S 10 SO 48/10 FdV

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
10
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 SO 48/10 FdV
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung (§ 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI) kann grundsätzlich nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII i.V.m. § 41 Abs. 1 SGB IX erstattet werden.
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigte Kläger begehrt vom Beklagten, Bezirk Oberbayern, die Erstattung des von seinem Werkstattlohn einbehaltenden Beitragszuschlags für Kinderlose in der Pflegeversicherung (§ 55 Abs.3 SGB XI) im Rahmen der Eingliederungshilfe.

Der am 27.04.1970 geborene Kläger ist in einer WfbM beschäftigt, die durch einen freien Träger betrieben wird. Dieser trägt u. a. die für den Kläger zu entrichtenden Beiträge zur Rentenversicherung und gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung trägt er mit Ausnahme des Beitragszuschlags für Kinderlose. Diese Beiträge werden dem Träger der Werkstatt vom zuständigen Träger der Sozialhilfe (dem beklagten Bezirk Oberbayern) erstattet. Der Beitragszuschlag für Kinderlose wurde ab 01.01.2005 in Höhe von 1,21 EUR monatlich vom Werkstattlohn des Klägers (damals 76,87 EUR) einbehalten. Ab 2007 wurden 1,22 EUR und ab 2008 1,24 EUR einbehalten.

In einem Parallelverfahren beantragte der Kläger die Feststellung, dass auch der Beitragszuschlag für Kinderlose zur Pflegeversicherung nach § 55 Abs.3 Satz 1 SGB XI nach § 59 Abs.1 Satz 1 Halbs. 1 SGB XI i.V.m. § 251 Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB V allein vom Träger der WfbM, in der er beschäftigt ist, und nicht von ihm zu tragen ist. Mit Urteil vom 05.05.2010 wies das Bundessozialgericht (Az.: B 12 KR 14/09 R) die Klage ab. Es wurde höchstrichterlich entschieden, dass den Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung der Kläger selber zu tragen habe. Dies folge aus § 59 Abs.5 SGB XI, wonach den Beitragszuschlag für Kinderlose nach § 55 Abs.3 SGB V das Mitglied, vorliegend also der Kläger, selbst tragen müsse.

Am 16.05.2007 beantragte der Kläger beim Beklagten die Erstattung des von ihm monatlich abzuführenden Beitragszuschlags zur gesetzlichen Pflegeversicherung für Kinderlose im Rahmen der Eingliederungshilfe.

Mit Bescheid vom 29.05.2007 lehnte der beklagte Bezirk Oberbayern den Antrag auf Übernahme der Kosten ab. Hiergegen legte der Kläger am 12.06.2007 Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2007 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch zurück.

Am 08.01.2008 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Landshut.

Der Beklagte gewähre dem Kläger auf Grund eines Bescheids vom 03.01.2005 Eingliederungshilfe u.a. auch durch Übernahme der Kosten für die Betreuung in der Werkstatt für behinderte Menschen. Zu diesen Kosten gehöre auch der Beitragszuschlag für Kinderlose, denn dieser sei in der werkstattbezogenen Pflichtversicherung des Klägers begründet (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 SGB XI).

Der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 29.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberbayern vom 27.12.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den vom Kläger an die Pflegeversicherung zu entrichtenden Beitragszuschlag für Kinderlose (§ 55 Abs.3 SGB XI) ab 01.05.2007 dem Kläger zu erstatten, zuzüglich 4 % Zinsen für die Zeit vom 01.12.2007 bis zum Tag einer rechtskräftigen Entscheidung.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er verteidigt den angegriffenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 02.02.2011 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Klage ist zulässig. Dem Kläger steht für die streitgegenständliche Klage auch ein Rechtsschutzbedürfnis zu. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt z. B. dann, wenn unzweifelhaft feststeht, dass das begehrte Urteil die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessert (so Bundesverwaltungsgericht vom 29.04.2004, Az.: 3 C 25/03 = NVwZ–RR 04, 855). Vorliegend begehrt der Kläger die Erstattung des Beitragszuschlags für Kinderlose (§ 55 Abs.3 Satz 1 SGB XI) in Höhe von ca. 1,20 EUR im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII i.V.m. § 41 SGB IX. Hätte die Klage Erfolg, würde dies bedeuten, dass sich spiegelbildlich das Werkstatteinkommen des Klägers um den gleichen Betrag erhöht, und sich damit die Grundsicherungsleistungen nach § 41 ff SGB XII verringern oder anders ausgedrückt: Bleibt die Klage erfolglos, wird dem Kläger im Rahmen der Berechnung der Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel SGB XII ein geringeres Einkommen angerechnet, mit der Folge, dass sich die Grundsicherungsleistungen entsprechend erhöhen. Damit wäre bereits fraglich, ob der Kläger durch seine Klage seine wirtschaftliche Stellung verbessern kann. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist vorliegend jedoch – noch – deshalb zu bejahen, weil bei erfolgreicher Klage, das erhöhte Werkstatteinkommen nach den §§ 82 ff. SGB XII nicht voll auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet wird, sondern für den Kläger ein rechnerisches Plus verbleiben würde, das sich jedoch monatlich unter einem Euro bewegt.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Erstattung des Beitragszuschlags für Kinderlose im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII i.V.m. § 41 Abs.1 SGB IX zu.

