Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 3683/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1429/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen für eine wirksame Betreibensaufforderung iSd
§ 102 Abs 2 Satz 1 SGG.
§ 102 Abs 2 Satz 1 SGG.
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 02. März 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Karlsruhe zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe vorbehalten.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 290.926,10 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung einer fiktiven Klagerücknahme durch das Sozialgericht Karlsruhe (SG). Hintergrund des Rechtsstreits ist die von der Beklagten angenommene Pflicht des Klägers zur Nachentrichtung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 290.926,10 EUR.
Der Kläger war zusammen mit Frau L. A. de F. Gesellschafter und Geschäftsführer der portugiesischen Firma D. und S. L., B ... Nach Ermittlungen des Finanzamtes S. II, der Polizeidirektion W. und des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg forderte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 6. August 2004 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 290.926,10 EUR für die Zeit vom 1. August 1995 bis 30. Juni 1996. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2008 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 24. Juli 2008 zugestellt.
Hiergegen hat der Kläger am 26. August 2008 (einem Dienstag) beim Sozialgericht Stuttgart (Az.: S 15 KR 5765/08) Klage erhoben. Mit Beschluss vom 24. September 2008 hat das Sozialgericht Stuttgart den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Karlsruhe verwiesen. Dort wurde es geschäftsintern der 5. Kammer zugewiesen (S 5 KR 4254/08). Mit Verfügung vom 21. Oktober 2008 (Bl 14 der SG-Akte, S 5 KR 4254/08) hat das SG der Beklagten unmittelbar (und dem Kläger nachrichtlich) Folgendes mitgeteilt:
"Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 24.7.2008 zugestellt. Ausgehend hiervon endete die Klagefrist mit Ablauf des 25.8.2008 (einem Montag).
Ausweislich des Poststempels auf dem Briefumschlag hatte der Kläger seine Klageschrift bereits am 23.8.2008 zur Post gegeben. Bei regelmäßigem Postlauf konnte er davon ausgehen, dass der Schriftsatz bis einschließlich 25.8.2008 beim Sozialgericht eingeht. Tatsächlich ging er zwar erst am 26.8.2008 ein; hierbei handelt es sich aber um eine unverschuldete Versäumung der Klagefrist, sodass dem Kläger Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
Ist die Klage somit zulässig, bitte ich nun um umgehende Zusendung der Verwaltungsakte."
Mit Verfügung vom 13. November 2008 (Bl 16 der genannten SG-Akte) hat das SG dem Kläger mitgeteilt, dass es für die interne Zuständigkeit beim SG unter anderem darauf ankomme, mit welchem Buchstabe sein Nachnahme beginne. Es sei für den Kammervorsitzenden einstweilen nicht ersichtlich, bei welchem seiner Namen der Nachname beginne. Der Kläger ist daher gebeten worden, bis zum 10. Dezember 2008 eine Kopie des Personalausweises zu übersenden. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 ist der Kläger an die Verfügung vom 24. November 2008 erinnert worden. Mit Schreiben vom 21. Januar 2009 (Bl 19 der genannten SG-Akte) hat das SG mit Postzustellungsurkunde (PZU) ein Schreiben mit folgendem Inhalt an den Kläger übermittelt:
"Trotz Erinnerung vom 17.12.2008 haben Sie meine Anfrage vom 14.11.2008 immer noch nicht beantwortet. Dies deutet daraufhin, dass ihr Interesse an der Fortführung des Verfahrens entfallen ist.
Diese Vermutung können Sie widerlegen, indem Sie innerhalb von drei Monaten nach Zugang dieses Schreibens die geforderte Kopie ihres Personalausweises übersenden.
Kommen Sie dieser Aufforderung nicht fristgemäß nach, gilt die Klage gemäß § 102 Abs 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen."
Das Schreiben ist dem Kläger am 23. Januar 2009 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 5. Februar 2009 hat das SG erneut mit PZU an den Kläger ein Schreiben mit gleichem Inhalt übermittelt, wobei am Ende des Schreibens folgender Zusatz beigefügt worden ist: "Dies hätte zur Folge, dass Sie die Kosten des Verfahrens tragen müssen" (Bl 20 der genannten SG-Akte). Die in der Akte befindliche Verfügung ist mit dem vollen Nachnamen des Kammervorsitzenden unterzeichnet worden. Eine Leseabschrift bzw eine Abschrift des an den Kläger übersandten Schreibens befindet sich nicht in der SG-Akte. Das Schreiben ist dem Kläger am 6. Februar 2009 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 7. Mai 2009 hat der Kammervorsitzende den Beteiligten mitgeteilt, dass die Klage gemäß § 102 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen gelte.
