder den Betrag der Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V oder 5 % des Ausgangsrech-nungswertes nicht erreiche. Als tragende Erwägungen führte der 3. Senat an, dass eine Krankenkasse nach den Grundsätzen von Treu und Glauben darauf vertrauen könne, dass eine Schlussrechnung grundsätzlich auf den endgültigen Abschluss des je-weiligen Behandlungsfalls gerichtet sei. Das liege immanent den Vorschriften der be-schleunigten Rechnungsabwicklung zu Grunde, mit dem in allen landesrechtlichen vertraglichen Abrechnungsbestimmungen das Primat der zeitnahen Zahlung der Krankenhausrechnung näher ausgestaltet sei. Pendant für diese wesentlich dem wirtschaftlichen Interesse des Krankenhauses dienende Verfahrensbeschleunigung sei auf Seiten der Krankenkasse die Erwartung, dass das Krankenhaus den Behandlungsfall mit der Schlussrechnung grundsätzlich abschließe.

Das Verhältnis der beiden Entscheidungen zueinander wird unterschiedlich verstanden. Die Klägerin beruft sich auf die Entscheidung des 3. Senats in der Weise, dass allein dessen Erwägungen maßgeblich seien. Der 3. Senat habe sich den Erwägungen des 1. Senats nur insoweit angeschlossen, als dass er auch die Krankenhäuser über den Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet sieht (vgl. auch Webel und Wallhäuser, Urteilsanmerkung, ZMGR 2010, 295f.). Sobald indes eine der beiden rechnerischen Schwellen, die der 3. Senat festgelegt habe, überschritten sei, könne eine Nachforderung auch nach Ablauf von sechs Wochen noch erhoben werden. So verstanden würde die Entscheidung des 3. Senats zu einer Erweiterung der Nachforderungsmöglichkeiten führen (vgl. Leber, Urteilsanmerkung, Das Krankenhaus 2010, 664ff.).

Die Kammer schließt sich diesen Erwägungen nicht an. Die Entscheidung des 3. Senats ergänzt vielmehr die vom 1. Senat aufgeführten Grundsätze zu einer Nachforderungsmöglichkeit (so im Ergebnis auch van der Ploeg, MedR 2010, 805, 806; Freudenberg, jurisPR-SozR 1/2011 Anm. 5, C). Denn der 3. Senat hat sich ausdrücklich auf die Entscheidung des 1. Senats bezogen. Daher sieht die Kammer keinen Anhaltspunkt dafür, dass er sich von den Feststellungen des 1. Senats hinsichtlich der Frage, wie lange eine Nachforderung zulässig sein kann, abgrenzen wollte. Falls er davon ausgegangen wäre, dass die Erwägungen des 1. Senates im Rahmen der DRG-Abrechnung keine Geltung mehr beanspruchen können, so wäre – insbesondere angesichts Tatsache, dass die Ausführungen zu den weiteren Punkten sehr ausführlich und detailliert sind – zu erwarten gewesen, dass der 3. Senat hierzu seine Erwägungen darlegt. Aus Sicht der Kammer ist die Sichtweise, dass eine Abgrenzung gewollt sein soll und darin zum Ausdruck kommen soll, dass der 3. Senat (nur) "diesem Ansatz" des 1. Senats im Sinne der Übertragung der Rücksichtnahmepflicht auch auf Krankenhäuser folge, zu eng. Insbesondere angesichts der besonderen Ausführlichkeit der weiteren Erwägungen kann die Begrenzung der Bezugnahme allein auf den vorherigen Satz (Rücksichtnahmepflicht des Krankenhauses), nicht aber auf den davor liegenden Satz (Nachforderung nach 2 Jahren zu spät) nicht nachvollzogen werden. Andernfalls wäre der Grundsatz der Waffengleichheit verletzt. Wenn das Krankenhaus innerhalb der Verjährungsfrist jede Forderung, die die vom 3. Senat genannten Schwelle überschreitet, geltend machen könnte, die Krankenkasse aber ihre Nachprüfung binnen 6 Wochen durchführen müsste, käme es zu einer ungleichen Verteilung der Rechte und Pflichten. Insbesondere in einem Fall, in dem für die Krankenkasse aus der Rechnung nicht ersichtlich ist, dass eine Leistung vom Krankenhaus erbracht, aber wegen eines internen Fehlers nicht zur Abrechnung gekommen ist, muss die Krankenkasse nach 4 Jahren nicht mehr mit einer Nachforderung rechnen. Vielmehr sprechen die von der Klägerin vorgenommene Korrekturen einer Mehrzahl von Rechnungen aufgrund desselben internen Fehlers, die zum Gegenstand von Parallelverfahren geworden sind, für eine nachträgliche Rechnungsoptimierung.

