L 19 AS 1351/10 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AS 9775/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 AS 1351/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Für von Kindertagesstätten durchgeführte Gruppenfahrten konnten/können im Land Berlin Leistungen gemäß § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung nicht beansprucht werden.
Die Beschwerde des Klägers zu 3) gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. Juni 2010 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1968 geborene, erwerbsfähige Klägerin zu 1) und der 1965 geborene, erwerbsfähige Kläger zu 2) sind die Eltern des 2004 geborenen Klägers zu 3).

Die Kläger zu 1) bis 3) beziehen Arbeitslosengeld II.

Bis August 2010 besuchte der Kläger zu 3) den Kindergarten der F B GmbH "K M".

Am 4. Februar 2010 wandte sich die Klägerin zu 1) an den Beklagten mit dem Antrag, die Kosten (121 EUR) einer "Abschlussgruppenfahrt", die der Kindergarten, den ihr Sohn A besuche, für die Zeit vom 3. Mai 2010 bis zum 7. Mai 2010 geplant habe, zu übernehmen.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2010 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Den Widerspruch der Klägerin zu 1) gegen diesen Bescheid wies er mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2010 als unbegründet zurück.

Am 19. März 2010 haben die Kläger zu 1) bis 3) Klage erhoben.

Den mit der Klage eingereichten Antrag der Kläger zu 1) bis 3), ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin A D zu bewilligen, hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 7. Juni 2010 abgelehnt. Am 15. Juli 2010 haben die Kläger zu 1) bis 3) gegen diesen, ihnen am 15. Juni 2010 zugestellten, Beschluss Beschwerde eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 28. März 2011 haben die Kläger zu 1) und 2) die von ihnen erhobenen Klagen zurückgenommen. Der durch die Kläger zu 1) und 2) gemeinsam vertretene Kläger zu 3) hat an seinem Begehren festgehalten.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie wurde in der von § 173 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgeschrieben Form und Frist erhoben. Sie ist auch statthaft. Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ausgeschlossen. Das Sozialgericht hat nicht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Dass in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig ist, ist ohne Belang. § 127 Abs. 2 S. 2 Hlbs. 2 ZPO iVm § 511 Abs. 2 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) finden keine An¬wendung. Denn ihnen geht die Regelung des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG vor. Dies ergibt sich aus der Begründung des Gesetzgebers zu dieser Regelung (vgl. Bundestagsdrucksache ‹BT-Drucks.› 16/7716 S. 22). Auch aus der Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. 17/1684 S. 25; Bundesratsdrucksache ‹BR-Drucks.› 152/10 S. 5) des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Bundesgesetzblatt ‹BGBl.› I S. 1127 [1131 f.]) lässt sich ableiten, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Beschwerde wegen Nichtüberschreitens der Beschwerdewertgrenze des § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt wird (wie hier: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.06.2010, L 10 AS 664/10 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.10.2010, L 25 B 2246/08 AS PKH; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.01.2011, L 7 AS 4623/10 B; a. A.: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.12.2010, L 34 AS 2182/10 B PKH).

2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Gemäß § 73a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 114 S. 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach sei¬nen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. An der "hinreichenden Aussicht auf Erfolg" fehlt es, wenn dieser Erfolg fern liegt (vgl. Bundesverfassungsgericht ‹BVerfG›, Beschluss vom 07.04.2000, 1 BvR 81/ 00). So ist es hier.

Die vom Kläger zu 3) erhobene Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Zweifelhaft ist be¬reits, ob der Kläger zu 3) den von ihm behaupteten, personenbezogenen (vgl. Bundessozialgericht ‹BSG›, Urteil vom 23.03.2010, B 14 AS 81/08 R) Bedarf, über den isoliert, mithin unabhängig von anderen Grundsicherungsleistungen entschieden werden kann (vgl. BSG, a. a. O.), tatsächlich hatte. Denn es ist bislang nicht erwiesen, dass die vom Kindergarten "K M" für die Zeit vom 3. Mai 2010 bis zum 7. Mai 2010 geplante Gruppenfahrt stattgefunden, der Kläger zu 3) an ihr teilgenommen und die Klägerin zu 1) für diese Teilnahme 121 EUR an den Kindergarten "K M" überwiesen hat. Nicht erwiesen ist (bislang) auch, ob die Behauptung der Klägerin zu 1), zur Finanzierung der Gruppenfahrt des Klägers zu 3) ein Darlehen aufgenommen zu haben, zutrifft. Dem "Schuldschein", den sie vorgelegt hat (Bl. 18 GA), lässt sich nicht entnehmen, wann, zwischen wem (die Darlehensgeberin wird nur mit Namen, nicht auch mit Geburtsdatum und/oder Adresse bezeichnet) und zu welchen Bedingungen (der Zeitpunkt der Rückzahlung des Darlehens wird lediglich mit den Worten "schnellst möglich" umschrieben) ein Darlehensvertrag geschlossen wurde.