Laut Aktenvermerk vom 24. Juli 2009 hat sich der Kläger an diesem Tag telefonisch bei der Geschäftsstelle der 5. Kammer gemeldet und mitgeteilt, dass er nach langer Zeit aus Portugal zurückgekommen sei, da er dort seinen Vater bis zu dessen Tod und im Anschluss daran seine Mutter habe pflegen müssen. Er sei jetzt zusammen mit der weiterhin pflegebedürftigen Mutter wieder in Deutschland. Er habe deshalb nicht auf die Gerichtspost reagieren können und er wolle, dass das Verfahren weiter gehe.
Am 28. Juli 2009 hat sich der Kläger schriftlich an das SG (5. Kammer) gewandt und bat um Klagefortführung bzw Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Er hat dargelegt, dass er sich seit Oktober 2008 in Portugal aufgehalten habe, um seinen krebskranken Vater zu pflegen, der am 26. Januar 2009 verstorben sei. Danach habe er sich um seine 83-jährige pflegebedürftige Mutter kümmern müssen, sodass er die an ihn zugestellte Post nicht persönlich habe in Empfang nehmen können. Am 21. August 2009 verfügte der Kammervorsitzende, dass der Schriftsatz des Klägers vom 24. Juli 2009 als neue Klage einzutragen sei (S 5 KR 3683/09). Zugleich hat er den Kläger aufgefordert, eine Kopie seines Personalausweises binnen zwei Wochen vorzulegen. Dem ist der Kläger am 3. September 2009 nachgekommen. Als Nachname wird im Personalausweis "D. S. A." angegeben (Bl 12 der SG-Akten in dem Verfahren S 5 KR 3683/09). Mit Schreiben vom 20. November 2009 hat das SG dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass der Nachname des Klägers laut der vorgelegten Ausweiskopie "D. S. A." laute, er selbst und sein Prozessbevollmächtigter würden ihn aber nur "A." nennen. Da dies für die Zuteilung zur richtigen Kammer nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts wichtig sei, möge der Nachname eindeutig geklärt und mitgeteilt werden. Hierauf teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 25. November 2009 mit, dass der volle Name des Klägers "M. F. d. S. A." laute.
Mit Gerichtsbescheid vom 2. März 2011, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 7. März 2011, hat das SG festgestellt, dass die Klage S 5 KR 4254/08 durch Rücknahme erledigt sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei am 5. Februar 2009 wirksam aufgefordert worden, dass Verfahren zu betreiben. Für die Frage, welche Kammer das SG für den vorliegenden Rechtsstreit zuständig sei, komme es nach dem Geschäftsverteilungsplan darauf an, mit welchem Buchstaben der Nachname des Klägers beginne - für den Buchstaben "S" sei die 5. Kammer zuständig, für den Buchstaben "A" die 7. Kammer. Der Namenszusatz "d." bleibe für die Zuteilung außer Betracht. Angesichts der unklaren Lage sei der Kläger aufgefordert worden, innerhalb von drei Monaten nach Zugang des Schreibens eine Kopie seines Personalausweises zu übersenden. Innerhalb der dreimonatigen Frist habe der Kläger das Verfahren nicht betrieben. Damit sei das Rechtsschutzinteresse des Klägers entfallen. Denn obwohl er auf die Notwendigkeit der Übersendung einer Kopie des Personalausweises hingewiesen worden sei, habe er nicht reagiert. Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand sei nicht zu gewähren, da seine Kinder und seine Partnerin weiterhin in der Wohnung in Deutschland geblieben seien. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger dafür Sorge tragen müssen, dass während seiner Abwesenheit eingehende Post entweder geöffnet oder an ihn nach Portugal geschickt werde.