Soweit die Klägerin der Ansicht ist, dass die Entscheidung des 1. Senats deshalb keine Anwendung finde, weil sie nicht zum DRG-System ergangen sei, folgt die Kammer ihr nicht. Die Tatsache, dass es ein neues Abrechnungssystem eingeführt worden ist, kann nur dann Auswirkungen haben, wenn bezogen auf die konkrete Frage Unterschiede von solcher Bedeutung vorliegen, dass eine Übertragung der zum vorherigen Abrechnungs-system ergangenen Rechtsprechung ausscheidet. Solche Umstände sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch der 3. Senat hat in seiner Entscheidung keine entsprechenden Ausführungen gemacht (BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 12/08 R). Dass die Thrombozytengabe erstmalig als Zusatzentgelt abzurechnen war, reicht nicht aus, zumal die Regelung in der Anlage 5 zur Fallpauschalenvereinbarung 2005 eindeutig gefasst war.

Insoweit die Klägerin vorträgt, das DRG-System sei als "lernendes System" konzipiert, ergibt sich keine für sie günstige Rechtsfolge. Weder der 1. Senat noch der 3. Senat ha-ben diesem Aspekt im Rahmen der Fehlerkorrektur Bedeutung beigemessen. Das "Ler-nen" des Systems bezieht sich ohnehin (allein) auf die jährliche Weiterentwicklung. Es bedeutet, dass bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen sind, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, Urteil vom 25.11.2010, B 3 KR 4/10 R, Juris Randnr. 18). Die Kammer sieht daher keinen Ansatzpunkt, aus diesem Gedanken eine Abwehrmöglichkeit der Klägerin gegen das Berufen der Beklagten auf den Grundsatz von Treu und Glauben zu folgern. Dass es sich um ein neu eingeführtes System handelt, kann nicht dazu führen, dass Abrechnungsfehler der Krankenhäuser unbeachtlich wären. Andernfalls käme es wiederum zu einer Verschiebung des rechtlichen Kräfteverhältnisses von Krankenhäusern oder Krankenkassen. Überdies trägt der Hinweis der Klägerin auf den Aspekt der Weiterentwicklung des DRG-Systems nicht, weil nicht das DRG-System bei der Abrechnung von Thrombozytenkonzentraten mehrdeutig war, sondern die Klägerin einem Irrtum unterlegen war, den sie erst offenbar erst im Jahr 2009 bemerkte. Wenn aber schon die nachträgliche, gerichtliche Klarstellung eines in unterschiedlicher Weise auslegbaren Abrechnungstatbestandes nicht zwingend zur Korrekturmöglichkeit führt (vgl. B 1 KR 11/09 R), dann muss dies erst recht für einen Fehler gelten, der allein in der Sphäre des Krankenhauses lag.

