L 5 KR 189/10

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 6 KR 495/08
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 189/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Anspruch auf eine Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V kann auch bestehen, wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung die Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung nach einer Zwischenrechnung des Krankenhauses prüft (Abweichung von Hessisches LSG 12.11.2009 - 1 KR 90/09).
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 5.8.2009 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 100, EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.11.2008 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist ein Anspruch auf eine Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

In dem von der Klägerin betriebenen, nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus wurde die Versicherte G H in der Zeit vom 20.12.2007 bis zum 15.2.2008 stationär behandelt. Unter dem 4.1.2008 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Abklärung der Notwendigkeit der stationären Aufnahme der Versicherten. Dazu sah sie sich veranlasst, weil es sich um die dritte stationäre Aufnahme der Versicherten innerhalb von 12 Monaten handelte. Aufgrund einer Klinikbegehung am 28.1.2008 stellte der Arzt im MDK S fest, die weitere stationäre Behandlung der Versicherten bis zum 15.2.2008 sei bei paranoider Schizophrenie nervenärztlich indiziert.

Die Klägerin sandte der Beklagten unter dem 29.2.2008 die Abschlussrechnung, welche die Beklagte in voller Höhe beglich. Unter dem 17.10.2008 forderte sie von der Beklagten eine Aufwandspauschale von 100, EUR. Nachdem die Beklagte die Zahlung der Pauschale verweigert hatte, hat die Klägerin am 3.11.2008 Klage beim Sozialgericht (SG) Koblenz erhoben. Sie hat ua darauf hingewiesen, sie habe der Beklagten vor der Stellungnahme des Arztes S unter dem 3.1. und 17.1.2008 per Datenträgeraustausch Zwischenrechnungen übersandt. Die Klägerin hat dem SG Schreiben der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft sowie des Bundesministeriums für Gesundheit, jeweils vom November 2007 vorgelegt, worin die Meinung vertreten worden war, die Aufwandspauschale falle auch bei einer Überprüfung des MDK auf eine Zwischenrechnung an. Die Beklagte hat vorgetragen: Wäre die Auffassung der Klägerin zutreffend, müssten die Krankenkassen vor der MDK-Beauftragung die Rechnung abwarten, um die Aufwandspauschale abwehren zu können, da nur in diesem Fall eine nachweisbare monetäre Minderung des Abrechnungsbetrages möglich wäre. Die frühzeitige Einschaltung des MDK trage im Übrigen im Interesse des Krankenhauses dazu bei, eine Fehlabrechnung zu verhindern. Eine Zwischenrechnung könne einer Schlussrechnung nicht gleichgestellt werden. Anderenfalls wäre mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit zu rechnen, da ggf diverse Ausschlussfristen zu beachten wären, was dem ua durch § 275 Abs 1c SGB V beabsichtigten Bürokratieabbau zuwiderlaufen würde.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 5.8.2009 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Voraussetzungen einer Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V seien nicht erfüllt. Denn nach dem Wortlaut dieser Vorschrift komme die Pauschale nur bei einer Prüfung aufgrund einer Schlussrechnung des Krankenhauses in Betracht. Dies entspreche den Erwägungen, welche den Gesetzgeber zur Aufnahme des § 275 Abs 1c SGB V veranlasst hätten. Dieser habe bei Schaffung der Vorschrift an die Fälle gedacht, in denen Einzelfallprüfungen quasi standardmäßig eingeleitet würden. In Anbetracht des bereits dritten stationären Aufenthalts der Versicherten innerhalb von 12 Monaten hätten für die Beklagte hinreichende Gründe für die von dieser veranlasste Prüfung durch den MDK bestanden. Im vorliegenden Fall sei auch zu beachten, dass die Prüfung durch den MDK dem Krankenhaus ermöglicht habe, den weiteren Behandlungsablauf danach auszurichten, was diesem eine langwierige und kostenintensive Auseinandersetzung mit der Krankenkasse erspart habe. Das SG hat die Berufung zugelassen.