Hiergegen richtet sich die am 6. April 2011 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung des Klägers, mit der er vorträgt, es sei zwar richtig, dass er auf die ihm durch das Gericht gesetzte Frist nicht reagiert habe. Allerdings könne daraus nicht gefolgert werden, dass er kein Rechtsschutzinteresse an der Fortsetzung der Rechtsverfolgung habe. Es sei vielmehr zu berücksichtigen, dass er das Verfahren zum damaligen Zeitpunkt ohne Anwalt betrieben habe, da er sich aufgrund der gegebenen Situation und der vorhandenen Mittel zunächst nicht an einen Rechtsanwalt habe wenden wollen und er zudem portugiesischer Staatsbürger sei, weswegen zu erwarten gewesen sei, dass er besondere Schwierigkeiten mit der Durchführung des Rechtsstreits haben werde. Diese Umstände habe das SG nicht berücksichtigt. Darüber hinaus sei ihm Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Er habe belegt, dass er zum Zeitpunkt der fraglichen Verfügungen seine Eltern in Portugal gepflegt habe. Nachdem die Beklagte zwischen dem Ausgangsbescheid und dem Widerspruchsbescheid vier Jahre habe verstreichen lassen, habe er nicht damit rechnen müssen, dass nunmehr im laufenden sozialgerichtlichen Verfahren ein Fristversäumnis um drei Monate den Verlust jeglicher Rechte bedeute. Hinzu komme, dass er - als er Deutschland verlassen habe, um zu seinen Eltern nach Portugal zu fahren - nicht damit gerechnet habe, dass der Aufenthalt derartig lange Zeit in Anspruch nehmen werde.
Der Kläger beantragt - sachdienlich ausgelegt -,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 2. März 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2008 aufzuheben, hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht vor. Der Kläger habe die Klage nicht mit zumutbarer Sorgfalt weitergeführt. Dies gelte auch unter Berücksichtigung seiner Lage. Da die Partnerin sowie seine Kinder in der Wohnung in Deutschland geblieben seien, sei die Sicherstellung des Posteingangs sehr einfach gewesen. Dies falle in den Verantwortungsbereich des Klägers.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 29. April 2011 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, den angegriffenen Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und den Rechtsstreit an das SG zu erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Die Beteiligten haben vor diesem Hintergrund ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt. Die Beklagte hat zudem eine Kopie des Abdrucks der Betreibensaufforderung vom 5. Februar 2009 vorgelegt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung durch das SG auch begründet. Das SG hat zu Unrecht festgestellt, dass das Klageverfahren S 5 KR 4254/08 durch die Fiktion der Rücknahme der Klage erledigt sei. Denn die Voraussetzungen für den Eintritt einer Rücknahmefiktion nach § 102 Abs 2 Satz 1 SGG liegen nicht vor.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26. März 2008 (BGBl I, 444) wurde mit Wirkung vom 1. April 2008 in Abs 2 des § 102 SGG eine Fiktion der Klagerücknahme bei Nichtbetreiben eingefügt. Danach gilt: Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt, wobei § 102 Abs 1 SGG entsprechend gilt. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und ggfs aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 155 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Bei der fingierten Klagerücknahme handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses (BT-Drucks 167716, 19 zu Nr 17; BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R = SozR 4-1500 § 102 Nr 1), die grundsätzlich den Ablauf einer zuvor vom zuständigen Richter gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraussetzt. Wenn die Betreibensaufforderung Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, muss sie mithin vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden. Eine Namenabkürzung oder ein Handzeichen genügt als Unterschrift nicht. Darüber hinaus muss nicht nur die Betreibensauffordung vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift muss diesen Umstand erkennen lassen, dh durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (BSG, aaO).
Diese gesetzlichen Voraussetzungen der fiktiven Klagerücknahme erfüllt das sozialgerichtliche Vorgehen nicht. Es ist bereits nicht geklärt, ob die Betreibensaufforderung vom 5. Februar 2009 vom zuständigen Richter verfügt worden ist. Nach den Ausführungen des SG im Gerichtsbescheid vom 2. März 2011 ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des SG der Anfangsbuchstabe des Nachnamens für die gerichtsinterne Kammerzuständigkeit von maßgeblicher Bedeutung. Danach ist für den Buchstaben "S" die 5. Kammer und für den Buchstaben "A" die 7. Kammer des SG zuständig. Zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung am 5. Februar 2009 wusste der Kammervorsitzende der 5. Kammer nach eigenen Angaben aber nicht, ob er für den Rechtsstreit nach dem internen Geschäftsverteilungsplan zuständig war. Dies hat er im Übrigen auch nochmals in seinem Schreiben vom 20. November 2009 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers bestätigt. Die geschäftsplanmäßige Zuständigkeit hat jeder Spruchkörper eines Gerichts aber von Amts wegen zu prüfen (Kissel/Mayer, Kommentar zum Gerichtsverfassungsgesetz [GVG], 6. Auflage 2010, § 16 Rdnr 25). Hierbei hat er den geltenden Geschäftsverteilungsplan (vgl hierzu § 21e GVG) zugrunde zu legen. Der Richter muss daher vor der Entscheidung einer konkreten Rechtssache in eigener Verantwortung prüfen, ob er dafür nach Gesetz und Geschäftsverteilungsplan zuständig ist. Er darf die Sache nur entscheiden, wenn er sich für zuständig hält. Hält er sich nicht für zuständig, so muss er die Sache an den zuständigen Richter weiterleiten (Kissel/Mayer, aaO, § 21e Rdnr 116). Kommt es dann ggfs zu Meinungsverschiedenheiten unter verschiedenen Spruchkörpern des gleichen Gerichts, muss das Präsidium des Gerichts entscheiden, welcher Spruchkörper zuständig ist. Denn eine solche Auseinandersetzung betrifft die Verteilung der Geschäfte unter den Mitgliedern des Gerichts durch den Geschäftsverteilungsplan, der in die Zuständigkeit des Präsidiums fällt (vgl hierzu nur BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1999 - X ARZ 247/99 = NJW 2000, 80 mwN). Der Umstand, dass der Kammervorsitzende noch einmal um Übersendung einer Kopie des Personalausweises des Klägers gebeten hat, lässt den Schluss zu, dass er zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung am 5. Februar 2009 die Frage, ob er laut dem geltenden Geschäftsverteilungsplan für den Rechtsstreit des Klägers zuständig ist, noch nicht als geklärt angesehen hat.