Selbst wenn jedoch der Kläger zu 3) den von ihm behaupteten Bedarf hatte, ist die seinerseits erhobene Klage nicht begründet.

Als Rechtsgrundlagen des vom Kläger zu 3) erhobenen Anspruchs kommen allein § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung (a. F.), der Tenor zu 3) des Urteils des BVerfG vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) und § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II a. F. in Betracht. Die Voraussetzungen keiner dieser Rechtsgrundlagen sind erfüllt. Aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II ("[ ] Klassenfahrten [ ] schulrechtlichen Bestimmungen"), aus der Begründung des Gesetzgebers zu der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Parallelvorschrift des § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII (vgl. BT-Drucks. 15/1514 S. 60: "Im Zusammenhang mit dem besonderen Bedarf für Schüler sind nur Leistungen für mehrtägige Schulfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen vom Regelsatz ausgenommen." Zur Regelung des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II, die auf Empfehlung des Vermittlungsausschusses eingefügt wurde, existiert keine Begründung, vgl. BT-Drucks. 15/2259 S. 3) und aus §§ 19 Abs. 2, 28 Abs. 2 S. 2 SGB II in der seit dem 1. Januar 2011 gültigen Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 435) ergibt sich zweifelsfrei, dass den Bedarf iSd § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II a. F. nur "Schüler" für "Schulfahrten" geltend machen konnten.

Im Mai 2010 war der Kläger zu 3) weder gemäß § 42 Abs. 1 des Schulgesetzes für das Land Berlin (SchulG) vom 26. Januar 2004 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin ‹GVBl.› S. 26), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Juni 2010 (GVBl. S. 342) schulpflichtig, noch hat er eine der in § 17 Abs. 2 SchulG erwähnten Schularten (viel¬mehr eine Kindertagesstätte) besucht, noch war die Gruppenfahrt, an der der Kläger zu 3) in der Zeit vom 3. Mai 2010 bis zum 7. Mai 2010 teilgenommen haben will, eine "Schülerfahrt" iSd der Ziffern 1 und 4 Abs. 1 S. 1 der auf der Grundlage von § 128 SchulG von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung erlassenen Ausführungsvorschriften zu Veranstaltungen der Schule (AV Veranstaltungen) vom 25. Oktober 2007, geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 9. September 2008.

Die Auffassung des Klägers zu 3), im Mai 2010 im Kindergarten "K M" eine Vorschule besucht zu haben, ist verfehlt, da gemäß § 129 Abs. 6 S. 2 SchulG letztmalig zum Schuljahr 2004/2005 Kinder im Land Berlin in Vorklassen iSd § 28 Abs. 1 bis 3 des Schulgesetzes für Berlin in der Fassung vom 20. August 1980 (GVBl. 1980 S. 2104) aufgenommen wurden.

Für die vom Kläger zu 3) geforderte analoge Anwendung des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II a. F. besteht kein Raum. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vgl. Bundesgerichtshof ‹BGH›, Urteil vom 17.03.2010, IV ZR 144/08). Aus der Begründung des Gesetzgebers zu der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Parallelvorschrift des § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII ergibt sich, dass § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II a. F. nicht planwidrig, sondern bewusst auf "mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen" beschränkt wurde. Denn diese Begründung lautet (vgl. BT-Drucks. 15/1514 S. 60): "Absatz 1 enthält eine abschließende Aufzählung der ent¬sprechenden Bedarfe."

Auf den Tenor zu 3) des Urteils des BVerfG vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) kann der Kläger zu 3) sein Begehren nicht stützen, da er keinen "laufenden" Bedarf im Sinne dieses Tenors geltend macht.

Selbst ein Darlehen gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II a. F. kann der Kläger zu 3) nicht beanspruchen, da er nicht behauptet, einen "unabweisbaren Bedarf" iSd § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II a. F. noch immer zu haben. Vielmehr hat – seinen Behauptungen nach –den "unabweisbaren Bedarf", den er einst gehabt haben will, die Klägerin zu 1) durch Aufnahme eines Darlehens gedeckt. Mithin hat allenfalls diese noch einen unabweisbaren Bedarf.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO (vgl. zur Notwendigkeit einer Kostenentscheidung: Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 176 Rn. 5 a).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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