Dass die Klägerin im November / Dezember 2005 die Rechnungen als "Zwischen-Rechnungen" bezeichnete, hat keine Auswirkungen, weil sie zur Ausstellung einer solchen Rechnung nicht berechtigt war. Nach dem Sicherstellungsvertrag wird der zuständigen Krankenkasse nach Beendigung der Krankenhausbehandlung eine Schlussrechnung übersandt (§ 14 Abs. 1 Satz 1). Davon abweichend kann eine sog. Zwischenrechnung nur dann erstellt werden, wenn es sich um laufende Fälle von einer Verweildauer von mehr als 15 Tagen handelt, jedenfalls soweit die Krankenhausbehandlung nicht mit einer Fallpauschale zu vergüten ist, oder die Krankenhausbehandlung über das Ende des Kalenderjahres andauert (§ 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Sicherstellungsvertrag). Beides ist nicht der Fall. Zutreffend hat die Klägerin die Rechnungen im Jahr 2005 auch nicht unter einen Vorbehalt gestellt, der dazu hätte führen können, dass die Beklagte mit einer Korrektur rechnen musste. Ohnehin hat die Klägerin die Rechnungen offenbar selbst als Schlussrechnungen angesehen.

Dass die Urteile sowohl des 1. Senats als auch des 3. Senats erst im Jahr 2009 ergingen, bedeutet nicht, dass die dortigen Erwägungen zum Grundsatz von Treu und Glauben auf im Jahr 2005 gestellte Abrechnungen keine Anwendungen fänden. Andernfalls hätten beide Senate im Ergebnis nicht zu einem Nachforderungsausschluss kommen können, da die zu entscheidenden Sachverhalte abgeschlossen waren und die Beteiligten von den Erwägungen der Senate in der Zukunft keine Kenntnis haben konnten.

Für die hier zu entscheidenden Fälle ist nicht erheblich, dass das BSG in seinem Urteil vom 28.02.2007 festgestellt hatte, dass der Anspruch einer Krankenkasse gegen einen Krankenhausträger auf Erstattung einer zu Unrecht gezahlten Vergütung auch nach dem 31.12.1999 einer vierjährigen Verjährung unterliegt (B 3 KR 12/06 R). Die Frage der Verjährung wird durch die Frage, ob eine Rechnungskorrektur nach erfolgter Abwicklung des Behandlungsfalles noch zulässig ist, nicht berührt. Unter ausdrücklicher Einbe-ziehung der Verjährungsfrist hat der 1. Senat ausgeführt, dass es Krankenkassen dennoch nicht hinnehmen müssen, dass Krankenhäuser innerhalb der Verjährungsfristen durch Nachforderungen trotz erteilter Schlussrechnung ihre Abrechnung nachträglich optimieren (BSG, Urteil vom 08.09.2009, B 1 KR 11/09 R, Juris Randnr. 21).

Der 1. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung auch dazu Stellung genommen, in welchem Verhältnis seine Entscheidung zu der Rechtsprechung des BGH steht und dabei insbesondere auch auf das von der Klägerin angeführte Urteil vom 23.10.2008 (VII ZR 105/07 = NJW 2009, 435) Bezug genommen. In gleicher Weise gilt demnach, dass weder auf den Rechtsgedanken der §§ 315, 316 BGB noch auf denjenigen der Unabänderlichkeit konstitutiver Rechnungen abgestellt werden kann. Abweichend davon gibt es aber die vom 1. Senat festgestellten Besonderheiten für die Abrechnung zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen, die einerseits durch die Grundsituation dauerhafter vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern und andererseits die Besonderheiten der Anforderungen an Abrechnungen nach der HOAI, die etwa eine prüffähige, schwierig zu erstellende Honorarschlussrechnung verlangen, bedingt sind (BSG, Urteil vom 08.09.2009, B 1 KR 11/09 R, Juris Randnr. 20). Für eine Anwendung der Rechtsprechung des BGH, dass (erst) eine für den Auftraggeber unzumutbare Nachforderung diesen dazu berechtigt, die Zahlung zu verweigern (BGH aaO), ist daher kein Raum.

Da die nachträgliche Geltendmachung eines Zusatzentgeltes ausscheidet, kommt auch die Abrechnung eines "Zuschlags zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen" gemäß § 4 Abs. 13 KHEntgG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (Art. 15 Nr. 2 Buchst. b GKV-Modernisierungsgesetz, BGBl I S. 2246) nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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