Darüber hinaus handelt es sich bei der Aufforderung, eine Kopie des Personalausweises zu übersenden, im konkreten Fall nicht um eine wirksame Betreibensaufforderung im Sinne des § 102 Abs 2 Satz 1 SGG. Denn die Betreibensaufforderung muss sich hinreichend konkret auf bestimmte verfahrensfördernde Handlungen beziehen, die der Kläger vorzunehmen hat (vgl hierzu LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 - L 5 AS 217/2010). Eine solche verfahrensfördernde Handlung kann beispielsweise in Angaben zu einem bestimmten Sachverhalt oder in der Verpflichtung zur Vorlage bestimmter Dokumente liegen. Die Aufforderung zur Übersendung der Kopie des Personalausweises des Klägers stellt im vorliegenden Fall jedoch nicht eine solche verfahrensfördernde Handlung dar, da der Kläger bereits in seinem Klageschriftsatz vom 26. August 2008 seinen vollständigen Vor- und Nachnamen angegeben hat. Dies wird durch die mittlerweile vom Kläger vorgelegte Kopie seines Personalausweises (Bl 12 der SG-Akte S 5 KR 3683/09) bestätigt. Bereits zu diesem Zeitpunkt wäre der Kammervorsitzende daher in der Lage gewesen - ggfs nach Einholung einer Auskunft der Botschaft Portugals in Berlin oder des Generalkonsulats in Stuttgart zu portugiesischen Namensregelungen (vgl §§ 103, 106 Abs 3 Nr 3 SGG) -, die Zuständigkeit zu bestimmen bzw bei einer Meinungsverschiedenheit das Präsidium des Gerichts anzurufen.
Vor diesem Hintergrund musste der Senat nicht darüber entscheiden, ob der Kammervorsitzende auch die für eine wirksame Betreibensaufforderung notwendige (schriftliche) Form eingehalten hat. Der von der Beklagten dem Senat übermittelte Abdruck vom 5. Februar 2009 lässt hieran zweifeln. Zwar wurde die Verfügung vom 5. Februar 2009 mit dem vollen Nachnamen des Kammervorsitzenden unterzeichnet (Bl 20 der SG-Akte S 5 KR 4254/08). Im Abdruck wird ebenfalls der Name des Kammervorsitzenden genannt, es befindet sich jedoch der Zusatz "Auf richterliche Anordnung - diese Mitteilung wurde elektronische erstellt und enthält deshalb keine Unterschrift, wofür um Verständnis gebeten wird -". Sollte der Kammervorsitzende die Betreibensaufforderung, die an den Kläger verschickt wurde, nicht selbst unterschrieben haben, wären die Voraussetzungen einer Klagerücknahmefiktion auch deshalb nicht gegeben. Wie bereits dargelegt, konnte der Senat diese Frage jedoch offenlassen.
Da das sozialgerichtliche Verfahren damit an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG leidet, war der angegriffene Gerichtsbescheid aufzuheben. Der Senat verweist den Rechtsstreit im Rahmen des ihm in § 159 SGG eingeräumten Ermessens zurück, weil das SG als erste Tatsacheninstanz den Beteiligten erhalten bleiben soll und das SG dem Kläger bereits Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gewährt hat. Damit erhält das SG auch die Gelegenheit, die nach § 75 Abs 2 SGG notwendigen Beiladungen der beitragsrechtlich unmittelbar betroffenen Beschäftigten sowie der Sozialversicherungsträger nachzuholen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und § 47 Abs 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht vor.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe vorbehalten.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 290.926,10 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung einer fiktiven Klagerücknahme durch das Sozialgericht Karlsruhe (SG). Hintergrund des Rechtsstreits ist die von der Beklagten angenommene Pflicht des Klägers zur Nachentrichtung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 290.926,10 EUR.