Gegen dieses ihr am 14.8.2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 14.9.2009 eingelegte Berufung der Klägerin, die vorträgt: Die Voraussetzungen der Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V seien erfüllt. Jede andere Auslegung würde den mit der Einführung dieser Vorschrift verfolgten gesetzgeberischen Zielen widersprechen und die Vorschrift letztlich leerlaufen lassen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 5.8.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 100 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.11.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und stützt sich insbesondere auf das Urteil des Hessischen LSG vom 12.11.2009 (L 1 KR 90/09).

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz SGG zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Aufwandspauschale; das entgegenstehende Urteil des SG ist daher aufzuheben.

Nach § 275 Abs 1c Satz 1 SGB V in der vorliegend maßgebenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I S 378) ist bei Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V eine Prüfung nach § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V zeitnah durchzuführen. Die Prüfung nach § 275 Abs 1c Satz 1 SGB V ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen (§ 275 Abs 1c Satz 2 SGB V). Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100, EUR zu entrichten (§ 275 Abs 1c Satz 3 SGB V).

Bei der "Prüfung" iS des § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V handelt es sich um eine Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie bei Auffälligkeiten der ordnungsgemäßen Abrechnung (§ 275 Abs 1c Satz 1 iVm Abs 1 Nr 1 SGB V). Eine Prüfung über Art und Umfang der Leistung, dh der in Rede stehenden Krankenhausbehandlung, wurde vorliegend vom MDK durchgeführt.

Auch die weitere Voraussetzung des § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V, dass die Prüfung nicht zur Minderung des Abrechnungsbetrages geführt hat, ist erfüllt. Weder hinsichtlich der Zwischenrechnungen noch in Bezug auf die Abschlussrechnung ist es durch die Prüfung des MDK zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages gekommen.

Ein Anspruch auf eine Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V setzt nicht voraus, dass im Zeitpunkt der Prüfung durch den MDK bereits eine Abschlussrechnung vorlag. Vielmehr genügt es nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die Prüfung nicht zu einer Minderung des unter Umständen auch später vom Krankenhaus geltend gemachten Abrechnungsbetrages führt, gleichgültig ob der Krankenkasse die Abschlussrechnung im Zeitpunkt der Prüfung bereits zugegangen war oder nicht. Der gegenteiligen Ansicht des Hessischen LSG (12.11.2009 aaO, juris) vermag der Senat jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung, bei welcher der Beklagten im Zeitpunkt der Beauftragung des MDK bereits eine Zwischenrechnung vorlag nicht zu folgen. Eine Prüfung über die Notwendigkeit einer stationären Behandlung fällt hierunter (ebenso LSG Niedersachsen Bremen 25.8.2010 L 1 KR 331/09, juris; wohl aA Hessisches LSG 12.11.2009 L 1 KR 90/09).

