L 5 AS 673/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 204 AS 9326/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 673/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Nach § 10 Abs. 1 SGB II ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen grundsätzlich jede Arbeit zumutbar.

Bei der Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II (Gefährdung der Kindeserziehung) ist ausschließlich die objektive Betreuungssituation maßgeblich, die von Amts wegen zu ermitteln ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Dezember 2010, B 14 AS 92/09 R).

Die Rechtsfolgenbelehrung muss konkret, richtig, vollständig und verständlich sein und zeitnah im Zusammenhang mit dem Arbeitsangebot zutreffend erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen eine unbegründete Arbeitsablehnung auf den Leistungsanspruch haben kann (Bundessozialgerichts, Urteil vom 15. Dezember 2010, B 14 AS 92/09 R; Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 53/08 R).
Bemerkung
Zur Glaubhaftigkeit einer eidesstattlichen Versicherung.
Die Beschwerden der Antragstellerin gegen die mit Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2011 erfolgte Ablehnung der Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz und auf Prozesskostenhilfe werden zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Die Kosten der Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.

Gründe:

Die am 6. April 2011 eingegangene Beschwerde der Antragstellerin gegen die mit Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. April 2011 erfolgte Ablehnung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid vom 7. März 2011, mit dem das Arbeitslosengeld II der Antragstellerin für die Zeit vom 1. April 2011 bis zum 30. Juni 2011 auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt wurde, hat keinen Erfolg.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin tritt hinter das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners zurück (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Der Sanktionsbescheid vom 7. März 2011 in der Gestalt des im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens erlassenen Widerspruchsbescheides vom 21. April 2011, gegen den die Antragstellerin am 6. Mai 2011 Klage erhoben hat, erweist sich als rechtmäßig. Er findet seine Rechtsgrundlage in § 31 Abs. 5 und Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) in der vom 1. Januar 2011 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung des Gesetzes für verbesserte Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt (Beschäftigungschancengesetz) vom 24. Oktober 2010 (BGBl. I S. 1417, 1420). Danach wird bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, das Arbeitslosengeld II auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen unter anderem weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen. Dies gilt gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.

Die am 1987 geborene Antragstellerin hat sich auf den Vermittlungsvorschlag des Antragsgegners vom 13. Januar 2011 nicht auf die von einem Zeitarbeitsbetrieb angebotene Stelle als Gesundheits- und Krankenpflegehelferin beworben. Es handelte sich dabei um eine zumutbare Arbeit. Die Antragstellerin hatte zuvor eine Qualifikationsmaßnahme in der mobilen Hauskrankenpflege absolviert. Soweit sie sich gegen eine Anstellung bei einem Zeitarbeitsbetrieb wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass gemäß § 10 Abs. 1 SGB II grundsätzlich jede Arbeit zumutbar ist. Die Antragstellerin kann auch nicht geltend machen, sie habe die angebotene Arbeit nicht aufnehmen können, weil sie sich um ihre beiden am 16. März 2007 beziehungsweise am 3. August 2009 geborenen Kinder habe kümmern müssen. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen jede Arbeit zumutbar, es sei denn, dass die Ausübung der Arbeit die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners gefährden würde; die Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit seine Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches des Sozialgesetzbuches oder auf sonstige Weise sichergestellt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist hierbei ausschließlich die objektive Betreuungssituation maßgeblich, die von Amts wegen zu ermitteln ist (Urteil vom 15. Dezember 2010, B 14 AS 92/09 R). In diesem Sinne war die Kinderbetreuung im vorliegenden Fall sichergestellt. Jedenfalls das ältere der Kinder war bereits mit einem Kindergartenplatz versorgt, während das zweite Kind von dem arbeitslosen Kindesvater betreut werden konnte. Soweit sich die Antragstellerin auf dessen eidesstattliche Versicherung vom 15. Mai 2011 bezieht, dringt sie damit nicht durch. Der Kindesvater hat darin angegeben, er habe nur bis zum 27. Februar 2011 bei seiner Familie gewohnt, nachdem sich die Antragstellerin und er bereits zuvor getrennt hätten. Weil er mit der Suche nach einer eigenen Wohnung beschäftigt gewesen sei, habe er die Antragstellerin nicht bei der Kinderbetreuung unterstützt. Insbesondere hätte er die Betreuung auch nicht während der Arbeitszeiten der Antragstellerin gewährleisten können. Zudem habe er sich bis zum 27. Februar 2011 nicht mehr regelmäßig in der Wohnung seiner Familie aufgehalten, sondern sei bei Freunden untergekommen. Hinsichtlich dieser eidesstattlichen Versicherung ist zunächst festzustellen, dass der Kindesvater die Betreuung seiner Kinder offenbar nicht grundsätzlich verweigert hat. Im Übrigen sind seine Angaben zur Kinderbetreuung unglaubhaft. Es erschließt sich schon nicht, warum die Wohnungssuche so viel Zeit in Anspruch genommen haben soll, dass der Kindesvater daneben keine Kinderbetreuung mehr gewährleisten konnte. Das Verhalten der Antragstellerin deutet zudem darauf hin, dass es sich bei der eidesstattlichen Versicherung um eine Gefälligkeitsaussage handelt. Die Antragstellerin hat ausweislich der von ihr inhaltlich nicht beanstandeten Computervermerke des Antragsgegners vom 13. Januar 2011 und vom 27. Januar 2011 bei den jeweils an diesen Tagen erfolgten persönlichen Vorsprachen keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass die Betreuung der Kinder nicht sichergestellt sein könnte. Sie hat nach dem Vermerk vom 27. Januar 2011 ihre Weigerung der Arbeitsaufnahme ausschließlich damit begründet, dass sie nicht verpflichtet sei, eine Arbeit bei einem Zeitarbeitsbetrieb aufzunehmen. Erst auf das Anhörungsschreiben vom 31. Januar 2011 hat sie – nach ihrer grundsätzlichen Ablehnung von Zeitarbeitsbetrieben – angegeben, sie könne wegen ihrer beiden kleinen Kinder nicht immer auf Abruf stehen. Demnach sah die Antragstellerin selbst jedenfalls bis zur Bekanntgabe des Anhörungsschreibens in einer fehlenden Kinderbetreuung keinen Hinderungsgrund für die Arbeitsaufnahme. Daraus ist zu schließen, dass zum Zeitpunkt der Verweigerung der Arbeitsaufnahme ein solcher Hinderungsgrund auch nicht bestand. Diese Schlussfolgerung wird schließlich dadurch gestützt, dass das gerichtliche Schreiben vom 23. Juni 2011, das eine Anforderung von Belegen oder Glaubhaftmachungen zu den Fragen enthielt, wer das Sorgerecht für die Kinder innehat und welche Bemühungen die Antragstellerin unternommen hat, um den Vater der Kinder zu deren Betreuung zu bewegen, ohne jegliche Antwort geblieben ist. Vor diesem Hintergrund greift auch der im Rahmen der Anhörung vorgetragene weitere Einwand der Antragstellerin, sie könne nicht morgens um 5.00 Uhr zur Arbeit erscheinen, wenn der Kindergarten erst um 6.00 Uhr öffne, nicht durch. Im Übrigen wurde die Antragstellerin in dem Vermittlungsvorschlag ausdrücklich aufgefordert, sich auch dann zu bewerben, wenn sie nur eingeschränkt schichtflexibel sein könne oder nur in Teilzeit arbeiten wolle. Sie musste deshalb davon ausgehen, dass der Arbeitgeber auf besondere Arbeitszeitwünsche eingehen würde.