Der Kläger war zusammen mit Frau L. A. de F. Gesellschafter und Geschäftsführer der portugiesischen Firma D. und S. L., B ... Nach Ermittlungen des Finanzamtes S. II, der Polizeidirektion W. und des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg forderte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 6. August 2004 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 290.926,10 EUR für die Zeit vom 1. August 1995 bis 30. Juni 1996. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2008 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 24. Juli 2008 zugestellt.
Hiergegen hat der Kläger am 26. August 2008 (einem Dienstag) beim Sozialgericht Stuttgart (Az.: S 15 KR 5765/08) Klage erhoben. Mit Beschluss vom 24. September 2008 hat das Sozialgericht Stuttgart den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Karlsruhe verwiesen. Dort wurde es geschäftsintern der 5. Kammer zugewiesen (S 5 KR 4254/08). Mit Verfügung vom 21. Oktober 2008 (Bl 14 der SG-Akte, S 5 KR 4254/08) hat das SG der Beklagten unmittelbar (und dem Kläger nachrichtlich) Folgendes mitgeteilt:
"Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 24.7.2008 zugestellt. Ausgehend hiervon endete die Klagefrist mit Ablauf des 25.8.2008 (einem Montag).
Ausweislich des Poststempels auf dem Briefumschlag hatte der Kläger seine Klageschrift bereits am 23.8.2008 zur Post gegeben. Bei regelmäßigem Postlauf konnte er davon ausgehen, dass der Schriftsatz bis einschließlich 25.8.2008 beim Sozialgericht eingeht. Tatsächlich ging er zwar erst am 26.8.2008 ein; hierbei handelt es sich aber um eine unverschuldete Versäumung der Klagefrist, sodass dem Kläger Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
Ist die Klage somit zulässig, bitte ich nun um umgehende Zusendung der Verwaltungsakte."
Mit Verfügung vom 13. November 2008 (Bl 16 der genannten SG-Akte) hat das SG dem Kläger mitgeteilt, dass es für die interne Zuständigkeit beim SG unter anderem darauf ankomme, mit welchem Buchstabe sein Nachnahme beginne. Es sei für den Kammervorsitzenden einstweilen nicht ersichtlich, bei welchem seiner Namen der Nachname beginne. Der Kläger ist daher gebeten worden, bis zum 10. Dezember 2008 eine Kopie des Personalausweises zu übersenden. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 ist der Kläger an die Verfügung vom 24. November 2008 erinnert worden. Mit Schreiben vom 21. Januar 2009 (Bl 19 der genannten SG-Akte) hat das SG mit Postzustellungsurkunde (PZU) ein Schreiben mit folgendem Inhalt an den Kläger übermittelt:
"Trotz Erinnerung vom 17.12.2008 haben Sie meine Anfrage vom 14.11.2008 immer noch nicht beantwortet. Dies deutet daraufhin, dass ihr Interesse an der Fortführung des Verfahrens entfallen ist.
Diese Vermutung können Sie widerlegen, indem Sie innerhalb von drei Monaten nach Zugang dieses Schreibens die geforderte Kopie ihres Personalausweises übersenden.
Kommen Sie dieser Aufforderung nicht fristgemäß nach, gilt die Klage gemäß § 102 Abs 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen."
Das Schreiben ist dem Kläger am 23. Januar 2009 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 5. Februar 2009 hat das SG erneut mit PZU an den Kläger ein Schreiben mit gleichem Inhalt übermittelt, wobei am Ende des Schreibens folgender Zusatz beigefügt worden ist: "Dies hätte zur Folge, dass Sie die Kosten des Verfahrens tragen müssen" (Bl 20 der genannten SG-Akte). Die in der Akte befindliche Verfügung ist mit dem vollen Nachnamen des Kammervorsitzenden unterzeichnet worden. Eine Leseabschrift bzw eine Abschrift des an den Kläger übersandten Schreibens befindet sich nicht in der SG-Akte. Das Schreiben ist dem Kläger am 6. Februar 2009 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 7. Mai 2009 hat der Kammervorsitzende den Beteiligten mitgeteilt, dass die Klage gemäß § 102 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen gelte.