Diese Interpretation des § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V steht im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Nach der Gesetzesbegründung zum GKV- WSG (BT-Drucksache 16/3100 Seite 171) trägt § 275 Abs 1c SGB V dem Umstand Rechnung, dass die Prüfungsmöglichkeit durch den MDK von einzelnen Krankenkassen in unverhältnismäßiger und nicht sachgerechter Weise zur Einzelfallsteuerung genutzt werde. Ferner heißt es in der Gesetzesbegründung weiter: " Dies führt zu unnötiger Bürokratie. Für einzelne Kassenarten liegen Hinweise zu Prüfquoten im Rahmen der Einzelfallprüfung in Höhe von 45 Prozent der Krankenhausfälle vor. Dies belastet die Abläufe in den Krankenhäusern teils erheblich, sorgt für zusätzlichen personellen und finanziellen Aufwand und führt in der Regel zu hohen Außenständen und Liquiditätsproblemen ". Wie aus der Gesetzesbegründung (aaO) weiter deutlich wird, dienen § 275 Abs 1c Satz 1 und 2 der Sicherstellung einer zügigen Einleitung der Prüfung des MDK. Demgegenüber bezweckt Satz 3 dieser Vorschrift, einer ungezielten und übermäßigen Einleitung von Begutachtungen entgegenzuwirken (aaO, Spalte 2 3. Absatz). Die Verwirklichung dieses Gesetzeszwecks kommt unabhängig davon zum Tragen, wann die Überprüfung durch den MDK eingeleitet wird und stattfindet und auch dann, wenn sie zeitlich vor der Abschlussrechnung erfolgt. Es würde dem Zweck des § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V widersprechen, wenn die Krankenkassen die Möglichkeit des Entstehens einer Aufwandspauschale dadurch unterlaufen könnten, dass sie in großem Umfang noch vor dem Erhalt der Abschlussrechnung Prüfungen durch den MDK veranlassen. Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung (aaO) auch: "Die Verpflichtung zur Zahlung einer Aufwandspauschale durch die Krankenkasse entsteht somit grundsätzlich unabhängig davon, ob eine Rechnung bereits beglichen ist oder nicht." Dieser Satz macht aber nicht deutlich, dass die Gesetzesbegründung das Vorliegen einer Abschlussrechnung vor der Durchführung der Prüfung durch den MDK als Voraussetzung des Entstehens des Anspruchs auf die Aufwandspauschale ansieht. Wenn die Gesetzesbegründung davon ausgehen würde, wäre zu erwarten, dass sie in diesem Satz vom Vorliegen der Rechnung und nicht einer Rechnung gesprochen hätte.

Der Einwand der Beklagten, bei dieser rechtlichen Beurteilung falle die Aufwandspauschale bei Prüfungen des MDK vor Vorlage der Rechnung stets an, weil es in solchen Fällen nie zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages kommen könne, greift nicht durch. Dies trifft jedenfalls dann nicht zu, wenn bereits eine Zwischenrechnung vorliegt.

Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, wenn § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V auch bei der Einleitung der Prüfung durch den MDK ohne Abschlussrechnung zur Anwendung kommen könnte, würden sich die Krankenkassen veranlasst sehen, generell Überprüfungen der Krankenhausbehandlungsnotwendigkeit bis zum Vorliegen der Abschlussrechnung zurückzustellen, weil in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit einer durch die Prüfung des MDK verursachten Minderung des Abrechnungsbetrages größer wäre. Ob sich Krankenkassen zu einem solchen Verhalten veranlasst sehen könnten, ist offen. Ein Zurückstellen des Gutachtensauftrages bis zum Vorliegen der Abschlussrechnung birgt für die Krankenkasse zumindest faktisch auch Nachteile, weil es in nicht wenigen Fällen nach Beendigung des Krankenhausaufenthaltes schwieriger sein dürfte, eine fehlende Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit und einen nicht notwendigen Behandlungsumfang aufzudecken. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber erneut reagieren wird, wenn die Krankenkassen in sachwidriger Weise Prüfungen durch den MDK auf die Zeit nach Beendigung des Krankenhausaufenthalts zurückstellen.

Da die Klägerin die Prüfung durch den MDK nicht durch eigenes Fehlverhalten veranlasst hat (vgl BSG 22.6.2010 - B 1 KR 1/10 R, juris), sind nach alledem die Voraussetzungen der Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V erfüllt. Die Frage, ob eine Aufwandspauschale bei mehreren Zwischenrechnungen wiederholt zu zahlen ist (verneinend LSG Niedersachsen Bremen 25.8.2010 aaO), ist für den Ausgang des Rechtsstreits ohne Bedeutung, weil die Klägerin nur eine einmalige Aufwandspauschale verlangt hat.

Der Zinsanspruch beruht auf § 69 Satz 3 SGB V iVm §§ 291, 288 Abs 1 Satz 2 BGB (vgl BSG 23.3.2006 - B 3 KR 6/05 R).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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