Die Antragstellerin wurde auch zutreffend über die Rechtsfolgen eines pflichtwidrigen Verhaltens belehrt. Die dem Vermittlungsvorschlag beigefügte Rechtsfolgenbelehrung des Antragsgegners genügt den Anforderungen des Bundessozialgerichts (Urteil vom 15. Dezember 2010, B 14 AS 92/09 R; Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 53/08 R). Sie war konkret, richtig, vollständig und verständlich und hat zeitnah im Zusammenhang mit dem Arbeitsangebot zutreffend erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf den Leistungsanspruch eine unbegründete Arbeitsablehnung haben kann. Es heißt dort ausdrücklich "Wenn Sie sich weigern, die Ihnen mit diesem Vermittlungsvorschlag angebotene Arbeit aufzunehmen, wird das Ihnen zustehende Arbeitslosengeld II auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) beschränkt".

Waren damit die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Sanktion erfüllt, musste der Antragsgegner das Arbeitslosengeld II gemäß § 31 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 2 SGB II grundsätzlich für drei Monate auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung begrenzen. Die vom Antragsgegner gemäß 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II getroffene Ermessensentscheidung, den Sanktionszeitraum nicht auf sechs Wochen zu verkürzen, unterliegt keinen Bedenken. Weder hat der Antragsgegner die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Der Antragsgegner hat erkannt, dass eine Ermessensentscheidung zu treffen war. Er hat den maßgeblichen Sachverhalt vollständig ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Der Beginn des Zeitraums der Sanktion wurde in Übereinstimmung mit § 31 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II auf den Beginn des Kalendermonats festgelegt, der auf das Wirksamwerden des Sanktionsbescheides folgte, also auf den 1. April 1011. Der Antragsgegner hat auch gemäß § 31 Abs. 5 Satz 6 und Abs. 3 Satz 6 SGB II eine fehlerfreie Ermessenentscheidung getroffen, dass ergänzende Sachleistungen (Wertgutscheine) und Stromkostenabschläge gewährt werden.

Aus den vorstehenden Gründen ist auch die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht zurückzuweisen und der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG sowie auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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