Laut Aktenvermerk vom 24. Juli 2009 hat sich der Kläger an diesem Tag telefonisch bei der Geschäftsstelle der 5. Kammer gemeldet und mitgeteilt, dass er nach langer Zeit aus Portugal zurückgekommen sei, da er dort seinen Vater bis zu dessen Tod und im Anschluss daran seine Mutter habe pflegen müssen. Er sei jetzt zusammen mit der weiterhin pflegebedürftigen Mutter wieder in Deutschland. Er habe deshalb nicht auf die Gerichtspost reagieren können und er wolle, dass das Verfahren weiter gehe.
Am 28. Juli 2009 hat sich der Kläger schriftlich an das SG (5. Kammer) gewandt und bat um Klagefortführung bzw Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Er hat dargelegt, dass er sich seit Oktober 2008 in Portugal aufgehalten habe, um seinen krebskranken Vater zu pflegen, der am 26. Januar 2009 verstorben sei. Danach habe er sich um seine 83-jährige pflegebedürftige Mutter kümmern müssen, sodass er die an ihn zugestellte Post nicht persönlich habe in Empfang nehmen können. Am 21. August 2009 verfügte der Kammervorsitzende, dass der Schriftsatz des Klägers vom 24. Juli 2009 als neue Klage einzutragen sei (S 5 KR 3683/09). Zugleich hat er den Kläger aufgefordert, eine Kopie seines Personalausweises binnen zwei Wochen vorzulegen. Dem ist der Kläger am 3. September 2009 nachgekommen. Als Nachname wird im Personalausweis "D. S. A." angegeben (Bl 12 der SG-Akten in dem Verfahren S 5 KR 3683/09). Mit Schreiben vom 20. November 2009 hat das SG dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass der Nachname des Klägers laut der vorgelegten Ausweiskopie "D. S. A." laute, er selbst und sein Prozessbevollmächtigter würden ihn aber nur "A." nennen. Da dies für die Zuteilung zur richtigen Kammer nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts wichtig sei, möge der Nachname eindeutig geklärt und mitgeteilt werden. Hierauf teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 25. November 2009 mit, dass der volle Name des Klägers "M. F. d. S. A." laute.
Mit Gerichtsbescheid vom 2. März 2011, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 7. März 2011, hat das SG festgestellt, dass die Klage S 5 KR 4254/08 durch Rücknahme erledigt sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei am 5. Februar 2009 wirksam aufgefordert worden, dass Verfahren zu betreiben. Für die Frage, welche Kammer das SG für den vorliegenden Rechtsstreit zuständig sei, komme es nach dem Geschäftsverteilungsplan darauf an, mit welchem Buchstaben der Nachname des Klägers beginne - für den Buchstaben "S" sei die 5. Kammer zuständig, für den Buchstaben "A" die 7. Kammer. Der Namenszusatz "d." bleibe für die Zuteilung außer Betracht. Angesichts der unklaren Lage sei der Kläger aufgefordert worden, innerhalb von drei Monaten nach Zugang des Schreibens eine Kopie seines Personalausweises zu übersenden. Innerhalb der dreimonatigen Frist habe der Kläger das Verfahren nicht betrieben. Damit sei das Rechtsschutzinteresse des Klägers entfallen. Denn obwohl er auf die Notwendigkeit der Übersendung einer Kopie des Personalausweises hingewiesen worden sei, habe er nicht reagiert. Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand sei nicht zu gewähren, da seine Kinder und seine Partnerin weiterhin in der Wohnung in Deutschland geblieben seien. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger dafür Sorge tragen müssen, dass während seiner Abwesenheit eingehende Post entweder geöffnet oder an ihn nach Portugal geschickt werde.
Hiergegen richtet sich die am 6. April 2011 beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung des Klägers, mit der er vorträgt, es sei zwar richtig, dass er auf die ihm durch das Gericht gesetzte Frist nicht reagiert habe. Allerdings könne daraus nicht gefolgert werden, dass er kein Rechtsschutzinteresse an der Fortsetzung der Rechtsverfolgung habe. Es sei vielmehr zu berücksichtigen, dass er das Verfahren zum damaligen Zeitpunkt ohne Anwalt betrieben habe, da er sich aufgrund der gegebenen Situation und der vorhandenen Mittel zunächst nicht an einen Rechtsanwalt habe wenden wollen und er zudem portugiesischer Staatsbürger sei, weswegen zu erwarten gewesen sei, dass er besondere Schwierigkeiten mit der Durchführung des Rechtsstreits haben werde. Diese Umstände habe das SG nicht berücksichtigt. Darüber hinaus sei ihm Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Er habe belegt, dass er zum Zeitpunkt der fraglichen Verfügungen seine Eltern in Portugal gepflegt habe. Nachdem die Beklagte zwischen dem Ausgangsbescheid und dem Widerspruchsbescheid vier Jahre habe verstreichen lassen, habe er nicht damit rechnen müssen, dass nunmehr im laufenden sozialgerichtlichen Verfahren ein Fristversäumnis um drei Monate den Verlust jeglicher Rechte bedeute. Hinzu komme, dass er - als er Deutschland verlassen habe, um zu seinen Eltern nach Portugal zu fahren - nicht damit gerechnet habe, dass der Aufenthalt derartig lange Zeit in Anspruch nehmen werde.