Das Bundessozialgericht hat im vorgreiflichen Rechtsstreit mit Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 12 KR 14/09 R, entschieden, dass den Beitragszuschlag für Kinderlose der Kläger selbst zu tragen hat. Dies folgt aus § 59 Abs.5 SGB XI, wonach der Beitragszuschlag für Kinderlose nach § 55 Abs.3 Satz 1 SGB XI das Mitglied, vorliegend also der Kläger selbst trägt.

Diesen Beitragszuschlag kann der Kläger auch nicht nach den §§ 54 SGB XII i.V.m. § 41 Abs.1 SGB IX im Rahmen der Eingliederungshilfe vom Beklagten erstattet verlangen.

Die Zielrichtung der Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen ist in § 41 Abs.2 SGB IX geregelt. Die Leistungen sind gerichtet auf

• Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer der Eignung und Neigung des behinderten Menschen entsprechenden Beschäftigung, • Teilnahme an arbeitsbegleitenden Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der im Berufsbildungsbereich erworbenen Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit sowie • Förderung des Übergangs geeigneter behinderter Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen.

Unter Berücksichtigung dieser Zielsetzungen lässt die Erstattung des Beitragszuschlags für Kinderlose nach § 55 Abs.3 Satz 1 SGB XI nicht als Kosten der Betreuung und damit als Eingliederungsleistung qualifizieren. Der (Pflicht-)Versicherungsbeitrag findet im Rahmen der Gewährung von Sozialhilfeleistungen vielmehr bereits insofern Berücksichtigung, als er das anrechenbare Einkommen nach § 82 Abs.2 Nr.2 SGB XII entsprechend mindert. Nach Ansicht der Kammer kommt daher dem § 82 Abs.2 Nr.2 SGB XII gegenüber dem offenen Leistungstatbestand des § 54 Abs.1 SGB XII ein Vorrangverhältnis zu, das es dem Sozialhilfeträger – ohne Rechtsgrundlage – verbietet, den Beitragszuschlag – zusätzlich – als Eingliederungsleistung zu übernehmen.

Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass durch das Fehlen eines Erstattungsanspruchs zur Tragung des Beitragszuschlags nach § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI auch nicht in das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 99, 246, 259) durch Rückgriff auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als Vergleichsebene zu quantifizierende soziokulturelle Existenzminimum des Klägers eingegriffen wird (vgl. hierzu auch die Ausführungen des BSG im Urteil vom 05.05.2010 a.a.O.). Denn auch wenn ein Versicherter, wie der Kläger, seinen Unterhalt nicht aus eigenen Mitteln und ggf. Mitteln im Sinne des Sozialhilferechts einsatzpflichtiger Dritter selbst bestreiten kann und er auf Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung nach dem Dritten oder Vierten Kapitel SGB XII angewiesen ist, beeinflusst der aus dem Werkstattlohn zu tragende Beitragszuschlag das Leistungsniveau nur marginal. Hiervor schützt – wie oben ausgeführt – § 82 Abs.2 Nr.2 SGB XII, wonach Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung das vorrangig einzusetzende Einkommen mindern, weshalb eine Erhöhung der Beitragslast gleichzeitig zu einer Erhöhung des Leistungsanspruchs führen.

Da es auch an einer spezialgesetzlichen Erstattungsregelung fehlt, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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