Der Kläger beantragt - sachdienlich ausgelegt -,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 2. März 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2008 aufzuheben, hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht vor. Der Kläger habe die Klage nicht mit zumutbarer Sorgfalt weitergeführt. Dies gelte auch unter Berücksichtigung seiner Lage. Da die Partnerin sowie seine Kinder in der Wohnung in Deutschland geblieben seien, sei die Sicherstellung des Posteingangs sehr einfach gewesen. Dies falle in den Verantwortungsbereich des Klägers.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 29. April 2011 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, den angegriffenen Gerichtsbescheid des SG aufzuheben und den Rechtsstreit an das SG zu erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Die Beteiligten haben vor diesem Hintergrund ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt. Die Beklagte hat zudem eine Kopie des Abdrucks der Betreibensaufforderung vom 5. Februar 2009 vorgelegt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung durch das SG auch begründet. Das SG hat zu Unrecht festgestellt, dass das Klageverfahren S 5 KR 4254/08 durch die Fiktion der Rücknahme der Klage erledigt sei. Denn die Voraussetzungen für den Eintritt einer Rücknahmefiktion nach § 102 Abs 2 Satz 1 SGG liegen nicht vor.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26. März 2008 (BGBl I, 444) wurde mit Wirkung vom 1. April 2008 in Abs 2 des § 102 SGG eine Fiktion der Klagerücknahme bei Nichtbetreiben eingefügt. Danach gilt: Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt, wobei § 102 Abs 1 SGG entsprechend gilt. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und ggfs aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 155 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Bei der fingierten Klagerücknahme handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses (BT-Drucks 167716, 19 zu Nr 17; BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R = SozR 4-1500 § 102 Nr 1), die grundsätzlich den Ablauf einer zuvor vom zuständigen Richter gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraussetzt. Wenn die Betreibensaufforderung Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, muss sie mithin vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden. Eine Namenabkürzung oder ein Handzeichen genügt als Unterschrift nicht. Darüber hinaus muss nicht nur die Betreibensauffordung vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift muss diesen Umstand erkennen lassen, dh durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (BSG, aaO).
Diese gesetzlichen Voraussetzungen der fiktiven Klagerücknahme erfüllt das sozialgerichtliche Vorgehen nicht. Es ist bereits nicht geklärt, ob die Betreibensaufforderung vom 5. Februar 2009 vom zuständigen Richter verfügt worden ist. Nach den Ausführungen des SG im Gerichtsbescheid vom 2. März 2011 ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des SG der Anfangsbuchstabe des Nachnamens für die gerichtsinterne Kammerzuständigkeit von maßgeblicher Bedeutung. Danach ist für den Buchstaben "S" die 5. Kammer und für den Buchstaben "A" die 7. Kammer des SG zuständig. Zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung am 5. Februar 2009 wusste der Kammervorsitzende der 5. Kammer nach eigenen Angaben aber nicht, ob er für den Rechtsstreit nach dem internen Geschäftsverteilungsplan zuständig war. Dies hat er im Übrigen auch nochmals in seinem Schreiben vom 20. November 2009 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers bestätigt. Die geschäftsplanmäßige Zuständigkeit hat jeder Spruchkörper eines Gerichts aber von Amts wegen zu prüfen (Kissel/Mayer, Kommentar zum Gerichtsverfassungsgesetz [GVG], 6. Auflage 2010, § 16 Rdnr 25). Hierbei hat er den geltenden Geschäftsverteilungsplan (vgl hierzu § 21e GVG) zugrunde zu legen. Der Richter muss daher vor der Entscheidung einer konkreten Rechtssache in eigener Verantwortung prüfen, ob er dafür nach Gesetz und Geschäftsverteilungsplan zuständig ist. Er darf die Sache nur entscheiden, wenn er sich für zuständig hält. Hält er sich nicht für zuständig, so muss er die Sache an den zuständigen Richter weiterleiten (Kissel/Mayer, aaO, § 21e Rdnr 116). Kommt es dann ggfs zu Meinungsverschiedenheiten unter verschiedenen Spruchkörpern des gleichen Gerichts, muss das Präsidium des Gerichts entscheiden, welcher Spruchkörper zuständig ist. Denn eine solche Auseinandersetzung betrifft die Verteilung der Geschäfte unter den Mitgliedern des Gerichts durch den Geschäftsverteilungsplan, der in die Zuständigkeit des Präsidiums fällt (vgl hierzu nur BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1999 - X ARZ 247/99 = NJW 2000, 80 mwN). Der Umstand, dass der Kammervorsitzende noch einmal um Übersendung einer Kopie des Personalausweises des Klägers gebeten hat, lässt den Schluss zu, dass er zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung am 5. Februar 2009 die Frage, ob er laut dem geltenden Geschäftsverteilungsplan für den Rechtsstreit des Klägers zuständig ist, noch nicht als geklärt angesehen hat.
Darüber hinaus handelt es sich bei der Aufforderung, eine Kopie des Personalausweises zu übersenden, im konkreten Fall nicht um eine wirksame Betreibensaufforderung im Sinne des § 102 Abs 2 Satz 1 SGG. Denn die Betreibensaufforderung muss sich hinreichend konkret auf bestimmte verfahrensfördernde Handlungen beziehen, die der Kläger vorzunehmen hat (vgl hierzu LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 - L 5 AS 217/2010). Eine solche verfahrensfördernde Handlung kann beispielsweise in Angaben zu einem bestimmten Sachverhalt oder in der Verpflichtung zur Vorlage bestimmter Dokumente liegen. Die Aufforderung zur Übersendung der Kopie des Personalausweises des Klägers stellt im vorliegenden Fall jedoch nicht eine solche verfahrensfördernde Handlung dar, da der Kläger bereits in seinem Klageschriftsatz vom 26. August 2008 seinen vollständigen Vor- und Nachnamen angegeben hat. Dies wird durch die mittlerweile vom Kläger vorgelegte Kopie seines Personalausweises (Bl 12 der SG-Akte S 5 KR 3683/09) bestätigt. Bereits zu diesem Zeitpunkt wäre der Kammervorsitzende daher in der Lage gewesen - ggfs nach Einholung einer Auskunft der Botschaft Portugals in Berlin oder des Generalkonsulats in Stuttgart zu portugiesischen Namensregelungen (vgl §§ 103, 106 Abs 3 Nr 3 SGG) -, die Zuständigkeit zu bestimmen bzw bei einer Meinungsverschiedenheit das Präsidium des Gerichts anzurufen.
Vor diesem Hintergrund musste der Senat nicht darüber entscheiden, ob der Kammervorsitzende auch die für eine wirksame Betreibensaufforderung notwendige (schriftliche) Form eingehalten hat. Der von der Beklagten dem Senat übermittelte Abdruck vom 5. Februar 2009 lässt hieran zweifeln. Zwar wurde die Verfügung vom 5. Februar 2009 mit dem vollen Nachnamen des Kammervorsitzenden unterzeichnet (Bl 20 der SG-Akte S 5 KR 4254/08). Im Abdruck wird ebenfalls der Name des Kammervorsitzenden genannt, es befindet sich jedoch der Zusatz "Auf richterliche Anordnung - diese Mitteilung wurde elektronische erstellt und enthält deshalb keine Unterschrift, wofür um Verständnis gebeten wird -". Sollte der Kammervorsitzende die Betreibensaufforderung, die an den Kläger verschickt wurde, nicht selbst unterschrieben haben, wären die Voraussetzungen einer Klagerücknahmefiktion auch deshalb nicht gegeben. Wie bereits dargelegt, konnte der Senat diese Frage jedoch offenlassen.
Da das sozialgerichtliche Verfahren damit an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG leidet, war der angegriffene Gerichtsbescheid aufzuheben. Der Senat verweist den Rechtsstreit im Rahmen des ihm in § 159 SGG eingeräumten Ermessens zurück, weil das SG als erste Tatsacheninstanz den Beteiligten erhalten bleiben soll und das SG dem Kläger bereits Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gewährt hat. Damit erhält das SG auch die Gelegenheit, die nach § 75 Abs 2 SGG notwendigen Beiladungen der beitragsrechtlich unmittelbar betroffenen Beschäftigten sowie der Sozialversicherungsträger nachzuholen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und § 47 Abs 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht vor.
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